Eugenie Marlitt
Im Schillingshof
Eugenie Marlitt

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26.

Mit Tagesanbruch wurde es lebendig im Schillingshof. Die Dienerschaft, die noch gestern auf den Zehen gegangen war, polterte treppauf, treppab und trabte mit gewichtigen Absätzen geräuschvoll über die Marmorfliesen der Flurhalle. Im Vorgarten rasselten eiserne Rechen über die Kieswege – einige Taglöhner rafften unter Anführung des Gärtners das Stroh weg, ängstlich sorgsam, auf daß auch nicht ein Halm an dem blanken Geröll hängen bleibe. Die Röhren des Zierbrunnens wurden auch aufgeschraubt, und brausend fuhren die so lange gefangengehaltenen Wasserstrahlen in die sonnendurchleuchtete, blaue Morgenluft hinein.

Donna Mercedes sah vom Fenster aus ruhig und gelassen der Wiederherstellung der früheren Ordnung zu. – José hatte in der Nacht prächtig geschlafen; er war frisch und sichtlich gestärkt erwacht, und das Geräusch in und außer dem Hause schien ihn nicht weiter zu behelligen. Die kleine Paula aber jubelte über die springenden Wasserstrahlen, wie über ein neues Spielzeug. Sie war nach dem Frühstück auf Tantes Lehnstuhl in der Fensternische geklettert und ergötzte sich unermüdlich an den plätschernden und zerstäubenden Wassern, denen das Sonnenlicht ein köstliches Regenbogengeflimmer entlockte.

Die Kleine sah aus in dem mächtigen Bogenfenster wie ein winziges Blumenelfchen. Mit den nackten Schultern aus dem losen, blauen Kleidchen schlüpfend, das an seinem Ausschnitt das Spitzengekräusel des Batisthemdchens sehen ließ, stützte sie die kleinen Arme auf den Fenstersims, und das Blondhaar fiel ihr volllockig in die Stirn und an den Schläfen hinab über Schultern und Rücken. Donna Mercedes stand neben ihr im frischen weißen Morgenkleide; ihre Hand glitt mechanisch über das Lockengewoge des Kindes, während die dunklen Augen ziellos in den weiten Himmel hineinschweiften.

Da trat die Herrin des Schillingshofes, in Fräulein von Riedts Begleitung, hinter dem nächsten Buschwerk hervor. Sie war in derselben Kleidung wie gestern abend. Das goldene Kreuz funkelte ihr auf der Brust, und in den graubekleideten Händen hielt sie ein Buch in violettem Samteinband. Die Damen kamen jedenfalls schon aus der nahen Benediktinerkirche, wo sie ihr Morgengebet verrichtet hatten.

In der klaren, scharfen Morgenbeleuchtung erschien die Baronin fast noch abstoßender als gestern beim Lampenlicht. – Kränklichkeit, vor allem aber wohl eine leidenschaftliche, wenn auch mit großer Kunst verheimlichte Natur – wie Felix stets behauptet – hatten an diesem Gesicht verhäßlichend gearbeitet – die Züge waren schlaff und verwüstet wie die einer Greisin.

Fräulein von Riedt sah abgewendet und aufmerksam über den Rasen hin, auf dem die Arbeiter noch beschäftigt waren; die Augen der Baronin aber überflogen verstohlen die Fensterreihe der nördlichen Erdgeschoßwohnung ... Einen Augenblick blieben diese glanzlosen Augen an dem Bogenfenster hängen, hinter dessen Scheiben die Dame mit dem Kinde stand – sie wurden weit und starr wie in plötzlicher Überraschung; aber fast ebenso schnell zuckte ein feindseliger Strahl herüber. Es lag etwas Duckmäuserisches in der Art, wie diese Frau den Kopf senkte und beschleunigten Schrittes weiterging, als habe sie nichts gesehen.

Später kam der behandelnde Arzt; aber nicht direkt von der Straße, sondern aus dem ersten Stock – die Gnädige hatte ihn schon in aller Frühe in ihre Gemächer gerufen, wie er sagte. Er war der Hausarzt im Schillingshofe – ein braver, gerader Mann, auf dessen Gesicht heute ein kaum zu unterdrückender Ärger lag. Er riet denn auch Donna Mercedes im Laufe des Gespräches, vorläufig jede Begegnung mit der Baronin zu vermeiden; sie lasse es sich nicht ausreden, daß der Typhus in ihrem Hause sei, und zeige eine geradezu wahnwitzige Furcht vor der Ansteckung. In der Flurhalle sähe es aus, als würden den griechischen Götterbildern Weiheopfer dargebracht, so dampfe es in dicken, blauen Wollen aus rings aufgestellten Kohlenbecken. – Mit welchem spöttischen Lächeln er das sagte!

Seinen kleinen Patienten fand er in der Genesung auffallend vorgeschritten; »aber,« sagte er mit aufgehobenem Drohfinger und bedeutungsvollem Nachdruck zu Donna Mercedes – »ich muß dringend bitten, daß Sie sich durch nichts, durch gar nichts bestimmen lassen, das Kind in seiner Ruhe zu stören! Ich mache Sie, gnädige Frau, für jede nachteilige Veränderung im Befinden des Genesenden verantwortlich!« – Was alles mußte der Mann soeben im ersten Stockwerk gehört und erlebt haben! – Das schien ihn jedoch nicht im geringsten zu beeinflussen. Er hatte den kleinen Knaben sehr lieb gewonnen, und für Donna Mercedes zeigte er große Verehrung – er war liebenswürdiger als je und gestattete heute auch auf Josés Bitten endlich, daß die Tante zum erstenmal wieder auf dem Flügel spiele.

Donna Mercedes setzte sich an das Instrument und schlug einige gedämpfte Akkorde an. Sie war keine Meisterin; eine brillante Technik besaß sie nicht. Ihre feurige Natur sträubte sich gegen den Zwang des geduldigen Übens, wie das Steppenroß gegen den Zügel – aber eine Art wilder Genialität durchglühte ihren Vortrag; sie fühlte unter den Tönen die Seelenfesseln springen, wie wenn sie draußen mit tiefatmender Brust in das Weite hineinstürmte ... Und deshalb hatte sie ihren Flügel mitgenommen – auf einem anderen Instrument spielte sie niemals.

Ein Freudenschimmer überflog ihr schönes Gesicht, als sie die Finger zum erstenmal nach so langer Entbehrung wieder auf die Tasten legte. Sie spielte »Adelaide« von Beethoven mit vorsichtigem Anschlag, in Berücksichtigung des kleinen Kranken – aber welche tiefe Innigkeit beseelte diese Klänge! »Einsam wandelt dein Freund im Frühlingsgarten« – wie gefangen irrte ihre Seele um das exotische Gesträuch im Glashause, die Springbrunnen plätscherten, auf der zitternden Wasserfläche schwankte der Gloxinienkelch, und hinter der halbverhangenen Glaswand dämmerten ergreifend lebendig die Gestalten, die der eckigen Stirn des häßlichen Kopfes entstammten ... Zornig schüttelte die Spielerin das wogende Haar in den Nacken zurück und griff energischer in die Tasten, als sollten und müßten andere Melodien übertönt werden – das herrliche Instrument erbrauste in majestätischer Pracht und Tonfülle – José lauschte atemlos in seinem Bettchen, und der Arzt lehnte wie festgebannt am Fensterpfeiler ...

Da wurde plötzlich die Salontür geöffnet, rücksichtslos rasch und laut, als werde dringende Botschaft gebracht. Der Bediente Robert trat herein, aber nicht mit der gewohnten Unterwürfigkeit; er kehrte eine sehr dreiste Miene heraus – man sah sofort, daß dieser Mann in blanker Livree, mit dem tadellosen Mittelscheitel und den zwinkernden Augen als Abgesandter auf ausgedehnten Vollmachten fuße.

»Meine gnädige Herrschaft läßt recht sehr bitten, nicht weiter zu spielen,« sagte er ziemlich kurz mit einer leichten Verbeugung. – »Im Schillingshofe darf nie Musik gemacht werden; auch die Drehorgelmänner dürfen wir nicht hereinlassen. Die gnädige Frau Baronin kann durchaus keine Musik vertragen.«

»Ei, ist's denn die Möglichkeit! Selbst die Drehorgelmänner nicht?« lachte der Arzt spöttisch auf. – »Übrigens begreife ich nicht – die Gnädige wohnt ja doch auf der entgegengesetzten Seite –«

»Die Damen frühstücken auf der Terrasse, und da hört man das Spielen,« unterbrach ihn der Bediente mit hochgezogenen Brauen wichtig und überlegen. »Die Hexen!« murmelte der Doktor grimmig in den Bart. Er griff nach seinem Hut und empfahl sich mit einem vielsagenden spöttischen Lächeln, während Donna Mercedes sich schweigend erhob und den Flügel schloß.

Sie ging nach ihrem Schreibtisch und schien es nicht zu bemerken, daß der Diener an der Tür stehen geblieben war. In dem Menschen, der sich plötzlich auf dem Standpunkt des Gebietenden der Dame gegenüber fühlte, kochte die Wut. Er trat ziemlich geräuschvoll tiefer in das Zimmer und zeigte auf einen Papierbogen, den er in der Hand hielt.

»Ich möchte bitten –« hob er unter einem vernehmlichen Räuspern an.

Die Dame wandte ihm langsam und majestätisch das Gesicht zu, und er bückte sich unwillkürlich vor dem stolz verwunderten Blick, der ihn von Kopf bis zu Füßen maß.

»Ich habe da verschiedene Auslagen notiert,« sagte er, ihr das Papier hinhaltend, das sie jedoch nicht ergriff. – »Die Dame, die abgereist ist, hat nie die Droschken bezahlt, mit denen sie nach Hause kam – die Kutscher schimpften und hielten sich an mich. Auch den Leuten, die die gekauften und bestellten Sachen brachten, hab' ich das Trinkgeld zahlen müssen. Ich hab' mich auch nicht geweigert, denn ich dachte immer, das gehöre mit zu der Gastfreundschaft. – Nun hab' ich vorhin der Gnädigen den Zettel vorgelegt, aber sie sagt, das gehe sie gar nichts an.«

»Das ist richtig. In derartigen Dingen haben Sie sich an meinen Diener Jack zu wenden.«

Er kraute sich mit einem impertinenten Lächeln hinter dem Ohr. »In dem Schwarzen seiner Hand hab' ich noch keinen Pfennig gesehen,« sagte er stockend in gemachter Verlegenheit; »und mein Grundsatz ist immer, lieber gleich vor die rechte Schmiede zu gehen.«

Donna Mercedes preßte die blaß gewordenen Lippen aufeinander, und ein tiefer, schwerer Atemzug, als kämpfe sie mit Erstickungsnot, hob ihre Brust. Sie schloß schweigend einen Kasten im Aufsatz des Schreibtisches auf und zog ihn heraus – er war bis an den Rand mit Goldstücken gefüllt.

»Nehmen Sie, was Ihnen zukommt!« sagte sie kurz und zeigte auf das Gold – um keinen Preis hätte sie diesem Menschen Geld hinzählen mögen.

Er prallte bestürzt zurück, als fahre ihm eine Flamme aus dem märchenhaft reichen Kasten entgegen. Er hatte eben noch boshaft angedeutet, daß er keinen Pfennig in der Erdgeschoßwohnung vermute, und nun blinkte ihm da eine nie gesehene Goldmasse entgegen, so sorglos und nachlässig verwahrt, daß er sich selbst eingestand, die Dame müsse von Jugend auf in Nabobsgewohnheiten erzogen sein.

»Aber, gnädigste Frau, das kann ich doch unmöglich!« stotterte er fassungslos – seine Bedienten-Aufgeblasenheit sank kläglich zusammen.

»Nehmen Sie!« wiederholte sie, und ihre stolzen Brauen falteten sich finster.

Er trat scheu auf den Zehen heran und nahm mit so spitzen Fingern, als fürchte er sich zu verbrennen, ein Goldstück heraus. Dann zog er schleunigst sein Portemonnaie aus der Tasche. »Meine Auslagen betragen nicht so viel – gnädigste Frau bekommen über die Hälfte zurück,« sagte er und schickte sich an, schmutziges Kleingeld auf die Tischplatte, nahe vor dem Bilde des »armen Valmaseda«, des ehemaligen Krösus von Südkarolina, hinzuzählen.

Donna Mercedes hob den Arm und zeigte nach der Tür. »Gehen Sie!« befahl sie streng und gebieterisch. »Für künftig bitte ich mir's aus, daß ich nie wieder in dieser direkten Weise behelligt werde. – Mein Diener Jack hat den persönlichen Dienst – Ihnen steht es nicht zu, ohne besondere Aufforderung meine Gemächer zu betreten.«

»Wie die gnädige Frau befehlen,« stammelte er unterwürfig. Er steckte das Goldstück ein und zog sich unter tiefen Bücklingen nach der Tür zurück, freilich, ohne auch nur einen Blick zu erhaschen – Donna Mercedes hatte sich abgewendet und sah hinaus in den Garten. »Ich Dummkopf! Ich Narr! Ich könnte mich selbst beohrfeigen für meine Stockblindheit!« murmelte er draußen, einen Augenblick wie erstarrt an der Schwelle stehen bleibend. »Was für Trinkgelder hätte es da gegeben! Nun bin ich drum! ... Da drin ist doch alles echt, Fritz,« sagte er nach dem Salon zurückdeutend, kleinlaut zu dem Hausknecht, der eben wieder neues Räucherwerk auf die dampfenden Kohlenpfannen schüttete, »die Edelsteine, das Gold und Silber, und – die Mohren auch! – Die Dame hat Geld wie Heu! In dem schweren Koffer waren keine Bücher – nun weiß ich's. Ach, das Gold! Das Gold!«

Sie aber, von der er sprach, sie stand zürnend in der Fensternische, und ein unbeschreibliches Gemisch von Erstaunen, Ekel und Verachtung kämpfte in ihrem Gesichtsausdruck ... Die Dienstbotenfrechheit in diesem deutschen Hause hatte eben den Gipfelpunkt erreicht – ihre Persönlichkeit, ihr stolzer Name, ihr gewohntes sicheres Auftreten, das alles vermochte nicht Respekt einzuflößen – die Waffe gegen die Unverschämtheit hatte sie unbewußt ergriffen – das Gold! ... Das war eine bittere Lehre! ... Und in diesem Hause genoß sie die Gastfreundschaft! – Gastfreundschaft! Daheim war sie in unbeschränktem Maße unter den Standesgenossen geübt worden – sie hatte das nie anders gewußt, und danach auch das Haus bemessen, das Baron Schilling ihrem Bruder für die Seinigen angeboten ... Sie mußte an die mitgenommenen Kellerschlüssel denken – die Frau Baronin war nicht allein tückisch, wie sie damals einzig und allein angenommen, sie war auch geizig ... Sie schüttelte sich vor Ekel. Sollte sie von Bezahlung sprechen? Oder der Dame in etwas feinerer Form einige ihrer ungefaßten kostbaren Juwelen hinaufschicken? – Was aber würde er zu einem solchen Schritt sagen? – Er würde noch schlechter von ihr denken als bisher ...

Sie sank in ihrem Lehnstuhl zusammen und vergrub das Gesicht in den Händen.


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