Eugenie Marlitt
Das Eulenhaus
Eugenie Marlitt

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24.

Die Herzogin schlief, im ganzen großen Gebäude herrschte Todesstille.

In dem Zimmer des Rittmeisters von Rinkleben saß Baron Gerold, er hatte den liebenswürdigen Offizier gebeten, sich hier aufhalten zu dürfen, er wolle die nächste Nachricht von dem Befinden Ihrer Hoheit abwarten. Er hatte ein Buch genommen, aber ihm fehlte die Ruhe zum Lesen. Eine finstere Sorge lag über seinem Gesichte und eine qualvolle Unruhe ließ ihn unaufhörlich hin und her wandern.

Herr von Palmer hatte seine Stube verriegelt, er befand sich in der denkbar schlechtesten Laune. Ein netter Tag, der heutige, wahrhaftig! Als er diesen Morgen zum Vortrag in das Arbeitszimmer Seiner Hoheit trat, war ihm der Herzog mit einer ziemlich verwunderten Miene und einem offenen Briefe entgegengekommen. Es war ein vertrauliches Schreiben des Prinzen Leopold, seines Vetters, und enthielt die Frage, wie es zugehe, daß das Hofmarschallamt seit nahezu drei Jahren der Firma C. Schmidt in R. am Rhein keinerlei Zahlung mehr geleistet habe. Der Chef der Firma habe nun des Prinzen Vermittlung erbeten, da auf direkte Anfragen zwar stets neue Bestellungen, aber immer nur ausweichende Antworten betreffs der Rückstände eingetroffen seien. Ja, in dem letzten Schreiben sei mitgeteilt, daß bei fernerem Drängen die Lieferungen dem Hause entzogen werden würden. Herr von Palmer hatte gelächelt und gesagt, es liege ein grobes Mißverständnis vor, Seine Hoheit aber hatte sehr energisch den Wunsch ausgesprochen, diese Angelegenheit so bald wie möglich und bestens geordnet zu sehen.

Es war sehr unangenehm, sehr! Als ob solch Krämerpack nicht borgen müßte bis in alle Ewigkeit, wenigstens so lange bis Herr von Palmer nach einigen Jahren in der Lage sein würde, mit aller Ruhe irgendwohin abzureisen! Es war doch ein Trost, diese Berg zur Seite zu haben. Wie glänzend hatte sie dieses »Unmöglichmachen« in Szene gesetzt, am Geburtstage des Prinzen! Die alte Herzogin hatte Klaudine fallen lassen, das war ja unbezahlbar! Der Mutter gegenüber würde selbst Seine Hoheit nicht den Mut finden, dieses Schäferspiel weiter zu treiben. Wundervoll! Ganz wundervoll!

Durch das hohe, breite Fenster im Schlafzimmer der Herzogin fielen die letzten Strahlen der scheidenden Sonne.

»Klaudine!« flüsterte eine matte Stimme.

Das Mädchen, das in tiefen, schweren Gedanken gesessen, erhob sich und kniete neben dem Bette der Kranken. »Wie geht es dir, Elisabeth?« fragte sie.

»Oh – es geht – es geht besser. Ich fühle, daß das Ende kommt –«

»Elisabeth, sprich nicht so!«

»Ist jemand hier, der uns hören könnte?« fragte die Herzogin.

»Nein, Elisabeth, Seine Hoheit ist hinuntergegangen zu den kleinen Prinzen, die Kammerfrau ist mit der Krankenschwester im Nebenzimmer und Frau von Katzenstein bei der Herzoginmutter.«

Die Kranke lag ganz still und folgte mit den Augen dem glühendroten Sonnenfleck auf dem Bilde an der Wand, der unmerklich höher und höher glitt, zuletzt noch auf dem Blattwerk des Goldrahmens funkelte und dann erlosch.

»Warum hattest du kein Vertrauen zu mir?« fragte sie plötzlich mit trauriger Stimme, »warum sagst du mir nicht offen alles, alles?«

»Elisabeth, ich hatte dir nichts zu verbergen.«

»Lüge nicht, Klaudine!« rief die Herzogin feierlich, »eine Sterbende soll man nicht belügen!«

Klaudine hob stolz den Kopf. »Ich habe dich nie belogen, Elisabeth.«

Ein bitteres Lächeln flog über das bleiche, abgezehrte Gesicht der Kranken.

»Du hast mich belogen mit jedem Blick!« sagte sie entsetzlich klar und kalt, »denn du liebst meinen Gatten.«

Ein wahrer Aufschrei unterbrach sie, und schwer lag Klaudines Kopf auf der roten Seidendecke des Krankenbettes. Was sie gefürchtet, was sie bis zur Gewißheit gefühlt hatte, das sagte ihr jetzt der Mund der Frau, die sie so treu, so innig liebte.

»Ich mache dir ja keinen Vorwurf, Klaudine, ich will nur, daß du mir versprichst, nach meinem Tode –«

»Barmherziger Gott!« stöhnte das Mädchen und richtete sich wild empor. »Wer hat dieses entsetzliche Mißtrauen in dir geweckt?«

»Mißtrauen? Wenn du noch fragtest: wer öffnete dir die Augen, um die entsetzliche Wahrheit zu erkennen? Und er – liebt dich – er liebt dich!« flüsterte die Herzogin weiter. »Ach Gott, es ist ja so natürlich!«

»Nein! Nein!« rief Klaudine außer sich und rang die Hände.

»Ach, schweige doch«, bat die Kranke müde, »oder laß uns ruhig sprechen. Ich habe noch so viel zu sagen.«

Klaudine war aufgestanden, ihr schwindelte. Was sollte sie tun, um zu beweisen, daß sie unschuldig sei?

Auf den Wangen der Kranken schimmerte es wieder so rot, sie atmete so schwer.

»Elisabeth, nur dieses eine Mal noch glaube mir, vertraue mir«, flehte das Mädchen.

Die Kranke richtete sich plötzlich auf.

»Kannst du schwören«, fragte sie ruhig, »kannst du schwören, daß nie zwischen dir und dem Herzog von Liebe die Rede war? Schwöre es, schwöre es bei dem Andenken an deine Mutter, und wenn du das kannst im Angesicht meines letzten Lagers, so will ich dir glauben, daß meine eigenen Augen falsch gesehen haben!«

Klaudine stand wie leblos. Ihre Lippen bewegten sich, aber es kam kein Ton heraus, und plötzlich neigte sie den Kopf wie vernichtet.

Die Herzogin sank in die Kissen zurück. »Den Mut hast du doch nicht!« murmelte sie.

»Elisabeth«, rief Klaudine jetzt, »glaube mir! Glaube mir! Mein Gott, was soll ich nur tun, daß du mir noch einmal glaubst! Ich wiederhole es dir, du bist im Irrtum –«

»Sei still«, sagte die Herzogin mit verächtlichem Lächeln.

Seine Hoheit war eingetreten. »Wie geht es dir, Liesel?« fragte er herzlich und beugte sich über sie, indem er ihr das feuchte Haar aus der Stirn zu streichen versuchte.

»Fasse mich nicht an!« stieß sie hervor, und ihre Augen wurden angstvoll groß. »Es ist ja bald vorbei«, flüsterte sie dann.

Klaudine lehnte fassungslos an der Tür. Der Herzog trat zu ihr und fragte leise und besorgt: »Phantasiert Ihre Hoheit?«

Klaudine, der Verzweiflung die Brust zu zersprengen drohte, preßte den schluchzenden Schrei, der sich ihr entringen wollte, mit dem Tuch zurück und wankte in das Nebenzimmer.

Er folgte ihr ängstlich. »Was ist geschehen?«

Die Augen der Kranken richteten sich auf die Tür, durch welche jene beiden verschwunden waren. Der ganze furchtbare, gewaltsam zurückgedrängte Schmerz durchrüttelte sie und verwirrte ihre armen Gedanken. Sie lag mit geballten Fäusten und glühenden Augen. Wie, nicht einmal der Sterbenden wollte sie bekennen? Und sie hatte es so gut gemeint, sie wollte in ihrem letzten Willen bestimmen, daß sie sich angehören sollten, die beiden, für das Leben. Das sollte die Rache sein für ihr gebrochenes Glück. Und sie, sie – welch ein Abgrund von Schlechtigkeit mußte dieses Geschöpf in sich bergen, das auch jetzt noch den Himmel anrief als Zeugen seiner Unschuld!

Eine wahnsinnige, erstickende Angst legte sich auf ihre schmerzende Brust. Ihr Gemahl kam eben wieder herein, er trat an das Fußende des Bettes und blickte sie seltsam forschend an. Klaudine, die sich gewaltsam gefaßt hatte, trug ein Glas in der Hand. »Trinke, Elisabeth«, bat sie, während sie sich niederbeugte und ihren Arm unter den Kopf der Kranken schob. »Trinke, dir ist so heiß. Es sind die Tropfen, die dir immer so gut bekommen.«

Bewegungslos lag die Herzogin, mit fest zusammengepreßten Lippen. Ihre großen Augen hingen mit unheimlicher Starrheit an dem blassen Gesicht des Mädchens und wanderten zu ihrem Gatten hinüber. Das Glas in Klaudines Hand begann zu zittern. »Oh, trinke doch!« bat sie mit versagender Stimme.

Dann ein schriller Aufschrei, und das Glas ward aus Klaudines Hand geschleudert.

»Gift!« schrie die Herzogin gellend und richtete sich im Bette hoch mit dem Ausdruck einer Wahnwitzigen, die Hände verzweiflungsvoll ausgestreckt. »Gift! Hilfe! Geht es euch denn noch nicht schnell genug?«

Dann sank sie erschöpft zurück und ein erneuter Blutstrahl überschwemmte das weiße Gewand und das Bett.

Klaudine, die in die Knie gesunken war, sprang empor. Auch sie sah aus wie eine Irrsinnige. Mit übermenschlicher Kraft nahm sie sich zusammen, ging zur Glocke und half dann die Kranke emporrichten und an die Brust des Herzogs lehnen, in dessen bleichem Gesicht eine tiefe Erschütterung sich ausprägte.

»Liesel«, murmelte er, »aber Liesel – großer Gott!«

Sie lag mit geschlossenen Augen wie eine Sterbende.

Und nun ward es lebendig im Zimmer. Mit besorgter Miene stand der alte Medizinalrat vor der Patientin, dann sah er nach der Uhr, fühlte den matten Pulsschlag und schüttelte den Kopf. »Um neun Uhr kann er hier sein, Hoheit«, flüsterte er der weinenden Herzoginmutter zu, »doch bis dahin nur Ruhe, Ruhe, keine Angst zeigen. Es ist am besten, Hoheit bleiben in der gewohnten Umgebung. Ich werde mich einstweilen im Nebenzimmer aufhalten.

»Klaudine!« flüsterte die Kranke, »Klaudine!«

Die Herzoginmutter sah sich nach der Gerufenen um. Sie war verschwunden. In ihrer Angst ging die alte Dame auf den Korridor hinaus und fragte nach dem Zimmer des Fräuleins von Gerold. Aber die Tür war verschlossen und drinnen regte sich nichts.

Klaudine war in ihrer Stube zusammengebrochen. Einen klaren Gedanken hatte sie nicht mehr. Dahin war es gekommen, dahin! Die Welt hielt sie für eine Gesunkene, für die Geliebte des Herzogs, sein eigenes Weib starb in diesem Wahne!

Oh, diese törichte Vermessenheit ihres wahnsinnigen Stolzes! Und wenn sie die Sterne vom Himmel herunterholen könnte als Zeugen ihrer Reinheit, niemand würde ihr glauben, niemand, die Sterbende nicht und die Lebenden nicht, und jener eine nicht, den sie zurückstieß, als er sie warnte! Gott allein wußte es, aber Gott tut keine Wunder mehr. Verloren! Verloren! Der Schandfleck ihrer Familie war sie geworden, das ganze Land würde mit Fingern auf sie weisen: »Seht, seht, das ist die, um derentwillen unserer armen Fürstin das Herz brach!«

Wer sollte sie retten? Der Herzog? Er konnte nicht für sie in die Schranken treten, sie hätten alle getan, als ob sie ihm glaubten, und hätten gelacht hinterher.

Wenn sie sterben könnte! Sie nähme damit den Schimpf nicht von sich, aber sie wäre doch tot, sie würde nichts mehr fühlen. Der kleine Weiher dort unten im Park. – Es ist so still dort und so kühl – so kühl. Dort fände man sie dann vielleicht, und die Menschen würden sagen: »Sie hatte doch noch Ehrgefühl, diese Klaudine, sie konnte nicht leben mit der Schuld auf dem Herzen!« Und nur einer vielleicht würde sprechen, wenn er an den Sarg trat: »Meine Schwester, mein reiner, stolzer Liebling, ich glaube an dich!«

Und dort drüben in Neuhaus würde ein kleines, dunkles Mädchen seinen Kopf an die Schulter des schönen Mannes schmiegen und eine süße Stimme würde sagen: »Was geht es mich an, Lothar, daß eine deines Stammes auf den Namen Gerold Schande häufte? Vergiß es, ich liebe dich dennoch!«

Ein paar harte Schläge an die Tür ließen sie emporfahren.

»Fräulein von Gerold«, rief die spitze Stimme des Fräuleins von Bohlen, »die Herzoginmutter erwartet Sie!«

Mechanisch schritt sie hinaus, vergessend, daß ihr das Haar gelöst auf den Rücken herabhing und die goldigen Strähne ihr über die Stirn fielen, vergessend, daß sie nur in dem losen Hauskleide war. Wie eine Irre trat sie ein in das noch nicht erhellte Gemach, auf dessen bunten Teppich der Mondschein in zwei breiten schimmernden Streifen lag.

»Klaudinel« klang es mild vom Fenster her.

Sie kam herüber und verneigte sich.

»Setzen Sie sich, Klaudine.«

Aber sie machte keine Bewegung, sie blieb wie gelähmt. »Die Herzogin stirbt?« fragte sie heiser.

»Es steht in Gottes Hand, Klaudine.«

»Oh, durch mich, durch mich!« murmelte das Mädchen.

Die Herzogin antwortete nicht. »Ich habe eine Frage an Sie zu richten«, begann die alte Dame endlich, »sie ist so seltsam in dieser Stunde, Klaudine, wo der Todesengel vor der Pforte des Hauses steht, aber der, für den ich fragen soll, hat mir zur Pflicht gemacht, es gleich zu tun. Baron Gerold bittet Sie, Klaudine, seinem verwaisten Kinde die Mutter, ihm die Gattin ersetzen zu wollen.«

»Hoheit!« schrie Klaudine auf. Sie trat einen Schritt zurück und stützte sich schwer auf den Marmorsims des Spiegels. »Ich danke«, sagte sie dann, »ich verlange kein Opfer von ihm.«

»Gut!« erwiderte die alte Hoheit streng. »Sie hatten es jetzt in der Hand, mit einem Schlage alle Lästerzungen verstummen zu lassen, Sie hatten es in der Hand, ein entfliehendes Leben für kurze Zeit zu erhalten, damit es in Frieden scheiden konnte.«

»Hoheit!« stöhnte Klaudine.

»Meine arme, unglückliche Tochter!« seufzte die Fürstin.

»Hoheit, mein Leben für die Herzogin«, flehte das Mädchen, »nur diese Demütigung nicht!«

»Ihr Leben? Nun, das sagt sich ja leicht, Klaudine –«

»Oh, daß ich es beweisen dürfte!« rief sie dann und trat mit gefalteten Händen vor den Stuhl der Fürstin. Sie stand in dem vollen Mondesstrahl, und der zeigte die halberloschenen Augen, das ganze verzweiflungsvolle Bild des Mädchens.

Die Herzogin erschrak. »Klaudine! Aber Klaudine!« sagte sie begütigend.

»Glauben Hoheit denn wirklich, daß ich eine Ehrlose bin?« fragte sie.

»Nein, mein Kind, denn eine solche würde Baron Ge- rold nicht zum Weibe begehren!«

Sie wich zurück. »Darum, nur darum!« stammelte sie.

»Es ist mir sehr schwer geworden, dem Geflüster Glauben zu schenken«, fuhr die Herzogin fort. »Aber, Kind, ich kenne das Leben, ich kenne meinen heißblütigen Sohn, kenne seine Macht über die Herzen der Frauen – und dich, die du vor ihm geflohen, dich weiß ich plötzlich täglich in seiner Nähe! Kind, Kind, ich glaube es dir, daß du nur die Freundin der Herzogin bist, aber du hast dich vermessen, freventlich mit deinem Ruf zu spielen, du hast nicht verstanden, den Schein zu meiden, und darum erfasse die Hand, die sich dir entgegenstreckt«, setzte die Herzogin dringend hinzu. »Keiner wird es wagen, zu behaupten, daß Lothar von Gerold ein Weib an sein Herz zieht, das nicht rein ist wie die Sonne. Und mein Sohn – niemals würde sein Blick wieder diejenige suchen, die eines anderen Eigentum ist.«

»Ich bin fassungslos, Hoheit«, sagte Klaudine.

»Du mußt dich fassen, mein Kind, er wartet unten in Bangen und Hoffen.«

»Hoheit«, bat Klaudine, »er liebt mich nicht – es ist ein Opfer, das er der Ehre unseres Namens bringt. Ich kann es nicht annehmen. Haben Hoheit Erbarmung mit mir!«

»So bringt ein Opfer!« rief die Fürstin, gereizt durch den Widerspruch. »Ist es die Ehre nicht wert, ein Opfer zu bringen? Ist es die nicht wert, die dort drüben mit dem Tode ringt?«

»Hoheit«, flüsterte Klaudine, und ein Gedanke flog durch ihr gemartertes Hirn, »ich will mit Baron Gerold sprechen.«

Die Herzogin hatte Erbarmen mit dem verzweifelten Mädchen. »Beruhige dich, dann mag er kommen«, sprach sie mild und führte die Zitternde zu einem Sessel.

»Der Herr Medizinalrat!« sagte Fräulein von Bohlen eintretend. Ihr auf dem Fuße folgte die kleine Gestalt des Arztes.

»Hoheit verzeihen mein ungestümes Eindringen«, begann er hastig. »Ich erachte es jedoch für Pflicht, Eurer Hoheit mitzuteilen, daß die erlauchte Kranke sich in größter Lebensgefahr befindet. Hoheit sind durch den Blutverlust vollständig erschöpft, bis auf den Tod. Professor Thalheim schlägt eine Transfusion vor, ich bin nicht abgeneigt, man soll nichts unversucht lassen. Seine Hoheit ist entschlossen, das erforderliche Blut zu geben, jedoch – da es immerhin keine gleichgültige Operation ist – sie kann Folgen haben, die das Leben gefährden, wie Blutvergiftung und dergleichen – so müssen wir von der Person Seiner Hoheit absehen, da auch das Hausgesetz ausdrücklich –«

Er stockte. Klaudine war von dem Sessel emporgesprungen und streckte die Hand gegen ihn aus. »Herr Medizinalrat, ich bitte, diejenige sein zu dürfen, die –«

»Sie?« fragte der alte Herr und schaute verwundert in das blasse Mädchengesicht, aus dessen bewegten Zügen ein inniges Flehen sprach, »wahrhaftig, Fräulein von Gerold? Nun, dann kommen Sie, aber rasch! Wir haben keine Zeit zu verlieren. Doch – halt – meine Gnädige, ich mache Sie noch einmal darauf aufmerksam, daß wir Ihnen die Pulsader öffnen müssen.«

»Ach, lieber Herr Doktor!« sagte Klaudine mit einem Achselzucken, das bedeutete: wenn es weiter nichts ist! Und sie eilte ihm voraus, in der Angst, ein anderer könne ihr zuvorkommen.

Die alte Hoheit hatte kaum recht verstanden. Transfusion? Was ist die Transfusion? Als sie in das Vorzimmer der jungen Herzogin trat, waren die Ärzte bereits um die Kranke beschäftigt. Vor Klaudine stand eine Krankenschwester, die den Ärmel von des Mädchens weißem Kleide zurückstreifte. Die alte Dame legte ihrem Sohne die Hand auf die Schulter.

»Adalbert«, fragte sie leise, »Adalbert, was ist das eigentlich? Der Medizinalrat sagte, sie schneiden ihr die Pulsader auf, um ihr Blut in Lisels Adern zu leiten?

Er nickte zerstreut und wandte kein Auge von dem traurig lächelnden Mädchenantlitz.

»Um Gottes willen, Adalbert«, fuhr die alte Hoheit fort, »sollen wir erlauben, daß Fräulein von Gerold – es scheint doch eine gefährliche Sache –«

Jetzt sah er sie groß an. »Nicht wahr«, fragte er leise und bitter, »das erfordert etwas mehr Mut, als dazu gehört, aus sicherem Versteck den Pfeil zu schleudern, der ein armes Weib tödlich verwundet oder den Ruf eines schuldlosen Mädchens in den Kot zieht? Ich kann es nicht verhindern, daß sie sich zu diesem Opfer versteht«, sprach er achselzuckend weiter, »ich am allerwenigsten. Man könnte ja sonst sagen, ich sei mehr für ihr Leben besorgt, als für das meiner Gemahlin.«

Die Schwester schloß jetzt die Vorhänge, nur Klaudines weiße schöne Gestalt sah man noch einen Augenblick inmitten des Zimmers. »Von Arm zu Arm, Kollege«, klang eben des Professors Stimme, »es ist sicherer.«

Aber der Herzog sah und hörte es nicht mehr, er hatte schon das Zimmer verlassen. Er durchmaß in furchtbarer Erregung das Zimmer der Herzogin, das nämliche, in welchem er Klaudine von seiner Neigung gesprochen. Er hätte Jahre seines Lebens in diesem Augenblick gegeben, um jene Stunde ungeschehen zu machen. »Armes Mädchen, armes Weib!« Das hatte er nicht gewollt! Er hatte nach diesem Glück gestrebt mit dem Verlangen eines Menschen, der gewohnt ist zu siegen. Für die schöne Hofdame seiner Mutter hatte er eine aufrichtige starke Neigung gefühlt, sie wies ihn zurück, und er ließ sich zurückweisen. Zum erstenmal beugte er sich vor einem charaktervollen Weibe, und sein Vergehen wurde zum Verhängnis. Wer um Gottes willen mochte Klaudine bei der Herzogin verleumdet haben?

Über die Stirn Seiner Hoheit rann kalter Angstschweiß.

»Nur noch so viel Frist«, sagte er halblaut, »um ihr alles zu erklären, nur so viel, daß sie nicht sterben muß in dem Glauben, ich sei schuldig.«

Sie hatte ihn vergöttert trotz aller seiner Fehler, trotz aller Kälte, aller Gleichgültigkeit. Er glaubte ihre Augen auf sich gerichtet zu sehen mit dem alten innigen Leuchten, von dem er so oft ungeduldig den Blick gewandt. Sie hatte immer so still dahingelebt, so dankbar für jeden Liebesbrocken, den er ihr zuwarf, so selig über ein zärtliches Wort, so bescheiden in ihren Ansprüchen. Ihre kleinen Fehler, ihre Schwächen, wie gering erschienen sie ihm in dieser Stunde!

Er stand am Fenster still und dachte an den Tag heute vor elf Jahren. Auch damals hatte man um ihr Leben gebangt, Er sah sich an ihrem Lager, an der Wiege seines Erstgeborenen, sie hatte so blaß dagelegen, nur ihre Augen hatten gestrahlt, trotz aller Mattigkeit hatte sie so stolz gelächelt. Er hatte damals nur kurze Dankesworte gehabt für sie, sein ganzes Interesse war dem Kinde zugeflogen, dem Erben. Sie hatte ja nur ihre Pflicht erfüllt.

Er lehnte plötzlich den Kopf an die Scheiben und wischte sich heimlich über die Augen. Wollte man noch nicht berichten, wie es dort drüben stand?

Das ganze Schloß lag wie unter einem unheimlichen Banne. Auf den Gängen brannten die Lampen trübe und standen die Diener mit verstörten Gesichtern, unten saßen die Herren des Hofes beisammen, aber sie sprachen nur flüsternd miteinander. In den Räumen der fürstlichen Kinder blickten sich die Erzieherin und die Wärterin des kleinen Prinzen traurig in die Augen und im Erdgeschoß wisperte die Dienerschaft und erzählte sich grausige Geschichten.

Alle wußten, daß noch ein letzter Versuch unternommen wurde zur Rettung der Kranken, der Name des Fräuleins von Gerold war in aller Munde.

In Herrn von Palmers Zimmer saß Frau von Berg. Sie war von der durchlauchtigsten Mama geschickt worden, die Prinzessin zu holen. Da hatte sie denn die Gelegenheit benutzt, dem Freunde »Guten Abend« zu bieten, nach dem Stand der Dinge zu fragen und zu vermelden, daß der Baron in Gegenwart der Prinzeß Thekla bei der Herzoginmutter um seine Cousine angehalten habe.

Die schöne Frau war einfach fassungslos. »Wenn ich nur die Prinzeß erst glücklich im Wagen hätte!« klagte sie in dem Gemache auf und ab schreitend, während Herr von Palmer sich nervös im Schaukelstuhl wiegte, »sie macht noch die größten Tollheiten in ihren Bußanwandlungen.«

Ja, die Prinzessin, wo war die Prinzessin?

Die alte Leinenschließerin hatte die weiße Frau gesehen. Es war die kleine Prinzeß gewesen; und daß sie so schwer und gebückt ging, das machte die Seelenangst bei der Nachricht, daß es mit Ihrer Hoheit zum Sterben komme und daß auch Fräulein von Gerold in Gefahr sei. Sie hatte es den abgerissenen Worten der alten Kammerfrau entnommen, als sie aus dem Garten zurückkehrte, in den die Angst sie getrieben, weit, weit dort unten, wo man nichts mehr sah vom Schlosse, in welches das Unglück eingezogen war durch ihre Schuld.

Als sie dann mit wankenden Schritten in eins der Gemächer der Herzogin hinging, da hatte der Herzog am Fenster gestanden, und als er sich umwendete, hatte sie in der trüben spärlichen Beleuchtung auf dem schönen, sonst so kühlen, unbewegten Gesichte desselben eine tiefe Erschütterung gesehen, und an den Augen Tränenspuren. Das war mehr, als sie ertragen konnte!

In undeutlicher, verworrener Weise, fast schreiend, klagte sie sich an und gestand alles, indem sie vor ihm auf den Knien lag, seine Hand in der ihren. Er unterbrach sie mit keinem Worte, er tat nur eine Frage, als sie erschöpft schwieg.

»Den Brief, Helene? Wie, um Gottes willen, kamen Sie zu dem einzigen Brief, den ich je an Klaudine geschrieben und der offenbar von der Herzogin völlig falsch verstanden worden ist?«

»Hoheit baten darin, daß Klaudine trotzdem eine Freundin Ihrer Gemahlin bleiben sollte.«

»Trotzdem ich Fräulein von Gerold beleidigt hatte – allerdings!«

»Vetter, Vetter, bestrafen Sie mich!« rief die Prinzessin außer sich, »sagen Sie, was ich tun soll, um wieder gutzumachen –«

Er zuckte die Schultern. »Wie kamen Sie zu dem Briefe?«

»Frau von Berg –« stammelte die Prinzessin und sank wie gebrochen zusammen. Der Herzog hob sie empor und geleitete sie zum nächsten Sessel. Dann wandte er sich kurz ab und verließ das Zimmer.


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