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21.

DDie Testamentseröffnung war vorüber und hatte so manchem der plötzlich entlassenen mißliebigen Fabrikarbeiter die bitterste Enttäuschung gebracht. Das Schriftstück war alten Datums gewesen. Wenige Jahre nach seiner Verheiratung war der Kommerzienrat mit dem Pferde gestürzt, die Aerzte hatten ihm und den Seinen nicht verhehlen können, daß Lebensgefahr vorhanden sei, und da hatte er eine letztwillige Verfügung getroffen. Dieses Dokument war sehr kurz und knapp abgefaßt gewesen, wie sich bei der heutigen Eröffnung herausgestellt. Die verstorbene Frau Fanny war zur Universalerbin ernannt; auch war verfügt, daß das Geschäft verkauft werden solle, weil damals noch kein männlicher Erbe existiert hatte – Reinhold war erst ein Jahr später geboren. Dieser letzte Wille war mithin nicht mehr rechtskräftig, und die beiden einzigen Erben, Margarete und Reinhold, traten in ihre unverkürzten, natürlichen Rechte.

Margarete war sofort nach dem Schluß des Eröffnungsaktes nach Dambach zurückgekehrt, »weil der Großpapa sie noch brauche«. Reinhold dagegen hatte sich auf seinen Schreibstuhl gesetzt, hatte die kalten Hände aneinander gerieben und dabei streng und finster wie immer die arbeitenden Kontoristen gemustert. Seine Miene war unverändert – was auch hätte das Testament bringen können, das ihm die bereits usurpierten Rechte auch nur um ein Titelchen zu kürzen vermochte? … Und die Leute schielten ängstlich mit gelindem Grauen nach dem unerbittlichen gespensterhaften Menschen, der den Platz des ehemaligen Chefs nunmehr vollberechtigt einnahm, und welchem sie auf Gnade und Ungnade für immer überantwortet waren.

Es war in der vierten Nachmittagsstunde desselben Tages. Der Landrat war eben heimgekommen, und die Frau Amtsrätin stand im Vorsaal, mit einer Verkäuferin um eine Henne feilschend. Da kam der Maler Lenz herein. Schwarzgekleidet vom Kopf bis zu den Füßen trat er in einer Art von ängstlicher Hast auf die alte Dame zu; sein sonst so friedensvolles, freundliches Gesicht war ungewöhnlich ernst und trug die Spuren innerer Erregung.

Er fragte nach dem Landrat, und die Dame wies ihn kurz nach dessen Arbeitszimmer; aber sie musterte ihn doch prüfenden Blickes, bis er nach einem bescheidenen Anklopfen im Zimmer ihres Sohnes verschwunden war. Der Mann war sichtlich verstört, irgend eine schwere Last lag auf seiner Seele. Sie fertigte die Handelsfrau schleunigst ab und ging in ihr Zimmer. Sie hörte den Mann drüben sprechen; er sprach laut und ununterbrochen, und es klang, als erzähle er einen Vorgang … Der alte Maler war für sie bis auf den heutigen Tag eine abstoßende Persönlichkeit verblieben; sie konnte es ihm nicht vergessen, daß seine Tochter Blanka ihr einst schlaflose Nächte verursacht hatte … Was mochte er wollen? – Sollte der Landrat bei Reinhold ein gutes Wort einlegen, auf daß der Entlassene in Brot und Wohnung verbleiben dürfe? Das durfte nie und nimmer geschehen! –

Die Frau Amtsrätin war eine äußerst feinfühlige, eine hochgebildete Dame, das war männiglich bekannt. Wer behauptet hätte, ihr kleines Ohr unter dem feinen Spitzenhäubchen komme zuzeiten in nahe Berührung mit der Zimmerthüre ihres Sohnes, der wäre als böswilliger Verleumder gebrandmarkt worden. Nun stand sie aber in der That da, auf den Zehen und weit hinübergereckt und horchte, horchte, bis sie plötzlich wie von einem Schuß getroffen zurückfuhr und weiß bis in die Lippen wurde.

Im nächsten Augenblick hatte sie die Thüre aufgerissen und stand im Zimmer ihres Sohnes.

»Wollen Sie die Gewogenheit haben, Lenz, das, was Sie soeben behaupteten, auch mir in das Gesicht hinein zu wiederholen?« herrschte sie gebieterisch, aber sichtlich an allen Gliedern bebend, dem alten Manne zu – alle Sanftheit war wie weggeblasen von dieser schrillen Stimme.

»Gewiß will ich das, Frau Amtsrätin!« antwortete Lenz sich verbeugend mit bescheidener Festigkeit, »Wort für Wort sollen Sie meine Erklärung noch einmal hören. Der verstorbene Herr Kommerzienrat Lamprecht war mein Schwiegersohn – meine Tochter Blanka ist seine rechtlich angetraute Ehefrau gewesen –«

Die alte Dame brach in ein hysterisches Gelächter aus. »Lieber Mann, bis zum Fasching haben wir noch weit – sparen Sie Ihre unfeinen Späße bis dahin auf!« rief sie mit zermalmendem Hohn und wandte ihm verächtlich den Rücken.

»Mama, ich muß dich dringend bitten, in dein Zimmer zurückzukehren!« sprach der Landrat und reichte ihr den Arm, um sie hinwegzuführen – auch er war bleich wie ein Toter, und in seinen Zügen malte sich eine tiefe, innere Bewegung.

Sie wies ihn unwillig zurück. »Wäre es eine Amtsangelegenheit, um die es sich handelt, dann hättest du recht, mich aus deinem Geschäftszimmer zu weisen; hier aber ist's ein schlau eingefädeltes Bubenstück, das unsere Familie beschimpfen will –«

»Beschimpfen?« wiederholte der alte Maler mit einer Stimme, die vor Entrüstung bebte. »Wäre meine Blanka das Kind eines Fälschers, eines Spitzbuben gewesen, dann müßte ich die schwere Beleidigung schweigend hinnehmen; so aber verwahre ich mich entschieden gegen jede derartige Bezeichnung. Ich selbst bin der Sohn eines höheren Regierungsbeamten geachteten Namens; meine Frau stammt aus einer vornehmen, wenn auch verarmten Familie, und wir beide sind völlig unbescholten durchs Leben gegangen; nicht der geringste Makel haftet an unserem Namen, es sei denn der, daß ich mein Brot als akademisch ausgebildeter Künstler schließlich aus Mangel an Glück in der Fabrik habe suchen müssen … Aber es ist in den bürgerlichen Familien, die zu Reichtum gelangt sind, Mode geworden, auch von Mesalliance zu sprechen, wenn ein armes Mädchen hineinheiratet, und zu thun, als sei das Blut entwürdigt, wie der Adel den bürgerlichen Eindringlingen gegenüber behauptet. Und diesem völlig unmotivierten Vorurteil hat sich leider auch der Verstorbene gebeugt und damit eine schwere Schuld gegen seinen zärtlich geliebten Sohn auf sich geladen.«

»O, bitte – ich wüßte nicht, daß der Kommerzienrat Lamprecht seinem einzigen Sohn, meinem Enkel Reinhold, gegenüber irgend eine Schuld auf dem Gewissen gehabt hätte!« warf die Frau Amtsrätin höhnisch, mit verächtlichem Achselzucken ein.

»Ich spreche von Max Lamprecht, meinem Enkel.«

»Unverschämt!« brauste die alte Dame auf.

Der Landrat trat auf sie zu und verbat sich ernstlich und entschieden jeden ferneren verletzenden Einwurf. Sie solle den Mann ausreden lassen – es werde und müsse sich ja herausstellen, inwieweit seine Ansprüche begründet seien. Sie trat in das nächste Fenster und wandte den beiden den Rücken zu. Und nun zog der alte Maler ein großes Briefkouvert hervor.

»Enthält das Papier die gerichtlich beglaubigten Dokumente über die gesetzliche Vollziehung der Ehe?« fragte der Landrat rasch.

»Nein,« erwiderte Lenz; »es ist ein Brief meiner Tochter aus London, in welchem sie mir ihre Verehelichung mit dem Kommerzienrat Lamprecht anzeigt.«

»Und weiter besitzen Sie keine Papiere?«

»Leider nicht. Der Verstorbene hat nach dem Tode meiner Tochter alle Dokumente an sich genommen.«

Die Frau Amtsrätin stieß ein helles Gelächter aus und fuhr herum. »Hörst du's, mein Sohn?« rief sie triumphierend. »Die Beweise fehlen – selbstverständlich! Diese nichtswürdige Beschuldigung Balduins ist ein Erpressungsversuch in optima forma.« Sie zuckte die Achseln. »Möglich, daß die Verführungskünste der kleinen Kokette, die einst vor unseren Augen auf dem Gang des Packhauses ihr Wesen getrieben hat, nicht ohne Wirkung auch auf ihn geblieben sind; möglich, daß sich daraufhin draußen in der Welt eine intimere Beziehung zwischen ihnen angesponnen hat – das ist ja nichts Seltenes heutzutage, wenn ich auch Balduin einen solchen Liebeshandel nimmermehr zugetraut hätte. Indes, ich will es zugeben – aber eine Verheiratung? Eher lasse ich mich in Stücke hacken, als daß ich solchen Blödsinn glaube!«

Der alte Maler reichte Herbert den Brief hin. »Bitte, lesen Sie,« sagte er mit völlig tonloser Stimme, »und bestimmen Sie mir gütigst eine Stunde, zu welcher ich Ihnen morgen auf dem Amte das weitere vortragen darf! Es ist mir unmöglich, noch länger mein totes Kind so schmachvoll verlästern zu hören … Nur mit der größten Selbstüberwindung gestatte ich fremden Augen den Einblick in das Schreiben –« Sein schmerzlicher Blick hing wie sehnsüchtig an dem Briefe, den der Landrat an sich genommen hatte. »Es kömmt mir vor, wie ein Verrat an meiner Tochter, welche die einzige Schuld, die sie je auf ihre Seele genommen hat, in den Zeilen ihren Eltern beichtet. Wir haben keine Ahnung gehabt, daß mein Chef und Brotherr hinter unserem Rücken unser Kind zu einem Liebesverhältnis verleitet hat – auf seinen dringenden Wunsch, sein strenges Gebot hin hat sie uns alles verschwiegen … Wäre sie kinderlos gestorben, ich hätte die ganze Angelegenheit auf sich beruhen lassen. Sie ist in fremdem Lande heimgegangen; niemand in dieser Stadt hier hat um die seltsamen Verhältnisse gewußt, es wäre somit keine Veranlassung dagewesen, für ihre Ehre einzutreten. So aber gilt es, ihrem Sohn zu seinem Rechte zu verhelfen, und das will und werde ich mit allen Mitteln, die mir zu Gebote stehen –«

»Sie hätten das schon bei Lebzeiten meines Schwagers thun müssen!« unterbrach ihn der Landrat fast heftig, nachdem er in sichtlich großer Aufregung das Zimmer durchmessen.

»Herbert!« schrie die alte Dame auf. »Ist es möglich, daß du diesem empörenden Lügengewebe auch nur den allergeringsten Glauben schenkst?«

»Sie haben recht, ich bin dem herrischen Mann gegenüber allerdings schwach gewesen,« versetzte Lenz, ohne auf den Ausruf der Amtsrätin zu hören. »Ich durfte mich nicht mit Versprechungen von Zeit zu Zeit hinhalten lassen, wie es leider geschehen ist … Als wir vor einem Jahre unseren Enkel sehen und zu uns nehmen durften, da sagte der Kommerzienrat, daß ihm augenblicklich die Verhältnisse noch nicht gestatteten, mit der öffentlichen Anerkennung seines in zweiter Ehe geborenen Sohnes hervorzutreten. Dagegen werde er schleunigste sein Testament machen, um schlimmstenfalls dem kleinen Max seine Sohnesrechte zu sichern … Nun, er hat sein Versprechen nicht gehalten – im Vollgefühl seiner Kraft mag ihm dieser ›schlimmste Fall‹, sein plötzlicher Tod, ganz unmöglich erschienen sein … Aber ich verzage nicht – die Legitimationspapiere sind ja da, der Trauschein, das Taufzeugnis meines Enkels, diese Papiere müssen sich im Nachlaß finden. Und deshalb komme ich zu Ihnen, Herr Landrat – es widerstrebt mir, einen Rechtsanwalt hineinzuziehen. Ich lege die Sache in Ihre Hände.«

»Ich nehme sie an,« versetzte Herbert. »In diesen Tagen werden die Siegel abgenommen, und ich gebe Ihnen mein Wort, daß alles geschehen soll, um Licht in die Angelegenheit zu bringen!«

»Ich danke Ihnen innig!« sagte der alte Mann und reichte ihm die Hand. Dann verbeugte er sich nach der Richtung, wo die Frau Amtsrätin stand, und ging hinaus.

Eine kurze Zeit blieb es still im Zimmer, so bedrückend still, wie es nach dem ersten Windstoß eines heranziehenden Gewitters zu sein pflegt – man hörte nur das Knistern der Papiere, die Herbert aus dem Kouvert nahm und entfaltete, während die Amtsrätin wie geistesabwesend nach der Thüre starrte, hinter welcher »der Unglücksmensch« verschwunden war … Nun aber raffte sie sich auf.

»Herbert,« rief sie entrüstet ihrem lesenden Sohn zu, »kannst du wirklich deine Mutter in ihrer furchtbaren Aufregung und Erbitterung vor dir stehen sehen, während du dich in das lügenhafte Geschreibsel jener erbärmlichen Kokette vertiefst?«

»Es ist kein lügenhaftes Geschreibsel, Mama,« sagte er aufblickend, sichtlich erschüttert.

»Ah, du bist gerührt, mein Sohn? … Nun, das Papier ist geduldig, und die schöne Dame wird selbstverständlich alle ihre Schreibekünste aufgeboten haben, um ihren Eltern gegenüber ihrem Fehltritt ein Mäntelchen umzuhängen … Und ein Mann wie du läßt sich auch bethören und glaubt daraufhin –«

»Ich habe schon vorher geglaubt, Mama.«

»Lächerlich! – Das Gerede eines alten, halbblöden Mannes –«

»Liebe Mama, gib es auf, dich und mich mit falschen Vorspiegelungen beruhigen zu wollen; sieh lieber der Wahrheit gefaßt ins Auge! … Mit den ersten erklärenden Worten des alten Malers war es, als würde mir eine Binde von den Augen gerissen. Balduins ganzes geheimnisvolles Gebaren während der letzten Jahre, zu welchem wir vergebens den Schlüssel gesucht haben, es liegt entschleiert vor mir! Er hat einen furchtbaren inneren Zwiespalt mit sich herumgetragen. Hätte ihm der Tod nicht diese zweite Frau entrissen, dann wäre es anders gekommen. Das schöne, hochgebildete Weib an seiner Seite, hätte er es wohl über sich vermocht, nach Jahr und Tag mit ihr in die heimischen Verhältnisse zurückzukehren. So aber ist der Zauber gebrochen gewesen. Ihm ist nichts geblieben, als die Thatsache, daß er der Schwiegersohn des alten Lenz sei, und da hat der Feigling in ihm gesiegt – der erbärmliche Feigling!« zürnte er. »Wie hat er's über das Herz bringen können, den Knaben, diesen prächtigen Jungen, der sein Stolz sein mußte, in seinem eigenen Hause, im Vaterhause des Kindes zu verleugnen? Wie hat er's ertragen, daß Reinholds schielender Neid oft genug den kleinen Bruder tückisch getroffen hat? … Armer, kleiner Kerl! Wie er mir am Sarg des Verstorbenen ins Ohr flüsterte: ›Ich will ihn lieber auf den Mund küssen. Er hat mich auch manchmal geküßt, im Thorweg, wo wir ganz allein waren‹ –«

»Siehst du, mein Sohn, das alles beweist nur, daß ich recht habe, daß dieser ›prächtige Junge‹ ein – Bastard ist,« unterbrach ihn die Amtsrätin. Sie war ganz ruhig geworden; es spielte sogar ein verlegenes Lächeln um ihren Mund. »Den Hauptgrund aber, weshalb Balduin eine zweite Ehe nicht eingehen konnte und durfte, scheinst du ganz zu übersehen: sein Gelöbnis, das Fanny mit ins Grab genommen hat –«

»Ja, das ist's, was ich meiner Schwester nur schwer verzeihen kann!« sagte Herbert fast heftig. »Es ist eine Grausamkeit, eine Unnatur ohnegleichen, den Trennungsschmerz eines Zurückbleibenden zu benutzen, um solch einen unglückseligen Mann für Lebenszeit an eine Totenhand zu schmieden –«

»Nun, darüber wollen wir nicht streiten; ich sehe das mit anderen Augen an und sage mir, daß uns dieser Umstand die beste Gewähr ist und bleibt. Denke an mich, die Papiere werden sich nicht finden – sie haben nie existiert! … Nun, desto besser! Die Sache läßt sich mit Geld abmachen; das Vermögen der beiden rechtmäßigen Erben wird freilich bluten müssen; allein was hilft es? Das kann in aller Stille abgewickelt werden und ist doch dem Skandal, einen Stiefbruder so vulgärer mütterlicher Abkunft zu haben, weit vorzuziehen.«

Ihr Sohn sah ihr starr ins Gesicht. »Sprichst du im Ernste, Mutter?« fragte er gepreßt. »Du ziehst es vor, den Verstorbenen mit der Schuld eines ehrlosen Verführers in der Erde belastet zu sehen? Großer Gott, bis zu welcher Unmoralität verirrt sich doch das unselige Standesvorurteil! … War Fanny nicht auch die Tochter eines Bürgerlichen? Und war ihre eigene Mutter, die erste Frau meines Vaters, nicht auch ein einfaches Mädchen aus dem Volke gewesen?«

»Recht so! Schreie diese Thatsachen in die Welt hinaus, jetzt, wo wir im rapiden Steigen begriffen sind!« zürnte die alte Dame mit unterdrückter Stimme. »Ich begreife dich nicht, Herbert. Woher auf einmal diese penible Auffassung?«

»Ich habe nie anders gedacht,« rief er empört.

»Nun, dann ist es deine Schuld, wenn ich mich irrte. Weiß man doch nie, wie du denkst. Ein intimeres Aussprechen, wie es sich zwischen Mutter und Sohn eigentlich von selbst versteht, gibt es bei uns nicht – man tappt dir gegenüber stets im Finstern … Uebrigens denke du über die Sache, wie du willst, ich stehe fest auf meinem Standpunkt. Ich ziehe es in der That vor, eine mit Geld aufgewogene, gesühnte und verschwiegene Schuld in der Familie zu wissen, als plötzlich die liebe Muhme oder Base von Krethi und Plethi zu werden … Dann möchte ich aber auch fragen: Hast du denn gar kein Herz für Fannys Kinder? – Wenn ein dritter rechtmäßiger Erbe auftritt, so erleiden sie einen ungeheuren Verlust.«

»Es bleibt ihnen immer noch mehr als genug –«

»In deinen Augen vielleicht, aber nicht in denen der Welt … Gretchen ist eine der ersten Partien im Lande, und wenn sie auch kopflos genug die glänzendsten Aussichten jetzt noch von der Hand weist, so wird und muß doch eine Zeit kommen, wo sie verständig wird und diese Dinge ansieht, wie sie sind. Wie es aber um diese ihre brillanten Aussichten stehen würde, wenn ein Drittel des Lamprechtschen Vermögens einem Nachgeborenen zufiele, darüber bin ich keinen Augenblick im Zweifel.«

»Ein Mädchen wie Margarete wird begehrt werden, auch wenn ihr Vermögen noch so sehr zusammenschmilzt,« sagte Herbert. Er war ans Fenster getreten, wo er abgewendet von seiner Mutter verharrte. »Je weniger, desto besser!« setzte er fast murmelnd hinzu.

Sie schlug die Hände über dem Kopfe zusammen. »Die Grete? Ohne Geld? Was machst du dir für Illusionen, Herbert! – Nimm ihr diesen Nimbus, und das schmächtige Ding wird sein wie ein armer Vogel, dem man allen Federschmuck ausgerupft hat! … Nun wahrhaftig, fast möchte ich wünschen, du kämst nach meinem Tod in die Lage, das Mädchen unter die Haube bringen zu müssen!«

»Das sollte mir nicht schwer werden,« sagte er mit einem unmerklichen Lächeln.

»Ein klein wenig schwerer denn doch, als wenn du einen neuen Schreiber anzustellen hättest – das glaube deiner alten Mutter, mein Sohn!« entgegnete sie spöttisch. »Aber wozu um des Kaisers Bart streiten!« schnitt sie kurz den Wortwechsel ab. »Wir sind beide erregt; ich über die Unverschämtheit des Menschen, der uns eine Bombe ins Haus wirft, welche sich, näher besehen, als ein Schreckschuß erweist, und du, weil dir das Seelenbekenntnis einer ehemaligen Flamme zu Gesicht gekommen ist … Wenn wir ruhiger geworden sind, dann wollen wir weiter sprechen … Selbstverständlich bleibt die Angelegenheit vorläufig unser beider Geheimnis. Die Kinder, Margarete und Reinhold, erfahren es noch zeitig genug, wenn es gilt, die Abfindungssumme aus ihrem Erbe zu entnehmen, um – für die unselige Verirrung ihres Vaters zu büßen – arme Kinder!«

Damit verließ sie das Geschäftszimmer ihres Sohnes.


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