E. Marlitt
Goldelse
E. Marlitt

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5.

Als Elisabeth am andern Morgen die Augen aufschlug, verkündete die große Wanduhr drunten in der Stube gerade die achte Stunde und überzeugte sie zu ihrem Verdrusse und Schrecken, daß sie sich verschlafen habe. Daran aber war nichts schuld, als ein tiefer häßlicher Morgentraum . . . Der goldene, poetische Duft, den ihre Phantasie gestern um Sabines Erzählung gehaucht hatte, war über Nacht zur trüben Wolke geworden, deren Druck noch im Augenblicke des Erwachens auf ihr lastete . . . Sie war in Todesangst durch die wüsten, weiten Säle des alten Schlosses gelaufen, immer verfolgt von Jost, dem sich die Haare auf der todblassen Stirn aufbäumten, und der sie mit den schwarzen Augen anglühte, und hatte eben unter tiefem, nie empfundenem Grauen die Hände ausgestreckt, um ihn zurückzustoßen, als sie erwachte . . . Noch klopfte ihr das Herz, und sie dachte mit Schauder an jene Unglückliche auf der Mauer, die vielleicht, ebenso gehetzt wie sie, verzweiflungsvoll den Tod suchte und in dem fürchterlichen Augenblicke von dem Verfolger ergriffen wurde.

Sie sprang auf und kühlte sich das Gesicht in frischem Wasser; dann öffnete sie das Fenster und sah hinunter in den Hof. Dort saß Sabine unter einem Birnbaum, mit dem Butterfasse beschäftigt. Das ganze Hühnervolk hatte sich um sie geschart und sah erwartungsvoll zu ihr empor, denn von dem großen Butterbrote, das neben ihr auf dem Steintische lag, warf sie dann und wann einige Brocken auf den Boden, wobei sie nicht unterließ, die Unverschämten zu schelten und die Unterdrückten zu trösten.

Als sie das junge Mädchen erblickte, nickte sie freundlich und rief hinauf, alles, was im Forsthause Hände und Füße habe, arbeite seit sechs Uhr droben im alten Schlosse. Auf Elisabeths Vorwurf, weshalb man sie nicht geweckt, entgegnete sie, das sei auf den Wunsch der Mama geschehen, weil ihr Töchterlein sich in den letzten Wochen weit über seine Kräfte angestrengt habe.

Sabines gutes, friedvolles Gesicht und die frische Morgenluft beruhigten Elisabeths Nerven augenblicklich und führten die Wirklichkeit zurück, die sich ja gerade jetzt so hell und so rosig gestaltete . . . Sie gab sich unsägliche Mühe, sich selbst auszuschelten, daß sie, der väterlichen Ermahnung des Onkels entgegen, gestern bis um Mitternacht am Fenster gelehnt und über die mondbeglänzte Wiese in den schweigenden Wald hinausgesehen hatte. Allein der angeregten Phantasie gegenüber spielt der Verstand oft eine klägliche Rolle. Mitten in der Untersuchung verschwinden plötzlich Ankläger und Zeugen, er sieht sich allein auf seinem Richterstuhle und muß es sich sogar gefallen lassen, daß er hinter die Kulissen gesteckt wird, während um und neben ihm die Spektakelstücke der Phantasie von vorn anheben. Deshalb verstummten Elisabeths ärgerliche Betrachtungen auch sehr bald vor dem Bilde, das sich in einem Nu vor ihrem inneren Auge aufrollte und sich noch einmal den ganzen Zauber einer Mondnacht im Walde nachempfinden ließ.

Nachdem sie sich angekleidet und rasch ein Glas frische Milch getrunken hatte, eilte sie den Berg hinauf. Der Himmel war bedeckt, aber nur mit jener hellen, hohen Wolkenschicht, die zwar keinen goldenen, aber einen desto frischeren Frühlingstag verheißt. Deswegen dauert auch heute das Morgenkonzert der Vögel etwas länger, und die Tautropfen schaukelten sich noch so voll in den Blumenkelchen, als sei ihr zartes Dasein für heute unantastbar.

Als Elisabeth in das weit offene Hauptthor des Schlosses trat, fiel ihr sogleich ein ungeheurer grüner Hügel neben dem Brunnen ins Auge. Es waren Distelbüsche, Farnkrautbündel und Brombeerranken, die, ihrem alten, trauten Wohnplatze, dem Garten, entrissen, hier ihr lustiges Leben verhauchen mußten. Der Weg durch den gewölbten Thorbogen des zweiten Hofes bis zur Gitterthür war mit verzetteltem Grünzeuge bestreut, als solle ein fröhlicher Hochzeitszug durch die Ruine wandeln, und sogar an dem Sims eines hohen Fensters, das droben in seinem Spitzbogen eine prächtige durchbrochene Steinrosette mit Resten bunter Glasmalerei zeigte, hatten sich im Vorübertragen einige Ranken gehängt und legten ihr lebendiges Grün traulich neben die steinernen Kleeblätter der heiligen Dreifaltigkeit, die nicht verkennen ließen, daß der dunkle wüste Raum da drinnen einst die Schloßkapelle gewesen war.

Der Garten, in welchem man gestern nicht zwei Schritt weit vordringen konnte, erschien dem jungen Mädchen völlig verwandelt. Ein beträchtliches Stück lag aufgedeckt und zeigte nun die Reste zierlicher Anlagen. Elisabeth konnte auf einem ziemlich gesäuberten Hauptwege, über den erschreckte Eidechsen blitzschnell huschten, bis nach dem grünen Damme gelangen, den man gestern von der Ferne aus entdeckt hatte. Zu beiden Seiten des langen, berasten Erdaufwurfs führten breite, ausgewaschene Steintreppen in die Höhe bis zu einer niedrigen Brüstung, über die man in den Wald und da, wo die Bäume ein wenig auseinander traten, hinunter in das Thal sehen konnte, wo das Forsthaus mit seinem blauen Schieferdache voll weißer Tauben behaglich auf der grünen Wiese lag. Zu Füßen des Walles, gerade da, wo der Hauptweg endete, befand sich ein kleines Bassin, in das eine grünbemoste Gnomengestalt einen starken, kristallhellen Wasserstrahl spie. Zwei Linden wölbten sich über dem rauschenden Brunnen und warfen ihren wohltätigen Schatten auf die zarten Vergißmeinnicht, die hier massenhaft aus der feuchten Erde sproßten und das Bassin in dunkler Bläue umfingen.

Dem Damme gegenüber lag der Zwischenbau; er sah mit seinen zurückgeschlagenen Fensterläden und der großen, offenen Thür im Erdgeschosse heute so hell und gastlich aus, daß sich Elisabeth freudig dem süßen Gefühle hingab, hier auf heimischem Boden zu stehen. Sie überblickte den Garten und dachte an ihre Kinderjahre, an jene Momente voll unbezwingbarer Sehnsucht, wo sie beim Spaziergange hinter den Eltern zurückblieb und, ihr Gesicht an das festgeschlossene Gitter gepreßt, in fremde Gärten hineinsah. Dort tummelten sich glückliche Kinder ungezwungen auf den Rasenplätzen; sie durften die aufgeblühten Rosen am Stocke in ihre kleinen Hände nehmen und sich an dem Dufte erquicken, solange sie wollten . . . Und was mußte das für eine Lust sein, den kleinen Körper unter einen vollen Strauch zu ducken und gerade so im Grünen zu sitzen, wie die großen Leute in einer Laube! Damals blieb es bei Wunsch und Sehnsucht. Nie öffnete sich eine der geschlossenen Thüren vor dem Kinde mit den bittenden Augen, und es wäre doch schon zufrieden gewesen, wenn man durch das Gitter einige Blumen in seine kleinen Hände gelegt hätte.

Während Elisabeth auf dem Walle stand, erschien der Oberförster an einem der oberen Fenster des Zwischenbaues. Als er das junge Mädchen erblickte, wie es, die zarte Gestalt an die Brüstung gelehnt und den schönen Kopf halb nach dem Garten gewendet, sinnend vor sich hinsah, da überflog ein unverkennbarer Ausdruck von Wohlgefallen und stiller Freude sein Gesicht.

Auch Else wurde den Onkel gewahr, nickte lustig ihm zu und lief schnell die Stufen hinab nach dem Hause. Da sprang ihr der kleine Ernst aus der großen Halle entgegen und lachend fing sie ihn in ihren Armen auf.

Seiner enthusiastischen Beschreibung nach hatte der Kleine schon Unglaubliches geleistet Er hatte dem Maurer, der den Herd errichtete, Backsteine zugetragen, war von Mama beim Ausklopfen der Betten beschäftigt worden und meinte mit großem Stolze, die Herren und Damen auf der wollenen Tapete sähen viel schöner und freundlicher aus, seit er mit der Bürste über ihre staubigen Gesichter gefahren sei. Er schlang entzückt die Arme um den Hals der Schwester, die ihn die Treppe hinauftrug, und hörte nicht auf zu versichern, daß er es hier oben doch tausendmal schöner finde, als in B.

Der Oberförster empfing Elisabeth droben im Vorsaale. Er ließ ihr kaum Zeit, die Eltern zu begrüßen, und führte sie, ohne ein Wort zu sagen, in das Zimmer mit den Gobelins . . . Welche Veränderung! . . . Das grüne Bollwerk vor dem Fenster war verschwunden, draußen, jenseits der äußeren Mauer, trat der Wald auf beiden Seiten kulissenartig zurück und gewährte einen vollen Einblick in ein weites Thal, das Elisabeth wahrhaftig paradiesisch erschien.

»Das ist Lindhof,« sagte der Oberförster und zeigte auf ein ungeheures Gebäude in italienischem Geschmacke, das sich ziemlich nahe an den Fuß des Berges drängte, auf welchem Gnadeck lag. »Ich habe dir hier etwas mitgebracht, das dir sofort jeden Baum drüben auf den Bergen und jeden Grashalm drunten auf den Wiesen vorführen wird,« fuhr er fort, indem er dem jungen Mädchen ein gutes Perspektiv vor die Augen hielt.

Da rückten die gewaltigen, ernsten Bergkuppen herüber, deren granitene Gipfel hier und da den Wald zerrissen und auf ihrer äußersten Spitze eine einsame Tanne gen Himmel streckten. Hinter diesen nächsten Bergen türmten sich zahllose bewaldete Rücken im blauen Dämmerlichte, und aus einem fernen dunklen Thale, das nur wie ein tiefer Einschnitt zwei Bergriesen voneinander trennte, tauchten zwei schlanke gotische Türme bleich und nebelhaft empor. Ein kleiner Fluß, eine von Pappeln eingefaßte Chaussee und mehrere schmucke Dörfer belebten den Hintergrund des Thales; vorn lag das Schloß Lindhof, umgeben von einem im großartigsten Stile angelegten Parke. Unter den Fenstern des Schlosses breitete sich ein weiter, kurzgeschorener Rasenplatz aus, auf dem kleine, wunderlich geformte Beete in feuriger Tulpenpracht hingestreut lagen. Elisabeths Blick schweifte darüber hinaus und tauchte erquickt in das geheimnisvolle Dunkel einer Allee prächtiger Linden, deren Kronen sich dicht über den braunen Stämmen wölbten, während einzelne schwere untere Zweige ihre breiten Blätter zwanglos auf den Kies niederhingen. Bisweilen streckte ein Schwan seinen weißen Hals neugierig in den Schatten der Allee, wobei seine Flügel einen blitzenden Regenschauer an die alten Stämme schleuderten – ein klarer kleiner See schmiegte sich dicht an ihre Füße; er lag in diesem Augenblicke ziemlich melancholisch in seinem blumengeschmückten Ringe, denn ein bewölkter Himmel spiegelte sich in seiner Fläche.

Hatte Elisabeth das Fernrohr bis dahin rastlos von einem Gegenstande zu dem andern wandern lassen, so suchte sie jetzt einen festen Halt und Stützpunkt für dasselbe; denn sie hatte eine Entdeckung gemacht, die ihr Interesse in hohem Grade fesselte.

Unter dem letzten Baume in der Allee stand ein Ruhebett. Eine junge Dame lag darauf; sie hatte den reizenden Kopf zurückgelehnt, so daß ein Teil ihrer langen kastanienbraunen Locken über das Polster herabfiel. Unter dem Saume des langen weißen Musselinkleides, das die ganze Gestalt bis an den Hals züchtig verhüllte, erschienen zwei zarte Füßchen in goldglänzenden Saffianschuhen. Die Dame hielt zwischen den feinen, fast durchsichtig mageren Fingern einige Aurikeln, welche sie gedankenlos unaufhörlich hin und her drehte. Nur auf den schmalen Lippen lag ein schwacher Anflug von Rot, sonst war das Gesicht lilienweiß, man hätte sich versucht fühlen können, seine Lebenswärme zu bezweifeln, hätten nicht die blauen Augen in einem wundersamen Ausdrucke geleuchtet. Diese Augen mit diesem Ausdrucke aber waren auf das Gesicht eines Mannes gerichtet, der, gegenüber sitzend, ihr vorzulesen schien. Elisabeth konnte sein Gesicht nicht sehen, denn er wendete ihr den Rücken zu. Er schien jung, groß und schlank zu sein und hatte üppiges dunkelblondes Haar.

»Ist die reizende Dame da drunten die Baronin Lessen?« fragte Elisabeth gespannt.

Der Oberförster nahm das Perspektiv. »Nein,« sagte er, »das ist Fräulein von Walde, die Schwester des Besitzers von Lindhof. Du nennst sie reizend, und ihr Kopf ist es auch, aber ihr Körper ist krüppelhaft – sie geht an der Krücke.«

In diesem Augenblicke trat Frau Ferber hinzu. Auch sie sah durch das Glas und fand das Gesicht der jungen Dame überaus lieblich; sie hob besonders den Ausdruck von Seelengüte hervor, der »die Züge verkläre«.

»Ja,« sagte der Oberförster, »gut und mildthätig soll sie auch sein. Als sie hierher kam, war die ganze Umgegend ihres Lobes voll . . . Aber auch darin hat sich das Blättchen sehr gewendet, seit die Baronin Lessen das Regiment im Hause führt . . . Da kommt kein Almosen mehr unter die Armen, das nicht erst mit dem Muckertum auf der Goldwage gelegen hätte . . . Wehe dem armen Bittsteller, er kriegt keinen Pfennig Unterstützung, und noch spitze Bemerkungen obendrein, wenn es sich nämlich herausstellt, daß er lieber beim Pfarrer in Lindhof die Predigt hört, als in der Schloßkapelle, wo ein Kandidat – der Hauslehrer der Baronin – allsonntäglich Feuer und Schwefel und alle erdenklichen Höllenqualen von der Kanzel herab auf die Häupter der Gottlosen schleudert.«

»Solche Zwangsmaßregeln sind ein sehr übles Mittel, den christlichen Sinn im Volke wieder zu erwecken,« meinte Frau Ferber.

»Sie schlagen ihn vollends tot und füttern dafür die Heuchelei groß, sage ich!« rief zornig der Oberförster. »Schon deshalb, weil sie selbst das Beispiel dazu geben. Da lesen sie jederzeit in der Bibel von der christlichen Demut und werden doch von Tag zu Tag hochmütiger und anmaßender; ja, sie wollen einem sogar weismachen, ihr hochgeborener Leib sei schon aus einem ganz andern Stoffe, als der ihrer niederen Brüder in Christo . . . Wenn du aber Almosen gibst, so lasse deine linke Hand nicht wissen, was deine rechte thut, so steht geschrieben . . . ein Huhn macht aber wahrlich nicht mehr Geschrei um sein eben gelegtes Ei, als diese Leute um ihre milden Thaten. Da gibt's Kollekten, Armenlotterien u. dergl. m., wobei die ganze Umgegend unaufhörlich gebrandschatzt wird; wenn es aber gilt, da zu nehmen, wo am meisten zu finden ist, im eigenen Geldbeutel, da hört der Spaß auf, wie man zu sagen pflegt . . . Ich kenne Leute, die seit zwanzig Jahren milde Gaben anderer sorgfältig zusammensparen, um dereinst ein Armenhaus zu gründen. Diese vortrefflichen Leute beziehen ein jährliches Einkommen von ungefähr sechstausend Thalern. Zu verlangen, daß sie von diesem Lumpengelde hier und da ein Sümmchen abbrechen sollen zum Besten ihres löblichen Vorhabens, das darf einem beileibe nicht einfallen . . . sie haben den Heiligenschein christlicher Aufopferung und Hingebung so billiger . . . Herr Gott, wie mich das ärgert, wenn die Leute ihre Frömmigkeit so auf dem Präsentierteller herumtragen! . . . Da drunten in dem Hause, da bimmelt das Glöckchen so und so vielmal des Tages; dann heißt es in der Umgegend – denn man hört's weit und breit – ›jetzt beten die im Schlosse‹. Das Kämmerlein, in welchem sie nach Gottes Gebot zu ihm reden sollen, ist ihnen zu klein und nicht nach ihrem Geschmacke . . . Aber mir ist nicht allein das Gesperr ein Greuel; nein, es ist auch geradezu gottheillos, so mir nichts dir nichts das Heiligste in die Berufsgeschäfte hineinzuziehen . . . Jetzt frage ich, ob die Jungfer, die eben ein glühendes Plätteisen handhabt, oder der Koch, der einen heiklen Braten in der Röhre hat, sich freuen kann, wenn das Glöckchen mit einemmale anfängt?«

»Ja, in diese Art Andacht setze ich allerdings einige Zweifel,« sagte lächelnd Frau Ferber.

»Oder ob der Gnädigen selbst – die vielleicht gerade einen interessanten Roman liest, oder eine neue Hofintrige im Kopfe hat – denn diese Geschichten lassen sich auch neben der Frömmigkeit ganz vortrefflich abwickeln – ein solcher Harrassprung vom Weltlichen in die Gottesverehrung wohl möglich ist? . . . Ja, ja, da laufen diese Leute ungesäubert und ungewaschen im Reiche Gottes aus und ein und denken auch noch wunder, wie sehr sich unser Herrgott freuen muß, daß sie ihm diese Ehre schenken.«

»Und ist Herr von Walde mit den Reformen der Baronin Lessen einverstanden?« fragte Frau Ferber.

»Nach allem, was ich in der Beziehung von ihm höre, wahrscheinlicherweise nicht; aber was hilft das? . . . Der durchstöbert vielleicht im Augenblicke die Pyramiden, um Licht in die alten Zeiten zu bringen; daß seine Frau Kousine unterdes im christlichen Eifer das anrüchige Licht der Gegenwart nach Kräften mit auszublasen sucht, das kann er ja nicht wissen . . . Er mag übrigens auch seinen ganz gehörigen Sparren haben . . . Der Fürst von L., dem er sehr nahe steht, soll in früheren Jahren lebhaft eine Verbindung zwischen ihm und einer jungen Dame am Hofe gewünscht haben; er hat, dem Vernehmen nach, die Partie ausgeschlagen, weil das Fräulein nicht die erforderliche Anzahl Ahnen besitze.«

»Nun, da kann es sich wohl ereignen, daß er einstmals eine schöne Fellahtochter, die ihre Ahnen noch unter den Mumien von Memphis suchen darf, als Herrin in das reizende Lindhof einführt?« meinte lachend Elisabeth.

»Ich glaube überhaupt nicht, daß er sich noch verheiratet,« entgegnete der Oberförster. »Er ist nicht mehr ganz jung, hängt viel zu sehr am Wanderleben und soll sich auch im ganzen nie was aus Weibsleuten gemacht haben . . .. Ich will gleich meinen kleinen Finger verwetten, daß der da drunten mit dem Buche in der Hand diese meine Ansicht teilt und Lindhof und alle die anderen schönen Besitzungen in Sachsen und Gott weiß wo noch im innersten Schrein seiner Seele als unverlierbares Eigentum betrachtet.«

»Hat er Ansprüche daran?« fragte Frau Ferber.

»Freilich wohl. Er ist der Sohn der Baronin Lessen. Außer dieser Familie haben die Geschwister von Walde keine Verwandten in der ganzen weiten Welt. Die Baronin war zuerst mit einem Herrn von Hollfeld verheiratet; aus dieser Ehe stammt der junge Mann da drunten, der durch den frühen Tod seines Vaters Herr von Odenberg, einer großen Besitzung jenseits L., geworden ist. Die schöne Witwe hat damals gemeint, sie müsse eiligst ihre Freiheit benützen, um wenigstens noch eine Staffel auf der Leiter menschlicher Glückseligkeit und Vollkommenheit zu ersteigen; diese Staffel aber konnte natürlicherweise nur der Freiherrnrang sein, und deshalb wurde Frau von Hollfeld eines schönen Tages die Gemahlin des Baron Lessen. Sein Name war zwar etwas anrüchig, es klebten einige Thatsachen daran, die man in niedrigerer Sphäre spießbürgerlicherweise unehrenhaft nennt, aber das schadete nichts, er war ja auch Kammerherr, der Schlüssel am Rockknopfe schließt das Hofparadies auf, und davor müssen sich selbst die gewaltigen Schlüssel des heiligen Petrus verstecken, trotz aller Verheißungen, die sie einst wahrmachen sollen. Der Baron machte übrigens nach zehnjähriger Ehe seine Gemahlin abermals zur Witwe und hinterließ ihr, außer einer kleinen Tochter, eine enorme Schuldenlast . . . Es mag ihr nun freilich gefallen, in Lindhof unumschränkt die Herrin spielen zu dürfen, denn wie ich höre, hat sie auf dem Gute ihres Sohnes weder Sitz noch Stimme.«

Eine Magd aus dem Forsthause unterbrach hier das Gespräch, indem sie, mit Scheuereimer und Kehrbesen bewaffnet, durch unzweideutige Bewegungen zu erkennen gab, daß jetzt ihr Herrscheramt hier beginne. Das Fernrohr wurde eiligst zusammengeschraubt, und während der Oberförster daran ging, die Fenstersimse an der Gartenseite von den Umarmungen der Schlingpflanzen vollends zu befreien, nahmen Frau Ferber und Elisabeth die inmitten der Zimmer zusammengestellten Möbel in Angriff, um deren ursprünglichen Glanz mittels Staubtuch und Bürste wiederherzustellen.


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