Eugenie Marlitt
Das Eulenhaus
Eugenie Marlitt

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8.

Auf der Plattform des Zwischenbaues erscholl ein Lachen; es war just nicht melodisch, eher ein wenig zu laut, aber so herzhaft, so hell, daß selbst der eifrig schreibende Mann in der Glockenstube aufhorchte und ein leises Lächeln über sein anfänglich unwilliges Gesicht glitt.

Wie das klang! So keck, so ehrlich, so kerngesund! Merkwürdig, dieses Lachen – und es war Beate, das »barbarische« Frauenzimmer, das so lachte. Er schüttelte den Kopf und griff zur Feder, aber das Lachen klang immer wieder hinein in seine Gedanken. Dort unten aber, in dem Schatten der Steineiche, trocknete Beate sich eben die Tränen, welche die Heiterkeit ihr in die hellen Augen getrieben hatte.

Sie saß neben Klaudine auf der Bank, die der alte Heineihann zierlich aus Birkenstämmen zusammengefügt hatte, und erteilte Unterricht im Gebrauch der Nähmaschine. Das kleine blitzende Räderwerk stand vor ihnen auf dem grüngestrichenen Gartentische und die schönen, schlanken Hände der einstigen Hofdame bemühten sich, mit dem komplizierten Mechanismus zustandezukommen.

»Es sieht so drollig aus bei dir, Klaudine«, lachte Beate. »Aber, Herzenskind, du hast ja längst keinen Faden mehr in der Nadel und nähst mit wahrer Begeisterung! Siehst du, da ist er.«

Das schöne Mädchen im leichten, einfachen Kleide hatte dunkelrote Wangen vor Eifer.

»Nur Geduld, Beate, ich lerne es bald«, sprach sie und beschaute die Naht. »Ich werde dir nächstens noch bei deiner Näherei helfen können.«

»Na, das fehlte!« wehrte Beate ab. »Das Haus voller Frauensleute, die sich im Wege stehen, und du mir helfen, bei deiner vielen Arbeit? Die wenigen Stunden, die du erübrigst, solltest du deinem Klavier schenken und deiner Staffelei. Aber auf jemand anderen habe ich ein Attentat vor, und zwar auf die Berg. Glaubst du wohl, daß diese Person auch nur ein Strümpfchen strickt für das Kind? Und als ich ihr neulich von unserer feinsten selbstgesponnenen Wolle ins Zimmer trug und sagte: ›Hier, meine Beste, für das Kindchen kann schon immerhin zum Winter vorgesorgt werden, es ist kalt hier in den Bergen‹, bekommt sie eine kreideweiße Nase und sagt: ›Ihre Durchlaucht, die Prinzessin Thekla, würde es sich nicht nehmen lassen, die Garderobe ihres Enkelkindes bis aufs I-Pünktchen zu besorgen, und wollene Strümpfe seien überhaupt ungesund.‹ – ›So?‹ fragte ich, ›sehe ich ungesund aus? Oder der Vater des Kindes? Und wir, meine Beste, haben in der Kindheit nichts weiter auf dem Leibe gehabt als selbstgesponnene Wolle von unserer Schäferei und selbstgewebtes Leinen, und damit sind wir groß geworden.‹ Sie wagte nicht zu antworten, aber das Gesicht! Sie suchte ihren Ärger zu verbergen und bemerkte dann sehr kühl, sie habe strenge Vorschriften von der Prinzeß. Heiliger Gott! Na, warum ist Lothar so dumm gewesen! Er ist doch der Vater! Aber als ich ihm nachher die ganze Sache erzählte, zuckte er die Schultern und schwieg. Ich sollte das Würmchen nur vier Wochen haben, du würdest Wunder erleben, Klaudine, es würde ebenso frisch wie die Dicke da.« Und sie zeigte auf das Kind, das an seinem kleinen Tisch eifrig mit Täßchen und Tellerchen spielte, welche Tante Klaudine heute früh aus ihrem eigenen Puppenschrank hervorgesucht hatte. »Übrigens«, fuhr Beate fort, »auch dir bekommt die frische naturgemäße Lebensweise. Du solltest dich nur einmal sehen jetzt, deine Augen so glänzend, und dazu der leise rosige Schimmer auf den Wangen, den du am Hofe ganz verloren hattest. Ein Glück, Schatz, daß hier keiner ist, dem du den Kopf verdrehen kannst, du –'«

Klaudine hatte sich lächelnd über die Maschine gebeugt und drehte das Rädchen. Sie bemerkte das Verstummen Beates nicht, nicht den verwunderten, fast erschreckten Blick, den diese auf die Landstraße hinaus richtete. Barmherziger Gott, das waren ja die roten, goldbordierten Livreen des Hofes, die dort unter den Bäumen auftauchten!

»Du, Klaudine, ich bitte dich!« rief sie, »die Herrschaften! Wahrhaftig, sie fahren hier heran!«

Klaudine stützte sich plötzlich wie ohnmächtig auf die Lehne der Bank. Mit erschreckten Augen sah sie hinüber auf die Wagen, die eben hielten. Durch den Mittelweg stürzte Heinemann in Hemdsärmeln, bemüht, die Arbeitsschürze abzustreifen, vermutlich, um in die alte Livree zu fahren. Fräulein Lindenmeyers Fenster klirrten so hastig zu, wie noch nie, und Beate wendete sich zur Flucht. Da fiel ihr Blick auf Klaudine.

»Was hast du?« flüsterte sie und faßte das Mädchen an der Hand. »Komm, wir müssen ihnen entgegengehen.«

Aber schon hatte sich das schöne Mädchen aufgerichtet, sie eilte hinunter und schritt so sicher der Gartenpforte zu, als gehe sie bei einem glänzenden Hofball über das spiegelnde Parkett, als trüge sie statt des einfachen Kleides aus roher Seide und dem schwarzen Taftschürzchen die stolze Schleppe aus mattblauem Samt, in der sie noch vor kurzem alle Anwesenden bezaubert hatte. Beate folgte ihr mit bewundernden Augen. Wie unendlich graziös sank eben die herrliche Gestalt in tiefer Verbeugung zusammen, wie demütig neigte sie die schöne Stirn unter dem Kuß der Herzogin!

Beate bog sich vor, um die Herren zu sehen. Mein Gott, da stand ja Lothar neben dem Herzog, und eben schickten sie sich an, dem Hause zuzugehen, die fürstliche Frau am Arme Klaudines. Rasch schlüpfte sie durch die Glastür in die Wohnstube und von dort in Fräulein Lindenmeyers Zimmer. Die alte Dame stand vor dem Spiegel und stülpte die rotbebänderte Haube auf, die einen ebenso verzweifelten Eindruck machte wie ihre Besitzerin, deren Hände keine Nadel in die Haube zu stecken vermochten vor Zittern. Das alte Fräulein bot einen drolligen Anblick, sie hatte zwar schon die schwarze Kleidertaille angelegt, aber der Rock hing noch vergessen im Spinde mit den weit aufgesperrten Türen.

»Lindenmeyerchen, regen Sie sich doch nicht auf!« rief Beate belustigt, »sagen Sie mir lieber, wo die Kristallteller aufbewahrt werden, die noch von der Großmama stammen, und wo Klaudine die silbernen Löffel hat? Und dann setzen Sie sich in Ihren Lehnstuhl ans Fenster. Dafür genügt Ihre Toilette just, und betrachten Sie später in aller Ruhe die Herrschaften, wenn sie im Garten spazieren.«

Aber die alte Dame hatte so völlig den Kopf verloren, daß sie beteuerte, sie wisse sich in diesem Augenblick auf nichts, rein gar nichts zu besinnen, und wenn sie sich das Leben damit retten könnte. Lachend machte Beate die Tür zu und stieg die Treppe hinauf zu dem Träumer. Der hatte natürlich noch keinen Schimmer von der Ehre, die seinem Hause widerfuhr, und sah und hörte nichts als seine eigenen Gedanken. Sie schüttelte den Kopf und stand doch zaghaft vor der altersbraunen Tür, die in die Glockenstube führte. Ein helles Rot lag über ihrem Gesicht, als sie auf sein »Herein!« den Drücker bog, und plötzlich sah ihr Antlitz, dieses strenge Antlitz mit den starken Linien, mädchenhaft lieblich aus.

»Joachim, Sie haben Besuch«, sprach sie, »nehmen Sie Ihr köstliches Gewand und kommen Sie. Das herzogliche Paar ist unten.«

Als er den Kopf hob und sie ärgerlich und verwundert ansah, lachte sie, und das war wieder das nämliche Lachen wie vorhin.

»Aber eilen Sie doch! Die Hoheiten werden den Hausherrn vermissen. Ich komme nach mit einer Erfrischung.«

Unwillkürlich fuhr er sich in das üppige braune Haar. Das fehlte noch im Eulenhause, Allerhöchster Besuch! Was wollen sie bei dem Verarmten? Ah, Klaudine, sie wollen Klaudine wieder holen!

Mit finsterer Miene eilte er hinaus. Sie stand noch ein Weilchen in dem Gemach und sah sich um, scheu wie ein Kind, das zum erstenmal die Kirche betritt. Dann schlich das große robuste Mädchen auf den Zehen an den Schreibtisch und spähte herzklopfend mit purpurroten Wangen nach dem offenen Hefte, auf dem die Feder lag. Die Buchstaben dieser feinen leichten Schrift waren noch nicht getrocknet. Dort stand der Titel: »Einige Gedanken über das Lachen«. Sie schüttelte wie verwundert den Kopf und sah von dem Manuskript zu dem geöffneten Bücherschrank und da zuckte wieder ein Lächeln um ihren Mund, aber diesmal nicht schalkhaft, es war das Lächeln innerer herzlicher Befriedigung, und so ging sie hinunter in die Speisekammer, stellte frische, duftende Waldbeeren und Streuzucker auf einen Präsentierteller und kam, von Heinemann gefolgt, der in der längst nicht mehr getragenen Geroldschen Livree etwas wunderlich aussah, zu dem Tisch auf der Plattform, als just die Herzogin sich erhoben hatte, um den Wachskeller zu besuchen, der freilich nur noch den kleinsten Rest des Fundes barg.

Beate von Gerold war den Herrschaften bereits vorgestellt worden. Als ihr Bruder sich mit einer Prinzeß des herzoglichen Hauses vermählte, hatte sie ihre drei qualvollsten Lebenstage in der Residenz verbracht, hatte Besuche machen müssen und wieder empfangen, hatte diniert bei der Prinzeß Thekla und einen Empfang im Schlosse »überstanden«, wie sie sagte. Sie hatte einmal himmelblaue Seide, einmal gelblichen Atlas getragen und war sich sterbensunglücklich darin vorgekommen, und als sie zurück nach ihrem Altenstein gekommen, war sie mit köstlichem Behagen wieder in die dehnbare Trikottaille gefahren und hatte geschworen, lieber Steine zu klopfen, als bei Hofe zu leben. In Erinnerung hieran fiel ihre Verbeugung sehr wenig devot aus, und ihr Gesicht zeigte ganz den Ausdruck, den Joachim als barbarisch zu bezeichnen pflegte.

»Also in den Wachskeller, meine Herrschaften«, mahnte der Herzog und legte seiner Gemahlin fürsorglich das rote, golddurchwirkte Mäntelchen um die Schultern. Klau- dine nahm einen großen Schlüssel aus dem Körbchen, das neben der Nähmaschine auf dem Tische stand, und hieß Heinemann vorangehen. Joachim führte die Herrschaften. Sie selbst eilte in das Haus, um die noch immer fehlenden Löffelchen und Teller und ein Tafeltuch auszugeben.

Sie tat es mit zitternden Händen und um ihren Mund lag ein gramvoller Zug. »Warum?« fragte sie halblaut, »warum auch hierher?« Sie lehnte den Kopf an die Pfosten des alten Eichenschrankes, der das Linnen der Großmutter barg, als suchte sie eine körperliche Stütze in dem Sturme, der durch ihre Seele ging. »Nur ruhig«, flüsterte sie und preßte die Hand gegen die Brust, als wollte sie das stürmisch klopfende Herz gewaltsam zum Gehorsam zwingen. Als sie ein paar Minuten später sich anschickte, den Herrschaften in den Keller nachzufolgen, da war ihr ernstes, schönes Gesicht unbewegt wie immer.

»Halt!« sagte eine tiefe Stimme am Kellergewölbe, »bis hierher und nicht weiter! Sie haben keine Umhüllung, und dort unten ist es kühl.« Baron Lothar stand in dem dämmerigen Gewölbe und streckte die Hand gegen sie aus. »Wenn Sie Ihre Ungeduld noch ein wenig bemeistern könnten, Cousine«, fuhr er fort, und es klang fast wie Hohn, »ich höre die Herrschaften die Treppe heraufsteigen. Das war doch die Stimme Seiner Hoheit soeben? Oder irre ich mich?«

Sie hielt seinem Blicke stand und zuckte nur leicht die Schultern. Er sah sie so eigentümlich an, fast drohend.

»Es ist besser, wir erwarten die Hoheiten dort oben«, sprach er weiter, »hier –« er brach ab, denn sie hatte sich umgewandt und schritt die Stufen empor, die in den Flur des Hauses führten, und von dort, ohne sich umzusehen, auf den anmutigen Platz. Er folgte ihr und lehnte sich gegen den Pfosten der Glastür, indem er den einfach gedeckten Tisch musterte. Da erinnerte nichts an ein altes begütertes Geschlecht, es fanden sich nur einfache Glastellerchen und dünne verbrauchte Löffel. Das Silberzeug des Hauses stand ja in seinen Schränken, allein der Damast des Tischtuches zeigte das Wappen der Gerolds in den Ecken, ein Meisterstück der Webekunst. Die alte Dame hatte es ehedem mit hierher genommen auf ihren Witwensitz als eine Erinnerung an jenen Tag, da es zum erstenmal aufgelegen, an dem Tauftage ihres Sohnes.

»Unser Wappen«, sagte er und zeigte auf den springenden Hirsch, der einen Stern zwischen dem Geweih trug. »Er ist rein geblieben, dieser Schild, im Laufe der Jahrhunderte, nicht ein einzigesmal ward der Glanz des Sternes verdunkelt! Wohl kamen Unglücksfälle über das Geschlecht, wohl unterlag es der Macht des Schicksals, aber die Ehre hielten sie makellos, die Männer und – die Frauen, soviel ihrer waren bis heute.«

Das schöne Mädchen zuckte empor, als habe eine Schlange sie gebissen, und ein herzzereißender Blick aus den blauen Augen flog zu ihm hinüber, aber die Worte erstarben auf ihren Lippen, denn eben kamen die Herrschaften zurück und Lothar eilte ihnen entgegen. Der Herzog, neben Joachim gehend, folgte seiner Gemahlin, die den Arm der alten Freiin genommen hatte. Hinter ihnen schritt ein sonderbares Paar, Beate mit Palmer, den sie um Kopflänge überragte. Sie hörte mit dem Ausdruck lächelnder Verachtung auf sein eifriges Sprechen und suchte, am Tische angekommen, einen Stuhl, so weit wie möglich von ihm entfernt.

»Und der ganze große Keller war voll?« fragte die Herzogin, Platz nehmend, und ohne die Antwort zu erwarten, sprach sie lebhaft weiter: »O, Walderdbeeren, wie liebe ich sie! Wie tausendmal aromatischer duften sie, als die, welche man in den Gärten oder Gewächshäusern zieht! Weißt du, mein Freund«, wendete sie sich an den Herzog, der noch immer im Gespräch mit Joachim stand, »wir werden mit den Kindern in den Wald gehen und selbst Beeren suchen. Dabei ließe sich ein entzückendes Picknick arrangieren. Herr von Palmer, sorgen Sie dafür, daß man einen Platz ausfindig macht, wo Erdbeeren stehen, aber bald, bald! Wir wollen die schöne Zeit hier genießen.«

Man saß jetzt um den Tisch und Klaudine reichte ihren Gästen die Fruchtschale. Eben stand sie vor dem Herzog, er dankte mit kurzer Handbewegung, ohne sie anzusehen, und horchte auf Joachims Rede. Nun trat sie zu dem Neuhäuser. Auch er dankte. Sie schritt still nach ihrem Stuhl zurück und sah auf das Kind hernieder, das sich herzugeschlichen hatte und an ihren Schoß lehnte, und fuhr erst aus ihrem Sinnen empor, als die Herzogin sie anredete.

»Mein liebes Fräulein von Gerold, Sie müssen oft nach Altenstein kommen. Wir, mein Gemahl und ich, haben uns fest vorgenommen, alle Etiketterücksichten hier fallen zu lassen, wir wollen wie gute getreue Nachbarn miteinander leben, Ausflüge machen und uns besuchen. Die Neuhäuser werden wir auch überfallen, ja, ja, Fräulein von Gerold!« wandte sie sich an Beate, »ich muß mir Ihre vielgerühmte Musterwirtschaft einmal in der Nähe beschauen und hoffe, Sie ebenfalls auf Altenstein zu sehen.«

»Es wird unserem Hause eine unendlich große Ehre sein, wenn Eure Hoheit es mit Ihrer Gegenwart beglücken, aber mich wollen Hoheit gnädigst entschuldigen«, klang Beates tiefe Stimme entsetzlich wenig verbindlich und trocken. »Meine Wirtschaft leidet nicht, daß ich mich oft und lange vom Hause entferne, es ist nur anvertrautes Gut, und ich stehe dort an Stelle der Hausfrau meines Bruders. In Vertretung einer anderen ist man doppelt gewissenhaft, Hoheit.«

Die junge fürstliche Frau sah einen Augenblick befremdet zu der Sprecherin hinüber, dann flog der liebenswürdige Ausdruck von vorhin wieder über ihre Züge.

»Die Gerolds waren alle pflichttreu«, sagte sie freundlich, »das ist gut und lobenswert und ich muß den Korb wohl hinnehmen. Aber Sie, Fräulein Klaudine von Gerold, Sie! Ganz gewiß, auf Sie rechnen wir bestimmt. Ist es nicht so, Adalbert?«

»Verzeihung! Wie befiehlst du? Ich habe nicht verstanden, Elise.«

»Du sollst mir bestätigen«, sprach sie freundlich, »daß wir sehr auf Mamas Liebling rechnen bei unserer Anwesenheit in Altenstein, daß wir wünschen, Fräulein Klaudine von Gerold oft bei uns zu haben. Nicht, Adalbert?« Einen Moment blieb es still unter der Eiche. Die Abendsonne vergoldete jedes Blättchen mit purpurnem Schein; durch die Lücken des Geästes zuckten schimmernde Lichter und die zitternden Funken machten es wohl auch, daß Klaudines Antlitz in jähem Wechsel bleich und purpurn erschien.

»In der Tat, Fräulein von Gerold«, tönte es jetzt in ihr Ohr mit einer Stimme, die den Sturm in ihrem Herzen plötzlich beschwichtigte, so ruhig und gleichgültig klang sie. »In der Tat, die Herzogin sprach davon, mit Ihnen im Altensteiner Saale zu musizieren.« Und sich wieder zu Joachim wendend, fragte er: »Ja, wie wurde es? Ist der Mann gestorben an der Wunde, oder?«

»Er lebt, Hoheit, und wildert nach wie vor.«

Wenn der Herzog von Jagd und verwandten Dingen sprach, war er einfach für anderes verloren, das wußten sie alle. Nur Palmer lächelte ungläubig und schaute Klaudine an, deren Brust sich wie befreit hob.

»Wenn Hoheit befehlen«, sprach sie leise, »aber ich habe seit langer Zeit keinen Ton mehr gesungen. Mir fehlt die Muße jetzt.«

Ein leises Hüsteln der fürstlichen Frau ließ sie einhalten. Durch die Bäume kam der erste kühle Luftzug des Abends.

Der Herzog sprang empor. »Es wird Zeit«, sprach er; »die Wagen!«

Der herzogliche Diener, der unbeweglich an der Gartenpforte gestanden hatte, erhielt von Palmer einen Wink, und in kürzester Zeit waren die fürstlichen Gäste eingestiegen, und die Wagen brausten auf der Straße hin.

»Wir müssen wohl auch an den Abschied denken, Lothar?« sagte Beate zu ihrem Bruder. Er nickte bejahend und schüttelte Joachim die Hand. Als er sich zu Klaudine wenden wollte, war sie verschwunden.

Beate, die Sonnenschirm und Hut holen wollte, traf sie anscheinend ruhig in der Küche beschäftigt, ein Tellerchen mit Erdbeeren zu füllen für Fräulein Lindenmeyer, wie sie sagte.

»Na, wo steckst du denn? Wir wollen fort, Klaudine«, begann Beate und zog die gewebten seidenen Handschuhe an. »Das war übrigens ein recht bewegter Tag heute. Ich gratuliere dir zu dem gutsnachbarlichen Verkehr, es kann ja sehr gemütlich werden. Halte dir nur immer etwas im Hause, ein paar kleine Kuchen oder dergleichen, die gnädige Frau von Altenstein wird öfter kommen, sie gefällt sich in der Rolle, wie weiland Königin Luise auf Paretz. Ach Gott, Klaudine, bei dieser Armen ist es, glaube ich, die Angst, die Todesangst, die sie alles mögliche beginnen läßt. Aber ich muß fort, die dicke Berg wird schon Hunger haben, und in die Speisekammer können sie nicht, ich habe zugeschlossen. Leb wohl, Klaudine, komm bald einmal und bringe das Kind mit.« Sie drückte ihr die Hand und eilte hinaus.

Klaudine trug Fräulein Lindenmeyer die Erdbeeren hin und fand diese noch immer im Unterrock und der rot bebänderten Haube. Sie hielt die Kleine auf den Knieen und erzählte ihr eine Geschichte von einem wunderschönen Mädchen, das einen Prinzen heiratet.

»Einen Herzog«, verbesserte die Kleine, und Klaudine erblickend fragte sie: »Darf ich noch hier bleiben, Tante?«

Aber die Tante hörte nicht, sie horchte auf das Rollen eines Wagens, das im Walde verklang.

»O Jesus, Fräulein Klaudine!« rief Fräulein Lindenmeyer, froh, endlich über das große Ereignis sprechen zu können, »was ist unser allergnädigster Herr für ein schöner Mann! Jeder Zoll ein Herzog! Und wie er da durch den Garten schritt neben unserem Herrn, da fiel mir ein, was Schiller sagt: ›soll der Sänger mit dem König gehen, sie beide wohnen auf der Menschheit Höhen.‹ Gnädiges Fräulein, ach, hätte es doch die Großmama erlebt, daß Sie da wie eine Familie auf der Plattform gesessen und Erdbeeren gegessen haben. Ach, Fräulein Klaudinchen!«

»Tante Klaudine, mir gefällt Onkel Lothar besser«, plauderte das Kind, »Onkel Lothar hat gutere Augen.«

Die junge Dame wandte sich plötzlich ab und schritt ohne ein Wort der Tür zu. Dann stieg sie die schmale Treppe hinauf und klopfte an Joachims Tür. Sie fand ihn, im Zimmer auf und ab gehend mit einem fast hilflosen Gesichtsausdrück.

»Ich bin völlig aus dem Sattel geworfen mit meinem Gedankengang«, klagte er. »Oh, meine schöne Einsamkeit! Klaudine, verstehe mich nicht falsch! Du weißt, wie sehr ich unsere fürstliche Familie liebe und verehre, wie stolz ich bin, daß meine schöne Schwester sie herzieht in unseren Waldwinkel. Aber, Klaudine, du bist böse, weil ich das sage?« fragte er, den Schatten in ihrem Gesicht erst jetzt gewahrend.

Sie schüttelte den Kopf. »Nein, Joachim, weshalb wohl? Aber du tust mir leid, und wir wollen es ehrlich den Herrschaften sagen, daß du bei deiner Arbeit durch nichts – hörst du? – durch nichts gestört werden darfst.«

Er blieb stehen und strich ihr über die Wange. »Nein, Kleine«, erwiderte er, »als ehemalige Hofdame mußt du am allerbesten wissen, daß das nicht möglich ist. Es war eine hinreißende Liebenswürdigkeit von der Herrschaft, uns hier zu besuchen. Eine Abfertigung, wie Beate sie in ihrer derben Manier gab, darf sie von uns nicht hören. Diese Beate«, fuhr er fort, »benahm mir den Atem, als sie die Antwort herauspolterte. Ich verstehe Lothar nicht, der das so ruhig und gelassen mit anhören kann, mir ginge es durch und durch!«

»Aber deine Arbeit, Joachim? Sei versichert, die Herzogin würde untröstlich sein, erführe sie später, daß sie dich hinderte.«

»Sie ist ein liebes Gemüt, Klaudine, begeistert für alles Schöne, und sie ist krank, sehr krank. Hörtest du den Husten? Er schnitt mir ins Herz. So hustete sie auch, Klaudine! Oh, diese gräßliche Krankheit! Nein, nein, Klaudine, schon dieses verlöschenden Lebens wegen mag das Eulenhaus ihr offen stehen zu jeder Zeit.«

Die Schwester antwortete nicht mehr. Sie war zu dem Bogenfenster getreten, durch welches rotglühendes Abendlicht strahlte, und schaute mit bangen Augen über die Wipfel der Bäume hinweg. Nein, sie konnte, sie durfte ihm keine neue Sorge aufbürden, durfte ihn nicht beunruhigen. Vielleicht war sie auch erstorben, die blinde, alles vergessende Leidenschaft? Keiner jener heißen Blicke war ihr heute gefolgt, sein Auge hatte sie kaum gestreift. Sie nickte mechanisch mit dem Kopfe, als wollte sie einer inneren Stimme widersprechen. »Doch, vielleicht seine Ritterlichkeit, seine Großmut haben gesiegt, und der Anblick des verlöschenden Lebens –«

Der Bruder war zu ihr getreten und hatte ihre Hand ergriffen. »Macht dich die Einsamkeit traurig, Klaudine?« fragte er weich. »Heute, wo ein glänzendes Streiflicht deines vergangenen Lebens in unser Haus fiel, da erschien es mir so unsagbar armselig, da kam mir der Gedanke, es sei eine Sünde, dich hier zu fesseln.«

»Joachim«, rief sie lachend, aber ihre Augen schimmerten feucht, »wenn du wüßtest, wie gern ich hier bin, wie heimisch, wie traut mir diese Armseligkeit ist, du würdest nie wieder solche Dinge reden! Nein, ich bin nicht traurig, ich bin eigentlich so herzensfroh wie lange nicht. Und nun will ich hinunter und unser Abendessen richten. Es besteht zwar nur aus Blattsalat und weichen Eiern, aber du glaubst nicht, Joachim, wie zart Heinemanns Salat ist.«

Sie hielt ihm die Wange zum Kusse hin und ging, ihm noch einmal zunickend, aus der Tür.

Ein paar Stunden später lag das Eulenhaus schweigend und ruhig, als hätte es der Wald mit seinem Rauschen in den Schlaf gesungen. Nur aus Klaudines Zimmer schimmerte noch Licht. Seine Bewohnerin saß vor dem altmodischen Schreibtischchen, das auf lächerlich dünnen Beinchen sein Gleichgewicht behauptete und einstmals zu der Einrichtung von Großmamas Mädchenstube gehört hatte. Sie hatte mehrere Fächer aufgeschlossen und kramte in Briefen und trockenen Blumen und allerlei Kästen umher. Ja, diese stolze, schöne Hofdame mit dem tadellos kühlen Wesen, sie war doch nur ein Mädchen, wie die anderen auch, ein echtes Mädchen mit zaghaftem Herzen und heimlichem Bangen und Hoffen. Wie hätte sie sonst wohl ein kleines Streifchen Papier, darauf einige Noten geschrieben, mit so tränenschimmernden Augen an die Lippen drücken können, wie sie es eben tat? Es waren nur wenige Reihen flüchtig geschriebener Noten, und darunter standen die Worte: »Willst du dein Herz mir schenken, so fang es heimlich an.« Sie hatte es einst auf Wunsch ihrer alten Hoheit singen sollen, und die Noten hatten gefehlt, und da war einer aus dem gewählten kleinen Kreise aufgestanden, um am Nebentischchen aus dem Gedächtnis die innige Melodie niederzuschreiben, und sie hatte dann das Lied gesungen. Sie fühlte, sie hatte schön gesungen an jenem Abend. Und als sie geendet hatte, sah sie ein Paar Männeraugen, die mit unverhohlener Bewunderung an ihr hingen. Nur dies eine Mal, nie wieder! Es hatte auch kaum eine Sekunde gedauert, dieses Auge-in-Auge, dann senkten sich seine Blicke zur Prinzeß Katharina, neben deren Sessel er stand. Ein ritterlicher Kavalier, stets den Launen seiner Dame mit lächelnder Nachlässigkeit gehorsam! Und die schwarzen, dreisten Augen dieser kleinen Prinzessin hatten ihn so strahlend angeschaut, als wollten sie die Worte wiederholen, aber als Frage: »Willst du dein Herz mir schenken?«

Das war wohl längst aus seinem Gedächtnis geschwunden, sonst würde er nicht, als sie neulich von seiner Liebe zur Musik sprach, so geradezu feindselig geworden sein, und sie hatte doch diesen Abend nimmer vergessen können. Da war es ja auch, wo ein Paar andere Augen zum erstenmal mit jenen heißen, glühenden Blicken die ihren suchten, sie erschreckend bis zum Tode.

»Willst du dein Herz mir schenken?«

Sie sprang empor und ging vom Schreibtisch zum Fenster und wieder zurück in der alten qualvollen Unruhe. Ihre Augen irrten wie hilfesuchend durch das Zimmer, und dann blieb sie doch wieder vor dem Schreibtisch stehen und sah auf das kleine Pastellbild des lieben Frauengesichtes, das dort im reichgeschnitzten Rahmen hing, dessen obere Verzierung den Wappenhirsch zeigte. Der Stern zwischen dem Geweih, der aus Metall hergestellt, blitzte seltsam im flackernden Lichtschein. Ein bitterer, weher Ausdruck flog um ihren Mund.

»Meine Mutter«, sagte sie leise, »wenn du noch lebtest, und ich könnte dir alles erzählen!«


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