Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

III

 

Ein Prinz von Lahore ließ sich, auf der Durchreise in Neapel, bei ihr einführen. Er wollte drei Tage später die Stadt verlassen: drei Jahre darauf war er noch da. Er war mager, tiefbraun, von wahrem, schlichtem Edelsinn. Er lachte nie, wunderte sich, daß man sänge, und lebte, sogar noch in ihren Armen, nur für ihre Betrachtung.

Flottillen, weiß und golden, die er für sie erbaute und ausrüstete, schleppten ihre über Bord hangenden Purpurteppiche durch das eulenäugige Meer und fegten mit grünlichen Geweben das Meer von der Farbe der Sirenenaugen. Sie fuhren unter einem Hofstaat von lauter Glücklichen den Prachtbauten entgegen, die er für sie erstehen ließ auf Vorgebirgen, von wo der Horizont hell war, oder hinter dicken Zypressengittern. Einer, ein römischer Kaiserpalast, erhob sich auf dem Posilippo. Einer war maurisch und erwuchs aus den Ruinen von Ravello. Das letzte, was er für sie schuf, war ein Garten am Meer, amphitheatralisch eingesenkt zwischen rauhen, wolligen Felsen, ein Garten voll zottiger rostbrauner Bäume, verschleierter Weiher, weißer Tempel, fahlblauer Durchblicke, jäher roter Blütengarben und dumpfer Moore, ein Garten, älter als die Welt und wo man sie vergaß, und ein Garten voll eines namenlosen Fiebers.

Darauf verabschiedete er sich von ihr, ernst und ohne Vorwurf – weil er vollständig ruiniert war. Sie sah ihn wunschlos gehen, und es fiel ihr auf, wie wunschlos er bei ihr geweilt hatte. Er hatte sich weise genügen lassen an der Wollust des Augenblicks. Er hatte ihren Gebärden und Launen jeder Minute dankbar zugesehen und mit verschränkten Armen bei ihr gestanden, als seien ihre Glieder und ihre Schreie ein Schauspiel, von Gott ihm vorgeführt. Das weite Schauspiel, das sie war, verlangte die Mitwirkung vieler Männer; darum hatte er sich den andern Begünstigten niemals feindlich gezeigt. Er hatte sich für sie ruiniert wie für eine Kurtisane, und sie sah es ihm an, er war sehr glücklich. Statt des juwelenübersäten Turbans und der Goldbrokate bedeckte ihn jetzt ein sauber gebürsteter Filz und ein schwarzes Röckchen. Und er hielt sich noch immer mit verschränkten Armen in ihrer Nähe auf, völlig befriedigt durch alles, was er mit ihr erlebt hatte, durch Sturm, Sonne, Blühen, Vergluten, spritzende Wogen, was alles, alles sie gewesen war. Seine Augen waren voll schönen, beruhigten Schattens. Er war weise, sie liebte ihn. Sie hütete sich, ihm Geld zurückzugeben: es hätte ihn entstellt.

Aber sie schenkte dem jungen Leroyer noch eine sechste Million außer den fünf, die er ihretwegen verloren hatte. Er hatte sie für sich eingenommen durch seine Hilflosigkeit und seinen kindlichen Pessimismus; weil er es für unmöglich hielt, anders als um sein Geld geliebt zu werden; weil seine Millionen ihn schüchtern machten und er seinen Freunden, die ihn bestahlen, mit einer Art Verschämtheit dabei half und so, daß sie es nicht merkten; weil er die Weiber, die er prügeln durfte, sehr sanft behandelte und weil er manchmal einen Proletarier in ein reiches Kaffeehaus mitnahm.

Die Herzogin fand Gefallen daran, dem Kleinen seine natürliche Herzensgüte ganz schlicht zu vergelten, fast ohne daß er's wahrnahm. Es kam ihm nur vor wie ein Märchen; er war immer zwischen Lachen und Weinen – und dabei bezahlte er sie wie die allerteuerste Kokotte. Als er nichts mehr hatte und es natürlich fand, daß keiner ihn mehr grüßte, stattete sie ihn reich aus und verheiratete ihn. Er wimmerte ein wenig über ihren Verlust, aber nur anfangs. Glücklicherweise war er ein zu schwächlicher kleiner Egoist, um zu lieben.

Im fünften Jahre ihres neapolitanischen Lebens, Ende März und während eines Frühlingssturmes, besuchte Jean Guignol sie auf dem Posilippo. Gerade hatte Raphael Kalender ihr geschrieben, er inszeniere ein sensationelles Stück voll galanter Abenteuer, als deren Heldin die Herzogin von Assy deutlich zu erkennen sei. Er, Kalender, sei auf den Gedanken gekommen, die Aufführung möchte der Herzogin unangenehm sein. Sie könne sie verhindern, wenn sie ihn für die gehabten Kosten und Mühen entschädige.

»Ich habe ihm geantwortet«, sagte die Herzogin, »ich gebe ihm für die Vorstellung das Amphitheater am Golf von Pozzuoli, das der Prinz von Lahore errichtet hat. Ich wolle sogar mitwirken. Er möge die Billetts recht teuer verkaufen und den Erlös behalten.«

Jean Guignol bemerkte:

»Wie schade, Herzogin, daß das Stück gar nicht vorhanden ist. Frau Lilian Cucuru hat ihren Impresario weggeschickt, weil sie mehr Geld brauchte, als er ihr übrigließ. In der Verlegenheit des Augenblicks ist Kalender auf dieses etwas entschlossene Mittel verfallen ...«

»Das Stück ist nicht vorhanden? Schreiben Sie's!«

»Ich soll – ich?«

Jean Guignol lachte sein kurzes, halbersticktes Faunslachen.

»Sie wissen selbst nicht, wie nahe es mir läge. Ich habe, seit ich zuerst mit Ihnen sprach, ein Stück gegen Sie auf dem Herzen!«

» Gegen mich? Wie traurig! Sie haben also während Ihrer Abwesenheit in Groll gegen mich gelebt?«

»Nein, nein. Nur im Gefühl der Ohnmacht – und der Unfrische. Oh! zu denen zu gehören, die immer geschwiegen haben, die nie in einem Kunstwerk sich selber preisgegeben haben! Und in meinen Büchern wird meine Seele wenigstens behütet von Symbolen; man liest über sie hinweg. Aber Ihnen, Herzogin, habe ich sie verraten, mit plumpen Worten, in jener Ballnacht. Ich redete mir damals ein, an Ihnen zu rätseln, Ihre Spiegelbilder verstehen zu lernen: welch Irrtum! Ich weiß nichts, gar nichts von Ihnen. Und ich fühle mich defloriert von Ihnen. Es war oft sehr schwer erträglich ...«

Sie erblickte ihn ganz blaß, und sie lächelte. Er beugte sich bittend über ihre Hand. Aber sie nahm sie weg.

»Warum?« stotterte er. »Habe ich Sie gekränkt?«

Sie lächelte weiter und dachte: ›Ich werde nicht sagen, daß meine Hand im Augenblick zu kalt ist. Du, der schwache Mann, magst mir die ganze Mutlosigkeit deiner Seele eingestehen. Aber ich verrate dir nichts dafür von der seltsamen unterirdischen Verwandlung meines Körpers, der sich zurückbildet und insgeheim verdorrt. Wenn du jetzt die Hand auf mein Herz legen und fühlen könntest, wie es ganz schwach davonjagt, um in der nächsten Minute heftig zu klopfen – du wärest gerächt, glaube ich! Wenn ich dich merken ließe, daß mir der Atem versagt! Heute nacht wird mir der Kopfschmerz die Tränen in die Augen drängen und auch das Verlangen nach dem Manne ... Wenn ich sogar in Krämpfen liege – ihr erfahrt das nicht. Es sind schon vier Jahre, daß es dauert, daß es zunimmt und daß ihr es nicht wißt ... Ich bin stolz darauf, einen Körper beherrschen zu müssen!‹

Und ihr stolzer Wille allein brachte es fertig, daß durch ihre Haut eine gesunde Röte schien. Jean Guignol war blaß. Sie saßen unter rauschenden Steineichen. Von dort hinten, von der Villa im mattblau zerrissenen Himmel, stieg zu ihnen hernieder die lange Gartenmauer, maskenverziert, steil überragt von Pappeln. Der Efeu lag auf ihr in dicken Ballen, die auseinander- und herabfielen. Ein Rosenbusch, von jäher Sonne getroffen, flammte giftgrün auf, mit großen Blutstropfen zwischen seinen Blättern.

Sie wiederholte:

»Schreiben Sie das Stück! Sagen Sie darin alles, was Sie über mich denken.«

»Wenn ich doch nichts denke, sondern nur bereue.«

»Sagen Sie also, daß Sie nichts von mir wissen und daß ich Sie gepeinigt habe. Sie werden ruhig werden ...«

»Oh, so schlimm ist es nicht, was glauben Sie?«

Er war tief erschreckt.

»Ich habe nicht nötig, mich zu beruhigen. Nur eine kleine Rache, ja, die würde wohltun. Sie wissen wohl nicht, daß wir Künstler eigentlich immer Rache nehmen durch unsere Werke an allem, was unsern Sinnen Wunden geschlagen, uns Sehnsucht abgenötigt hat: an der ganzen Welt.«

 

Im Mai war alles bereit. Eines Nachmittags füllten Welt und Halbwelt die hohen Terrassen über dem stillen Garten. Raphael Kalender hatte für marmorne Stufen zum Sitzen gesorgt; er hatte dem Platz im Moose Wert gegeben, dem Ruhekissen unter einer Akazie und dem Lager im Schatten von zwei Zypressen. Man zahlte sehr viel, um ganz in der Höhe aus Myrtenbüschen herabzuspähen; und noch dahinten in der Ebene, wo kaum mehr ein Ausblick frei war, bereicherte man widerstandslos den Unternehmer. Die neapolitanische Gesellschaft harrte klatschlustig, lärmend oder mit Schmachten, unter Blumen, umschwankt vom Dickicht der Farren. Ismael Iben Pascha wiegte den Rumpf inmitten seiner vier Frauen, die die Augen aufrissen. Don Saverio im Kreise seiner Freunde, reich, frohlockend, streckte sich aus neben der wundervollen Contessa Paradisi. Von den Festen der Herzogin von Assy betört, hatte der König Phili noch einmal die Meerfahrt gewagt. Die Kolonie der eleganten Ausländer breitete befremdet und sehr angeregt ihre Brillanten aus im Duft von Menthe und zwischen den Spießen der Kakteen. In blauvioletter Dämmerung, unter einem blühenden Tulpenbaum, kauerte beschwerlich der Baron Rustschuk.

Drunten wandelte Jean Guignol ganz allein, einen Lorbeerkranz spitz über der Stirn, und deklamierte Verse, die man auf wenigen Plätzen verstand. Man wunderte sich und lachte. Er trug einen schwarzen Mantel über seinem weißen Gewand, er war barhäuptig, mit braunen Lichtern in Haar und Bart, und schien feierlich gestimmt und klagend. Er hob Brocken Tonerde vom Boden, knetete daran und ließ sie fallen, unruhig und schlaff. Dann warf er seine großen Gesten und seine Worte, die anschwollen, der Sonne zu; sie stand schräg über dem Meere. Sie schickte es mit roten Wellen an den Saum des Gartens. Sie überspülte seine Blätter, ränderte die Zypressen, durchwühlte mit düster glühenden Schlacken den grünen Brunnen, an dessen Rande der Dichter die Arme reckte.

Am Strande und das Meer umarmend stand eine Reihe sehr alter Zypressen, und über ihnen war es, auf hohem Vorgebirge, wo der Tempel schimmerte: der weiße Tempel, in den Jean Guignol seine Sehnsucht eintreten ließ, zwischen dessen rosig, gleich Muscheln überhauchten Säulen seine Verse, von begehrlichen Lippen entsandt, umherirrten, suchend nach etwas Wunderbarem, nach der einen, aus der sie geboren waren, für die sie lebten und die sie nicht kannten. Er betete zu ihr und um sie. Er zeigte ihr den feuchten Ton und sagte, diese Erde warte auf jede ihrer Launen und auf alle ihre Fleischfalten. Er sprach ein paar sehr zynische Verse, schallend, voll Überzeugung. Man fing an, ihm zuzuhören, einige Gespräche verstummten, die wundervolle Contessa Paradisi seufzte ... Da schwieg Jean Guignol.

Hinter dem Vorhang von Zypressen wehte manchmal etwas Leichtes vorüber wie blaue Schleier oder weiße Tanzfüße. Auf einmal lugte zwischen zwei Stämmen ein Faun hervor, gelb behaart, helläugig. Er stellte seine eckigen Bocksbeine behutsam ins hohe Gras. Im Vorbeigehen brach er eine Rose und nahm sie zwischen die Lippen. Vor dem Dichter blieb er stehen und feixte; Jean Guignol mochte ihn nur fragen, was er wolle und was er bedeute. Hinter ihm zeigte sich schon ein alter Zentaur: er hinkte, es verfolgten ihn Bienen, die er beraubt hatte. Er bat Jean Guignol, ihn zu befreien. Zum Dank zeigte er ihm seine Fußspur im Ton. »Bilde das! Du wirst zufrieden werden!« – »Bilde auch mich!« meckerte ein kleiner Satyr auf einer Ziege. Zwei andere tänzelten mit Flöten am Munde zum Brunnen hin; ihre sanften, hohlen Töne erweckten ihn, er begann zu rinnen. Die blauen Schwertlilien wiegten sich. Aber aus dem Schilf am Bach stand eine Nymphe auf, schlank, mit fallenden Schultern, spitzen Brüsten und sorglos. Sie schlenderte auf den Künstler zu und küßte ihn gerade auf den Mund. Es war Lilian, seine Geliebte von einst. Er sagte ihr in Strophen, die von ihrer weißen Haut schimmerten und in denen ihr feuriges Haar sich entfaltete, sie sei schön, sie sei es, die er ersehnt habe; er wolle ihr Bild gestalten. Er begann. Aber sie lächelte und ermahnte ihn, er solle ihre Schwestern nicht vergessen und die Faune nicht, die mit ihnen tanzten, und die Zentauren nicht, die ihnen zusähen, und die Satyrn nicht, die ihnen aufspielten. Dann tanzte sie auf der glänzenden Wiese mit ihren Freundinnen in langen Haaren. Sie faßten sich bei den Händen und formten die Arme wie zu Toren weißer Blüten. Die braunen Faune krochen hindurch, gebückt, grinsend, begehrlich. Ziegenböcke rieben sich an ihnen und versuchten von hinten ihre Hörner.

Der Garten begann zu schallen von dem Galopp der Hufe. Die alten Zentauren kämpften miteinander. Die jungen Satyre warfen ihre gewundenen Reben fort und ihre bauchigen Schläuche und stürzten sich auf die Lippen und die Brüste der Nymphen. Ein graubärtiger Faun lehrte schwarzhaarige Kinder mit Mohnkränzen eine obszöne Runde. Am Boden brannten zerplatzte Granatäpfel und verbluteten Trauben neben Rosen. Eine leise, einfache, aufreizende Melodie entströmte, man wußte nicht woher, der roten Luft. Dahinten, auf den rot spiegelnden Wellen, warfen Sirenen sich heftig auf den Rücken. Ihr Schuppenschwanz schnellte klappend aus dem Wasser, ihre roten Haare trieben ausgebreitet um sie her. Seltsam harte und schrille Laute entstiegen ihren breiten Mündern.

»Bleibt!« rief Jean Guignol, und er sprach, mitten in der Arbeit des Knetens, ihre Bilder, eins nach dem andern – er sprach in plastischen Versen die Bilder aller dieser Fabelwesen und die vielen Gesichter, eins nach dem andern, in denen die Natur sich ihm verriet. Er sprach sie stolz erregt, herrisch, siegesgewiß ... Aber sie entfernten sich, sie zogen froh und farbig durchs Gras, unter Küssen, kindlichem Schwatzen oder dem Schäumen von Mänaden in rot besonnter Nacktheit. Ein Kranz von Blättern verkettete alle.

»Warum nicht auch mich mit euch allen?!«

Die Rosen warfen von den Zypressen herab ihnen Schleier über die Haare. Es waren viele Frauen, jungfräulich schmale, und laszive aus viel Fleisch; ernste in braunen Geweben und nackte und glückliche. Die dort zog einen Bock hinter sich her, jene trug auf den Armen einen Schwan. Eine beugte sich im Gehen zum Bache nieder und strich mit ihrer Hand über ihn hin wie über eine Wange. Eine erhob eine Schale. Eine setzte ihre weichen Sohlen auf den Rasen, drehte sich, sang und folgte den andern. Jean Guignol wollte vorstürzen. Das dunkle Laub hatte schon fast alle verschlungen. In der Finsternis zwischen den Stämmen erloschen die Farben der Frauen. Die letzte lächelte vom Saum des Waldes her, als werde sie ihn nie mehr verlassen.

Der vereinsamte Künstler warf sich auf sie, besinnungslos. Sie war fort, ein großer Bock blieb ihm in den Händen. Er schleppte ihn mitten auf die Wiese, er packte den dürren Hals des Tieres, das ihn gelb und klar ansah. Er schrie ihm seine Wut ins Gesicht, seine besinnungslose Brunst, seine Enttäuschung, sein Leiden um die eine, die ihm entfloh in dem Taumel all jener Gestalten. Er hatte sie nicht gefaßt, sie war vielfältig. Sie war weder die Nymphe noch die Mänade, sie war ebensogut auch der Faun und der Brunnen, oder eine Biene – »oder auch du!« ... Und er kniete vor dem Bock, in Drang, Verzweiflung, überwältigender Ahnung.

Man fand diese Szene seltsam und nicht ohne Reiz. Hinter den Zypressen lugte manchmal ein plattnasiges Gesicht heraus. Jean Guignol führte tollwütig die Axt gegen einen Stamm, eine Dryade sprang ans Licht, blutend, und huschte davon, ins Dickicht. Hinter seinem Rücken ging langen, wiegenden Schrittes eine Flora vorbei in rot funkelndem Diadem und in rotem Blust. Von lustglühenden Flecken zuckte der Garten. Die Tanne hatte einen hangenden, rostroten Bart wie der Bock. Der Wind wimmerte in den Pinien. Die Sonne, blutig geballt auf der Meeresfläche, als wollte sie hereinrollen mitten auf den Rasen, fieberte in diese alte und fabelhafte Welt eine krampfhafte Wiedererweckung, eine kurze, beängstigende Anstrengung nach hohem, starkem, furchtbarem Leben.

Man fühlte es; die Verse, Jean Guignols Verse, die mit der Farbe der Sonne, des Sturms, der Liebe durchdrungen waren, filterten es allen ins Blut. Es war still geworden das hohe Amphitheater hinan; man hörte Hände in Spitzen knistern, Rustschuk keuchen und Don Saverios Geflüster über der Brust der wundervollen Contessa Paradisi. Man erwartete etwas; man erwartete die Göttin, die der Dichter anrief, so, als sollte sie mitten aus seinen Versen heraustreten. Sie war schon da, ein wenig von der Seligkeit ihres Leibes war schon in diesen Lauten, in diesen Schreien schon etwas von seiner Furchtbarkeit. Der Bock feixte und machte einen Sprung ins Dickicht. Es ging ein schweres Sausen durch die Zypressen, Jean Guignol brach ab. Sein Gedicht deuchte ihm in diesem Augenblick etwas Unvorhergesehenes; er vergaß, wer die Nahende war.

Sie stand am Strande, geneigten Kopfes, und betrachtete die Muschel in ihrer Rechten. Die Linke faltete sich um eine der Brüste. In den klaren Schleiern formte ihr Körper sich silbern; die Sonne war hinter ihr hinabgetaucht. Um ihre Knöchel hingen Algen und wurden mitgeschleppt von den Schritten ihrer langen, biegsamen, köstlich gerundeten Schenkel.

Sie näherte sich dem Künstler, die Muschel am Ohr und mit einem Lächeln ohne Teilnahme. Er harrte gebückt, die Arme schlaff an den Seiten und am Ende des einen den Lorbeerkranz – und er erstarrte in Ohnmacht und Unterworfenheit. Sie setzte sich gleichmütig auf den Brunnenrand und verschränkte die Beine. Die großen blauen Iris glitten an ihren Brüsten hinauf.

»Komm doch«, sagte sie farblos und süß, »sieh diese Muschel an, und dann suche an meinem Leibe die Stellen, die ihr gleichen. Es gibt welche.«

Er fragte:

»Wer bist du? Woher kommst du? Was bedeutest du?«

Sie lachte.

»Wer bist du?« wiederholte er zitternd. »Bist du eine gefangene Königstochter, die nach dem Schiffbruch ihres Räubers ans Ufer geworfen ward? Bist du eines Fischers Kind, und haben deine Brüste oftmals den Strandsand erwärmt, der so weich ist wie sie? Sind deine Glieder an die Berührungen der Reben gewöhnt, die sie streiften, während du dich durch sie hinwandest, dem stillen Hause entgegen und auf dem Kopfe den Tonkrug?«

»Nimm einmal mein schwarzes Haar in deine Hände«, sagte sie, und sie schüttelte den Kopf; da sank die Last ihrer Flechten auf ihren feinen und starken Nacken. »Überzeuge dich, mein schwarzes Haar duftet ganz wie zwischen den Zypressen der schwarze Schatten, auf dem Rosen strotzen. Diese Rosen sind gleichzeitig aufgeblüht mit meinen Brüsten. Prüfe sie beide mit deinen Lippen.«

»Bist du eine, aus deren verblichenem Lächeln schon die Tränen quellen, – eine, die in grauem Gewande alle Lieder verlernt hat und deren schlaffen Fingern der geflochtene Korb entfällt mit den letzten Früchten, die halb verfaulen; – eine, die neben der Liebe mit gebrochenem, am Boden schleppendem Flügel in Tränen ausbricht?«

»Ich will weinen«, sagte sie. »Lausche darauf, ob nicht in meinem Weinen eine blasse Nymphe steht und eine Schale ausgießt, Tropfen für Tropfen.«

»Bist du eine, deren schwingende, nasse Glieder sich in blanken Marmorplatten spiegeln und deren Tanz von den glühenden Blicken der Männer durchwühlt wird – eine, die auf Blumen hingewälzt und umdampft von Wein und Blut unter der Orgie verröchelt?«

»Soll ich tanzen? Hüte dich, daß nicht aus jedem meiner Tritte eine Mänade aufspringt und dich zerreißt!«

»Bist du ...?«

»Halt! Du hast es schon erraten, ich bin die Kurtisane, man nimmt mich, alle haben das Recht dazu; du nicht weniger als alle.«

»Aber ich will wissen –«

»Mein armer Bruder du mit Traumaugen! Siehst du denn nicht, daß ich die Frau bin und nichts weiter? Schau nur, meine Hüften winden sich wie Sirenen auf der Flut. Hör nur, in meinem Lachen sind viele Vogelstimmen, und in meinem Schweigen summen warme Bienen. Wenn meine Haut erschauert, ist es wie das Rinnen des Baches und wie eine bewegte Blumenwiese. Nimm die samtenen Moosbeete meines Körpers zu Kopfkissen! Laß von meinen Blicken wie von den Flöten der Satyrn die Brunnen deiner eigenen Lust aufwecken! Kühle auf den Wölbungen meines Fleisches deine Hände wie auf den Sandhügeln am Meer! Halte in mir die Nymphe fest, daß sie nicht nochmals davongleitet! Nimm die eilige Dryade gefangen! Die Faune tanzen in mir ihre Runde und die Kinder mit den Mohnkränzen. Und der alte Zentaur, weiser sogar als du, sieht in mir dem allem zu. Aber der junge bietet mir seinen Pferderücken, und ich sprenge auf ihm davon, beide Arme in der Luft. Ergreife mich: du ergreifst die fette Laszive mit rotbemalten Augenlidern, die dem schwarzen Bock die Hörner mit Disteln bekränzt – und die schmale Jungfrau, so scheu, daß sie bis in den Hintergrund deiner Träume flüchtet. Umarme mich, du umarmst die Erde und das Meer! Umarme mich!«

Sie sprach inmitten einer tiefen Stille. Die langen, heißen Verse harften, und die Gesten ihrer Glieder sangen. Sie stützte die Ellenbogen auf seine Knie und breitete ihm von unten ihre Brüste hin. Sie sank schmachtend zurück auf den flachen Brunnenrand und in ihr Haar hinein. Sie ergriff mit der Hand ihren Fuß und bog den Schenkel mit gewölbten Muskeln hin und her wie ein großes, schlecht gezähmtes Tier. Sie nahm aus dem Grase eine Flöte und neigte sich tief über die Flut. Man sah ihren Nacken, und daß sie schluchzte.

Sie fürchtete, mitten in der Entrücktheit ihres Spieles, einem Weinkrampf zu erliegen. ›Der seltsame Wahnsinn meines Körpers‹, dachte sie, ›erfaßt mich mit doppelter Kraft in diesem Garten voll Geheimnis und Fieber. Was wird geschehen? Ich fühle eine unbändige Unruhe, ein Verlangen nach Unmöglichem.‹

Über die Wiese galoppierte ein Zentaur oder flatterte eine Taube. Eine Nymphe streckte den Rumpf, schattengrau, zwischen Gezweig heraus; ihre Augen glitzerten irr. Ein Knabe hob die Hände an den Mund, als wollte er rufen. Drei Faune jagten sich, stumm und ausgelassen, bis sie hinpurzelten und davonkrochen, hinter den Hügel, in der Dämmerung. Alle die Geschöpfe, die teil an ihr hatten, richteten sich auf bei ihren Versen und winkten ihr in der Dämmerung. Der Garten war fahl und stand zwischen schwarzen Kronen im abendlichen Blau wie im Schein einer Begehrlichkeit voll Todesangst. Blaue Geistermäntel flatterten im Nachtwinde vom Meere herbei und über die Wiesen, und Fabelwesen sprangen heraus, knicksten, feixten lautlos, dehnten lüsterne weiße Glieder, zerfließend wie Nebel, und vergingen, rätselhaft und lockend, inmitten der stark riechenden Ausströmungen des Abends. Die Blütenbäume stießen heftig ihre Düfte von sich. Es roch nach Baumharz, nach dem Horn erhitzter Hufe, nach schwitzenden Fellen von Waldmenschen, goldigen Haarbüscheln an weißen Frauenleibern, nach herben Kräutern und nach lauter wildem, frühlingstrunkenem Fleisch.

Sie selbst, die Frau am Brunnen, fuhr harfend in ihren Versen wie in langsamen Schiffen über bittere Duftwellen den Berg hinan und allen in die Arme, die dort harrten. Jeder fühlte ihre Schulter nackt gegen seine schlagen, jede Stirn versehrte ihr Hauch.

 

Viele Augen von Geliebten suchten einander, an Gatten vorbei. Die Fächer spendeten erregte Flügelschläge wie hitzige Amoren. Die matten Hände krochen unter den warmen Farren zueinander mit Juwelen, rot und grün, gleich glühenden Insekten. Seufzer stiegen wie Nachtfalter aus Blütenbüschen in der Dämmerung. Eine werbende Stimme schluchzte um die Wette mit einer Nachtigall irgendwo in der Mainacht.

»Ich werde dir so viel Lust geben, wie sie verspricht«, sagte Vinon Cucuru zu Trontola. »Sie verspricht nur. Sie gibt gern ein Schauspiel, sich und den andern. Glaube nur nicht, daß ihre Geliebten es sehr gut haben.«

»Meinst du?«

»Oh, so ein Mann! Sie hat dir schon Wünsche eingegeben. Aber die großen Liebhaberinnen sind anders; sie sind heimlich.«

Don Saverio, ins Moos gestützt, flüsterte, und sein schöner bleicher Kopf hing über dem Schoß der wundervollen Contessa Paradisi.

»Das Beste hat sie von mir ... Sie hat das Zeug zu einer gutbezahlten Frau. Ich habe sie entdeckt. Leider wurde mein Unterricht unterbrochen.«

»Setze ihn bei mir fort!« verlangte die Paradisi. »Ich bin noch viel gelehriger.«

›Sie ist dumm‹, dachte er und sah böse weg. ›Die einzige Geliebte!‹ sagte er sich. ›Die einzige! Ich hätte sie nicht freilassen dürfen; ich begreife nicht mehr, wie es geschehen konnte ... Ich will sie wiederhaben!‹

König Phili führte das Tuch an die Stirn. Er irrte angegriffen auf den Stufen des Theaters umher und störte die Paare.

»Es kommt nur drauf an, ob man's aushalten kann«, ächzte er. »Mir is zuviel.«

Er ließ sich neben Lady Olympia nieder. Sie winkte einem Diener und kredenzte dem König eine Limonade.

»Erholen Sie sich, Majestät«, sagte sie. »Spaß macht es doch.«

Phili grollte: »Ah was, i mag ka Weib.«

»So was Überspanntes sollte man doch verbieten!« schrie er, erbittert im Namen der Ordnung, wie ein alter Beamter.

Rustschuk murmelte begütigend:

»Sire, wenn wir nur das Volk vor dem Gift behüten – uns selber dürfen wir's gönnen.«

Lady Olympia war derselben Ansicht. Indes bemerkte sie einen alten Bekannten:

»Herr von Siebelind!«

Sie stellte ihn vor. Er hatte, sobald er ihrer gewahr ward, sich hastig zurückziehen wollen. In ihm überstürzten sich die Erinnerungen an Qual und Schmach, die der Anblick dieser Frau in Bewegung setzte. Ohne Geistesgegenwart, feucht und zitternd, überließ er ihr schließlich seine Hand. Die ihrige war gelassen und kühl. Sie wußte kaum noch, daß sie sich einmal vierundzwanzig Stunden lang mit seiner Hilfe unterhalten hatte. Sie fragte ihn allerlei, und er stotterte Antworten.

›Sie ahnt nichts‹, dachte er, ›sie ahnt gar nicht, wer ich bin und was sie mir ist: die Schande, in der ich mich einst gewälzt und nach der ich mich gesehnt habe! Wenn ich ihr sagte, daß ich heute nacht auf meinem Lager zittern werde vor Wut und Demütigung – sie würde nicht begreifen. Das ist das Entsetzlichste, die Ahnungslosigkeit dieser Glücklichen! Nie streift sie ein Gedanke an das, was sie zertritt. Auf keine Weise kann ich ihr nahekommen, und wenn ich mich zerrisse. Es ist unmöglich, sie zu demütigen und zu strafen durch den Anblick des Leidens: sie hat kein Organ, es zu sehen!‹

Der König Phili rief noch immer nach der Staatsgewalt.

»Verbieten, Majestät!« sagte Siebelind voll Gram. »Glauben Eure Majestät im Ernst, daß es hier etwas zu verbieten gibt? ... Ich bitte mich nicht mißzuverstehen, das Abzeichen meines Sittlichkeitsbundes verbrennt mir heute abend die Brust – hier in diesem verseuchten Tal! Untersagen Sie immerhin diese Vorstellung – gut. Aber können Sie machen, daß diese Frau nicht lebt? Und wenn Sie es können, haben Sie damit die Tatsache entwertet, daß dieses Gehirn und dieses Fleisch, solche Ruchlosigkeit und solche Wollust auf Erden möglich sind? Nein, Majestät verzeihen, aber Verbote ändern nichts.«

»Da muß ich schon bitten«, schnaubte der Monarch. »So wenn alle dächten, da kämen wir weit. Da könnten wir am End einpacken!«

Die andern sahen dem Spiel im Tale zu.

Die Herzogin stand jetzt auf dem Brunnenrand, die Füße geschlossen, die Fingerspitzen an den Schultern, und lächelte. Der Schleier war vorn auseinandergefallen; unter ihren harten Brüsten kreiste ein silberner Gürtel. Jean Guignol verschränkte die Arme. Stählern aufrecht sagte er ihr, daß er sie hasse. Er hasse ihre animalische Fülle, ihre Vollkommenheit, er berste vor Eifersucht auf alle die fabelhaften Naturkräfte, die in ihr lebten, teil an ihr hätten und die sie abwechselnd genieße. »Kann ich in dich hinein? Was nützt es, dich zu besitzen? Du bist zu groß, zu üppig, ich hasse dich, geh fort!«

»Nimm mich!« wiederholte sie. »Vergiß dich bei mir bis zum Schluß, bis zu deiner Zerstörung! Du wirst in mir verschwinden und sehr glücklich werden ... Sieh, deine beiden Brüder!«

»Sie ziehen hintereinander über den bleichen Rasen und blicken mich nicht an.«

»Wie schön ist der erste! Erkennst du ihn? Er ist so weich und jung, seine Glieder sind trunken von ihrer süßen Nacktheit. Seine Stirn ist unter schwarzen Strähnen ganz in den Abend getaucht, seine großen düstern Augen leuchten daraus hervor in tierischer Glückseligkeit.«

»Und ihm folgt, an ihn gefesselt, starr und wankend, der zweite. Über seinem roten Mantel steht das Profil seines bleichen Hauptes und dasjenige einer Axt. Er verblutet in seinem roten Mantel: er verblutet auf dein Geheiß ... Den Trunkenen schickst du voran; ihm folgt auf dem Fuße der Verblutende!«

»Und beide sind sehr begehrenswert«, versicherte sie – und sie begann, zu ihm hingleitend auf dem Rasen, von neuem alle ihre Glieder ihm anzupreisen wie lauter seltene, gefährliche und beseligende Geschöpfe, denen er sich vertrauen möge. Sie sangen, diese Geschöpfe. Ihre Verse harften – und sie selber, ihr eigenes Spiel erduldend wie einen Krampf, wie einen Irrsinn, fragte sich: ›Bin ich sehr krank? Bin ich eine Göttin?‹

Lady Olympia war höchst erbaut.

»Jean Guignol ist ein großer Dichter!« sagte sie.

Seine Gattin lächelte dem Marchese Trontola zu.

»Er dichtet gar nicht. Er sagt der Herzogin von Assy, was er ihr zu sagen hat. Er berauscht sich an dem Wagnis und an der Schamlosigkeit, es ganz öffentlich zu tun. Das gefällt mir an ihm.«

»Sie hält sich gut dabei; ich bin mit ihr zufrieden«, erklärte Lady Olympia.

»Sie hat die Öffentlichkeit nötig, um zu genießen«, meinte dagegen Frau Jean Guignol. Lady Olympia behauptete:

»Sie genießt unbesorgt – und sie verdankt es mir.«

»Möglichenfalls. Auch spielt sie hier wirklich nicht mehr Komödie als überall in ihrem ganzen Leben. Sie möchte jetzt erfahren, was man fühlt, wenn man – Laster hat.«

»Principessa, Sie sind eine Christin«, bemerkte Siebelind.

»Wieso?« fragt Vinon, ehrlich erstaunt. Er hob die Achseln und hielt eins seiner qualvollen Selbstgespräche.

»Laster! Das Unerträgliche ist, daß es für jene Frau kein Laster gibt. Ihr fehlt der Begriff. Sie heißt zum voraus alles gut, was aus ihr herauswill. Sie glaubt an sich! Wie viele sind schon an ihr gestorben, klein oder zu Verrätern geworden: jene Pavic, Della Pergola, tausend Opfer ihrer idealistischen Umtriebe, zuletzt Jakobus, und ich glaube bald, auch dieser Jean Guignol! Wieviel hat sie selbst gelitten: wenn ein Traum ihr entglitt, eine neue Sehnsucht sie umherwarf! Ich sah ihr zu in Venedig und empfand dabei keine Genugtuung. Denn auch das Leiden ruft sie und empfängt es gern. Freiheitssucht! Kunstfieber! Sie stak tief im zweiten, da sagte ich ihr das furchtbare dritte voraus: Liebeswut! Aber alles ist ihr recht, was hohes Lebensgefühl schafft. Alles ist ihr Spiel, zum Zwecke einer schönen Geste und eines starken Schauers. Kein Rausch raubt sie für immer, keinem Unglück kann sie je erliegen, keine von allen Enttäuschungen wird sie in Zweifel stürzen am Leben oder an der eigenen Wünschenswürdigkeit. Bis zum letzten Atemzug wird sie bereit bleiben, Neues zu erproben. Noch aus dem Tode – ja, noch aus ihm, dem einzigen, der uns, seine scheuen Bewerber, rächen könnte an denen, die ihn hassen – noch aus dem Tod wird sie ein Vergnügen machen, eine Szene, ein Spiel!«

 

Inzwischen drohte und bat der Dichter. Er sprach im Namen seiner Werke: er dürfe sie nicht in die Hände dieser beiden liefern, des Trunkenen und des Verblutenden. Ob sie nicht gütig werden wolle und bescheiden, und aufhören, die Buhlerin der ganzen Welt zu sein. Ob sie vor der Schwelle seines weißen Hauses als ein Idol sitzen wolle, züchtig und aufmerksam. Ob sie in sein Herdfeuer Träume flüstern wolle, die sein Genie groß machen würden ... Sie wollte nicht. Sie war fern und frei, so fest sie sich um ihn schmiegte. Mitten in seiner Verzweiflung und seinem Toben gönnte sie ihm ein wenig Linderung und Hoffnung, denn sie zeigte ihm eine Träne. Bald erkannte er, daß dieser Tropfen nicht mehr Gnade enthielt als einer, womit das Meer oder der Himmel ihn bespritzt hätten. Sie war die Kurtisane des Himmels, des Meeres, der Erde. Keines Mannes stilles Haus würde sie fassen. Er ließ sie los: sie möge gehen. Er deutete ergeben nach dem Tempel, aus dem Abend hervorscheinend, droben, auf dem Vorgebirge überm Meer. Sie ging; ein weißes Licht ging mit ihr im Grase und übergoß sie. Er bat noch einmal, sanft, hinter ihr. Ihr Haupt, ihre Glieder, ihr Schleier, den sie schaukelten, sagte ihm ein silbern zitterndes Nein. Die großen Zypressen, zwischen die sie eintrat, ränderten sich silbern. Eine silberne Flamme, erstieg sie die tiefe Dunkelheit. Jean Guignol folgte ihr von fern, gesenkten Kopfes und den Lorbeerkranz in der Hand.

Es war ihm schwer zumute; er hatte in gutem Glauben geschwärmt, geschwelgt, gewütet und ängstigte sich, als ob es nun alles zu lassen gälte. Er war sich nicht bewußt, etwas Verabredetes gesprochen zu haben; er erfand seine Verse zum zweiten Male, während er sie ihr zuwarf oder zuweinte. Droben beim Tempel sollte seine Rolle sehr stolz enden. Dort hatte er sich von dem Erlebnis lossagen wollen, das die Herzogin von Assy ihm geworden war; und er hatte der triumphierenden Venus zu kosten geben wollen, daß er nichts mehr von ihr verlange. Er verlasse sie, er werde nicht länger unfruchtbar rätseln an ihrer Seele. Vielleicht habe sie keine; oder vielleicht bestehe sie aus einer zufälligen Folge unvorhergesehener Launen, aus tausend Spielen von Natur und Leben, aus Faunen, Bienen oder Sirenen. Niemand werde nach ihm darum leiden, und inmitten der Wolken von Begehrlichkeit, die zu ihr aufstiegen und sie in Opferrauch hüllten, werde sie kalt und unzugänglich vor ihrem steilen Tempel stehen, einsam auf immer! ... Er hatte sich diese Verse stark gedacht und als ein Ansichreißen aller seiner Würde. Nun waren sie ihm entfallen, und er erfand andere, indes er ihr im Dunkeln nachschlich – erfand eine bleiche, aus zuckenden Lippen gestoßene Abdankung allen Stolzes, alles Willens zu Geist und Größe und eine ekstatische, selbstzerstörerische Unterwerfung unter das Fleisch und unter seine Gebieterin, die Venus hieß.

Er betrat den Rand des Berges und erhob die Stirn; aber er ward zurückgeschlagen, geschlossenen Auges, von ihrem Glanz, das weiße Licht, hart, unmenschlich, machte aus ihrer Gestalt einen brennenden Marmor. Von unten mußte sie ein Gesicht von erhabener Sehnsucht sein. Nackt und feierlich, eine Hand im Nacken, von wo ihrem silbern gestirnten Haar der Schleier rieselte, eine Hüfte ausladend und den Silberreif unter den Brüsten, starrte sie in weißer Verzauberung und erhöht zu Triumphen ohne Maß.

Aber Jean Guignol stand fünf Schritte vor ihr und bedeckte sich die Augen: sie blendete. Ihr Gesicht war aus solcher Nähe steinern und grausam, ihre Pupillen von geisterhafter Bläue, tief versenkt in schwarze Augenhöhlen.

Allmählich unterschied er im Dunkel rechts und links von ihr noch zwei Figuren. Eine war der Prinz von Lahore, mit verschränkten Armen, ernst, ohne zu blinzeln und vollauf befriedigt, da das weite Festspiel, das diese Frau ihm gewesen war, sich um eine schöne Szene vermehrte.

Auf einmal machte der andere eine leidenschaftliche Bewegung und flüsterte:

»Herzogin, Sie haben alle toll gemacht: was würden wir erst zusammen fertigbringen! Wenn wir in unsern Palast zurückkehrten und solche Vorstellungen gäben! Man würde uns Millionen ins Haus tragen! Wollen Sie? Ich wiederhole Ihnen alle meine Anerbietungen, obwohl ich Sie strafen sollte, weil Sie sie ausgeschlagen haben ... Außerdem liebe ich Sie, Sie werden es merken! Wollen Sie? Übrigens müssen Sie. Sie kennen mich doch. Ich werde vermittels Ihrer Schönheit reich über alle Begriffe. Später bekommen Sie, wie ich versprochen habe, eine anständige Pension ...«

Jean Guignol schluckte; er schickte sich an zu sprechen, aus seinem Schatten heraus:

›Herzogin und Göttin! Spüren Sie nicht das große Opfer, das zu Ihren Füßen duftet? Tausend Verse, noch ungeboren und schon vergangen, senden ihre kleinen gemordeten Seelen um Ihr Haupt. Sie stehen in einem großen weißen Feuer, worin mein Genie verbrennt. Ich sehe zu mit ekstatischen Augen. Ich bin kein Geist mehr, ich will von Ihnen keine Rätsel und keine Träume; ich bin nur noch einer der ratlosen Körper, die an Ihrem Wege in Krämpfen der Lust verröcheln. Denken Sie daran! Wo immer Sie, die Wollust, vorüberkommen werden, da erhebt sein Haupt der Tod! Ich selbst will nichts mehr sein als einer der Namenlosen, die sein Gesicht tragen – an Ihrem Wege ...‹

Aber er hatte noch nicht den Mund geöffnet, da sprang jemand vor sie hin, mitten ins weiße Licht. Vorüber an dem gesättigten Weisen, an dem schwelgerischen Weiberverkäufer und an dem Dichter, der sich aufgab, sprang jung und unbedenklich ein vierter:

»Yolla!«

»Ich komme eben an«, flüsterte er. »Bin fertig mit der Schule – endlich. Habe nicht einmal Mama guten Tag gesagt, bin gleich hergereist. Ich wußte gar nicht genau, wo du warst. Hab dich doch gefunden! Nun komm!«

Sie sah ihn an, erstaunt und glücklich. Sie spürte keine Unruhe mehr: er war es, auf den sie gewartet hatte! Er war jung!

»Ich habe dich schon einmal so gesehen«, flüsterte er großen Blicks, und er dachte an die Venus, die weiß wie eine Blüte aus grüner Wildnis erwachsen war, an der Sonne und Baumzweige formten und der er, Nino, aus einem Sarkophag und hinter einer steinernen Maske zujubelte und zuschluchzte. Sie war ihm also noch einmal erschienen, ganz wie damals! Und er war nun groß, seine Brust hatte sich geweitet, seine Muskeln sich gehärtet. Er fühlte sich schön und stark und daß sie ihm gehöre!

»Komm!« wiederholte er und warf ihr seinen Mantel um.

Sie entschlüpfte dem Lichtkreis, auf einmal verdunkelt und aus der Göttin umgewandelt in eine Frau.

»Es ist gut, daß du da bist! Was jetzt das ganze Theater zu der Komödie sagen wird!«

Sie lachten, und sie liefen auf Seitenwegen Hand in Hand den Berg hinab und bis ans Meer. Er spähte umher.

»Dort liegt mein Kahn.«

Er trug sie über Steine, durch das heiße Dunkel, das wogte und von Düften zuckte.

»Endlich! Ich konnte es kaum noch erwarten! Bis vor vier Wochen habe ich gar nicht an dich gedacht, weil ich nicht wollte – fast gar nicht. Dann einmal, eines Nachts, machte mein Herz einen Sprung, wie früher so oft, und ich wußte auf einmal, ich würde dich wiedersehen. Du hattest es mir ja versprochen.«

»Nur glauben, Nino!«

»Nicht wahr? Nun haben wir uns wiedergesehen?«

»Und wie!«

Sie küßte seinen Mund. Er sah ihre Küsse nicht kommen, so finster war es. Er pflückte ihr einen schwarzen Strauß von den Blütenbüschen über dem Wasser. Er legte ihn ihr im Nachen auf den Schoß. Sie sah die Blumen nicht, und sie dufteten stark. Nino ruderte mit verschwenderischer, jauchzender Kraft. Er hatte vor sich, auf einer Unendlichkeit süßer Nacht, nur etwas ungewiß Weißes, ein Gesicht, verheißungsvoll flackernd: »Yolla!«


 << zurück weiter >>