Eugenie Marlitt
Das Eulenhaus
Eugenie Marlitt

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12.

Klaudine langte vor dem Eulenhause an, sie hatte noch immer ein zerknittertes Papier in der Hand. Der alte Heinemann, der schon lange neben seinem Laternchen vor der Gartentür auf sie gewartet hatte, erhielt kaum mehr als einen flüchtigen Gruß von seiner jungen Herrin. Sie flog förmlich vor ihm her in das Haus, und als er nachkam und die Tür verriegelte, hörte er nur noch das Rascheln ihres seidenen Kleides auf dem oberen Flur. Dann ging eine Tür und es ward still.

Auch in dem kleinen Mädchenstübchen blieb es still und dunkel, als sei niemand drinnen, und doch saß am Fenster eine Gestalt und starrte regungslos in das Waldesdunkel, das schwärzer noch als die lichtlose Nacht das einsame Haus umgab. »Was ist geschehen?« fragte Klaudine sich. »Der Herzog hat mir seine Liebe gestanden und ich wies ihn zurück, auf immer zurück. Aber um welchen Preis?« Um das Bekenntnis ihres tiefsten Geheimnisses, das sie sich selbst noch nicht zu gestehen wagte, ihr Stolz empörte sich gegen diese Tatsache, jetzt wußte es derjenige, der ihr heute mit einem beleidigenden Geständnis genaht! Ob der Herzog ahnte, wen sie liebte? Es wäre unerträglich!

Sie ballte unwillkürlich das Papier in ihrer Hand zusammen, und Tränen heißer Scham traten ihr in die Augen. Rasch erhob sie sich, zündete Licht an, faltete das Papier wieder auseinander und bemühte sich, es zu glätten. Dann stützte sie sich schwer auf den Tisch und starrte auf den zerknitterten weißen Umschlag, es war eben nur der Umschlag, – das Briefblatt fehlte! Unruhig begann sie in der nächsten Minute zu suchen auf dem Tisch, auf dem Boden an dem Fleck, wo sie gesessen, sie schüttelte den Mantel aus und die Falten ihres Kleides, sie nahm endlich den Wachsstock und leuchtete das Treppchen hinunter – auch dort nichts! Wie ein Dieb schlich sie zur Haustür, schob den Riegel zurück und leuchtete hinaus auf die Schwelle und den Sandsteintritt – auch hier nichts zu sehen. In ihrer Besorgnis ging sie, das flackernde Flämmchen mit der hohlen Hand schützend, den Gartenweg entlang bis zur Pforte, möglicherweise war ihr das Papier beim Aussteigen entfallen. Die Gittertür, die auf die Landstraße führte, knarrte, als sie von ihr geöffnet wurde, der Lichtschein flammte geisterhaft über den Weg – nichts helles glänzte ihr entgegen. Mit angstvollen Augen spähte sie unter die Weißdornsträucher zur Seite der Pforte – nichts! Und plötzlich flackerte das Licht auf und erlosch dann und sie befand sich im Dunkeln, und so tief erschien den an das Licht gewöhnten Augen die Finsternis, daß sie einen Augenblick ratlos stand und nicht zu unterscheiden vermochte, wohin sie sich wenden müsse, um wieder in den Garten zu gelangen.

Ah, richtig! Dort über ihrem Fenster leuchtete Joachims Studierlampe friedlich in die Nacht hinaus und sandte einen schmalen Streifen Helligkeit auf das Gärtchen und die Straße. Wenn er ahnen könnte, wie sie hier draußen stand, Angst und Zorn im Herzen! Sie beneidete ihn förmlich und den Frieden seiner engen Stube, in die kein Sturm von außen drang. Sein Schifflein lag im Hafen, und ihres trieb auf dem wilden Meer, und wo es einst einen Hafen finden würde, das mochte Gott allein wissen!

Plötzlich schrak sie zusammen und huschte in die geöffnete Pforte. Auf der Landstraße scholl Hufschlag, nahe schon und immer näher. Ein rascher Trab war es, und jetzt kam der Reiter dicht an ihr vorüber, und just in dem Lichtschein blieb er halten und sah zu dem Fenster des Turmes hinauf. Sie faßte auf einmal, wie nach einer Stütze suchend, in die Latten der Pforte und starrte hinüber – Lothar! Was wollte er hier? Ein fast betäubendes Glücksgefühl überkam sie. Sah sie recht? War er es wirklich? Was wollte er? Kam er wahrhaftig, um nach ihrem Fenster zu spähen? Barmherziger Gott, ein Zeichen, daß sie nicht träume!

Da wandte er das Pferd, und langsam ritt er zurück; die Dunkelheit verschlang aufs neue seine Gestalt, nur der Hufschlag klang noch lange in den Ohren des zitternden Mädchens nach, bis sie sich endlich in das Haus zurückschlich.

Sie dachte nicht mehr an den verlorenen Brief, sie konnte überhaupt nicht mehr denken, ihre Augen brannten, und ihre Lippen waren trocken, es bohrte ihr schmerzend in den Schläfen. »Ruhe! Ruhe!« flüsterte sie und barg die heiße Stirn in die Kissen. – »Ruhe! Schlaf!«


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