Eugenie Marlitt
Das Eulenhaus
Eugenie Marlitt

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29.

Im Garten des Eulenhauses blühten Leberblümchen, und gelbe, blaue und weiße Krokusse lugten aus der schwarzen Frühlingserde hervor. Der alte Heinemann schaffte emsig an seinen Rosenstöcken, nahm ihnen die Winterhülle und band sie an die frisch gestrichenen Pfähle. Die Sonne hatte über Mittag schon heiß auf die alten Grabsteine geschienen, und die jungen Blättchen regten und dehnten sich, sie sehnten sich nach Luft und Licht.

Hinter den blitzblanken Fensterscheiben tauchte Fräulein Lindenmeyers freundliches Gesicht auf. Zuweilen wandte sie redend den Kopf in das Zimmer zurück, dort stand die kleine, runde Ida und legte Wäsche. Die Ida war wieder hier, auf Verlangen der jungen Frau von Gerold, weil diese doch über kurz oder lang nach Neuhaus übersiedeln wollte. Wann? Ja, das wußte niemand. Der Herr Baron war noch immer auf Reisen, und seine junge Gattin trug noch tiefe Trauer um die Herzogin.

Merkwürdig, was heute die schmalen Frauenfüße für eine Unrast entwickelten. Die gnädige Frau war im ganzen Hause umhergestiegen mit dem klappernden Schlüsselbund, hatte in alle Schränke und Spinde geschaut, des Herrn Wäscheschrank nachgesehen und die Kleider des Kindes, sie hatte das Wirtschaftsbuch nachgerechnet und die kleine Haushaltungskasse. Nun schüttelte sie über sich selbst und ihre Unruhe den Kopf, sie begriff sich heute nicht. Sie hatte weder die nötige Sammlung, zu schreiben, noch konnte sie sich heute entschließen, ihr Feierstündchen am Klavier zu halten, worauf sie sich sonst den ganzen Tag schon freute. Sie meinte endlich, es sei am besten, wenn sie einen Spaziergang mache. Da sie ohnehin seit mehreren Tagen Beate und die Kleine in Neuhaus nicht gesehen hatte, beschloß sie, dorthin zu wandern. Vielleicht wußte Beate auch näheres über Lothars Reisepläne. Seine letzten Nachrichten hatte sie aus Mailand empfangen.

Sie hatten sich nicht geschrieben, Klaudine und er, die junge Frau wollte es nicht. »Wir können uns ja mündlich alles erzählen«, hatte sie gebeten, »es ist das so viel schöner. Ich erfahre ja von Beate, ob du gesund bist und wo du weilst.«

Sie band sich den Mantel um, schlug das Spitzentuch über den Kopf und ging hinauf, um sich von Joachim zu verabschieden.

»Wo willst du hin?« fragte er.

»Zu Beate, Joachim.«

Er war aufgestanden und sah sie liebevoll an. »Wie bald wird die Zeit kommen, wo du ganz fortgehst!« sagte er.

»Ich komme mir bei dem Gedanken, daß ich dich eines Tages verlassen werde, schon ganz treulos vor.«

»O mein Liebling, du ahnst nicht, wie froh ich bin, dich glücklich zu wissen!« Und er begleitete sie hinunter bis zur Gartenpforte.

Es senkte sich schon die Dämmerung über die Bäume, die Wolken zogen rasch dort oben am Himmel, aber der Wind, der sie trieb, war lind und weich, und er wehte den Schleier zurück von der weißen Stirn der jungen Frau und beugte die knospenden Äste zueinander, er fuhr über das junge Gras am Wegesrand und erzählte von kommender Herrlichkeit, von Blütenpracht und Sonnenglanz. Mit eiligen Schritten kam sie daher, so schwebend und leicht, als habe sie Flügel. Sie sah bald in die Wellen des Baches, der ihr zur Seite rauschte, das letzte Schneewasser von den Bergen führend, bald in die Wolken hinauf, und Lächeln und Ernst gingen in beständigem Wechsel über ihr Gesicht. Es war ihr so eigen zumute, und einmal sagte sie halblaut: »Wenn er schon da wäre?«

Am Eingang des Neuhäuser Parkes blieb sie stehen. In der Lindenallee rauschte der Wind durch die Äste und das Schloß lag so still und so dunkel. Einen Augenblick wollte mädchenhafte Scheu ihre Füße lähmen, herzklopfend und erglühend lehnte sie an dem Sandsteinpfeiler und wagte nicht, den Fuß in den Garten zu setzen. Wieder kam es wie Ahnung über sie: »Wenn er schon hier wäre?« Noch hatte niemand sie gesehen, das war gut! Sie meinte plötzlich, sie müsse umkehren.

Dann drückte sie sich ängstlich zur Seite, die Allee entlang kam ein Reiter in raschem Trabe. Sie erkannte ihn trotz der tiefen Dämmerung, sie wußte, wohin er reiten würde, und ein unaussprechliches Glücksgefühl bemächtigte sich ihrer. Aber er durfte sie nicht sehen. Dann schrie sie leicht auf, der Jagdhund, der in tollen Sprüngen das Pferd umkreiste, hatte sie erkannt und stürmte auf sie zu. Im nämlichen Augenblick stand das Pferd, sein Reiter warf sich aus dem Sattel und hielt die junge Frau umfaßt.

»Endlich!« sagte er. »Und du bist hier – hab Dank!«

Sie konnte nicht antworten, sie weinte nur. Und als sie langsam dem Hause zuschritten, da sagte sie endlich: »Ich habe gefühlt, daß du hier bist. Wann kamst du, Lothar?«

»Vor einer Viertelstunde, mein Lieb.«

»Wo wolltest du eben hin?« fragte sie, und ein schelmisches Lächeln, das dem ernsten Antlitz wunderbar gut stand, flog um ihren Mund.

»Zu dir, Klaudine«, erwiderte er einfach.

Sie lächelte ihm glückselig zu. »Und nun sollst du auch wissen, Lothar, ich habe dich schon immer geliebt. Gott sei Dank, daß er dein Herz mir zuwendete!«

»Dir zuwendete?« fragte er bewegt. »Ich habe dich geliebt seit dem Tage, wo ich dich so unerwartet im Zimmer der Herzoginmutter traf. Weißt du noch, du sangst das ›Veilchen‹ von Mozart?«

»Und nachher: ›Willst du dein Herz mir schenken‹. Oh, ob ich es weiß! Aber, Lothar, wenn du mich damals schon liebtest –«

»Frage nicht, Klaudine«, wehrte er, »es liegen so schwere, düstere Zeiten dazwischen, Jahre, in denen ich mehr gelitten habe, als ich sagen kann.«

Sie schwieg, sah wieder zu den Wolken empor und drückte sich fester an seinen Arm. Ihr zur anderen Seite ging der Hund, hinter ihnen folgte das Pferd, dessen Zügel Lothar um den Arm geschlungen hatte.

»Nur noch eines«, flüsterte sie zaghaft und sah ihm bittend in das bewegte Antlitz. »Lothar, wenn du mich liebtest, warum hast du mit schneidenden Worten mir weh getan, wo du konntest, mich vor mir selbst erniedrigt, daß ich fast verzweifeln wollte?«

Er blickte sie lächelnd an. »O du Törin, weil ich von Angst und Eifersucht gehetzt war, weil mein Herz krank war vor Sehnsucht nach dir, und weil ich sah, was kommen mußte, weil ich die Welt kannte und ihre Schlechtigkeit und wußte, daß du zu Boden geschmettert sein würdest, wenn sie hereinbrächen über dich, die Verleumdung, die Gemeinheit, weil du, trotziges Kind, es mir so namenlos schwer machtest, über dich zu wachen, endlich, weil du mich nicht verstehen wolltest. – Laß, Klaudine! Die Zeiten liegen hinter uns. Ich habe dich und darf dein Wegweiser sein auf allen Pfaden von dieser Stunde an. Gottlob!«

»Gottlob!« sprach sie ihm leise nach.

Das Pferd ging allein mit gesenktem Kopf zu den Stallungen hinüber. Die beiden stiegen die Freitreppe empor, Baron Gerold öffnete die Tür.

»Tritt ein in dein Haus, Klaudine«, sagte er bewegt, »es soll unsere Heimat bleiben, nicht die Welt da draußen, wenn du es willst!«

Sie lachte unter Tränen: »Ob ich will? Vertraust du mir noch immer nicht? Nichts will ich weiter auf der ganzen Welt!«


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