Eugenie Marlitt
Das Eulenhaus
Eugenie Marlitt

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13.

Auf Neuhaus herrschte am anderen Tage ein ganz ungewöhnliches Leben. Zu ebener Erde, neben dem Wohnzimmer, links von dem großen Flur, stand in dem hohen geräumigen Speisesaal eine Tafel, die wesentlich abstach von derjenigen, an welcher gewöhnlich hier gegessen wurde. Während sie sonst mit einem blendend weißen, aber doch ziemlich derben Drelltischtuch nebst Servietten von gleicher Qualität gedeckt war, breitete sich heute schimmernder Damast darüber aus und das einfache Geschirr von gewöhnlichem Steingut mit blauen Rändchen war durch köstliches altes Meißner Porzellan verdrängt, das schon seit langer Zeit den Stolz des Neuhäuser Geschirrschrankes ausmachte, reizend geformte Tafelaufsätze, deren Platten Früchte und Backwerk trugen, hatten die Blechkörbchen ersetzt, in denen Beate für gewöhnlich den Nachtisch herumreichen ließ, mochte derselbe in Frühbirnen oder Winteräpfeln oder in kleinem Gebäck bestehen, und die sehr handfesten Solinger Messer und Gabeln mit Griffen von Hirschhorn waren den Silberbestecken gewichen, die Wappen, Namenszug der Gerolds und eine Jahreszahl trugen, welche das hohe Alter verriet, wenn es ihre schöne Form nicht bereits getan hätte.

Die Arme des mächtigen Kronleuchters aus Bergkristall über der Tafel, die übrigens nur sieben Gedecke zählte, waren mit gelblichen Wachskerzen besteckt, ebenso die zahlreichen Wandleuchter. Auf dem riesigen eichenen Kredenztische aber funkelte und blitzte es von silbernem Gerät und prächtigem Kristall, und die Sonne, die täglich um diese Zeit hier herein einen Blick tat, ließ farbige Lichter aufsprühen und streifte das braune Haar über der weißen Stirn Beates, die beschäftigt war, auf einem Tischchen Blumen in ein paar Vasen zu setzen.

»Werdet ihr gleich stehen!« murmelte sie ärgerlich vor sich hin, als ein paar Levkojen immer wieder zur Seite fielen. »So, nun geht's.« Und sie steckte in die bunte Pracht eine rote Rose, und den zierlichen Aufbau betrachtend, reichte sie ihn dem Stubenmädchen, das daneben stand. »Trag es zur Frau von Berg, Sophie, sie soll es in das Zimmer der Prinzessin Thekla setzen, der Herr habe es befohlen. Dann bist du gleich wieder unten und wischest noch einmal Staub von allen Stühlen und schließest die Läden. Eben kommt die Sonne.«

Nun ging auch Beate noch einmal an der Tafel hinunter und blieb kopfschüttelnd vor dem Platz stehen, den sie, nach der Bestimmung Lothars, neben Ihrer Durchlaucht der Prinzessin Thekla einnehmen sollte, heute abend zum erstenmal und dann täglich vier Wochen lang. Wie würde sie das nur aushaken? Da lag die Suppenkelle, das Symbol ihrer Hausfrauenwürde. Lothar hatte gewünscht, daß sie dieses Amt wie immer verwalten möge, »denn wir sind auf Rittergut Neuhaus, meine beste Beate, und nicht bei Hofe, und nichts in der Welt ist mir unangenehmer, als ein Umhertragen der gefüllten Suppenteller, sie haben so leicht überlaufende Ränder.«

Dies war aber auch so ziemlich das einzige, was in Hinsicht seines hohen Besuches von ihm angeordnet worden war, alles übrige hatte er vertrauensvoll ihrem klugen Kopf und ihren geschickten Händen überlassen und allen Fragen gegenüber nur geantwortet: »Aber du wirst es schon gut machen, tue ganz nach deinem Gefallen,«

Nun war sie auch dieser Riesenarbeit Herr geworden. Sie hatte ein weißes Tuch über ihre glänzend braunen Haare gebunden und war in Hauskleid und Wirtschaftsschürze, mit Schlüsselbund, Staubtuch und Besen im Hause umhergezogen, hatte dem Dienstpersonal »Beine gemacht«, wie sie sich ausdrückte, Möbel rücken, Vorhänge aufstecken, Teppiche auf Treppen und Gängen ausbreiten lassen und Truhen und Spinden das Feinste und Beste entnommen. Und eben war das letzte getan, sie konnte sich noch ein paar Stündchen ausruhen, ehe sie ihren Gästen als Hausfrau gegenübertreten mußte.

Das ganze obere Stockwerk hatte man für die durchlauchtigste Schwiegermutter und die Schwägerin Lothars hergerichtet, der Hofdarme war ein nettes Zimmer neben Frau von Berg eingeräumt, der Kammerherr nebst Diener im Gartenpavillon untergebracht worden und die Kammerfrau ihrer Durchlaucht in der Nähe ihrer Damen. Lothar behielt sein Zimmer rechts vom Hausflur, das liebe alte Wohnzimmer und die Schlafstube Beates sollten ganz und gar abgeschieden bleiben. Einen Zufluchtsort mußte man doch haben.

Beate war eben den Flur entlang geschritten und näherte sich der Tür ihrer Wohnstube, dann nahm sie ein Kreidestückchen aus dem Schlüsselkorb, schrieb auf die braune Täfelung »Verbotener Eingang!« und trat nun lächelnd in ihr Reich. Sie saß ein Weilchen ruhend im Lehnstuhl, dann sprang sie auf und eilte in die Schlafstube. Nach ein paar Augenblicken kam sie zurück, sie hatte einen großen braunen Strohhut aufgesetzt und einen leichten Umhang um die Schultern geworfen. Im Hinausgehen zog sie ein Paar Leinwandhandschuhe an und trat in die Küche, wo die Mamsell mit rotem Kopf vor dem Backofen stand und Mürbkuchen herauszog.

»Gut, Rikchen, daß ein paar fertig sind«, sagte Beate und nahm ein halbes Dutzend des zierlichen Gebäckes, »gebt etwas Papier – so – ich mache noch einen Spaziergang und bin pünktlich zurück. Begeht nur keine Dummheiten mit den Kücken und setzt die Schoten nicht zu früh an, den Rehrücken knapp eine Stunde im Ofen! – Ich sag's Ihnen noch einmal, ich habe keine Zeit, danach zu sehen, wenn ich bei Tische sitze, und daß nur die Forellen schön blau und krumm sind und im Grünen serviert werden. Es kommt alles auf Sie, Rikchen.«

Sie nickte noch einmal und ging raschen Schrittes direkt aus der Küche, einen Seitenweg durch den Park nehmend, auf die Landstraße. Eigentlich war es nicht zu rechtfertigen, daß sie davonlief, heute, wo ihr Ruf als Hausfrau geprüft werden sollte. Wie, wenn irgend etwas mißlang?

»Auch gleich!« sagte ihr eine innere Stimme, »denn wenn die ganze Hatz hier eingezogen ist, komme ich fürs erste nicht wieder nach dem Eulenhause zu Klaudine und zu der Kleinen.«

Sie ging in wahrem Sturmschritt und nahm allerhand Richtwege. Dunkelrot glühte ihr Gesicht, als nach einer halben Stunde das Eulenhaus aus grünen Wipfeln auftauchte. Es war just drei Uhr nachmittags.

Im Schatten der alten Mauer spielte die Kleine mit ihrem Puppenwagen, nun kam sie mit wehenden Locken auf die Tante zugestürmt, und diese hockte sich an die Erde und fing das Kind mit beiden Armen auf.

»Es war gar nicht hübsch, Tante Beate«, klagte es, »immerzu hat es geregnet und Tante Klaudine ist so oft fortgefahren.«

»Aber heute scheint die Sonne und du kannst wieder im Garten spielen. Gelt, das gefällt dir?«

Die Kleine nickte und trippelte neben ihr her. »Und Tante Klaudine ist auch zu Hause«, plapperte sie, »sie sitzt in ihrer Stube und schreibt und ist so fein angezogen.« An der Haustür blieb das Kind stehen und schüttelte den blonden Kopf. »Ich gehe wieder zu Heinemann«, erklärte sie und lief eilends davon.

Beate stieg die schmale Treppe empor und klopfte an die Tür ihrer Cousine. Klaudine saß in der Tat am Schreibtisch, aber sie schrieb nicht mehr. Vor ihr lag ein fertiger Brief.

»O Beate, du?« sagte sie müde und kam der Eintretenden entgegen.

»Ei, ei!« scherzte diese. »In Weiß mit blauen Schleifen? Was ist denn los? Willst du nach Altenstein?«

Das Mädchen nickte.

»Ich hatte abgesagt heute früh, aber die Herzogin ließ es nicht gelten. Sie schrieb mir, wenn ich nicht kommen wolle, würde sie zu mir kommen. Sie will hier vorüberfahren und mich abholen.« Sie schaute dabei ergeben an Beate vorüber. »Es ist so heiß«, fuhr sie fort, »ich sehnte mich nach einem lichten Kleide. Man sagt immer, die Farbe der Kleidung habe Einfluß auf die Stimmung, nun – ich könnte ebensogut –«

»Schwarzen Flor anhaben«, ergänzte Beate und setzte sich. »Was ist dir denn? Du siehst aus, als ob du Kopfweh hättest!« und sie sah befremdet in die abgespannten Züge Klaudines.

»Mir fehlt eigentlich gar nichts, Beate.«

»Eigentlich? Na, das hast du noch vom Hofe, so eine unglückliche Hofdame muß sich immer ›wohl‹ befinden, wie ein Ballettmädel immer lächeln muß, auch wenn sie kaum noch Atem kriegt.«

»Beate, du übertreibst«, sagte Klaudine ruhig, »nein, ich bin nicht krank, aber denke – vielleicht verreise ich auf einige Zeit.«

»Du?« rief die Cousine, »jetzt?«

»Ja, ja! Schweige aber darüber. Joachim weiß es noch nicht«, erwiderte sie. Und ehe noch Beate die Frage aussprechen konnte, die auf ihren Lippen schwebte, fiel Klaudine ein: »Ist dir Joachim nicht begegnet?«

»Nein!« antwortete Beate leise.

»Ich glaube, er wollte Lothars Besuch erwidern! Du weißt, das ist ein Entschluß für ihn. Er ging vorhin erst fort, ich bin überzeugt, er braucht drei Stunden zu dem Wege, denn beim Gehen wird ihm allerlei einfallen, und da setzt er sich dann hin und schreibt und notiert und vergißt Zeit und Ort.«

»Er wird Lothar nicht antreffen«, sagte zögernd Beate. »Lothar ist nach Lobstedt.«

»Nach Lobstedt?« fragte Klaudine, »will er verreisen?«

»Nein, er erwartet Prinzeß Thekla mit Tochter. Weißt du das noch nicht? Sie will vier Wochen in Neuhaus bleiben, um ihr Enkelchen zu genießen.«

»Nein –« sagte Klaudine tonlos.

Es war so still in dem Zimmer, daß selbst das leise Ticken der kleinen brillantbesetzten Taschenuhr hörbar ward, die auf dem Schreibtischchen in zierlichem Perlmutterständer hing. Beate schaute sehnsüchtig durchs Fenster, sie wäre am liebsten gegangen. Sie dachte an ihren Hausfrauenposten, den sie heute, gerade heute treulos verlassen hatte, und dann sah sie eine Männergestalt in dem dämmerigen Flur des Neuhäuser Schlosses, wie sie vor einer Tür stand, auf der in Kreideschrift zu lesen war: »Verbotener Eingang!« Und sie sah, wie dieser Mann den Kopf schüttelte und wieder umwendete. Er durfte nicht so fort, nein, nein! Vielleicht käme er nie wieder!

Sie sprang plötzlich empor.

»Verzeih, Klaudine, ich möchte doch lieber heim, du weißt, es ist allerlei zu besorgen.« Die Lüge erstarb ihr auf den Lippen, sie war jäh errötet. »Leb wohl, mein Schätzchen!«

»Leb wohl, Beate!«

»Um Himmels willen, du bist krank, Klaudine!« rief Beate und starrte ihre Cousine an, erst jetzt bemerkend, daß deren Antlitz völlig entfärbt war.

»Nein, o nein!« wehrte diese. Und jetzt zog eine wahre Purpurglut über Stirn und Wangen. »Ich bin gesund, ganz gesund! Geh nur«, drängte sie dann, »geh, ich bin völlig kräftig, ich begleite dich hinunter. O, sicher hast du noch vieles vorzubereiten, und sage Joachim, wenn du ihn triffst, daß er gehen soll, ehe die Damen anlangen, er ist so scheu, weißt du, so sonderbar.«

»Er braucht sie gar nicht zu sehen! Ich habe mein Zimmer für mich«, murmelte Beate.

»O, da kennst du Prinzeß Helene nicht!« klang es bitter.

»So?« fragte Beate, indem sie neben Klaudine die Treppe hinunterschritt. »Na, da gib mir doch einige Winke über diese kleine Prinzessin, von Lothar ist kein Wort herauszubringen.«

»Beate – ich – weißt du, ich bin nicht unparteiisch genug, um gerecht zu sein. Sie mag mich nicht, glaube ich, und kehrt mir gegenüber stets die schnippische Seite heraus. Diejenigen, denen sie wohl will, sind entzückt von ihr. Sie ist ein Sprühteufelchen, anziehend, ohne gerade hübsch zu sein, voller Leben, launisch –« Sie stockte. »Ja, ja«, sagte sie dann leise, »sie ist sehr reizend, sehr – und nun leb wohl, Beate!«

»Willst du weinen?« fragte die Cousine, »du hast so glänzende Augen!«

»Nein«, sagte Klaudine, »ich will nicht weinen.«

»Na, dann leb wohl, Herzenskind, und denke an frische Toiletten. Lothar will ein Fest geben. Ich meine, du wirst dann selbst diese ›sehr reizende‹ Prinzessin ausstechen, und nicht wahr, du leihst mir ein wenig deinen Rat, ich hin in der Hofsitte so unerfahren wie ein kleines Kind. Leb wohl, Schatz, leb wohl!«

Klaudine eilte ins Haus zurück in ihr kleines Stübchen. Ihr war, als sei die Welt aus den Fugen gegangen seit gestern. Sie wußte ja nur zu gut, warum Prinzeß Thekla ihr zweites Töchterchen nach Neuhaus brachte!

»Verloren!« flüsterte sie, »verloren für immer! Aber – kann man denn etwas verlieren, was man nie besaß?«

Sie war nicht ärmer als bisher, und doch – seit gestern, seit diesem bunten schrecklichen Gestern hatte sich riesengroß eine Hoffnung in ihr Herz gedrängt, sie hatte wider Willen an seinen nächtlichen Ritt tausend süße törichte Gedanken geknüpft. Hoffen und Bangen hatte sie bewegt bis zum grauen Morgen.

Welche Torheit! Er war nicht gekommen, um mit liebendem Auge ihren Schatten zu erspähen, er hatte nachsehen wollen, ob sie daheim sei, wie es ehrbaren Mädchen ziemt! O, er war sehr besorgt um die Ehre seines Namens!

Sie preßte die Hände vor die Augen, so fest, daß sie Feuerfunken zu sehen vermeinte, aber mitten darin gaukelte eine zierliche Mädchengestalt. Sie ließ die Arme wieder sinken und schaute durchs Fenster. War sie überhaupt noch bei Sinnen? Durch die roten Flecke, die noch vor ihren Augen tanzten, leuchtete jenseit des Gitters die Purpurlivree des herzoglichen Dieners, und nun stürzte Fräulein Lindenmeyer bereits ins Zimmer: »Klaudinchen! Fräulein Klaudine, die Hoheiten!«

Mit schwankendem Schritt trat Klaudine vor den Spiegel, setzte das weiße Strohhütchen auf, ließ sich von Fräulein Lindenmeyer den blaugefütterten Sonnenschirm in die Hand drücken und ging hinunter. Sie sah kaum, daß auf dem hohen Bock des sehr niedlichen zweisitzigen Wagens der Herzog in eigenster Person die Zügel hielt. Mechanisch beugte sie sich auf die Hand der Herzogin, deren zartes Gesicht vor Wonne über diese Spazierfahrt leuchtete.

»O, danke, danke, meine beste Klaudine, es geht mir vortrefflich!« sagte sie mit ihrer matten Stimme, »wie soll es auch anders sein? Dieses himmlische Wetter, dieser Tannenduft, der Herzog als Wagenlenker und Sie mir zur Seite! Sagen Sie selbst, meine Beste!«

Man war stundenlang in den Wäldern umhergefahren, vor einer einsamen Mühle wurde haltgemacht und die Herzogin hatte von der jungen, ganz bestürzten Müllersfrau ein Glas kühler Milch erbeten, während der Herzog dem Diener die Zügel zuwarf und plaudernd am Wagenschlag lehnte. Den ehrerbietig herzugeeilten Müller hatte er huldvoll nach dem Gange des Geschäfts gefragt und ihn geheißen, der Frau Herzogin die drei Buben vorzustellen, die mit den kleinen Prinzen just in einem Alter standen, und die fürstliche Frau hatte die blonden sonnverbrannten Kinder gefragt, was sie werden wollten, und auf die Antwort: »Soldaten!« jedem für die Sparkasse einen blanken Taler mit dem Bilde des Herzogs geschenkt. Dann war man weitergefahren, heimwärts, denn die Abendsonne begann durch das Tannengezweig zu leuchten.

Die Herzogin tat noch immer tausend Fragen. Gewaltsam mußte Klaudine ihre wild davonflatternden Gedanken zusammennehmen.

»Neuhaus hat Gäste«, sagte jetzt die fürstliche Frau, »dort weht die Standarte unseres Hauses.«

»Ihre Durchlaucht Prinzeß Thekla«, bestätigte Klaudine mit matter Stimme.

»Und Helene?«

»Prinzeß Helene wird ebenfalls erwartet, Hoheit.«

»Leb wohl, du schöne Einsamkeit!« rief die Herzogin.

Die Kutsche näherte sich rasch der niedrigen Mauer des Neuhäuser Parkes, ihr entgegen rollten in scharfem Trabe zwei Landauer, die Kutscher und Diener in großer Livree. Man mußte sich unmittelbar an der Einfahrt begegnen, und in der Tat, der Herzog senkte grüßend die Peitsche, und die Herzogin winkte freundlich mit der Hand zu dem Wagen hinüber, in deren braunseidenem Rücksitz zwei Damen saßen, gegenüber Baron Lothar. Klaudine sah, wie die junge Prinzessin, im koketten Reisemantel aus hellgrauer glänzender Seide, unter dem zierlichen Strohhütchen hervor einen spöttisch verwunderten Blick zu ihr hinüberwarf, wie Prinzeß Thekla die Lorgnette bei der Verneigung, die sie der regierenden Herzogin halb widerwillig zukommen ließ, kalten Auges auf sie richtete und wie Lothar sie kaum zu beachten schien. Nach ein paar Sekunden war man aneinander vorüber.

»Dort tritt die künftige Herrin in das Neuhäuser Schloß«, sagte der Herzog, und seine blitzenden Augen streiften das bleiche Mädchengesicht.

»Du meinst wirklich, Adalbert? Welch Glück für die kleine Verwaiste!«

Er antwortete nicht. Klaudine preßte die Hände um den Griff ihres Sonnenschirmchens, sie zwang sich gewaltsam, ihre tiefe Bewegung nicht zu verraten. Ahnte der Herzog, wer es war, den sie im Herzen trug? Sie konnte nicht hindern, daß eine heiße Röte sich über ihr Antlitz ergoß, und jetzt begegnete sie abermals dem forschenden Auge des Herzogs.

»Sie ist ein verwöhntes kleines Geschöpf«, sagte die Herzogin, die jetzt wie träumerisch in dem Polster des Wagens lehnte, »möge sie Glück bereiten und finden! Unter uns, liebste Klaudine, ich glaube, Geralds Neigung wird von ihr erwidert und von Prinzessin Thekla begünstigt.«

»Ich glaube es auch, Hoheit«, bestätigte Klaudine und erschrak fast über ihre harte Stimme. Es war mit einem Male seltsam kalt und still in ihr geworden.

In Neuhaus waren indessen die fürstlichen Gäste heimisch geworden. Prinzeß Helene hatte das Kind ihrer Schwester, das Frau von Berg den Damen im weißen, überreich mit Spitzen verzierten Kleidchen entgegentrug, geküßt und dann sofort Umschau gehalten. Sie war treppauf und -ab gegangen, hatte Türen geöffnet, in die Zimmer gesehen und gefragt, wo denn ihr Schwager sein Heim habe, um stehenden Fußes auch in dessen Räume einzudringen, die mit ihren Jagdtrophäen und Waffen, mit Bilderschmuck, mit antiken Möbeln und persischen Teppichen das Muster einer eleganten Herrenwohnung boten, und hatte dort, neugierig wie ein Kind, mit ihren schwarzen Beerenaugen alles gemustert. Sie war im Garten gewesen und wieder in das Herrenhaus gekommen und hatte da plötzlich vor einer Tür gestanden, die mit großer energischer Schrift die Worte: »Verbotener Eingang!« zeigte. Sofort hatte Ihre Durchlaucht den Drücker gebogen, und ihr dunkles Köpfchen lugte neugierig in das altvaterische Wohnzimmer. Wie das gemütlich aussah! Wie traulich das Abendrot die altersbraunen Möbel überhauchte! Und wunderbar, dort am offenen Fenster saß ein schlanker Mann und las, sein feines Profil hob sich scharf ab gegen das dunkle Grün der Bäume hinter den Scheiben. Er war so tief in den alten Lederband versunken, daß er gar nicht bemerkte, wie er beobachtet wurde.

Leise machte die kleine Prinzeß die Tür wieder zu und flog die breite eichene Treppe hinauf. Oben warf sie sich in einen Lehnstuhl und wollte sich totlachen über das erschreckte Gesicht der Frau von Berg, die auf ihrem gewöhnlichen Platz eifrig schrieb.

»Was haben Sie uns denn eigentlich immer berichtet von diesem Neuhaus, liebste Berg?« fragte sie. »Da war in Ihren Briefen an Mama von weiter nichts die Rede, als von ›durchaus nicht standesgemäß‹, von ›spießbürgerlichen Gewohnheiten‹ und so weiter. Ich finde es reizend, überaus reizend hier, ich werde nicht einen Augenblick die Langeweile verspüren, die man immer zwischen Ihren Zeilen lesen mußte. Und was wollen Sie denn von der Schwester des Barons? Sie ist eine originelle Dame und sieht stattlich genug aus in ihrem grauen Seidenkleid, und was das Kind betrifft, so waschen Sie der Kleinen nur die dichte Schicht Reispuder ab, die Sie auf das arme Gesichtchen gelegt haben, wahrscheinlich um Mama zu rühren. Augenblicklich gleicht es Ihnen, liebste Berg, wenn Sie nämlich schmachtend zu erscheinen wünschen.«

»Durchlaucht!« rief Frau von Berg beleidigt und wurde rot unter der Schminke.

»Ereifern Sie sich doch nicht«, fuhr die Prinzessin fort, »geben Sie lieber derartige Versuche auf! Ich finde es nun einmal reizend hier draußen und werde das meinem Schwager sagen.«

»Da werden Durchlaucht völlig seinen Geschmack treffen.«

»Oh, was Sie meinen, Beste, das weiß ich«, erwiderte die Prinzessin, »aber das ist lächerlich, einfach lächerlich. Heraus mit der Sprache, liebstes Bergchen, wenn Sie positives wissen«, sagte sie siegesgewiß. »Sie begreifen doch, es kann mir nicht gleichgültig sein, wer die Mutter des Kindes« – sie wies nach der Nebentür – »wird.«

»Durchlaucht glauben mir ja doch nicht«, schmollte die Dame und sah vorüber an den funkelnden schwarzen Mädchenaugen.

»Mitunter nicht! Ich weiß indessen ganz genau Wahrheit und Dichtung bei Ihnen zu unterscheiden.«

»Nun, so lasse ich Ihnen die Wahl, Prinzessin«, begann Frau von Berg eifrig, »ob Sie glauben wollen oder nicht. Er –«

»Es ist nicht wahr!«

»Aber, Durchlaucht, ich sprach noch gar nicht!«

»Alice, sagen Sie nichts, es ist nicht so«, rief die Prinzessin fast drohend. »Er hat sie niemals angesehen, er ist ihr geflissentlich aus dem Wege gegangen. Sie wollten etwas anderes erzählen.«

»Gut, wie Durchlaucht befehlen. Sie –«

»Sie ist in anderen Ketten und Banden, ich habe es gesehen«, rief Prinzeß Helene. »Der Herzog –«

»Aber ich habe ja noch gar nichts gesagt«, unterbrach die Berg. »Wenn Durchlaucht so gut unterichtet sind, was soll ich dann noch sagen?«

»Sprechen Sie, Alice«, bat die Prinzessin jetzt, »ist es denn möglich? Mama ist außer sich darüber, ich sehe es ihr an, sie redet kein Wort zu mir, seit wir den Herzog mit ihr im Wagen gesehen haben, und ihre Nase ist spitz, das bedeutet Sturm. Sie wissen es, Alice.«

»Aber die Herzogin fuhr mit, Prinzessin.«

»Ach Gott«, rief diese und schlug die kleinen Hände zusammen, »die arme gute Liesel! Sie schwebt, wie gewöhnlich, in höheren Regionen und sieht den Wald vor lauter Bäumen nicht. Ich wette, Hoheit, meine Cousine, schreibt wieder an einem Trauerspiel, das dann im nächsten Winter zu unser aller Erbauung aufgeführt werden wird. Wissen Sie noch, Alice, vorigen Winter? Aber Sie waren ja in Nizza. Schauerlich! Schauerlich! Drei Tote waren zuletzt auf der Bühne, und ich hörte, wie Graf Windeck zu der Moorsleben sagte: »Passen Sie auf, Gnädigste, jetzt sticht gleich noch der Souffleur den Lampenputzer tot.«

Sie lachte übermütig, die kleine Prinzessin, wurde aber sofort wieder ernsthaft. »Ich bin ihr bei alledem doch sehr gut, Alice, sie ist liebenswürdig, trotz ihrer Romanideen. Arme, arme Liesel! Hätte sie nicht heute neben ihr gesessen, ich wäre aus dem Wagen gesprungen und ihr um den Hals gefallen. Sagen Sie, Alice, wie kann man einen solchen Eiszapfen, wie diese Klaudine, zu näherem Verkehr um sich haben?«

Die Tischglocke erscholl in diesem Augenblick und Prinzeß Helene ließ sich noch in aller Eile die Stirnlöckchen zurecht machen. Auf der teppichbelegten Treppe schritt eben Prinzessin Thekla am Arme des Hausherrn hinunter, als sie mit Frau von Berg und der Hofdame nachfolgte.

»Übrigens, Alice«, fragte die junge Prinzeß leise, »was ist das für ein Herr, der in dem Zimmer wohnt, wo angeschrieben steht »Verbotener Eingang«?«

»Ein Herr, Durchlaucht?«

»Nun ja, ja!«

»Durchlaucht müssen einen Geist gesehen haben.«

»Doch nicht. Ich werde mich bei Fräulein von Gerold erkundigen.« Sie tat es auch sofort, man hatte kaum Platz genommen.

»Das war mein Vetter Joachim, Durchlaucht«, antwortete Beate, und die Suppenkelle schwankte ein klein wenig in ihrer Hand.

»Der Bruder von Klaudine Gerold?«

»Ja, Durchlaucht.«

»Das Eulenhaus ist ja wohl sehr nahe, lieber Gerold«, erkundigte sich Prinzeß Thekla und nahm Salz in die Suppe.

»In einer halben Stunde zu erreichen«, erwiderte er.

»Wenn die gnädigsten Herrschaften befehlen, fahre ich vorüber an der Klosterruine. Sie ist sehenswert.«

»Danke!« unterbrach ihn kühl die alte Prinzessin.

»Danke!« betonte ebenso kühl Prinzeß Helene.

Er sah verwundert von seinem Teller auf. »Durchlaucht werden diesen Anblick kaum vermeiden können, denn unser schönster Waldweg führt an der Ruine vorbei.«

»Ich hoffe, Baron«, nahm Prinzeß Helene das Wort, »ich hoffe, Sie werden mich auf meinen Ritten begleiten. Komtesse Moorsleben ist zuweilen auch dabei.«

»Durchlaucht brauchen nur zu befehlen«, erwiderte er.

Prinzessin Thekla sprach jetzt von einer Milchkur, die sie unternehmen wolle. Sie war mit einem Male sehr liebenswürdig, scherzte mit Lothar über seine idyllische Häuslichkeit und nannte Beate ein Mal über das andere: »MeineTeure«. Niemals hatte sie so schmackhafte Forellen gegessen, und als Lothar sich erhob, das gefüllte Glas mit dem perlenden Champagner in der Hand, für die große Ehre dankend, die ihm durch den Besuch der durchlauchtigsten Großmama zuteil geworden, reichte sie ihm huldvoll die reich beringte schmale Hand zum Kuß und drückte das spitzenbesetzte Tuch einen Moment gerührt an die Augen.

Unter dem Vorwand, sie sei ermüdet, hob sie die Tafel noch vor dem Nachtisch auf und die Damen zogen sich in ihre Gemächer zurück. Frau von Berg durfte noch lange am Bette der Prinzessin Thekla sitzen, und als sie endlich ihr Zimmer aufsuchte, geschah es mit erhobenem Kopfe. Sie setzte dann noch eine Nachschrift unter den nachmittags begonnenen Brief:

»Es ist alles in schönster Ordnung, die Kleine brennt lichterloh in Liebe und Haß. Für wen die erstere Flamme leuchtet, wissen wir, und die letztere flackert für Klaudine.

In wenigen Tagen werden die Bäume im Walde sich eine große Neuigkeit erzählen. Im übrigen, anfangs der nächsten Woche findet hier ein Fest statt. Prinzeß Helene schwärmt von einem Tanz unter den Linden im Garten. Sie hat bei aller Bosheit eine gewisse Gutmütigkeit, so daß man sich bei ihr eines törichten Streiches wohl versehen kann und vorsichtig sein muß!

A. v. B.«

Sie siegelte den Brief und trug ihn hinunter. Eins der Küchenmädchen empfing ihn im Halbdunkel des Kellergeschosses und steckte schmunzelnd einen Taler in die Tasche. Frau von Berg mußte hohes Porto zahlen.

In der dämmerigen Wohnstube aber erscholl ein herzliches Frauenlachen. Als Beate hereintrat, saß da noch immer eine Gestalt in ihrem Lehnstuhl auf der Estrade und schrieb an ihrem Nähtischchen im allerletzten Tagesschein.

»Aber, Joachim!« rief sie mit ihrer klingenden Stimme, »wollen Sie sich durchaus die Augen verderben?«

Er fuhr empor, denn er hatte ganz vergessen, wo er war. »Mein Gott«, sagte er erschreckt und faßte nach dem Hut, »ich habe mich über dem alten Buche da verspätet. Verzeihen Sie, Cousine, ich räume sofort das Feld.«

»Jetzt nicht!« erklärte sie noch immer lachend, »denn Lothar wird Sie auch sehen wollen. Ihm gilt ja wohl Ihr Besuch?« Und sie drückte ihn sanft auf den Sessel zurück und suchte ihren Bruder.

Er stand in seinem Zimmer am Fenster und starrte auf die Landstraße hinaus.

»Lothar«, bat sie, »kommt herüber! Joachim sitzt noch immer dort und hat Zeit und Weile vergessen über dem alten Reisetagebuch aus Spanien, weißt du, das vom Großvater, in dem weißen Lederband.«

»Wie kam er denn eigentlich hierher, der Joachim nämlich?« fragte Lothar und nahm eine Zigarrentasche nebst Aschenbecher von dem eleganten Rauchtischchen.

»Ich fand ihn hier vor, als ich vom Eulenhause zurückkam, und da ich noch allerlei zu besorgen hatte, wie du dir denken kannst, das mich hinderte, ihm Gesellschaft zu leisten, so fiel mir das Buch ein. Du siehst, er hat sich trefflich damit unterhalten.«

Er blickte sie lächelnd an, indem er neben ihr durch die erleuchtete Halle schritt und in den Korridor einbog.

»Sage einmal, Beate«, fragte er, »hast du die Warnung an der Tür dort geschrieben, als er schon drinnen saß, oder vorher?«

»Natürlich vorher«, erwiderte sie unbefangen, und dann ward sie rot. »Ich verstehe dich nicht!« fügte sie ärgerlich hinzu.

»Nun, weißt du, Schwester«, sagte er mit einem Anflug von Schelmerei, »Verbotener Eintritt! schreibt man mitunter an Türen, die etwas verschließen, das man am liebsten ganz allein für sich behalten will.«

»O du abscheulicher Mensch«, schmollte Beate verlegen und wischte eilig mit der Hand über die Kreideschrift. Und dann saßen sie alle drei in der Wohnstube beim Glase Wein und Joachim erzählte, an das Buch anknüpfend, von seinen Reiseerlebnissen. Er sprach und Beate vergaß alles, vergaß, daß die Wachskerzen auf dem Kronleuchter im Eßsaal unnütz verbrannten, vergaß, die Reste der Tafel in die Speisekammer zu verschließen und das Frühstück für morgen anzuordnen. Vor den Fenstern flüsterten die Linden in dem Abendwind und der Duft vom frisch gemähten Gras zog in das Gemach.

Es war spät, als Lothar seinen Vetter durch den Wald nach dem Eulenhause fuhr. Auf dem Rückwege kam ihm der Wagen der Herzogin entgegen. In rasendem Tempo jagte er an dem Gefährt vorüber. Als er vor der Neuhäuser Rampe hielt, klirrte über ihm ein Fenster zu, und in dem Zimmer dort oben barg sich ein leidenschaftliches junges Gesicht wieder in die Kissen.

Prinzessin Helene hatte ihn fortfahren sehen, dort hinaus, wo das Eulenhaus lag. Gottlob, jetzt war er daheim!


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