Eugenie Marlitt
Im Schillingshof
Eugenie Marlitt

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7.

Felix zog die Hausglocke, und die mächtige Rundbogentür unter der Säulenhalle tat sich geräuschlos auf. Früher hatte hier von der Decke der Flurhalle eine einfache Glasglocke mit der dürftigen Flamme eines Ollämpchens, an langer Kette tief niedergehangen; ihr Schein hatte gerade hingereicht, dem spiegelnden Mosaikfußboden einen kleinen, blassen Reflex zu entlocken und den Weg in die dunklen Eingänge der Seitenkorridore zu zeigen – heute aber schrak das Auge zurück vor der Lichtflut, die den Lampentulpen der Wandleuchter entströmte. Feierlich sahen die ernsten, schönen Mädchengesichter der die Decke tragenden, schlanken Karyatiden hernieder; feierlich vornehm klang der Schritt des in sehr reservierter Haltung hervortretenden Bedienten auf der hallenden Steinmosaik. Felix zögerte beklommen an der Schwelle. – Der einst notwendigerweise nach bürgerlich gemütlichem Zuschnitt geführte Haushalt im Schillingshofe, der ihn so sehr angeheimelt, hatte, in jäher Wandlung der äußeren Verhältnisse, sofort das aristokratische Gepräge wieder angenommen, das dem alten Geschlecht der Freiherren von Schilling von Rechts wegen zukam.

»Ist Baron Arnold von Schilling zu Hause?« fragte der junge Mann den Bedienten.

»Ja, Felix!« rief eine schöne, vollklingende Männerstimme aus dem nächsten Zimmer herüber, dessen Tür sich eben auftat. Der Sprechende trat heraus, aber er fuhr bestürzt zurück, als Lucile wie eine Libelle auf ihn zuflog.

»Oh, cher Baron, was machen Sie für ein komisches Gesicht!« lachte sie. »Genau wie Felix – der stand auch wie Lots Weib!« Ihre lustig laute Stimme scholl wie Flötenton von den hohen, polierten Steinwänden der Flurhalle zurück. Unter ungeduldigem Aufstampfen mit dem Fuße begann sie abermals den Kampf mit dem widerspenstigen Schleier, und jetzt flog er in Fetzen herunter – das reizende Gesicht mit seinem pikantesten Ausdruck kam in mattweißer Frische wie eine Teerosenknospe zum Vorschein.

»Grüße von Mama und Großmama bringe ich Ihnen selbstverständlich nicht, denn –« sie legte die Hand an den Mund, »der lustige Schalksstreich« durfte nicht auch von den Wänden widerklingen – »denn ich bin durchgebrannt, müssen Sie wissen.«

Baron Schilling sah tiefbetroffen und forschend über ihren Kopf weg in das Gesicht seines Freundes, das so bleich und verstört erschien.

»Kann ich dich und deinen Vater für eine halbe Stunde allein sprechen?« fragte Felix; in der fliegenden Hast, mit der er sprach, malte sich die ganze Bedrängnis seiner Seele.

»Komm, der Papa ist noch in seinem Zimmer,« versetzte Arnold und wandte sich rasch nach den Gemächern seines Vaters.

Felix zögerte. »Ich möchte dich bitten, vorerst Lucile bei deiner jungen Frau einzuführen.«

»Bei meiner Frau?« – Das klang überrascht, verlegen, und auch, als müsse er sich erst etwas ganz Erstaunliches zurechtlegen; aber schnell entschlossen setzte er hinzu, nicht ohne daß ein charakteristisches flüchtiges Lächeln seine Lippen umflog: »Auch das, wenn du es wünschest, Felix! – Gehen wir!« –

Lucile steckte die Reste ihres Schleiers in die Tasche, schüttelte die Locken in den Nacken und hing sich vertraulich an den dargebotenen Arm des Baron Schilling. Er führte sie, von Felix gefolgt, nach dem Korridor, oder besser gesagt nach der Galerie, linker Hand; denn dieser Gang entsprach in seiner bedeutenden Ausdehnung dem entgegengesetzten, nach Süden hinlaufenden, in dem seitwärts eine breite, prächtig ausgeführte Wendeltreppe nach den oberen Stockwerken stieg. Zwischen den halbrundbogigen Fenstern, die sich, hoch und weit wie Türen, nach dem Garten zu auftaten, vertieften sich Nischen in der Wand, die Pater Ambrosius, der Benediktinermönch, in nichts weniger als asketischer Verzückung, mit nackten Marmorgestalten der griechischen Götterwelt ausgefüllt hatte. Dieser Ausschmückung gemäß war auch später unter dem zugemauerten, imposanten Steinbogen der einst in das Klosterhaus führenden Tür eine Laokoongruppe aufgestellt worden.

Lucile schritt wie beflügelt an den weißen Götterbildern hin – ihr war, als gehe sie durch Foyer und Galerien eines Opernhauses, während Felix auf den ringenden Laokoon starrte. Hinter diesen Marmorleibern, an der entgegengesetzten Wandseite, reihten sich die Bretter des Wandschrankes übereinander – hier ein von Licht verschwenderisch übergossenes Kunstgebild, und jenseits, nur durch eine Schicht Backsteine getrennt, die abgegriffenen Haushaltungsbücher, der Blechkasten mit dem Milchgeld im Schrankdunkel! ... Wenige Stunden voll erbitterten Wortstreites hatten dort drüben den Verstoßenen aus seiner Bahn in das Dunkel einer unsicheren Existenz hineingeschleudert, und sie, die Verwöhnte, in schwelgerischem Luxus Erzogene, sein vergöttertes Mädchen, das da so elfenhaft vor ihm hinschwebte, riß er mit sich in den Strudel, der ihn erfaßt ...

Baron Schilling lenkte seine Schritte nach dem sogenannten Familiensalon am Ende der Galerie. Das war immer das Lieblingszimmer des alten Freiherrn gewesen. Es machte, trotz seiner saalartigen Weite, einen anheimelnden, warmgeschützten Eindruck durch die mächtigen, mit Schnitzwerk verzierten, freiliegenden Deckenbalken und die holzgeschnitzten Felder, die breit die Wand hinaufliefen, oben unter der Decke hin sich aber zu Spitzbogen vereinigten, so daß sie wie Fensterwölbungen die schmalen, graugetünchten Zwischenräume der eigentlichen Wand umschlossen. Diese Schnitzereien lagen zierlich durchbrochen, in künstlerisch verschlungenen Arabesken, wie Spitzen auf glattem Untergrund – sie waren von hohem Kunstwert und wurden ängstlich behütet.

Der alte Freiherr hatte der Originalität des Zimmers wenig Rechnung getragen – er hatte einige Jagdstücke in glattem Goldrahmen auf die freien Mauerstreifen gehangen und es sich mit modern behaglichen Polstermöbeln bequem gemacht. Mit dem Einzug der neuen Herrin des Schillingshofes war auch das anders geworden. Die leeren Flächen zwischen dem Schnitzwerk füllte Wandmalerei auf lichtgrauem Grunde; Stühle, hochlehnig und durchbrochen geschnitzt, und vierbeinige Schemel standen umher, und die Kissen, die auf den Sitzen lagen, deckte ein dunkelgrüner, mit Silberfäden durchzogener, gewirkter Seidenstoff. Dieser starre Brokat rauschte auch breit an den Fenstern nieder, und Spitzenvorhänge von uraltem Niederländer Muster lagen darüber, und das dunkelglänzende Grün hob jede Rankenverschlingung, jede Blumenform hervor, als sei sie hingemalt. An der tiefen Wandseite aber, zu beiden Seiten der Tür, standen Kredenztische mit hohem Aufsatz – den mittelalterlichen »Tresuren« entsprechend – und sie zeugten am deutlichsten von dem Reichtum, den die junge Frau den Schillings zugebracht; sie waren mit Silber- und Kristallgefäßen so beladen, daß sich selbst das Tafelgeschirr des reichen Benediktinerabtes, welches das Säulenhaus einst bei fürstlichen Gelagen gesehen, wohl hätte verstecken müssen.

Von einem der Deckenbalken hing eine Ampel nieder, die ein mildes Licht verbreitete; aber auf dem kleinen Tische, hinter dem die junge Frau saß, stand eine Kugellampe und beleuchtete voll den blonden Kopf, der sich über eine Handarbeit beugte.

Lucile verzog spöttisch die Lippen, denn das Gesicht, das sich jetzt langsam den Eintretenden zuwendete, war das eindruckloseste, das sie je gesehen – graublond das Haar und grau der Teint, das Gesichtsoval langgestreckt, ohne jedwede liebliche Rundung, die sonst der Jugend eigen – und doch sollte diese Frau kaum zwanzig Jahre alt sein.

»Liebe Klementine, ich bringe dir hier meinen Freund, Felix Lucian, und seine Braut, Fräulein Fournier, aus Berlin,« sagte Baron Schilling mit der ihm eigenen höflichen Kürze und Lässigkeit – »und möchte dich bitten, die junge Dame in deinen Schutz zu nehmen, während wir den Papa in seinem Zimmer aufsuchen.«

Die Baronin erhob ihre schlanke, schmächtige Gestalt ein wenig und neigte begrüßend den Kopf. Ihre blondbewimperten Augen blieben einen Moment an den reizenden Zügen des jungen Mädchens hängen, und das kühle Lächeln auf ihren Lippen erlosch. Sie lieh sich auf den Stuhl zurücksinken und zeigte mit einer anmutigen Handbewegung einladend auf den Schemel, der neben ihr stand. Das geschah stillschweigend, man hörte das Knistern des seidenen Rückenpolsters unter dem flechtenbeschwerten Kopf, der sich hinlehnte.

Baron Schilling bückte sich und hob eine Mappe vom Teppich auf – verschiedene Blätter, die ihr entfallen, raffte er zusammen – er war dabei sehr rot geworden. »Meine Skizzen haben keine Gnade vor deinen Augen gefunden, wie ich sehe,« sagte er und schob die Blätter in die Mappe.

»Verzeih – das angestrengte Vertiefen in deine Ideen macht mich nervös, wenn ich allein bin,« – sie hatte eine angenehme Stimme, aber in diesem Augenblick klang hörbare Gereiztheit mit. »Ich kann mich überhaupt nur hineinfinden, wenn du erklärend neben mir sitzest.«

»Oder wenn ich ›erklärend‹ wie jener unglückliche Stümper darunterschreibe: ›Das soll ein Hahn sein‹ und so weiter!« lachte Baron Schilling scheinbar amüsiert auf. »Da siehst du nun, wie wirkungsvoll meine Entwürfe sind, Felix! ... Und da wolltet ihr mir immer weismachen, ich habe Talent! – Aber wir müssen gehen, wenn du den Papa noch vor dem Tee sprechen willst.«

Sie gingen hinaus, wobei Felix einen ängstlich besorgten Blick auf sein Mädchen Zurückwarf. Sie saß offenbar plauderlustig, in unverkennbarem Triumph der Schönheit neben der seltsam schattenhaften Frauenerscheinung, die sich so frostig verhielt. Er sah noch, wie Lucile den Hut abnahm, während die Baronin mit ihren langen, elfenbeinweißen Fingern wieder nach der Handarbeit griff.

»Sie erlauben, gnädige Frau,« sagte Lucile und warf ungeniert ihren Hut auf einen Ziemlich fernstehenden Schemel.

Die Baronin sah mit einem großen, verwunderten Blick auf und verfolgte den Bogen, den das federgeschmückte Strohhütchen in der Luft beschrieb – es fiel Zur Erde. In diesem Augenblick rauschten die Brokatvorhänge des einen Fensters auseinander, ein Äffchen schlüpfte heraus und griff nach dem Hute.

Lucile schrie auf – das Ding sah aus wie ein schwarzes Teufelchen.

»Gleich wirst du hierherkommen, Minka!« befahl die Baronin und drohte mit dem Finger. Minka hielt sich mit beiden Armen den Hut über den Kopf und lief so auf ihre Herrin zu. Das sah über alle Beschreibung lächerlich aus. Lucile vergaß ihren Schrecken und lachte wie ein Kobold, während die junge Frau keine Miene verzog und dem Tierchen seinen Raub wegnahm.

»Ich bedaure, daß Sie sich erschreckt haben,« sagte sie und legte den Hut auf den Tisch, dicht vor dem jungen Mädchen nieder. »Mein Mann kann Minka nicht leiden – das weiß sie und verhält sich stets ruhig in ihrem Versteck, solange er im Zimmer ist. Ich hatte vergessen, daß sie in der Nähe war.«

»Oh, solch ein kleiner Schrecken schadet mir nicht – ich bin ja nicht nervenschwach wie Mama, ich bin jung und gesund!« entgegnete Lucile frisch und fröhlich, indem sie das Äffchen mit den zärtlichsten Gebärden an sich zu locken suchte. Ja, jung und gesund, bezaubernd schön und graziös war das Mädchen, an dem die grauen Augen der Frau Baronin mit einem langen, versteckten Seitenblick hinglitten. – »Da habe ich mich vorhin weit schlimmer geängstigt – auf dem Klostergute stieß mich ein vorbeispringendes Ungetüm beinahe über den Haufen – Felix behauptet, es sei eine Katze gewesen.«

»Sie sind besuchsweise auf dem Klostergute?«

»Ich? – Gott soll mich bewahren!« rief Lucile, förmlich entsetzt mit aufgehobenen Händen protestierend. »Mich überläuft es eiskalt, wenn ich mir denke, ich sollte auch nur eine Nacht in dem Hause schlafen! – Waren Sie je drüben?«

Die junge Frau schüttelte den Kopf. »Ich bin nicht gewöhnt, Nachbarschaften zu kultivieren.«

»Nun, dann können Sie sich freilich keinen Begriff machen, wie es drinnen aussieht ... Es ist mir ein völliges Rätsel, wie es Felix aushalten mag in diesen Stuben voll urvorweltlicher Möbel, zwischen die wir nicht einmal unsere Dienstboten stecken würden; und so grob und unbeholfen mag wohl auch das Bettzeug sein. Man ist ja das doch nicht gewöhnt – oh, was für ein süßes, närrisches Geschöpfchen!« unterbrach sie sich und liebkoste das Äffchen, das ihr auf den Schoß geklettert war und in fast menschlicher Art und Weise die kleinen Arme um ihre Schultern legte.

Sie löste mit flinken Fingern vom Handgelenk einen Reif, auf dessen elastisches Band steinbesetzte, goldene Schilder gereiht waren, und legte ihn Minka um den dünnen Hals, und auf den kleinen haarigen Schultern drapierte sie ihr Batisttaschentuch, das sie mit einer Brosche auf der Brust zusammensteckte. Sie lachte wie toll, als der Affe auf den Boden zurücksprang und mit fletschenden Zähnen an dem Taschentuche zerrte; die Spitzenkante zerriß, und man hörte, wie das Tier mit seinen Nägeln das unwillkommene Halsband bearbeitete. Mit sichtlichem Verdruß in Zügen und Gebärden befreite die Baronin das Tierchen, das sich schließlich zu ihr flüchtete. »Ich fürchte, das Armband ist verdorben,« sagte sie eiskalt, indem sie die Sachen neben den Hut legte.

»Bah, was schadet das? ... Es ist vom Fürsten Konsky, den ich absolut nicht leiden kann,« entgegnete Lucile verächtlich und steckte Tuch und Armband nachlässig in die Tasche.

Die junge Frau sah überrascht auf. »Den Fürsten Konsky kenne ich,« sagte sie. »Er verkehrt viel im Hause Ihrer Eltern?–«

»Im Hause meiner Mama, wollen Sie sagen – der Papa lebt in Petersburg ... O ja, den Fürsten sehen wir tagtäglich bei uns. La grand mére hält große Stücke auf ihn, weil er so vornehm ist und unseren Empfangsabenden Glanz gibt. Aber der Mama geht es wie mir, sie macht sich nicht viel aus ihm – er ist so alt und so geckenhaft, wissen Sie. Mich füttert er wie ein Baby mit Konfitüren, und die Mama erstickt er stets am Morgen nach der Vorstellung förmlich mit Blumen –«

»Wann?!« fragte die Baronin, als höre sie nicht recht.

»Mein Gott–nach der Vorstellung! Ach so – Sie wissen nicht? – Ist Ihnen denn mein Name nicht aufgefallen?« rief Lucile naiv belustigt. »Oder waren Sie nie in Berlin?«

»Da bin ich gewesen.«

»Nun, dann ist es undenkbar, daß Sie Mama nicht kennen sollten! Die berühmte erste Tänzerin, Manon Fournier –«

»So?!« schnitt die junge Frau lakonisch die lebhafte Rede ab und rollte ihre Arbeit zusammen. »Ich besuche sehr selten das Theater,« fügte sie gedehnt und trocken hinzu – eine leichte Röte war in ihre Wangen getreten, und ihre Augen vermieden es, die Sprechende anzusehen. Sie stand auf und ging nach dem bereits hergerichteten Teetisch, der inmitten des Zimmers unter der Ampel stand und mit seinem eleganten Geschirr in dem niederfließenden Licht blitzte und flimmerte.

»Himmel, wie lang!« sagte Luciles weitgeöffneter erstaunter Blick, mit welchem sie die lautlos dahingleitende, schmale Gestalt verfolgte. Das bequeme, staubfarbene Hauskleid schlotterte über der flachen Büste und dem stark vorgeneigten Rücken und fiel als lange Schleppe weich auf den Teppich ... Aber trotz ihrer häßlich langen Arme, ihrer nachlässig müden Haltung, waltete die junge Frau doch mit vornehmer Grazie am Teetisch. Sie entzündete den Spiritus unter der silbernen Maschine, musterte mit kritischem Blick die drei Tassen, die aufgestellt waren, und maß voll peinlicher Sorgfalt die Teeportionen ab ... Kein Blick fiel mehr auf das junge Mädchen, das, mit der versöhnten Minka spielend, dennoch aufmerksam das Tun und Walten der jungen Frau beobachtete.

»Zu Hause ist das mein Amt,« plauderte sie. »Alle Welt lobt meinen Tee; nur Baron Schilling hat mir immer das Leben schwer gemacht – er ist der verwöhnteste Teetrinker, den ich kenne.«

Jetzt fuhr der gesenkte blonde Kopf wie mit einem Ruck empor – es war, als spanne sich jeder Muskel dieser scheinbar gleichgültigen Frau in atemlosem Aufhorchen. »Mein Mann ist im Hause Ihrer Mutter aus und ein gegangen?«

»Oh, sehr viel! – Wissen Sie das nicht? – Felix sagte immer, er mache als Maler seine Studien in Mamas Salon. Wir sehen sehr häufig hübsche interessante Frauen bei uns ... Er hat ja auch die Mama gemalt –«

»Er hat die Tänzerin Fournier gemalt, sagen Sie? –«

Dem jungen Mädchen ging plötzlich ein Licht auf. Die Frau dort sprach mit einer Stimme, als koche es in ihrer eingesunkenen Brust – und mit welcher schneidenden Mißachtung sie die »Tänzerin Fournier« betonte!... Dabei klirrte das Geschirr unter ihren lebendig gewordenen, überschlanken Händen, als solle es samt und sonders im nächsten Augenblicke auf den Boden rollen ... Wie, diese lange, häßliche Person unterstand sich auch noch, eifersüchtig zu sein? – Wie die meisten gefeierten, schönen jungen Mädchen, war Lucile erbittert gegen die Unschönen, die sich anmaßten, gleichberechtigt zu sein. Ihre großen Augen schillerten plötzlich im entschiedensten Grün – das Sprühteufelchen der Bosheit glühte drin auf. Sie erhob sich, strich lächelnd ihr Kleid glatt und trat dem Teetisch um einige Schritt näher, eine Bewegung, die die Baronin sofort in ihre krankhaft gebeugte, und dabei doch so unnahbare Haltung zurücksinken machte.

»Ist es denn gar so verwunderlich, daß Baron Schilling eine schöne Frau gemalt hat?« fragte Lucile zurück, und hinter den grausam lächelnden Lippen blinkten die kleinen, spitzen Perlzähnchen. »Man sagt, es sei Rasse in Mamas Erscheinung – sie ist weder verschwommen blond, noch lang und dürr in ihren Formen. Sie hat das reichste schwarze Haar, das sich denken läßt, und die Linien ihrer Schultern und Arme sind berühmt unter den Künstlern ... Baron von Schilling hat sie nicht in einer ihrer Rollen, sondern als Desdemona gemalt – es ist geradezu sinnberückend, wie der weiße Atlas von der einen Schulter gleitet, wie der Arm sich von der Harfe hebt.«

Sie hielt einen Moment inne – ihr fiel gerade ein, wie verächtlich hingeworfen die Skizzenmappe zu den Füßen der »gnädigen Frau« gelegen hatte. – »Baron Schilling malt sehr schön,« fügte sie hinzu, und ihre Augen strahlten triumphierend auf; denn über die graubleichen Wangen dort jagte fortwährend die Röte inneren Aufruhrs hin. – »Professor W. sagt von ihm, er habe den Dilettanten längst hinter sich – er sei ein bedeutendes Talent und werde sich einen großen Namen machen.«

Die Baronin hatte sich währenddessen auf einen hinter ihr stehenden Stuhl gleiten lassen. Die Rechte über die Augen gelegt, und mit der Linken den Ellbogen stützend, lehnte sie sich schweigend zurück ... Sie war ohne Zweifel eine eigensinnige, nervöse Natur; vielleicht als einziges Kind vom Vater, und im Hinblick auf ihren dereinstigen Reichtum auch von den Klosterschwestern verwöhnt und verhätschelt... Lucile, im Vollgefühl ihrer Schönheit und Jugendkraft, musterte feindselig den schmallippigen Mund, der nicht zu lächeln verstand, diese zusammengeschmiegte, grämliches Nachsinnen und Grübeln verratende Stellung, das fleischentblößte Gelenk des langen Armes, das so spitz und wachsbleich aus dem unaufhörlich zitternden Spitzenvolant des Ärmels ragte ... Was hatte diese völlig Reizlose in der Welt zu suchen? Sie hätte getrost im Kloster bleiben und Nonne werden sollen ...

Das eingetretene Schweigen war ein erdrückendes. Man hörte das Summen und Singen der Teemaschine und gedämpft den jetzt draußen niederrauschenden Gewitterregen ... Lucile nahm ihren Platz nicht wieder ein; sie schob die Vorhänge des ihr zunächst liegenden Fensters auseinander, um in die Mauernische zu treten; sie sah nicht, wie ihr die grauen Augen durch die vorgehaltenen Finger in kaum zu bemeisternder Erbitterung nachstarrten, wie der Fuß der schweigenden Frau ungeduldig den Teppich trat, – ein Gefühl von Groll und Arger gegen Felix quoll in ihr auf, weil er sie mit dieser Fremden, dieser bis an den Hals zugeknöpften, unausstehlichen Herrin vom Schillingshof so lange allein ließ.

In dem Augenblick, als sie die Vorhänge auseinanderschug, fuhr ein blendender Blitz nieder. Sein rosenfarbenes Licht irrte sekundenlang über das Parterre draußen, es erfüllte in zitternder Bewegung auch das Zimmer und verschlang den weißen Schein der Lampen, dann folgte ein krachender Donnerschlag, und nun stürzten die Wassermassen nach, als wollten sie die mächtigen Spiegelscheiben des Hauses eindrücken und die Säulenhalle draußen wegschwemmen.

Die Baronin war entsetzt emporgefahren – sie bebte sichtbar und griff, förmlich Sturm läutend, nach der Tischglocke.

Ein Bedienter trat ein.

»Ich lasse die Herren dringend bitten, sofort herüberzukommen – der Tee ist fertig,« sagte sie, trotz ihres Schreckens, doch im ruhigen Ton des Befehles.


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