Eugenie Marlitt
Im Schillingshof
Eugenie Marlitt

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15.

Der Schillingshof hatte in wenig Tagen ein ganz anderes Aussehen angenommen. Die Vorübergehenden mäßigten meist ihre Schritte, wenn sie in die Nähe des Eisengitters kamen, um bequem und mit Muße das fremdartige Leben und Treiben vor dem Säulenhause beobachten zu können.

Zuerst hatten wohl die zwei Farbigen die allgemeine Aufmerksamkeit auf sich gelenkt. Jack, ein starkgebauter Mann von der schönen, glänzend schwarzen Negerrasse, wie sie an den Ufern des Senegal lebt, schien die Säulenhalle zu lieben; er konnte stundenlang an einem der schlanken, weißen, akanthusgekrönten Schafte lehnen und vergnüglich den mächtigen Wasserstrahlen zusehen, wie sie hoch in die Lüfte sprangen und als Diamantengefunkel niederstäubten; oder er streute den dreisten Sperlingsscharen Krumen auf die Steinstufen, während die dicke Deborah, im geblümten Leinenkleide und ein kokettes Mullhäubchen mit grellbunten Schleifen auf dem Wollhaar, durch den Vorgarten watschelte und sich oft bis zur Atemlosigkeit mühte, ihr Goldkind, die kleine Paula, im Auge zu behalten, die mit flinken Beinchen dem herumtollenden José und seinem Kameraden, Pirat, nachstrebte.

Diese kleine, laute Gesellschaft war es, die, nachdem der erste überraschende Eindruck der »Negersklaven« verblaßt war, das jenseits des Gitters spazierengehende Publikum immer wieder fesselte. Man war gewohnt gewesen, hier stets in eine vornehme, abgeschlossene Stille hineinzusehen; selten einmal, daß die Frau Baronin, ein Umschlagtuch um ihre ewig fröstelnde Gestalt gewickelt, mit nachschleifender grauer Schleppe und hochmütig fremden Augen in dem grämlich grauen Gesicht, lautlos und mutterseelenallein, wie ein Schatten zwischen dem Gebüsch aufgetaucht war. Nun flatterte es wie kreisendes Schmetterlingsvolk durch Allee und Buschwerk, bunte Bälle und Reifen flogen in die Lüfte; hier lag ein achtlos hingeworfener Kindersäbel quer über dem Weg, dort versperrte ein im Stich gelassener Puppenwagen den Durchgang, und die kleinen Fremdlinge, die so schnell auf deutscher Erde heimisch wurden, waren schön wie Cherubim und gehalten, verwöhnt und geschmückt wie Fürstenkinder.

Dann war da ein Wesen, von dem man nicht recht wußte, ob es in die Spezies der wirklichen Backfische oder in die jener erwachsenen Mädchen gehöre, die kindliches Gebaren und bezaubernde Naivität bis in die Zwanzig hinein bewahren ... Es kam meist im Geschwindschritt, auf den zierlichsten Füßchen, die Kieswege daher, riß im Vorübergehen Blätter von dem Gesträuch, an denen die kleinen, blitzenden Zähne kauten, und lief ebenso ungeniert mit den hohen, spitzen Absätzen über den kostbaren, ängstlich behüteten Sammetrasen, um irgend eine leuchtend weiße Blüte aus den Blumenrundells zu holen und sie in die Locken zu stecken oder sie in mutwilliger Zerstörungslust Blatt um Blatt zu zerpflücken. Das sah sich hinter den Eisengittern an, wie eine Bühnenszene voll köstlicher Naturfrische, und die Leute konnten sich nicht satt sehen an dem tollen Geschöpfchen, das sie auch bewunderten, wenn es in der Platanenallee übelgelaunt und gelangweilt zwischen Kissen und purpurseidenen Steppdecken auf einem der Eisenmöbel hingestreckt lag. Dann baumelte gewöhnlich eines der Füßchen aus einem Gewoge von Stickereien, Spitzen und Rockfalbeln und zeigte wie ein Pendel in seinen Tempos die auf- und niedergehenden Gemütstimmungen, die Hand rührte fleißig die silberne Tischglocke, und die Kammerjungfer kam auf die Signale hin abwechselnd mit Büchern, Fläschchen, Schals und dergleichen aus dem Hause gelaufen, bis meist eine Riesenbonbonniere die Laune verbesserte und auch die spielenden Kinder herbeilockte. Dann knabberten alle diese jungen Zähnchen unermüdlich – das war eine allerliebste Gruppe; aber zu denken, daß diese übermütige, mit den Füßen baumelnde, naschende Puckgestalt die Mutter der beiden Blondköpfchen sei, das wäre niemand eingefallen – der alten Frau gewiß auch nicht, die seit einigen Tagen so viel am Giebelfenster des Klostergutes erschien. Sie lehnte sich nie hinaus, ja sie bog kaum den Kopf seitwärts nach dem verhaßten Schillingshofe; aber die Augen starrten wie magnetisch angezogen mit scheuem Seitenblick auf die verschlungenen, weißen Wege nieder, und wenn die schlanke Kindergestalt Josés im königsblauen Matrosenanzug mit dem Hunde um die Wette drunten vorüberjagte und die Laute seiner kommandierenden Stimme heraufschallten, da griff die feste, arbeitstüchtige Hand unwillkürlich nach dem stützenden Fensterkreuz, und über das bleiche, kalte Gesicht ergoß sich die Röte ungläubiger Bestürzung. –

Baron Schilling hatte gleich in der ersten Stunde den Befehl gegeben, daß seine Gemächer, die nach Süden hinlaufende Zimmerflucht des Erdgeschosses, für Lucile hergerichtet werden, da er vollständig in das Atelier übergesiedelt war; und die kleine Frau war noch an demselben Abend in Begleitung ihrer Kammerjungfer, mit »Sack und Pack« und mit einer Hast eingezogen, als säße ihr das hinter den holzgeschnitzten Salonwänden hausende Gespenst bereits im Nacken...

Nun strömte allabendlich blendender Lichtglanz aus dieser Fensterreihe in die Säulenhalle draußen; denn Lucile duldete kein düsteres Eckchen – sie liebte es, sich in Licht zu baden, wie in den köstlichen Spezereien, die das Kammermädchen in das tägliche Bad werfen mußte, und die stets das ganze Haus durchdufteten; und nächst der lauen, würzigen Welle war es nur kühler, seidenweicher Batist, der die zarte Haut des graziösen Tänzerkindes umspielen durfte. Die Füßchen, in denen fortgesetzt die unterdrückte Künstlerschaft prickelte, huschten in atlasgefütterten Pantöffelchen durchs Haus, und in den feinen Hals hinab flossen feurig süße Weine in so ansehnlichen Mengen, »als gebe es auf der Gotteswelt nichts anderes, den Durst zu löschen«, sagte der Bediente Robert immer ganz empört, und doppelt zornig, weil Baron Schilling auf Mamsell Birkners Anzeige hin sofort für Küche und Keller die kostspieligsten Anschaffungen aus seiner Tasche bewerkstelligt hatte, einzig und allein um – dieser spanischen Bettelgesellschaft willen.

Trotz alledem hatte auch die Dienerschaft des Schillingshofes, wie die Spaziergänger hinter dem Eisengitter, ihr Wohlgefallen an der übermütigen, kleinen »gnädigen Frau«, die ihnen stets im Vorübergehen einen mutwilligen Scherz, ein schäkerndes Wort hinwarf. Ganz anders dagegen verhielt es sich mit der Dame, die mit den beiden Kindern und ihren schwarzen Untergebenen in den ursprünglich angewiesenen Wohnräumen verblieben war ... Dieser weltfremden Erscheinung gegenüber kämpfte in den Leuten fortwährend der Widerstreit zwischen dem unwillkürlichen Unterwerfungstrieb und der Geringschätzung, mit der Bedientenseelen auf Verarmte herabzusehen pflegen. Sie sprach nie mit ihnen; das leichte Kopfneigen, mit welchem sie ihren Gruß erwiderte, war noch viel stolzer, als das der verreisten »Gnädigen«. Man haßte sie dafür, und doch stellten sich alle in Positur, und das Plaudern und Schwätzen in der Flurhalle verstummte, wenn sie durch den Korridor kam im schwarzen Spitzenkleide, das den köstlichen, blaßgelben Ton der Schultern durchleuchten ließ, bei aller Zartheit und Biegsamkeit der Gestalt dennoch eine wahrhaft majestätische Frau, ein junges, blendend schönes Weib, das mit verdüsterten Augen voll finsteren Ernstes in die Welt blickte ... Es kam auch keiner der einheimischen Dienstboten in die Räume, die sie bewohnte; sie ließ sich ausschließlich von ihren Schwarzen bedienen, und nur am ersten Abend war Mamsell Birkner in das Schlafzimmer beschieden worden, um sich von Deborah das Bettzeug des Hauses zurückgeben zu lassen. Sie war dann ganz verwirrt und wie geblendet in das Untergeschoß gekommen und hatte erzählt, daß die Dame unter weißatlassener Steppdecke und zwischen Spitzengarnituren schlafe, wie sie die Gnädige kaum auf ihren Staatskleidern habe; der Toilettentisch funkele von Gold- und Silbergerät, und sie wolle darauf schwören, daß auf dem Rahmen des Handspiegels und auf allen Kästchen und Büchschen Edelsteine seien, so viel echte Edelsteine, wie man sie in allen Sammetetuis der Gnädigen mit dem besten Willen nicht zusammenlesen könne. »Wer's glaubt, Mamsellchen! Echte sind's ganz gewiß nicht – höchstens böhmische,« hatte der Bediente Robert gesagt. »Na – und wenn auch? – Die Gnädige sagt, die Leute hätten ihr Hab und Gut im amerikanischen Kriege verloren; möglich, daß sie die paar Kostbarkeiten aus dem Unglück gerettet haben – aber auf wie lange denn? – Wenn wir die Gesellschaft nicht mehr ernähren – und bis in alle Ewigkeit können sie doch nicht im Schillingshofe bleiben – da wird wohl ein Steinchen nach dem andern ›flöten gehen‹, man will doch essen! ... Geld haben sie nicht – das steht bombenfest! – Paßt auf, wir müssen immer und immer wieder auslegen, und es wird so lange auf Regimentsunkosten gezehrt, bis – die Gnädige kurzen Prozeß macht!«

Der Bedientenzorn wurde aber noch mehr herausgefordert, als am Tage nach der Ankunft ein Flügel in das Haus getragen wurde, den Frau von Valmaseda über das Meer herüber »mitgeschleppt« hatte. Ein Hund und ein Klavier im Schillingshof – zwei Verfemte, denen absolut kein Zutritt gestattet war! – Man konnte kaum den Augenblick erwarten, wo die Frau Baronin zurückkommen und die Bescherung finden würde – das gab einen Hauptspaß ... Ein besonderes Ärgernis war auch die Verschwiegenheit der mitgekommenen Dienstboten. Den Schwarzen, die ein ziemlich gutes Deutsch sprachen, schien sofort jegliches Verständnis abzugehen, wenn auf die Verhältnisse ihrer Herrschaft jenseits des Meeres angespielt wurde, sie hatten nicht einmal ein »Ja oder Nein« auf dringlich gestellte Fragen, und die Kammerjungfer Minna, die ihrer Herrin auf Tod und Leben ergeben war, ließ sich auch nicht die mindeste Auskunft ablocken. Sie hatte nur einmal auf die Frage nach dem Gemahl der Frau von Valmaseda geantwortet, daß die Dame so gut wie nicht verheiratet gewesen sei. Ihr Bräutigam sei im Kampfe gefallen und habe sich eine Stunde vor seinem Tode durch den Feldgeistlichen mit ihr trauen lassen. Das machte die jungfräuliche Witwe freilich interessant in den Augen des männlichen Personals, und die weichmütige Mamsell Birkner weinte bittere Tränen über das tragische Geschick; aber keines hätte gewagt, daraufhin die Dame näher zu mustern – man fürchtete sich förmlich und zog sich scheu zurück, wenn sich das schöne Frauengesicht im Vorübergehen plötzlich zur Seite wandte und den Blick der samtschwarzen Augen flüchtig und wie Eis kältend über die Dastehenden hingleiten ließ.

Sie verließ nur einmal des Tages ihre Räume, um sich in dem Teil der Platanenallee zu ergehen, der den großen Garten durchschnitt; im Vorgarten war sie noch nie gesehen worden, so wenig wie sie sich dem Atelier näherte. Manchmal sah es aus, als zöge es den rasch wandelnden Fuß gewaltsam dort hinüber, wo hinter breiter Glaswand das leuchtende Grün wohlbekannter Blattformen, von springenden Wasserstrahlen wie von Silberpfeilen durchzuckt, herüberwinkte; aber es war, als zähle sie die Platanenstämme, so pünktlich kehrte sie stets an derselben Stelle um. Und der Herr des Schillingshofes achtete streng die unsichtbare Schranke, hinter der sich die Tochter der Tropen voll Widerwillen von der Berührung mit dem Deutschtum fernhielt. Er vermied die Begegnung; für ihn schien ja mit dem Einzug der Kinder in sein stilles, ödes Haus das Morgenrot eines neuen Lebens aufgegangen zu sein – die Staffelei stand verwaist und die Farben auf der Palette trockneten. – »Das müßte die Gnädige sehen!« zischelten die Leute des Hauses untereinander, wenn sie ihn, die kleine Paula auf dem Arm, durch den Garten gehen sahen. Das Kind grub die Händchen in seinen schönen, krausen Kinnbart und schmiegte zutraulich das blonde Gelock an sein braunes Antlitz; und er hob sie hoch im Gebüsch und ließ sie in die Vogelnester sehen, oder er ließ mit José um die Wette flache Kiesel über den Teichspiegel springen, und in den Kinderjubel hinein klang sein frisches, heiteres Lachen. »Wie man nur so lachen kann, wenn man eine solche Nachteule zur Frau hat!« murmelte dann Lucile ganz erbittert, wenn sie in der Allee an ihrer Schwägerin vorüberhuschte ...

Die Nachmittagssonne brannte heiß; aber unter den Platanen war es so schattig, daß Donna Mercedes den kleinen Sonnenschirm zusammenfaltete und ihn auf den nächsten Gartentisch warf. Sie war heute der Tageshitze wegen in ihrem Morgenkleid von dünnem, indischem Musselin verblieben. In diesem weichen, schleierartig um die Glieder schwebenden Gewebe, das durch sein Mattweiß dem blaßgelben Teint einen entschiedenen Bronzeglanz und dem über den Nacken fallenden, in einem Netz gebändigten Haar die Schwärze der Rabenfeder lieh, mochte die finsterblickende Frau recht wohl als der Typus jener in weichlichem Luxus grenzenlos verwöhnten »Plantagenfürstinnen« gelten, von denen man behauptet, daß die elfenhaft schwebenden Füßchen ohne Bedenken über hingestreckte Sklavenleiber, wie über den Teppich zu schreiten verstünden, während in den schmächtigen Händen eine fast männliche Kraft schlummere, die urplötzlich zur energischen Züchtigung Mißliebiger hervorbreche.

Sie ließ heute den Blick freier über den Garten hingleiten – kein zudringliches Auge war zu scheuen, von der Dienerschaft ließ sich niemand sehen, und der Herr des Schillingshofes war vor einer Weile durch den Vorgarten nach der Stadt gegangen.

Vor der dunklen Fichtengruppe, an deren Zweigen hellgrüne Triebe wie Fransen schaukelten, blendete die weiße Wand des Ateliers, und aus den Scheiben des anstoßenden Glashauses sprühte das zurückgeworfene heiße Sonnengold. An den unverkünstelten Rosenhecken brachen zu Tausenden die vollen, schweren Zentifolienblüten auf; die Sterne der Gänseblümchen, gelbe Butterblumen und dickköpfige, rote Kleeblüten wogten mit dem fetten, hochaufgeschossenen Wiesengras als buntfarbige Wellen unter dem leichten Sommerwind; Feldthymian und Lavendel dufteten, und die kleine, rasch dahinschießende Wasserader, die den Teich speiste, säumte ein blauer Vergißmeinnichtstreifen. Und weit drüben – der fernblickende Teichspiegel lag dazwischen – erhob es sich undurchdringlich grün wie wildes Dickicht, das war der Zaun des Klostergartens. Stattliche Obstbaumwipfel, aber kein einziger Zierbaum, stiegen hinter ihm auf; dort roch es kräftig nach Bohnenkraut, Dill und Krauseminze, und ganze Scharen weißer Schmetterlinge kamen über die grüne, struppige Wand, um sich an den Sommerblumen der Beete zu letzen.

Dieses entsetzliche Klostergut! Man sah die windschiefen, bemoosten Ziegeldächer der Hintergebäude; aus den offenen Luken guckten Stroh- und Heubüschel, und da, wo nicht das Blätternetz am Weinspalier mitleidig die Wand bedeckte, war der Kalkbewurf abgefallen und ließ die nackten Bruchsteine sehen. Man hörte, wenn auch schwach, aber doch in widerwärtiger, nervenangreifender Wiederholung das Krähen der Haushähne herüber, Taubenschwärme flogen geräuschvoll ab und zu, zankten und bissen sich auf den Firsten, und auch Dohlengesindel, seit unvordenklichen Zeiten unter schwer zugänglichen Giebelvorsprüngen nistend, verfinsterte für Augenblicke die Luft durch den ausfliegenden Heereskörper seiner schwarzen Gestalten ... Das alles war urdeutsch, auch der einfache, ungekünstelte Hausgarten des Schillingshofes, und der Wind, der den Duft blühenden Kornes und quellenden Tannenharzes im Atem, warm, und doch mit scharfwürziger Herbe an dem Gesicht der wandelnden Fremden hinstrich und ein böses, zornmütiges Lächeln um ihre Lippen weckte.

Der kleine José lief ihr ab und zu über den Weg. Er hatte vom Stallknecht ein weißes Kaninchen geschenkt bekommen, das er, stumm vor Entzücken, auf Tritt und Schritt verfolgte. Nun stürzte es sich kopfüber in das Wiesengras; es verschwand spurlos in dem Halmengewoge, wie die strammen Beinchen des angstvoll nachlaufenden Knaben versanken. Pirat hatte bis dahin regungslos, in bewunderungswürdiger Zurückhaltung auf der Schwelle des Glashauses gelegen und behaglich die heiße Sonne auf sein verwöhntes Fell brennen lassen; in dem Augenblick aber, wo José zu laufen begann, kam er in gewaltigen Sätzen herbeigestürzt und schreckte das kleine Tier auf – in weitem Bogen sprang es über den Kies vor dem Glashause und rettete sich dort in die halboffene Türe vor seinen Verfolgern. Sie rannten wie toll hinterdrein, und gleich darauf erscholl ein Poltern und Aufschreien – José schrie mit seiner Mama um die Wette.

Donna Mercedes schritt rasch hinüber.

Das Kaninchen war hinter die Pflanzenkübel geschlüpft, und Pirat hatte seinen gewaltigen Körper nachgezwängt; dadurch war ein Drachenbaum umgefallen, und der hatte mit seinen harten Schwertblättern das Bassinwasser eines Springbrunnens hochaufgepeitscht. Ein Schwall hatte sich über den Fußboden ergossen, und auf den breiten Blattflächen, dem verschränkten Gezweig ringsum rollten und zitterten die Tropfen, als sei ein starker Regenschauer niedergefallen.

Lucile war in die Nähe der Türe, auf eine trocken gebliebene Stelle geflüchtet; sie schleuderte die Wasserperlen von den Kleidern und aus den Locken und trocknete das überströmte Gesicht vorsichtig tupfend mit dem Taschentuche. Sie schalt heftig auf José ein, brach aber gleich darauf in ein helles Gelächter aus, als der Hund, sein durchnäßtes Fell bärenhaft schüttelnd, auch noch ein paar blühende Topfpflanzen umstieß und dann wie besessen sein Heil in der Flucht suchte.

Donna Mercedes war auf der Schwelle stehen geblieben. »Was tust du hier, Lucile?« fragte sie unwillig erstaunt.

»Mein Gott, ich amüsiere mich – Hast du etwas dagegen?« versetzte die kleine Frau spitz, wobei sie sich bückte, um ein Album aufzunehmen, das im Bereich der Überschwemmung auf dem Boden lag. »Die alten Mönche müssen Mohnsamen in den Grundstein des Schillingshofes gelegt haben, so fürchterlich gähnt die Langweile drüben aus allen Ecken ... Ich habe aber keine Lust, wie ein schläfriges Käuzchen in diesen Winkeln stillzusitzen und vor der Zeit fett zu werden – bah, ich mit meinem Quecksilberblut – fällt mir gar nicht ein! Ich breche durch, wo ich kann!«

Sie hatte das Album aufgeschlagen und wischte mit dem Taschentuch das eingedrungene Wasser von den Blattseiten.

»Fatal – da ist eine ganze Ecke von der getuschten Landschaft weggelöscht, und das Papier ist total zerweicht! ... Das nichtswürdige Tier, dieser Pirat! Ich könnte ihn mit meinen eigenen Händen erwürgen für diese Tölpelei! Was nun machen?« – Sie zuckte halb ärgerlich, halb lachend die Achseln. – »Ach was, dein ›fischblütiger Germane‹ ist ja mein Freund, mein guter alter Freund noch aus der himmlischen Zeit, wo ich das verhätschelte Kind in Mamas Salon war und noch nichts von Baumwollensäcken und dergleichen wußte. Er wird nicht brummen, daß ich in seiner Bärenhöhle ein wenig gekramt habe, dieweil er nicht dagewesen ist.«

Mit diesen Worten klappte sie das Buch zusammen und huschte in den anstoßenden Raum. Vorhin hatte es ausgesehen, als wolle die Dame auf der Schwelle unmutig in den Garten zurückkehren; jetzt aber blieb sie wie festgebannt stehen und sah in das Atelier hinein, das durch eine Glaswand von dem Wintergarten geschieden war. Ein grüner Samtvorhang, auf beiden Seiten zur Hälfte zurückgezogen, hing drüben hinter den Scheiben und rahmte das farbenreiche Gesamtbild der eigenartigen Einrichtung dunkel ein. Das Atelier war von bedeutender Höhe. Oben an der gegenüberliegenden Wand lief eine Galerie hin – eine Türöffnung, halb geschlossen durch eine schwere, buntfarbige, in Ringeln laufende Gobelingardine, mündete auf diese Galerie, die in der nordwestlichen Ecke in eine schmale, schöngeschwungene Wendeltreppe auslief. Über das braune Holzgeländer fiel, nachlässig hingeworfen, ein gewirkter Teppich von altbyzantinischem Muster – er sprühte einen wahren Farbenregen unter dem schräg herüberfallenden Oberlicht, das ringsum, hier aus dem polierten Harnisch einer aufgebauten Ritterrüstung, dort aus altgriechischen Metallspiegeln, aus venezianischem Glasgeschirr glitzernde Reflexe lockte. Es war ein scheinbar chaotisches Durcheinander, das emsige Sammlerhände hier aufgehäuft hatten. Zwischen den hingelehnten, bemalten Holzflügelresten eines uralten Altarschreines, den Bruchstücken eines feinmodellierten ehemaligen Stadtbrunnengitters, auf dem Boden lagernde Riesenfolianten unter den Füßen, erhoben sich graziöse Statuetten modernen Ursprunges. Schränke und Kredenzen von kostbarer Schnitzarbeit stiegen an den Wänden empor, oder sie traten auch schräg kulissenartig ins Zimmer herein, auf den Borden vollbesetzt mit pompejanischem Geschirr, mit kupfernen Trinkkannen, mit Glas- und Silberpokalen; und hoch vom Sims herab rauschten Brokatvorhänge irgend eines Nabob-Himmelbettes vergangener Jahrhunderte als Türvorhang auf den Boden; und daneben ragte auf wuchtiger Steinkonsole die Kolossalbüste eines altrömischen Kaisers aus der Wandfläche und hob ihr helles Profil lebendig von dem buntschillernden Faltengewoge seitwärts. Über dem goldgeäderten, schwarzen Lack des chinesischen Kaminschirmes breiteten sich Pfauenwedel zwischen Terrakottavasen aus Pompeji – ausgestopftes Gevögel, schneeweiße Ibisse und Flamingos mit rosenfarbenem Gefieder leuchteten aus dem Halbdunkel der Winkel, oder sie standen stelzbeinig auf hingerollten Säulenkapitälen aus Theben, neben steinernen Sphinxleibern und Relieffragmenten, und aus diesen zusammengewürfelten Steinresten drängten sich frischgrüne, breite Farnwedel und stachlige Kakteen ans Licht. – Aus dieser Zusammenhäufung des kostbarsten Materials sprach aber doch harmonisch in Formen und Farben, mächtig fesselnd der Gedanke des Künstlers.

Donna Mercedes war ihrer Schwägerin unwillkürlich bis unter die hinüberführende schmale Glastüre nachgegangen.

Die kleine Frau bemühte sich eben, das Album mit seinen verdorbenen Blättern geschickt unter den Mappen, Schriften und Büchern eines Tisches zu verbergen.«Nun, was sagst du zu der Bärenhöhle?« fragte sie über die Schulter zurück. »Hat sich mein Freund nicht famos eingerichtet?« –

»Ja, mit dem Gelde seiner Frau,« sagte Donna Mercedes und trat mit einer nachlässig gleichgültigen Gebärde vor die Staffelei, welche, die Rückseite schräg dem Glashaus zukehrend, inmitten des Ateliers stand.

Aber sie schloß erschrocken die Lippen, auf denen offenbar noch eine scharfe Bemerkung geschwebt hatte, und fuhr unwillkürlich zurück – vielleicht wähnte sie auch in der ersten Überraschung, der herbeiströmende Fackelschein überflute ihr das eigene Haupt, wie er die hinter Buschwerk geflüchtete Frauengruppe grausam verriet... Dort aus dem Palaste – sie hatten wohl vor Minuten noch, aus dem Schlafe aufgeschreckt, angstvoll seine Säle durchirrt – stürmte der Mord den vier Frauen nach. Das schützende Alleedunkel, die Nacht zwischen den hohen Taxushecken hatten sich als treulos erwiesen, und an der kleinen Mauertüre seitwärts fehlte der Schlüssel. Eine der Frauen, ein starkes Weib, und offenbar die Dienerin, hatte sich niedergeworfen, und die Fingernägel drunten in die Türfuge krallend, versuchte sie in wilder Todesnot das feste, eisenbeschlagene Bohlengefüge aus Schloß und Angel zu reißen. Sie sowohl, wie die in die Knie gesunkene schöne, junge Frau, die wohl weniger für sich, als für das Kind in ihren Armen um Schonung zu flehen sich anschickte, bedeckte noch mitleidige halbe Dämmerung; die zwei Gestalten im Mittelgrunde dagegen wurden völlig überschüttet von dem roten Lichte, das der erste aus der Allee stürzende Fackelträger vor sich herwarf. Würdig sterben wollte sie, die Hugenottin, die Gebieterin des altfranzösischen Herrenschlosses dort, die Dame mit dem schneeweißen Haar, über das sie flüchtend einen schwarzen Schleier geworfen hatte. Sie wußte, daß die fanatisierten Bluthunde der Königin keines der Leben verschonen würden, die in diesem letzten Schlupfwinkel atmeten – kein Blick fiel mehr auf den todesgeweihten Enkel an der Brust seiner Mutter, wohl aber zog sie einen Teil ihres Schleiers herab und warf ihn über die schöne, nackte Brust des jungen Mädchens im losen Nachtgewande, das Schutz suchend sich an die hohe Matronengestalt schmiegte und mit entsetzten Augen nach den Verfolgern zurückstarrte – der freche Spottblick der Unholde sollte ihr liebstes Kind, die Wonne ihrer Augen, die süße letzte Blume eines sterbenden Geschlechtes nicht entweihen, bevor der Tod kam ...

»Puh, von dem Bilde könnte man schreckhaft träumen!« rief Lucile nach einer augenblicklich eingetretenen tiefen Stille vom Tisch herüber – ihre helle Stimme klang unangenehm aufschreckend in den Zauber hinein, den ein künstlerische Gedanke dämonisch packend hier ausströmte. – »Ich habe mich schon vorhin deshalb aus dem Staube gemacht und die Albums, die ich durchblättern wollte, eines nach dem anderen, lieber ins Glashaus geschleppt ... Es ist ein furchtbares Leben in dem Bilde – grauenhaft sag' ich dir! Und mit dem ›Fischblut‹ des Malers ist's nichts. Dame Mercedes – da irrst du dich gründlich, und –«

»Der Mann hat sich verkauft,« schnitt die junge Dame verächtlich und achselzuckend die Beweisführung ab und wandte sich von der Staffelei weg. Sie schlug einen der alten Folianten auf, die auf Tischen und Stühlen umherlagen, und sah hinein, aber nur mechanisch, nur für einen Augenblick, dann hob sie den Blick wieder von den plumpen Holzschnitten auf den modrigen Blattseiten – er irrte träumerisch über die Gegenstände hin, um nach dem Bilde auf der Staffelei zurückzukehren, und blieb plötzlich an der Galerie hängen, von der die Wendeltreppe direkt in das Atelier hinabführte – dort oben stand der Maler selbst: noch waren die Türvorhänge, hinter denen er hervorgetreten sein mußte, in wallender Bewegung, er hatte wohl eben erst den Fuß auf die Galerie gesetzt, und doch sah Mercedes sofort an seinem Gesichtsausdruck, daß er ihre harten Bemerkungen gehört hatte.

Ein kaltes Lächeln zuckte um ihren Mund. Sie war offenbar nicht gewohnt, einen ihrer Aussprüche zu verleugnen, mochte er auch noch so rücksichtslos sein. Hatte Felix nicht gesagt, der Mann da oben habe die Schillingschen Familiengüter mit der ungeliebten »langen Cousine« zurückerheiratet? – Nun wohl, es geschah ihm ganz recht, zu erfahren, daß er dadurch bei anderen den Glauben an seine makellos ideale Richtung verwirkt habe. Ihre Augen begegneten mitleidslos, ja, mit grausamer Genugtuung, fest dem empörten Blick, der sie ansah .. .Aber plötzlich stieg ein jähes Rot in ihr Gesicht, und die stolze Frau nahm eiligst das langnachschleppende Gewand auf, um das Arbeitszimmer zu verlassen, das sie ohne die Aufforderung des Besitzers betreten hatte – vorher aber mußte sie sich schlechterdings zu einigen entschuldigenden Worten bequemen.

Er stieg die Wendeltreppe herab, und sie deutete, ihm um wenige Schritte entgegentretend, nach dem Glashause. »Pirat hat Unheil angerichtet,« sagte sie mit einer leicht grüßenden Neigung des Hauptes. »Ich hörte den Lärm in der Allee, und die Besorgnis, daß Ihr Eigentum beschädigt werden könnte, hat mich hierhergetrieben.«

»Es bedarf durchaus keiner Entschuldigung für Ihre Anwesenheit im Atelier, gnädige Frau,« versetzte er. »Es steht jederzeit offen für Besucher aus der Stadt, wie aus der Ferne. Ein Atelier ist ja weder Familienzimmer noch Boudoir,« setzte er kühl und flüchtig lächelnd hinzu. Damit ging er an ihr vorüber, wie er gewöhnt war, an Fremden hinzugehen, die seine weltberühmten Bilder zu sehen kamen.

Er trat in das Glashaus, hob den triefenden Drachenbaum aus dem Bassin und stellte ihn, wie auch die umgeworfenen Topfpflanzen, an Ort und Stelle. Mit finstergerunzelten Brauen sah er sich um. Aus allen Ecken sprangen Wasserstrahlen, einzelne steil in die Luft steigend, um drunten in das eigene, unter Blattpflanzen versteckte, kleine Bassin zurückzustieben – andere dagegen schossen im dünnen, silbernen Bogen hoch aus dem Pflanzenwald empor und sammelten sich im großen Mittelbassin. Das sah köstlich aus; Baron Schilling aber ging umher, und eine Wassersäule nach der andern erlosch unter seiner Hand. »Ich begreife den Gärtner nicht – er verwahrt sich doch sonst entschieden gegen die übergroße Feuchtigkeit, der Pflanzen wegen,« sagte er unmutig.

»Ach, lieber Baron, das bin ich gewesen!« rief Lucile, die ihm gefolgt war. »Die Entdeckung war unbezahlbar für mich! ... Hui, wie die Fontänen alle aufzischten! Der Atem verging mir ordentlich vor wonnigem Schrecken! Dann habe ich mich da auf die rotgepolsterte Bank hingestreckt, hab' abgefallene Orangenblüten gekaut und faul in die Palmenkronen geguckt, auch dazwischen ein wenig im Atelier gekramt – na, wissen Sie, wie es eben ein toller naseweiser Kindskopf treibt, wenn er einmal auf ein paar köstliche Minuten der Zuchtrute glücklich entlaufen ist ... Was hat denn die Unglückliche verbrochen, der Sie die Augen zugeklebt haben?« unterbrach sie sich plötzlich und lief in das Atelier zurück. Sie kehrte einen der mit Leinwand bespannten Rahmen um, deren verschiedene an den Wänden lehnten.

»Die Unglückliche« war ein Studienkopf, ein Frauenantlitz unter einem lockigen Gewoge bräunlich untermalter Haare, denen später wohl goldige Lichter aufgesetzt werden sollten. Die Züge dagegen waren bereits sorgfältig ausgeführt; aber ein breiter dunkler Streifen lief quer über die Augen, so daß nur die obere Hälfte der samtweißen Stirn und drunten die seinen Nasenflügel, der sanftgeschwungene Mund in dem lieblichen Oval, wie unter einer Halbmaske sichtbar wurden. Der Streifen lief vandalisch plump bis in das Haar hinein – es sah aus, als habe der Maler erbittert den ersten besten Pinsel ergriffen, um mit einem einzigen breiten Zuge die Augen zu zerstören.

»Die arme Geblendete macht mich ganz fabelhaft neugierig, müssen Sie wissen,« sagte die kleine Frau. »Sind Sie selbst so unmenschlich gewesen, Baron? Und warum, wenn man fragen darf?«

»Weil ich mich überzeugt habe, daß die Augen nicht in ein Madonnengesicht gehören,« versetzte er rasch herüberkommend. Ein dunkler Blick streifte zürnend »den tollen, naseweisen Kindskopf«, der ihm so indiskret nachspürte. Er nahm das Bild aus ihrer Hand und schob es hinter einen der Schränke.

Lucile drehte sich auf dem Absatz um und lächelte verschmitzt – Baron Schilling hatte Herzensgeheimnisse ... Ihr Blick suchte Mercedes, die nach seiner kühlen Antwort vorhin schweigend und stolz gelassen wieder hinter die Staffelei getreten war – sie hatte sich nicht durch das Glashaus entfernen wollen, solange er sich drüben aufhielt, und einen anderen Ausgang nach dem Garten kannte sie nicht. Dann hatte sie der kleine Zwischenfall mit dem verunstalteten Bilde unwillkürlich an den Boden gefesselt.

Lucile zeigte hinüber nach ihr. »Sie kann sich nicht losreißen,« sagte sie zu Baron Schilling. »Ich glaub's – das ist so eine Blutszene, wie sie im Sezessionskrieg genug an sie selbst herangetreten sind – brr« –, sie schüttelte sich. »Ich habe, Gott sei Dank, von all der scheußlichen Mordbrennerei nicht viel gesehen,« fuhr sie fort, und, in einen nahestehenden Lehnstuhl sinkend, grub sie die Füße in das Bärenfell, das sich auf der Steinmosaik des Fußbodens hinbreitete. »Als es gefährlich wurde, da brachte Felix mich und die Kinder nach Florida, auf die ganz entlegene Besitzung Zamora, die Mercedes gehört. Ganz Südkarolina war verwüstet, Charleston gefallen und Columbia niedergebrannt, und ich habe das alles nicht eher erfahren, als bis eines Tages Mercedes kam, um mich darauf vorzubereiten, daß man gleich nach ihr – meinen armen Felix bringen werde.«

Sie hielt inne – ihr kleines Gesicht wurde ganz blaß und die Lippen zuckten. Die Erinnerung an den schmerzlichen Schrecken jener Stunden überkam sie plötzlich; aber sie huschte ebenso rasch und scheu darüber hin, wie der leichtbeschwingte Vogel über einen Abgrund. »Mercedes sah aus wie eine Zigeunerin, so sonnverbrannt und so verwahrlost im Anzug,« fuhr sie fort, unter einem aufkeimenden Lächeln die Tränen von den Wimpern wischend. »Felix sagte, sie hätte seinen weiten und schwierigen Transport wie ein Mann durchgesetzt – na ja, sie ist eben von anderem Schrot und Korn als ich. Den Sarraß am Gürtel und den Revolver in der Hand nachts durch den Busch schleichen, um die Stellung des Feindes auszukundschaften, oder, in den Soldatenmantel gewickelt, am Lagerfeuer zu biwakieren, das war nun einmal nicht meine Sache – ich danke schön! Aber es muß wohl so im Blut der Spanierinnen liegen, daß sie sich überall gern auf das Mädchen von Saragossa spielen, ihrer Schönheit zum Schaden ... Als Desdemona, wie Mama mit ihren schönen Armen, könnte Mercedes Ihnen niemals sitzen, lieber Baron;« – jetzt glitzerte das Sprühteufelchen der Bosheit wieder aus ihren Augen; – »sie hat einen furchtbaren Säbelhieb bekommen – die Narbe ringelt sich wie eine blutrote Schlange über ihren rechten Oberarm hin.«

Die hohe, schlanke Frau stand dort an der Staffelei, undinenhaft lieblich von Gesicht und zerbrechlich zarter Gestalt – und um den bronzeschimmernden Arm, der, leicht bedeckt vom Ärmel, lässig an der Seite niederhing, schlang sich verborgen das blutige Zeichen, das der Krieg seinen Kämpfern aufgedrückt ...

Baron Schilling trat wie von einem raschen Impuls getrieben neben sie. Sie wandte ihm halb die Augen zu, seltsam flimmernd, wie traumverwirrt, als kehrten sie eben zurück von brennenden Städten und zerstampften, leichenbedeckten Reisfeldern. »Aber nicht so – nicht so! Nicht ohne Verteidigung bis zum letzten Herzschlag – wer möchte sich so lammgeduldig abschlachten lassen?« protestierte sie, auf die Gestalt der Hugenottin deutend, und so unmittelbar an Luciles Bemerkung bezüglich der Blutszene anknüpfend, daß man sah, sie sei der ganzen übrigen verräterischen Plauderei dort vom Lehnstuhl her vollkommen entrückt gewesen.

»Ich wollte eine Frau darstellen, die für das Ideale stirbt,« sagte Baron Schilling ruhig.

Sie fuhr mit einem wildflammenden Blick herum. »Und wir?!«

»Sie haben nur für Ihre Herrenrechte gekämpft –«

»Nicht für den Sieg des Geistes, der Bildung über die rohe Masse? Nicht für den heiligen Boden der schönen, gesegneten Heimat?« – Sie wandte ihm in stolzer Entrüstung den Rücken. – »Was weiß man in Deutschland!« setzte sie achselzuckend und bitter hinzu, und ihr Blick irrte ziellos droben durch den Raum, während sie mit bebenden Fingern an ihrem Gürtelband pflückte. »Man tanzt blindlings mit vor dem Götzen ›Humanität‹, den der Norden heuchlerisch aufgestellt hat; man glaubt an die scheinheilige Maske, die sich der glühende Neid vorgebunden, um die Macht des Südens zu brechen, ihm die leitende Rolle im Staatswesen zu entreißen, seine edlen, stolzen Geschlechter zu Bettlern zu machen – o heilige deutsche Verblendung! – Man läßt die weißen Brüder zermalmen und liebkost die schwarze Rasse –«

»Wenn man die Stricke barmherzig zerschneidet, die einen Geknebelten am Boden niederhalten, so ist das noch lange keine Liebkosung ... Diese dunkelhäutigen Menschen –«

»Menschen?!« unterbrach sie ihn achselzuckend, mit leisem Hohnlächeln und einer unnachahmlichen Gebärde voll tödlicher Verachtung über die Schulter blickend.

Wie ein Seraph stand sie da in ihrem weißen Gewände – und in diesem schmiegsamen Leib wohnte das schnödeste Vorurteil, eine harte Seele, die eisengepanzert durch die Welt ging, der zarten, äußeren Frauenschönheit, die ihr verliehen, zum Trotz.

»Jetzt begreife ich, daß Sie zurückschaudern vor der deutschen Luft, die sich gegenwärtig aufmacht, altes Unrecht aus seinen dunklen Ecken zu fegen,« sagte er, unwillig in ihre zurückgewendeten Augen blickend.

»Ach ja – ich las schon davon. Und sie tut das mit gewohnter deutscher Gründlichkeit – daran ist nicht zu zweifeln,« versetzte sie, spöttisch beipflichtend. »Was sie dabei an gutem, angestammtem Recht mit hinwegfegt, das kommt ja nicht in Betracht bei den Reformen, die unsere Weltverbesserer in Szene setzen.« Diese verhaltene Summe bebte vor Erregung, und wohl gerade deshalb brach die stolzverschlossene Frau das Thema ab. »Glauben Sie ernstlich, daß wir dort drüben das vorgesteckte Ziel schließlich erreichen werden?« fragte sie, nach der Richtung des Klostergutes zeigend, scheinbar kühl und gelassen.

»Ich will es glauben, weil ich das Vertrauen auf schönes weibliches Empfinden im Frauenherzen nicht verlieren möchte,« antwortete er mit einer Art zornigen Lächelns. »Aber ich wünsche sehnlich, daß die Entscheidung in weitester Ferne liege –«

Sie hatte schon nach seinen ersten Worten den Fuß auf die Schwelle der Glastüre gesetzt, um Zu gehen – jetzt wandte sie den Kopf noch einmal zurück. »Und weshalb?« fragte sie.

»Das sollten Sie nicht fragen, die Sie stündlich sehen müssen, daß mit den Kindern ein unaussprechliches Glück in mein Leben eingezogen ist ... Ich verliere meine Lieblinge, sobald die Großmutter versöhnt ist – und wer möchte ohne Schmerz Liebe aufgeben, die das Dasein neu beleuchtet? ... Die Kinder hängen an mir« – er hielt inne – »oder gönnen Sie auch das dem deutschen Manne nicht?« fragte er, schwankend zwischen halb erzwungenem Scherz und zweifelndem Ernst – er hatte gesehen, wie sich ihr Blick unter den zusammengezogenen Brauen verdunkelte.

»Bah – wie mögen Sie nur so reden, Baron!« rief Lucile herüber. »›Nicht gönnen!‹ – Lächerlich! – Ist denn Dame Mercedes nicht eben im Begriff, meine armen Kinder ohne Gnade und Barmherzigkeit in die scheußliche Mördergrube da drüben zu werfen?«

Donna Mercedes ignorierte die anzügliche Bemerkung vollständig. »Ich habe mir gegen den letzten Wunsch und Willen meines Bruders nie eine Einwendung erlaubt,« sagte sie zu Baron Schilling. »Wer es wäre eine Lüge, wollte ich sagen, ich hätte nicht vom ersten Wort seiner Darlegungen an den geheimen Wunsch gehabt, die alte Frau auf dem Klostergut möchte in ihrer grausamen Härte verharren und ihre Enkel zurückweisen. Denn dann treten die Rechte in Kraft, die Felix mir testamentarisch übertragen hat, und ich darf auch sagen: Sie sind mein – meine Kinder!« – Sie drückte die schmächtige Hand unwillkürlich auf die Brust, und war so für einen flüchtigen Augenblick von allen Frauengestalten, die das Atelier in seelenvoller Darstellung belebten, wohl die hinreißendste im Ausdruck der tiefen, aber auch eifersüchtigen Zärtlichkeit, die in der Tat anderen ihr Kleinod nicht gönnt.

»Dieses stillschweigende Abwarten widerstrebt mir, es ist eine Marter für mich,« fuhr sie fort. »Es bedarf oft meiner ganzen Willenstärke, daß ich die Kinder nicht plötzlich nehme und mit ihnen der Großmutter gegenübertrete, um der qualvollen Ungewißheit ein Ende zu machen, die Entscheidung eigenmächtig herbeizuführen« – sie hielt inne auf die lebhaft abwehrende Handbewegung hin. mit der er sie unterbrach. »Es geschieht nicht,« setzte sie, den schönen Kopf schüttelnd, in sinkendem Tone hinzu. »Aber einen Anfang wenigstens möchte ich sehen – einen ersten Schritt zum Ziele –«

»So wollen Sie mir vorläufig einen Einblick in Felix' Familienpapiere gestatten – ich fürchte, wir werden sie brauchen,« fiel er ein.

»Sie stehen sofort zu Ihrer Verfügung.«

Mit einem auffordernden Handwinken trat sie rasch durch das Glashaus in den Garten.

Lucile sprang auf und ging auch mit. Sie hing sich an Baron Schillings Arm, während sie durch die Platanenallee dem Säulenhause zuschritten. »Puh – dort steht er schon wieder am Zaun, der Samiel, das nichtswürdige Onkelexemplar, das damals so hoffärtig aus seiner Stubentür herüberlachte!« raunte sie. »Der Zaun ist hoch, man sieht kaum die Habichtsnase und den borstigen Haarschopf auf der Stirne; aber ich habe wahre Falkenaugen und ein gutes Gedächtnis – das Gesicht steht in meiner Seele, als sei es hinein photographiert – ich habe ihn auf den ersten Blick wiedererkannt ... Denken Sie an mich, Baron – der alte Fuchs hat Lunte gerochen, er guckt mir viel zu viel über den Zaun. Da – weg ist er! So verschwindet er immer, wenn man fest hinübergeht.«

Donna Mercedes hatte sich in dem Salon mit den holzgeschnitzten Wänden wohnlich eingerichtet. Nahe dem einen Fenster, die Wand entlang, die an das Klosterhaus stieß, stand der prächtige Flügel, den sie mitgebracht hatte, und in der anderen Fensternische war ein großer Schreibtisch aufgestellt. Er war mit elegantem Schreibgerät, Bücherstößen und verschiedenen Schatullen vollbesetzt ...

Von einem der unteren Regale, aus einer dunklen Ecke, nahm die junge Dame ein Rokokolästchen aus Edelmetall in köstlich getriebener Arbeit; sie schloß es auf und breitete seinen Inhalt, verschiedene Papiere, auf die Tischplatte.

»Hier sind sämtliche Papiere, die Felix aus Deutschland mitgebracht hat,« sagte sie; »und hier das Schriftstück, das seine Trauung mit Lucile in Columbia bezeugt; das sind die Taufscheine seiner Kinder – diese drei Dokumente« – unterbrach sie sich – »würden nicht wieder zu erlangen sein, wenn sie verloren gingen, denn die Kirchenbücher in Columbia sind mit verbrannt. – Das ist –«

»Der Totenschein des armen Felix,« ergänzte Baron Schilling mit fallender Stimme, da sie verstummte. Aber auch er schwieg plötzlich und sah sich um. »Ah – spuken die Mäuse auch am hellen Tage?« rief er, noch auf das Knirschen horchend, das bereits verhallt war.

»Ja – die Mäuse!!« wiederholte Lucile gedehnt und ausdrucksvoll spöttisch und machte sich schleunigst aus dem Staube.


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