Eugenie Marlitt
Das Eulenhaus
Eugenie Marlitt

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20.

Die Herzogin hatte sich gleich nach der Rückkehr in ihr Schlafgemach zurückgezogen und sich zur Ruhe begeben. Sie hatte ihr kühlendes Himbeerwasser getrunken und lag, die Arme unter dem Haupt, in ihrem stillen Zimmer. Zuweilen hustete sie und ihre Wangen begannen zu glühen.

Es war zuviel gewesen für sie, dieses rauschende Fest, sie hätte im Krankenzimmer bleiben sollen, wo sie hin gehörte – aber es ist doch so hart, so jung noch und schon so gebrechlich! Ob es je besser wird?

Sie griff an ihre linke Seite, sie fühlte da einen sonderbaren dumpfen Schmerz. »Merkwürdig, was kann es nur sein?« Wie lähmende eiskalte Angst kroch es durch ihre Adern und legte sich betäubend auf ihr Denken.

»Unmöglich!« flüsterte sie. Sie wußte plötzlich, woher der dumpfe Schmerz kam. »Unmöglich!« Sie richtete sich energisch im Bette auf und schaute um sich, als wolle sie sich vergewissern, daß sie wach sei, daß kein schwerer Traum sie quäle.

Die Herzogin ergriff einen elfenbeingefaßten Handspiegel und schaute hinein. Zwei tief eingesunkene Augen, ein mageres, gelbliches Gesicht sahen ihr in der mattrosigen Beleuchtung entgegen. Sie ließ den Spiegel auf die Bettdecke fallen und legte sich zurück, ein qualvolles Erschrecken auf ihren Zügen. »O du lieber Gott!« flüsterte sie. Und sie nahm das Bild des Herzogs vom Tischchen neben ihrem Bette, starrte das schöne, stolze Gesicht an und drückte es dann leidenschaftlich an ihre Lippen.

Oh, sie wußte am besten, wie sehr man diesen Mann lieben mußte!

Das Bild an die Brust gedrückt unter ihren gefalteten Händen, blieb sie liegen, die Blicke unverwandt ins Leere gerichtet. Klaudines hinreißende Erscheinung, wie sie dieselbe vor ein paar Stunden gesehen hatte, gaukelte vor ihren Augen, sie sah sie neben dem Herzog bei Tische, beim Tanz unter den Linden – das Mädchen hatte so oft die Farbe gewechselt. – Wie war sie nicht stets befangen, wenn Seine Hoheit ins Zimmer trat! Sie wollte immer so ungern singen, wenn er zugegen war!

»Arme Klaudine! Eine schöne Freundin, die hier an dich denkt, die dich erst mit aller Gewalt herangezogen hat, um dann an dir zu zweifeln!«

Nein, sie zweifelte gar nicht. Unerhörter Klatsch! Die kleine Prinzessin war bisweilen nahezu unbegreiflich!

Die Herzogin lächelte, und dennoch standen plötzlich perlende kalte Schweißtropfen auf ihrer Stirn, und durch das summende Geräusch des aufgeregten Blutes in ihren Ohren war ein heller unbarmherziger Glockenton, die Stimme der Prinzessin, gedrungen – »Hoheit wollen nicht sehen, Hoheit wollen nicht verstehen!« – so bestimmt, so entsetzlich unabweisbar. Die heißen Hände drückten das Bild fester gegen das unruhige, laut klopfende Herz. Ihre Lippen flüsterten: »Lieber tot, als das erleben – laß mich sterben, guter Gott, laß mich sterben!«

Ihr ganzes Eheleben zog vor ihren Augen vorüber. Sie selbst hatte den Altar ihres Glückes verschwenderisch mit Rosen geschmückt. Sollte sie übersehen haben, daß er ohne das ein recht schmuckloser gewesen? Daß sie allein davor gebetet hatte?

Wie kam sie nur darauf? Nein, sie hatte sich nicht hineinphantasiert in dieses Glück, sie besaß es wirklich! Er war doch stets so freundlich, so nachsichtig, so ritterlich gewesen, besonders jetzt, wo sie krank war.

Freundlich? Nachsichtig? Ist das alles, was die Liebe geben kann? Sie stöhnte auf, es schien ihr plötzlich, als sei ein Schleier von ihren Augen gerissen und lasse sie in eine grenzenlose Nüchternheit und Ärmlichkeit schauen.

Aber niemals hatte er ihr doch einen Grund zur Eifersucht gegeben, dieser bürgerlichen Leidenschaft, wie Prinzeß Thekla sagte, die einer Fürstin unwürdig sei.

»Ich kenne diese Leidenschaft nicht«, hatte sie damals geantwortet, »ich habe noch, Gott sei Dank, keine Gelegenheit dazu gehabt.« In diesem Augenblick aber fühlte die regierende Herzogin, die königliche Prinzessin, daß auch sie dieser Leidenschaft verfallen war in furchtbarem Grade, daß auch sie auf dieser Folterbank liegen werde, ohne Rettung.

Wieder blickte sie in den Spiegel, dann schlug sie die Hände vor die Augen. War sie denn blind gewesen? Was konnte sie ihm noch sein, sie, die Kranke, dem Grabe Zuwankende? Nichts, nichts als eine Last.

Aber konnten sie nicht warten, bis sie tot war? Wie lange würde es denn noch dauern? »Ach, nur Schonung, Mitleid so lange, nur so lange! Erbarmt euch!«

Sie sank zurück in einem ohnmächtigen Zustande, unfähig sich zu bewegen und doch fühlend, daß sie wache, daß es entsetzliche Wirklichkeit sei, daß ihr Schicksal die lächelnde Maske abgeworfen hatte, um sein wirkliches Antlitz zu zeigen, ein trostloses, verzweiflungsvolles Antlitz.

Der kalte Schweiß rieselte ihr über die Stirn, mit einer entsetzlichen Anstrengung schnellte sie endlich empor und riß in wilder Verzweiflung an der Klingel. Erschreckt stürzte die Kammerfrau herzu.

»Die Fenster auf!« stöhnte die Herzogin, im Bette sitzend, »ich ersticke!«

Die Kammerfrau eilte zum Fenster, raffte die Vorhänge zurück und da brach der erste funkelnde dunkelglühende Strahl der Morgensonne in das Gemach und traf das geängstigte fieberhaft erregte junge Weib auf seinem Lager.

Sie starrte wie fragend hinaus in diese wunderbar schöne Welt, über die im Morgenwind zitternden Wipfel der Bäume des Parkes hinweg zu den blaugrünen tannenbewaldeten Bergen. Sie atmete die reine, frische Luft, sie hörte das Zwitschern der Vögel im Geäst und sie brach in Tränen aus, in Tränen der Scham über ihre Verzweiflung, über ihr Mißtrauen.

Lange noch lag sie schluchzend und schlief endlich ein. Als sie erwachte, saß Klaudine an ihrem Lager.

Sie ordnete einen Strauß Rosen, die sie von Heinemanns Stöcken erbeten hatte, und war damit so lautlos emsig beschäftigt, daß sie nicht merkte, wie die Augen der Herzogin schon eine ganze Weile auf ihr ruhten. Als sie aufblickte, ging ein froher Zug über ihr sorgenvolles Gesicht.

»O, du!« rief sie und kniete an dem Bette nieder mit ihren Rosen. »Wie hast du mich erschreckt, Elisabeth! Was fehlt dir? In aller Morgenfrühe ließ mich Frau von Katzenstein schon holen. Ist dir das Fest gestern nicht bekommen?«

Die Herzogin hatte den Kopf schwer auf die Hand gestützt und unverwandt in das schöne Antlitz, aus dem Angst und Betrübnis so deutlich sprachen, geblickt. Dann strich sie wie liebkosend über das duftige Blondhaar. »Mir ist schon besser«, sagte sie leise, »wie gut, daß du gekommen bist!«

Sie blieb stumm während des ganzen Vormittags, aber sie folgte Klaudine immerwährend mit den Augen. Gegen Mittag wollte sie aufstehen, aber sie taumelte wie eine Trunkene und mußte wieder zu Bette.

»Bleib bei mir, Klaudine«, bat sie.

»Ja, Elisabeth.«

Die Kranke machte die müde zugesunkenen Augen auf, und als wundere sie sich über diese rasche Zusage, fragte sie: »Du kannst doch ohne Sorge fort von daheim?«

»Sprich davon nicht, Elisabeth. Selbst wenn es dort eine Lücke gäbe, ich würde dennoch kommen. Ich schreibe ein paar Worte an Joachim und lasse mir einiges notwendige holen. Ängstige dich nicht!«

»Erzähle mir etwas«, bat die Herzogin gegen Abend. Sie hatte den Tag über fast regungslos mit geschlossenen Augen gelegen.

»O gern, Elisabeth, aber was?«

»Aus deinem Leben.«

»Ach Gott, da ist wenig zu berichten. Ich meine, Elisabeth, du kennst das alles.«

»Alles?«

»Ja, meine liebe Elisabeth!«

»Hast du niemals eine Neigung gehabt, Dina?«

Über des Mädchens Gesicht flog ein glühendes Rot; langsam neigte sie den Kopf.

»Laß das, Elisabeth«, bat sie mit erstickter Stimme; »frage nicht weiter – ich –«

»Kannst du es mir nicht sagen?« sprach die Herzogin leise und dringend. »Schenke mir dein Vertrauen, Dina, schenke es mir. Du weißt doch alles von mir.«

In diesem Augenblick meldete die Kammerfrau den Herzog, und fast verstört erhob sich das schöne Mädchen und trat mit einer Verbeugung an ihm vorüber in das Nebenzimmer.

»Klaudine! Klaudinel« rief die Kranke, und als sie zurückeilte, deutete die Herzogin auf den Sessel neben ihrem Bette. »Bleib hier!« sagte sie herrisch. Es war zum erstenmal, daß sie so zu ihr sprach.

Gehorsam setzte sich Klaudine. Sie hörte, wie teilnehmend der Herzog mit der Kranken redete, wie er hoffte, daß sie morgen doch wieder an dem Fest im Garten teilnehmen könne, daß sicher auch Mama erscheinen werde.

»Ich will mir Mühe geben, gesund zu werden«, erwiderte sie.

»Das ist prachtvoll, Liesel! Gib dir Mühe«, lachte der Herzog. »Wenn alle Kranken so dächten, gäbe es weniger Patienten. Der Wille tut wirklich etwas zur Genesung, frage nur den Medizinalrat.«

»Ich weiß es, ich weiß es«, sagte sie hastig.

»Ich meine, du hast dich einfach erkältet, mein Kind«, sprach der Herzog weiter. »Du mußt durchaus mehr geschont werden, Nachtluft ist nichts für dich. Zum Winter gehst du auf jeden Fall nach dem Süden.«

»Zum Winter!« dachte sie bitter und sagte laut mit völlig ungewohntem Trotz: »Ich will mich aber nicht mehr schonen!«

Seine Hoheit schaute verwundert auf das sonst so fügsame Geschöpf. »Du bist in der Tat angegriffen«, erwiderte er, und sich zu Klaudine wendend, sagte er, dem Gespräche eine andere Wendung gebend: »Ihr Vetter hat gestern aber in Wahrheit ein reizendes Fest veranstaltet. Welch geschmackvolle Anordnung und welch eigenartige Trachten! Die Ihrige zum Beispiel, gnädiges Fräulein, einfach großartig! Nicht, Elisabeth?«

»Ich kann das Sprechen nicht ertragen, Adalbert, bitte – geh«, sagte die Kranke mit nervös zuckender Lippe. Und als er mit einer ungeduldigen Bewegung zurücktrat, reichte sie ihm ängstlich die Hand, während ihre Augen in Tränen schimmerten: »Verzeiht mir!« Und dann faßte sie Klaudines Hand, und sie mit ihrer heißen Rechten haltend, legte sie sich zurück und schloß die Augen.

Er war gegangen.

Der Himmel hatte sich indessen mit schweren dunklen Wolken bezogen, gewitterschwül und beängstigend war die Luft. In der trüben Regenbeleuchtung sah das Gesicht der Herzogin aus wie das einer Toten. So lag sie unbeweglich, und so saß Klaudine neben ihr, stundenlang.


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