E. Marlitt
Goldelse
E. Marlitt

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2.

Während des endlosen Weges durch krumme und gerade, dunkle und helle Straßen genoß Elisabeth schon im Geiste das Behagen, das sie beim Eintritt in das heimische Stübchen stets überkam. Da saß, von der kleinen Schirmlampe mild beleuchtet, der Vater am Schreibtische, lächelnd das blasse Gesicht erhebend, wenn er Elisabeths Schritte hörte. Er nahm die Feder, die den ganzen Nachmittag über das Papier geflogen war, in die linke Hand und zog mit der rechten seine heimkehrende Tochter zu sich nieder, um einen Kuß auf ihre Stirn zu drücken. Die Mutter, die, den Nähkorb zu ihren Füßen, gewöhnlich neben ihm saß, um den schwachen Lampenschimmer möglichst nahe zu haben, begrüßte sie mit einem zärtlichen Lächeln und zeigte auf Elisabeths Hausschuhe, welche sie vorsorglich in das warme Zimmer getragen hatte. Auf der heißen Ofenplatte zischten einige Aepfel, und drüben in der dunklen, behaglichen Ecke neben dem Ofen summte die kleine Theemaschine auf dem Sofatische, welche nebenbei mit ihrer schwachen, blauen Flamme eine ganze Kompanie Bleisoldaten zu beleuchten hatte, die der sechsjährige Ernst, Elisabeths einziges Brüderlein, exerzieren ließ.

Vier Stockwerke mußte Elisabeth ersteigen, ehe sie den schmalen, dunklen Korridor erreichte, der zu der elterlichen Wohnung führte. Hier nahm sie eiligst den Hut ab, zog eine neue, mit Pelz verbrämte Knabenmütze unter dem Mantel hervor und drückte sie auf ihr blondes Haar. So trat sie in das Zimmer, wo der kleine Ernst alsbald mit einem Freudenschrei auf sie zulief.

Heute aber war die dunkle Ecke am Ofen hell beleuchtet, und der Schreibtisch stand verlassen im Dunkel, der Vater saß auf dem Sofa und hielt die Mutter umschlungen; auf den Gesichtern beider aber lag ein eigentümlicher Glanz, und wenn auch die Mutter verweint aussah, so erkannte Elisabeth doch auf den ersten Blick, daß die Thränen aus Freude geflossen waren. Erstaunt blieb sie an der Thür stehen und mochte mit diesem Gesichtsausdrucke unter der schief aufgedrückten Mütze wohl sehr komisch aussehen, denn beide Eltern lachten laut. Elisabeth stimmte fröhlich ein in das Gelächter und setzte die Pelzkappe auf den dunklen Lockenkopf des kleinen Bruders.

»Da, Herzensjunge, « sagte sie, indem sie zärtlich sein blühendes Gesichtchen zwischen ihre beiden Hände nahm und küßte, »die gehört dir. Und auch dem Mütterchen bringe ich etwas mit in die Wirtschaft,« fuhr sie glückselig lächelnd fort und legte der Mutter vier blanke Thaler in die Hand, »ich habe heute meine ersten fünf Thaler Honorar im Institut erhalten.«

»Aber Elsbeth,« sagte die Mutter mit feuchtem Auge, indem sie das Töchterlein zu sich niederzog, »Ernsts vorjährige Wintermütze sieht noch ganz anständig aus, und du hättest viel nötiger ein Paar warme Handschuhe gebraucht.«

»Ich, Mutter? Fühle doch meine Hände an, ich komme eben von der Straße, und sie sind so warm, als hätten sie im Ofen gesteckt . . . nein, das wäre geradezu Luxus. Unser Junge ist größer und stärker geworden, die Mütze aber nicht, drum war diese Ausgabe im Augenblick die nötigste.«

»Ach, du liebe, gute Elsbeth!« rief entzückt der Kleine, »eine solche schöne Mütze hat ja nicht einmal der kleine Baronsjunge unten im ersten Stock . . . Die wird aufgesetzt, wenn ich auf die Jagd gehe, gelt, Papa?«

»Auf die Jagd?« lachte Elisabeth, »du willst wohl auf die unglücklichen Spatzen im Tiergarten schießen?«

»Falsch geraten, Jungfer Else!« jubelte der Kleine. »Ja, im Tiergarten,« fügte er ernsthaft hinzu, »da würde ich schön ankommen . . . nein, im Walde, im wirklichen Walde, wo es von Hirschen und Hasen wimmelt, so daß man gar nicht erst zu zielen braucht, wenn man einen schießen will.«

»Nun, ich bin sehr neugierig, was der Onkel zu dieser Ansicht vom edlen Weidwerke meint,« sagte lächelnd der Vater, dann nahm er einen Brief vom Tische und gab ihn dem jungen Mädchen.

»Lies dies Schreiben, mein Kind,« sagte er, »es ist vom Försteronkel, wie du ihn nennst, aus Thüringen.«

Elisabeth überflog die ersten Zeilen, dann aber las sie laut:

. . . »Der Fürst, dem ein Teller Sauerkraut mit Rauchfleisch bei mir besser zu schmecken scheint als die Pasteten seines französischen Kochs im Schlosse zu L., blieb vorgestern mehrere Stunden bei mir im Forsthause. Er war sehr leutselig und sagte mir, er wolle mir noch eine Art Forstschreiber beigeben, denn er sehe ein, daß zu viel auf meinen Schultern liege. Da nahm ich die Gelegenheit beim Schopfe, das Wild stand schußrecht, und wenn es entwischte, so riskierte ich höchstens ein paar Rehposten ins Blaue hinein, was ich mir freilich sonst nicht passieren lasse.

»Ich erzählte ihm also, daß Dich das Schicksal seit einer Reihe von Jahren verteufelt aufs Korn genommen habe und Dich zwänge, bei Deinen schönen Kenntnissen und Talenten am Hungertuche zu nagen. Der alte Herr wußte gleich. wo ich hinaus wollten denn ich sprach gut deutsch, wie immer, und bis jetzt hat mich auch noch keiner falsch verstanden, – es müßten denn die vornehmen Bisambüchsen und Katzenbuckel sein, die um den Herrn scherwenzeln und ihm am liebsten weismachen möchten, das ehrliche Deutsch sei zu grob für fürstliche Ohren, und man könne nur auf französische Art mit ihm reden . . . Nun, der alte Herr meinte also, er sei geneigt, Dich als Forstschreiber anzustellen, weil er mich – nun, hier hat er mir einige Dinge gesagt, die Du nicht zu wissen brauchst, über die ich alter Kerl mich aber ebenso gefreut habe, wie dazumal, als unser alter Schulmeister nach dem Examen zu mir sagte. ›Karl, du hast deine Sache wacker gemacht.‹ . . . Nun hat mir der Durchlauchtigste aufgetragen, dir darüber zu schreiben, und er will auch die nötigen Befehle geben – dreihundertundfünfzig Thaler Gehalt, Holzbedarf frei. Ueberlege Dir's, das Ding ist so übel nicht, und der grüne Wald ist mir doch tausendmal lieber, als eure vermaledeiten Dachkammern, wo Nachbars Katzen miauen, und wo der Rauch aus Millionen Kaminschlünden euch in die Augen beißt.

»Daß Du mir nun aber nicht etwa denkst, ich sei auch so einer von den Fuchsschwänzen, welche die Gnade ihres Herrn benutzen, um ihre Angehörigen ins Aemtchen zu bringen. Siehst Du, wenn Du nicht wärst, was Du bist, d. h. wenn Du Deine Sache nicht gelernt hättest, da biß ich mir eher die Zunge ab, als daß ich meinen Herrn mit Dir betrügen möchte; hinwiederum würde ich jeden wildfremden Menschen mit Deinen Kenntnissen und Gesinnungen eben so warm empfehlen, wie Dich . . . Nichts für ungut, aber Du weißt es ja, daß ich niemals ein Freund von unklaren Begriffen gewesen bin.

»Da kommt nun aber noch ein Kasus, der besprochen sein will. Eigentlich müßtest Du bei mir wohnen, und das ginge auch, wenn Du ein Junggeselle wärst, der nur vier Wände für sein Ich und einen Kommodenkasten für seine Vatermörder und dergleichen Zeugs brauchte. Für eine ganze Familie habe ich jedoch schlechterdings keinen Platz in meinem einsamen, alten Rattenneste von Forsthaus, das längst eine eingreifende Kur nötig hätte; aber die gestrengen Herren von droben denken nicht eher dran, als bis die einbrechenden Balken den Streusand über die einhundertundfünfzigste Eingabe schütten. Das nächste Dorf ist über eine halbe, die nächste Stadt eine ganze Stunde entfernt vom Forsthause – läßt sich durchaus nicht einrichten; denn Du kannst bei dem Hundewetter, wie wir's zum öftern hier erleben, nicht so weit laufen.

»Da hatte aber die alte Sabine, meine Haushälterin, die hier im nächsten Dorfe geboren ist, einen pudelnärrischen Einfall. Das alte Schloß Gnadeck – der brillante Nachlaß des hochseligen Herrn von Gnadewitz – liegt, wie ich Dir schon schrieb, ungefähr einen Büchsenschuß weit vom Forsthause. Nun meinte Sabine, als sie noch eine rüstige Dirne gewesen sei – das ist, nebenbei gesagt, weit über ein Vierteljahrhundert her – da hat sie als Stubenmädel bei den Gnadewitzens gedient. Damals sei das neue Schloß noch nicht vollständig eingerichtet gewesen und habe nicht ausgereicht für die vielen Gäste, die jedes Jahr die großen Jagden mitgemacht hätten. Da sei nun der sogenannte Zwischenbau auf Schloß Gnadeck – wahrscheinlich ein Verbindungsgebäude zwischen zwei Hauptflügeln des Schlosses – ein wenig aufgefrischt und hergerichtet worden. Sie selbst hat droben die Betten machen und lüften müssen, wobei sie sich immer sehr gefürchtet haben will. Na, ich glaub's gerne; es steckt ja ohnehin unter der alten Bandmütze ein ganzer Wust von Teufelsspuk und Hexengeschichten , sonst ist sie aber eine ganz respektable Person, die meinen Haushalt am Schnürchen hat.

»Sie behauptet nun steif und fest, der Bau könne noch nicht so arg zerfallen sein; denn er habe damals sehr fest ausgesehen und gebe doch vielleicht für Dich und die Deinen noch eine ganz hübsche Wohnung. Möglich wär's schon; aber ob Deine Kinder sich nicht vor dem Hans Ruprecht und dergleichen fürchten, wenn sie in dem alten Mauerwerke hausen sollen?

»Du weißt, daß ich mich schwer geärgert habe über das nichtsnutzige Vermächtnis des . ›hochseligen Herrn von Gnadewitz‹, und es deshalb nicht über mich gewinnen konnte, das alte Nest, seit meiner Versetzung hierher, auch nur ein einziges Mal anzusehen. Auf Sabines Aussage hin hat mir jedoch einer meiner Burschen gestern nachmittag auf einen Baum klettern müssen, an der einzigen Stelle, wo man in das Kuckucksnest sehen kann; er sagt aber, es liege da drin alles durcheinander wie Kraut und Rüben. Da war ich nun heute morgen drin in der Stadt bei den Herren vom Gericht; aber sie gaben mir die Schlüssel nicht heraus ohne eine Vollmacht Deiner Frau und thaten überhaupt so ängstlich, als lägen die Schätze von Golkonda in den alten Rumpelkammern. Keiner von denen, die damals versiegelt haben, konnte mir sagen, wie's drin aussieht; denn sie waren wohlweislich draußen geblieben, in der Meinung, es möchten einige Zimmerdecken die Freundlichkeit haben, auf ihre weisen Köpfe zu fallen, und haben sich begnügt, das Hauptthor mit einem Dutzend handgroßer Amtssiegel zu beklecksen. Wäre mir nun am allerliebsten, wenn wir die Dinge in Gemeinschaft besehen und überlegen könnten; deshalb entscheide Dich möglichst rasch und mache Dich dann mit den Deinen auf den Weg –«

Hier ließ Elisabeth das Blatt sinken und richtete die leuchtenden Augen in atemloser Spannung auf Ferber.

»Nun, und was hast du beschlossen, lieber Vater?« fragte sie hastig.

»Je nun,« erwiderte dieser mit ernstem Gesichte, »es wird mir einigermaßen schwer, dir meinen Entschluß mitzuteilen, denn ich sehe deutlich an deinem Gesichte, daß du das schöne, volksbelebte B. nicht um alles in der Welt mit der Waldeinsamkeit vertauschen möchtest. Indes, erfahren mußt du trotzdem, daß dort auf dem Schreibtische meine Bitte um die Stelle an den Fürsten von L. bereits konvertiert und versiegelt liegt . . . Es ist aber nicht mehr als billig, daß wir auch deine Wünsche dabei in Erwägung ziehen und deshalb sind wir durchaus nicht abgeneigt, dich hier zu lassen, falls –«

»Ach nein, wenn Elsbeth nicht mitgeht, dann will ich lieber auch hier bleiben!« unterbrach ihn der kleine Ernst, indem er sich angstvoll an die Schwester schmiegte.

»Sei du nur ruhig, mein Herzchen,« sagte Elisabeth lachend, »ich finde schon meinen Platz auf dem Wagen, und wenn nicht, nun, so weißt du, ich bin mutig wie ein Soldat und kann laufen wie ein Hase. Als Kompaß habe ich die Sehnsucht nach dem grünen Walde bei mir, die schon, als ich noch ein ganz, ganz kleines Kind war, einen großen Winkel in meiner Seele eingenommen hat. So geht es tapfer und bescheidentlich vorwärts auf meinen zwei eigenen Füßen, und was will dann Papa machen, wenn eines Abends ein armer, müder Wanderer mit zerrissenen Schuhen und leerer Tasche vor dem alten Schloßthore erscheint und Einlaß begehrt?«

»Freilich müßten wir aufmachen,« rief lächelnd der Vater, »wenn wir nicht die Rache aller guten Geister, die ein mutiges Herz beschützen, auf unser morsches Dach herabbeschwören wollten! . . . Uebrigens wirst du wohl an dem alten Schlosse vorüberziehen und an irgend eine einsame Bauernhütte im Walde anklopfen müssen, wenn du uns finden willst; denn in dem Trümmerhaufen wird sich schwerlich ein Asyl für uns einrichten lassen.«

»Das fürchte ich auch,« meinte die Mutter. »Wir arbeiten uns mühsam durch Hecken und Gestrüpp, wie ehemals Dornröschens unglückliche Befreier, und finden endlich –«

»Die Poesie!« rief Elisabeth. »Ach, dann wäre ja schon der erste Duft von unserem Waldleben abgestreift, wenn wir nicht im alten Schlosse wohnen könnten! Vier feste Mauern und eine guterhaltene Zimmerdecke werden doch wahrhaftig noch in einem Turme oder dergleichen zu finden sein, und das übrige läßt sich mit Nachdenken und willigen rüstigen Händen leicht beschaffen . . . Wir stopfen Moos in etwaige Mauerritzen, nageln Bretter über unbequeme Thürbogen, die keinen Flügel mehr haben, und tapezieren unsere vier Wände selbst. Auf den zerbröckelten Estrichfußboden legen wir eigenhändig geflochtene Strohmatten, erklären den kleinen vierfüßigen Leckermäulern in grauen Samtröckchen, die unsern Speiseschrank attackieren, ernstlich den Krieg und gehen mit dem Kehrbesen tapfer auf die großen Spinnen los, die über unsern Köpfen hängend, in aller Ruhe überlegen, ob sie sich nicht häuslich darauf niederlassen sollen.«

Mit verklärten Augen, ganz versunken in ihre Träumereien von dem demnächstigen Leben im frischen, grünen Walde, trat sie dann ans Klavier und schlug den Deckel zurück. Es war ein altes, ausgespieltes Instrument, dessen schwache, heisere Töne vollkommen harmonierten mit dem herabgekommenen Aeußeren; allein das Mendelssohnsche Lied. »Durch den Wald, den dunkeln, geht u. s. w.« klang trotzdem hinreißend unter Elisabeths Fingern.

Die Eltern saßen lauschend auf dem Sofa. Der kleine Ernst war eingeschlafen. Draußen hatte das Toben des Sturmes aufgehört; aber an unverhüllten Fenstern vorüber sank in wirbelnden Flocken massenhaft und lautlos der Schnee. Die gegenüberliegenden Schornsteine, die nicht mehr dampften, setzten langsam eine dicke, weiße Nachtmütze auf und blickten steif und kalt, wie das verdrießliche Alter, hinüber in die keine Mansardenstube, die mitten im Schneegestöber hellen Frühlingsjubel in sich schloß.


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