E. Marlitt
Goldelse
E. Marlitt

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14.

Abends saß die Familie Ferber im Garten unter den Brunnenlinden, Frau Ferber und Miß Mertens arbeiteten an einem warmen Fußteppich aus lauter Tuchstückchen, der im Winter unter das Klavier gelegt werden sollte.

Die Mutter hatte ein bedeutendes Teil der gleichmäßigen Ruhe eingebüßt, die ihre äußere noch immer schöne Erscheinung so wohl kleidete. Sie konnte sich noch immer nicht beruhigen über den Vorfall am Nachmittage; denn obgleich ihr Kind wohlbehalten und unverletzt vor ihr gestanden hatte, war sie doch außer sich gewesen bei Miß Mertens' Erzählung. Ihr Blick suchte seitdem unablässig die Tochter; der leiseste Farbenwechsel aus Elisabeths Wangen beunruhigte sie und ließ sie eine Erkrankung infolge der gehabten Alteration befürchten . . . Anders dachte der Vater. »So recht, mein tapferes Töchterchen,« hatte er mit strahlenden Augen gesagt, »mit kühlem Blute überlegt und dann flink und unerschrocken mit Hand und Fuß bei der That – so wollte ich dich haben.«

Frau Ferber sah in ihrem Gatten stets das Ideal eines Mannes. Noch jetzt, nach so und so viel Ehestandsjahren, schwur sie blindlings auf seine Aussprüche, als auf etwas Unfehlbares. Heute aber, bei seinem väterlichen Belobung, war ihr doch ein Seufzer entschlüpft, und sie hatte gemeint, eine Mutter liebe ihre Kinder doch ungleich mehr, als der Vater.

» Mehr sicher nicht – nur anders,« war Ferbers ruhige Antwort gewesen. »Gerade, weil ich sie liebe, erziehe ich sie zu Menschen, die selbständig und mutig denken und handeln, damit sie nicht später einmal zu jenen unglückseligen Umhergestoßenen gehören, die aus Mangel an Thatkraft die unausgesetzt Leidenden sind.«

Elisabeth brachte auch eine Arbeit mit in den Garten; allein der kleine Ernst machte ein sehr ungnädiges Gesicht, als sie das Nähzeug auspackte.

»Na warte nur, Else!« sagte er entrüstet. »Herr von Walde kann mich zehnmal fragen, ob ich dich lieb habe – ich werde ganz gewiß nicht wieder ja sagen . . . Du spielst ja gar nicht mehr mit mir und bildest dir wohl gar ein, du seiest auch nun auf einmal ein so großes Mädchen wie Miß Mertens? . . . Ach, das lasse du ja bleiben – das bist du noch gar lange nicht.«

Ein allgemeines Gelächter erscholl über die Verwechselung des Alters und der Größe. Elisabeth aber erhob sich eilig, um den Vorwürfen zu begegnen, schürzte ihr langes Kleid und zählte mit dem Kleinen ab, wer zuerst der Haschende sein müsse – dann ging es pfeilschnell den Damm hinauf und herunter.

Unterdes war am Mauerpförtchen geläutet worden. Der Vater ging hinüber um zu öffnen und gleich darauf erschienen in der offenen Thür der Halle Doktor Fels, Reinhard und der Oberförster. Elisabeth eilte gerade als Verfolgte durch den Hauptweg und bemerkte die Eintretenden nicht sogleich.

»Nun, das muß ich sagen!« lachte Doktor Fels und blieb stehen. »Das ist eine wunderbare Entpuppung . . . nachmittags Walküre und abends Schmetterling.«

Der Oberförster aber schritt vor, fing das Mädchen in den Armen auf und drehte sich jubelnd einigemal mit ihr herum. »Prachtmädel!« rief er endlich und schob sie von sich, während er mit leuchtenden Blicken ihre zierliche Gestalt musterte. »Da sehe mir einer das Ding an! . . . sieht aus, wie aus Elfenbein geschnitzt, so fein und zerbrechlich, und hat doch eine Kraft in Herz und Händen, wie ein Mann . . . schade, daß du kein Junge bist – du müßtest in den grünen Rock, da möchte nun dein Vater sagen, was er wollte.«

Doktor Fels war mittlerweile auch näher herangetreten. Er reichte Elisabeth die Hand. »Herr von Walde war in der Stadt,« sagte er, »und forderte mich auf, mit hierher zu kommen . . . Es liegt ihm sehr daran, zu wissen, ob Ihnen die Aufregung und der Schrecken nicht geschadet haben.«

»Ganz und gar nicht,« entgegnete sie tief errötend. »Wie Sie sehen,« fügte sie scherzhaft hinzu, »bin ich vollkommen im stande, meinen schwesterlichen Pflichten zu genügen, und Ernst hat mir soeben ärgerlich versichert, ich sei sehr schwer zu fangen.«

»Nun, ich werde diese Antwort Herrn von Walde wörtlich überbringen,« sagte der Doktor mit einem feinen Lächeln; »er mag selbst entscheiden, ob sie besorgniserregend oder beruhigend für ihn ist.«

Ferber forderte die Herren auf, Platz zu nehmen, was auch sofort geschah. Der Doktor zündete sich eine Zigarre an und schien sich bald sehr behaglich in dem Kreise zu fühlen. Es wurde viel über Linkes Attentat gesprochen. Gleich nach seinem Weggange von Lindhof war man zahllosen Unterschleifen auf die Spur gekommen, die er sich während der Abwesenheit des Gutsherrn erlaubt hatte. Die Sache war auch ruchbar geworden – obgleich Herr von Walde keine Schritte gethan hatte, den Betrüger zur Rechenschaft zu ziehen – und war die Veranlassung gewesen, daß sich ein neues Engagement des Verwalters zerschlug. Diese Enttäuschung hatte offenbar das Maß seiner Rache gefüllt und ihn zu der heutigen That getrieben . . . Es war alles aufgeboten worden, um des Verbrechers habhaft zu werden; auch der Oberförster hatte auf die Nachricht hin mit seinen Burschen den Wald durchstreift, aber bis jetzt waren alle Anstrengungen vergeblich gewesen. Reinhard erzählte, daß Herr von Walde den Leuten im Schlosse streng untersagt habe, seiner Schwester den Vorfall mitzuteilen, weil ihr der Schrecken schaden könne. Auch die Baronin, Hollfeld und die alte Kammerfrau sollten nicht davon wissen.

»In L. wird man sich auf Herrn von Waldes Wunsch ebenfalls bemühen, die Sache vorderhand noch geheim zu halten,« fuhr er fort; »denn er weiß, daß auf morgen die halbe Stadt eingeladen ist –«

»Das heißt, alles was kreucht und fleucht an Vierfüßlern und Geflügel im silbernen oder bunten Felde,« unterbrach ihn sarkastisch der Doktor; »nämlich alle adligen Wappen, und dann alle Beamten vom Rate aufwärts . . . Man hat eine strenge Auswahl getroffen, genau nach der Hofordnung . . . Deshalb habe ich meiner Frau auch bereits eingeschärft, daß sie nur hübsch demütig ist als Krähe unter den Edelfalken. Wir sind zu unserer Verwunderung von der Frau Baronin – denn sie leitet das Ganze – auch ›befohlen‹ worden.«

»Apropos, Herr Doktor!« rief lachend Reinhard, »man erzählte mir heute in L., die alte Prinzessin Katharine habe Sie zu ihrem Leibarzte machen wollen, Sie hätten sich aber dem Antrage zu entziehen gewußt – ist das wahr? . . . ganz L. steht auf dem Kopfe vor Erstaunen.«

»Ach, das ist nichts Neues – das passiert der lieben kleinen Stadt bei jeder Gelegenheit. Deshalb ist auch die Intelligenz stets unten, und das Gotteslicht der Erkenntnis scheint vergeblich auf ihre unempfänglichen Fußsohlen . . . Uebrigens haben Sie ganz recht gehört; ich bin in der That so frei gewesen, mich für die Ehre zu bedanken.«

»Aber weshalb?«

»Weil ich erstens keine Zeit habe, die hysterischen Grillen jenes hochgeborenen Kopfes täglich in frische Windeln zu legen – verzeihen Sie, meine Damen – und dann habe ich einen heiligen Respekt vor der Hofetikette.«

»Ja, ja,« rief lachend der Oberförster, »die ist auch schuld, daß ich stets drei Kreuze mache, wenn ich das Schloß in L. im Rücken habe. Die Herrschaften, besonders aber unsere prächtige Fürstin, die machen's einem nicht schwer; sie drücken womöglich beide Augen zu, wenn man einen anderen Kratzfuß macht, als das steife Unding vorschreibt. Aber der Hoftroß, der um sie her knickst und schwänzelt und lispelt – daß Gott erbarm' – der schreit Zeter, wenn ein Männerabsatz fest auftritt, und kriegt Krämpfe über eine Stimme, die frei aus der Brust herauskommt, wie sie der liebe Gott geschaffen hat.«

Es war dunkel geworden. Die Familie und Miß Mertens begleiteten die Aufbrechenden bis vor das Mauerpförtchen, und als alle auf die Waldblöße heraustraten, da klang es feierlich aus dem Thale herauf durch den nachtstillen Wald, wo sich kein Vogel auf den Zweigen rührte, und selbst der Abendwind in den Wipfeln eingeschlafen war über den Wundersagen aus fernen Landen, die er allabendlich den Blättern erzählt . . . Das Stadtmusikkorps aus L. brachte Herrn von Walde ein Ständchen.


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