Eugenie Marlitt
Das Eulenhaus
Eugenie Marlitt

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25.

Die Operation war vorüber. Die Herzogin hatte Farbe bekommen und ihr Puls schlug kräftiger. Das gesunde Lebensblut Klaudines schien ihr neue, frische Kraft verliehen zu haben, es war wie ein Wunder. Sie lag sanft schlafend, wahrend in das geöffnete Fenster der duftige Hauch der Sommernacht wehte und eine tiefe Stille in dem Gemach herrschte. Regungslos saß die Schwester im Schatten des Bettvorhanges, so daß man nur die sanften regelmäßigen Atemzüge der Kranken hörte.

Klaudine stand in ihrem Zimmer mit verbundenem Arm. Sie fühlte sich matt. Das war aber nicht allein die Folge des fehlenden Blutes, die ganze Aufregung des Tages machte sich geltend. Ihre Füße wollten sie kaum noch tragen, und dennoch wies sie mit einer an Eigensinn grenzenden Hartnäckigkeit die Aufforderung, sich zu legen, zurück. Sie habe noch mit Baron Gerold zu sprechen, sagte sie, und wünsche dann sofort nach Hause zu fahren.

Die alte Herzogin, die ihr vom Bette Ihrer Hoheit in überströmendem Dankgefühl nachgefolgt war, bat wie eine besorgte Mutter, doch heute von dieser Unterredung abzusehen, nach der Operation müsse sie sich schonen, allein Klaudine blieb bei ihrem Verlangen. »Ich tue nichts halb!« erklärte sie mit ungewöhnlicher Ruhe.

Der Professor, den man zu Hilfe rief, wurde fast unangenehm. »Gut«, sagte der durch sein strenges Wesen bekannte Herr, »so mag denn diese Unterredung stattfinden, aber die Fahrt muß unterbleiben. Und nun trinken Sie ein Glas Wein!« Er hielt ihr mit einer Miene, die keinen Widerspruch zuließ, das Glas an die Lippen. Widerstrebend nippte sie ein wenig. Als sie aber Schritte auf dem Flur hörte, wandte sie das Antlitz der alten Herzogin zu: »Hoheit wollen mir gestatten, allein mit meinem Vetter zu reden!«

Die alte Hoheit zog sich kopfschüttelnd und betrübt zurück. Frau von Katzenstein und der Professor folgten ihr.

»Alles Glück mit Ihnen, lieber Baron«, flüsterte die Herzogin draußen dem blassen Manne zu, der sie beim Vorübergehen mit einer tiefen Verbeugung grüßte.

Fast ungestüm trat er ein. Er war zuletzt ruhelos im Parke umhergewandert, wo ihn der suchende Diener gefunden hatte. Seine erschreckten Blicke fielen auf die Binde, in der Klaudines Arm hing, auf das lose weite Morgenkleid, auf die halbgelösten Haare und das farblose, entstellte Gesicht des schönen Mädchens.

Was ging hier vor? fragten seine Augen, aber über seine Lippen kam kein Wort, er deutete nur stumm auf den Verband am Arme.

»Eine Kleinigkeit«, erwiderte sie, indem sie auf einen Stuhl wies, »nichts weiter als eine winzige Wunde, entstanden durch das Instrument des Arztes, der etwas Blut für die Herzogin brauchte. Kommen wir nun zur Sache, Baron!«

»Und das sagen Sie, als ob es so gar nichts wäre?« rief er außer sich. »Wissen Sie, daß das gleichbedeutend sein kann mit dem Tode?«

»Sie vergessen, daß eine Autorität die Operation leitete, und – wenn auch –«

»Sie haben freilich auch so gar niemand auf der Welt, dem Sie Schmerz bereiten würden, keinen, den Sie vorher fragen mußten: ›Darf ich es tun? Habe ich das Recht, meine Gesundheit, möglicherweise mein Leben, aufs Spiel zu setzen?‹«

»Doch«, erwiderte sie, »einen habe ich – Joachim – aber es war keine Zeit dazu.«

»Joachim!« wiederholte er mit der nämlichen Bitterkeit. »Ich, der ich eben um Ihr Leben gebeten hatte für mich, für mein Kind, ich war Ihnen keines Gedankens wert!«

Ihr war es plötzlich, als erfasse sie ein Schwindel, und sie ließ sich erschöpft in den Sessel nieder, neben dem sie gestanden hatte.

»Ich wollte ja mit Ihnen darüber reden«, begann sie wieder und sah an ihm vorbei, »ich versprach es der Herzoginmutter. Es soll nicht lange dauern. Sie sind so unsagbar großmütig, Vetter – ich weiß in der Tat nicht, wie ich Ihnen danken soll. Ich könnte es eigentlich nur, indem ich Ihre Großmut zurückweise und –«

Er stand unbeweglich und sah sie an.

»Und das würde heißen«, fuhr sie fort, »ein Mittel zurückweisen, welches einer Schwerkranken das Leben etwas verlängern könnte. So sagt die Herzoginmutter. Ich darf es also nicht. Vergeben Sie mir! Aber ich mache Ihnen einen Vorschlag: verlobt sein, heißt nicht verheiratet sein. Wenn die Herzogin genesen sollte, so – so gehen wir auseinander, wenn sie sterben sollte – natürlich ebenfalls, es gilt ja nur ein Beruhigungsmittel, es ist ein wenig gewaltsam, ich weiß, aber – eine Verlobung ist nur ein Versprechen, und bekanntlich werden nicht alle Versprechen gehalten. Gott weiß, wie oft es geschehen mag, daß zwei sich trennen vor der Ehe, es ist keine Schande – ich – ich –«

Sie hatte rasch und immer rascher gesprochen. Jetzt lehnte der blonde Kopf schwach und mit geschlossenen Augen an den Polstern. Er war näher getreten, in seinem Gesichte zuckte es seltsam.

»Ich«, begann sie wieder, »ich werde nicht fort können von hier, aber Sie, Lothar, Sie sind frei. Sie finden nach der leider nicht zu umgehenden Veröffentlichung der Verlobung leicht einen Grund, um in irgendeinen fernen Weltwinkel zu gehen, bis –« und sie richtete sich plötzlich empor – »ich spreche dies nicht für mich, bei Gott nicht! Was liegt an mir? Mein reines Gewissen genügt mir vollkommen – aber die Ärmste dort drüben – begreifen Sie, Lothar?«

»Wir sollen also ein wenig Komödie spielen?« fragte er.

»Nicht lange! Nicht lange!« flüsterte sie, während ihre Augen ihn, wie um Verzeihung bittend, ansahen.

Er ergriff plötzlich ihre Rechte mit einer ungestümen leidenschaftlichen Bewegung.

»Es sei«, sagte er, »aber Sie sind krank, und vor allem, ehe die Komödie beginnt –«

»Lassen Sie sie gleich beginnen«, bat sie, »gehen Sie zur Herzoginmutter und melden Sie, daß ich Ihnen mein Jawort gab. Indessen rüste ich mich zur Heimfahrt. Ich bin so müde, so sterbensmüde.«

»Ich werde gehen«, sagte er ruhig, »und Sie werden sich legen, Sie werden nicht nach Hause fahren.«

»Ich werde es doch!« rief sie heftig, »vergessen Sie nicht, daß es eben nur eine Komödie ist, daß Sie sowohl wie ich unseren eigenen Willen vollkommen behalten!« Er bezwang sich und ging.

Klaudine starrte ihm nach wie im Traume. Sie fühlte ihre Kräfte schwinden, fühlte sich so schwach und gedemütigt! Am liebsten hätte sie sich den Verband vom Arme gerissen und ihr Leben mit dem Blute dahinfließen lassen. Es ward ihr so sonderbar mit einemmal vor Augen, so rot wie Blut, so schwebend und so wogend, als ob ihr Stuhl zu wanken beginne. Sie wollte sich an der Lehne festhalten und griff in die Luft. »Halt ein!« flüsterte sie, aber in rasendem Wirbel drehte es sich um sie, sie fühlte sich wie hochgehoben, dann empfand sie nichts mehr.

Die Schwester, die auf Befehl des Arztes hinübergeschlichen war, fand Klaudine bewußtlos. Mit der lautlosen Sorgfalt ihres Berufes holte sie Hilfe und legte die Ohnmächtige auf den Liegestuhl, wo sie bald wieder zu sich kam.

»Es ist nur Erschöpfung, Herr Baron«, sagte der Medizinalrat, den Lothar geholt hatte. »Nichts weiter. Lassen Sie die Kranke ganz ungestört, morgen wird sie wohl und frisch sein. Ich bitte Sie, bei solcher Jugend und Kraft! Fahren Sie ruhig nach Neuhaus, lieber Baron!«

Herr von Gerald schärfte der Kammerjungfer ein, die Schwester zu rufen, falls ihr bei dem gnädigen Fräulein irgend etwas bedenklich erscheine. Dann bat er auch Frau von Katzenstein, die Kranke zu beaufsichtigen.

Die alte Dame wollte eben noch einmal zu Klaudine hineingehen, um ihm Nachricht von ihr zu holen. Er stand wartend im Flur. Jetzt hörte er Klaudine drinnen sprechen – mit wem wohl? Deutlich konnte er jedes Wort verstehen.

»Vergeben Sie mir!« scholl laut die Stimme der Prinzeß Helene, aber es klang nicht flehend, es klang wie befehlend. Lothar runzelte die Stirn, er hatte Mühe, an sich zu halten, um nicht sofort hineinzugehen.

Frau von Katzenstein kam zurück. »Durchlaucht ist bei Fräulein von Gerold«, flüsterte sie.

»Seine Hoheit haben mir befohlen, Sie um Verzeihung zu bitten, Fräulein von Gerold«, klang es abermals da drinnen. »Ich bitte also hiermit um Verzeihung. Haben Sie es gehört?«

Außer sich trat der Baron über die Schwelle des matt erleuchteten Zimmers. Über das weiße Mädchengesicht dort in den Kissen des Liegestuhles ergoß sich Purpurglut, als sie ihn erblickte.

»0 mein Gott!« stammelte sie und machte eine abweisende Bewegung mit der gesunden Hand.

Es hatte sie nicht befremdet, daß er hier eindrang, sie dachte weiter nichts, als daß jetzt ein vernichtender Schlag auf dieses trotzige Geschöpfchen fallen müsse, das da so hochmütig an ihr Lager getreten war, um auf höheren Befehl »abzubitten«.

Die Prinzessin hatte ihn nicht bemerkt, sie stand da wie der verkörperte Trotz. Ihre Zerknirschung verwandelte sich, angesichts der Verhaßten, in Empörung.

»Sie wollen wohl nicht?« fragte sie. »Ich habe nicht lange Zeit zu warten, ich muß nach Neuhaus, Mama hat Frau von Berg nach mir geschickt, ich fahre aber nicht mit ihr, ich will nicht. Ich werde Baron Gerold um seinen Wagen ersuchen. Also zum drittenmal – ich bitte Sie um Verzeihung, Fräulein von Gerold!«

»Prinzessin, ich weiß zwar nicht, wofür eine Verzeihung erbeten wird – aber von Herzen gern«, erwiderte Klaudine mit bebenden Lippen.

»Durchlaucht, auf diese Weise eine schwer Gekränkte und Leidende um Verzeihung zu bitten, ist neu«, scholl jetzt Lothars erregte Stimme.

Die Prinzessin wandte sich, wie von einem elektrischen Schlag getroffen. Klaudines Augen sahen mit flehender Angst zu den seinen hinüber. Sie hielt den Atem an – oh sie wußte ja aus eigener Erfahrung, wie furchtbar sie wirken kann, die Gewißheit, den geliebten Mann verloren zu haben!

»Es gehört die ganze große Güte und Selbstlosigkeit meiner Braut dazu, um Eurer Durchlaucht die so eigentümlich erbetene Verzeihung zu gewähren.«

Totenstille herrschte im Gemach. Klaudine sah wieder jene rote heiße Flut vor ihren Augen. Wie? Konnte ein Mann so schonungslos verfahren mit der, die er liebte, um die er geworben hatte, seit Wochen schon? War es ein Akt der Verzweiflung, weil er sie aufgeben mußte?

Sie streckte die Hand aus. »Prinzessin«, sagte sie matt, als wollte sie um Verzeihung bitten.

Aber die zierliche, weiße Gestalt schwankte nicht, wie Klaudine gefürchtet hatte, sie schüttelte das dunkle Köpfchen mit dem kurzen Gelock stolz in den Nacken zurück. »Meinen Glückwunsch«, sprach sie kurz. Einzig in der erzwungenen lauten Stimme erkannte Klaudine die furchtbare Erschütterung des Mädchens, dessen glühende Liebe soeben den Todesstreich empfangen hatte.

Die Prinzessin übersah die Hand, die sich ihr bot. Stolz neigte sie den Kopf. »Begleiten Sie mich, Baron!« sagte sie befehlend und ging voran.

Lothar faßte statt ihrer die dargebotene Hand und führte sie an die Lippen. Klaudine entzog sie ihm hastig und unwillig.

»Wozu?« fragte sie und drehte den Kopf nach der Wand, »das ist überflüssig bei unserem Abkommen.«

Sie waren gegangen. Klaudine klingelte und ließ sich bei der Nachttoilette helfen und die Lichter löschen. Frau von Katzenstein schlich behutsam durch das dämmernde Gemach dem Bette zu – es rührte sich nichts hinter den Vorhängen, die Kranke schlief wohl schon den Schlummer der Erschöpfung? Als Frau von Katzenstein aber genauer hinsah, erblickte sie das Mädchen im Bette sitzend.

»Aber Klaudine, Sie ruhen noch immer nicht?« flüsterte die freundliche alte Dame besorgt und drückte einen Kuß auf das schöne Antlitz. »Eben erfahre ich von Ihrer Verlobung«, setzte sie bewegt hinzu, »Gott segne Ihren Herzensbund, meine liebste Gerold!« Dann ging sie still hinaus.

Klaudine griff sich wild an die Stirn. »Herzensbund!« sagte sie bitter, »welch furchtbarer Hohn!«

Sie grübelte und grämte sich bis über Mitternacht hinaus, bis sich ihre Gedanken verwirrten. Der schrecklichste Tag ihres Lebens war vorüber. Was würde ihm nun noch folgen an Qual und Herzensleid?


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