Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

7. Kapitel.
Alma mater.

Ich hab' ein holdes Schwesterlein,
Gern hätt' ich es zur Seite!
Mein Spielgenoß war es daheim, –
Nun trennt uns Land und Weite.

Nun trennt uns Welt und Wissenschaft
Und wilde Kameraden –
Die Sehnsucht lockt – bleib nur daheim,
Es wär' zu deinem Schaden!

Schirmt dich auch edler deutscher Geist
In unsern alten Mauern –
Ein Jungfräulein gedeiht hier nicht,
Kämst du, ich würde trauern!

Denn Weibesart und Frauensinn
Nur allzu leicht entarten –
Der Edelrosen duft'ger Flor
Gedeiht auch nur im Garten.

Und er kam wieder. Es gibt Persönlichkeiten, die kein Vorurteil ausschließt, Menschen, denen sich Tür und Tor wie auf ein Zauberwort öffnen, faszinierende Naturen, denen die ganze Welt gehört.

Und doch kam dem jungen Sieger ein Umstand zugut, der außerhalb seiner Person lag: Frau Korallus war nicht nur eine treue, fürsorgliche Phileuse der weiblichen Jugend, – sie war die bewußte Gönnerin aller Kommilitonen. Und ihr besonderer Liebling war Mark Albrecht von Benz. Er war der Sohn und zugleich das Abbild des Mannes, den sie als Arzt und Mensch gekannt und verehrt.

Obgleich die Kinderstube, in welcher sie aufgewachsen, nicht die allervornehmste war, so machte sie doch selten Verstöße gegen die Pädagogik. Sie beging kleine Torheiten, monierte, wo es nicht ihres Amtes war, oder trieb ihr allbekanntes Aufpassersystem auf die Spitze, indem sie versuchte, eine Studentin der anderen unterzuordnen, was ihr natürlich noch nie gelungen war; aber wer sie kannte, wußte, das alles entsprang ihrer großen Herzensgüte. Der Kern ihres Wesens war lauter wie Gold, ihr Charakter durchaus zuverlässig. Darum lautete auch die Parole, welche die akademische Jugend nachsichtig ausgegeben: ›Kleine Dummheiten werden Tante Korallus verziehen!‹ Und sie tat recht daran, denn die wackere Matrone war eine Studentenmutter, wie sie im Buche steht. Wie manche Not hatte sie schon gemildert, wie manche Sorge gewendet! Auch in Professorenkreisen war sie geschätzt, und es ward gern gesehen, wenn die Jugend bei ihr verkehrte. Kurz und gut, die Schulrätin Korallus war eine Persönlichkeit, mit der man in der Universitätsstadt rechnete. – –

Es war an einem kalten Februarnachmittag. Am Abend vorher war der große Verbindungsball gewesen, ein glänzendes Fest in den Sälen der Hochschule, das zur allseitigen Befriedigung verlaufen war. Tags darauf gab die Schulrätin Korallus einen ihrer beliebten Afternoontees. Sie liebte die Einfachheit. Es gab belegtes Butterbrot und Kuchen, süße Speisen und Punsch fehlten, letzteren spendierte sie nur am Silvesterabend. Aber jeder kam gern. Kaum faßten die traulichen, altmodischen Räume die Gäste. Obgleich mehrere Universitätsprofessoren mit ihren Familien zugegen waren, herrschte die ungezwungenste Heiterkeit unter der Jugend. Nach Herzenslust lachte und flirtete alles durcheinander. Frau Korallus selbst strahlte vor Vergnügen; gab's doch nichts Schöneres für sie, als einen Kreis frischer, hübscher, junger Menschen um sich zu versammeln. Ihre gute Laune war noch dadurch erhöht, daß sie an diesem Abend nur Elite bei sich sah. Ein Kunststück, dessen Gelingen der bunte Typus studentischer Geselligkeit oft vereitelte. Ein besonders glücklicher Umstand kam hinzu: der Kreis im eignen Hause war ein durchweg sympathischer. Die älteste der Kommilitoninnen war Fräulein Sigrid Alchhusen. Eine kluge, energische Persönlichkeit. Ein starker, warmherziger, gerechter Charakter. »Um der doppelten Moral das Fell über die Ohren zu ziehen, studiere ich Jura,« hatte sie mit einer bezeichnenden Handbewegung Frau Korallus gegenüber geäußert. Sie war etwas männlich, und der Schulrätin daher bei oberflächlicher Bekanntschaft unsympathisch gewesen. Als sie den tiefen Fond der Sechsundzwanzigjährigen erkannte, verzieh sie dem goldenen Kern die rauhe Schale. Aber die jüngeren Studentinnen erhielten doch bisweilen eine heimliche Mahnung, sich Fräulein Alchhusens Manieren nicht gerade zum Vorbild zu nehmen.

Frieda und Rose waren Musterkommilitoninnen, besonders erstere. Roses liebliche Schönheit übte ihren ganzen Zauber auf Frau Korallus aus, – war's doch unmöglich, sich demselben zu entziehen. Daß dies holde Geschöpf mehr vom Leben erwartete, als die stille, verwaiste Braut, war ja ganz natürlich.

Bald nach Händlers war Asta Rille gekommen. Die angehende Archäologin war ein gut erzogenes, feines Mädchen, dessen langjähriger Verkehr im Händlerschen Hause allein für sie bürgte.

Fräulein Meyer, eine etwas ältliche Lehrerin, war die einzige, die nicht recht in den frohen, frischen Kreis paßte. Sie war erst vierzehn Tage im Hause, doch bestand wenig Hoffnung, daß man sich mit ihr einleben werde, obgleich sich alle die erdenklichste Mühe mit ihr gaben. Ihr supçonneuser, krittliger Sinn, ihre ewigen Nörgeleien machten sie unleidlich.

Eine junge Medizinerin, Margot Hilarius, war die sechste der mehr oder weniger lieblichen Pflegetöchter der braven Phileuse. Bis auf Fräulein Meyer waren alle immatrikuliert. Ein reger Fleiß, der jeden Fuchs beschämen mußte, herrschte im Hause. Als unumschränkte Regentin saß die Arbeit auf dem Thron.

»Die Weiblichkeit im Palais Korallus macht sich,« hatte ein Inaktiver, der viel bei der Schulrätin verkehrte, kürzlich geäußert.

Heute nachmittag rasteten Geist und Hand. Stand doch die Alma mater im Zeichen der Katerstimmung. Aber morgen! – Ruhetage wie gestern und heute waren sehr schön und dienten, wenn sie Ausnahmen blieben, zur Erfrischung und neuem Ansporn, aber sie durften sich nicht verallgemeinern, wie es auf vielen Hochschulen Mode war. Bummel und Banausentum – die Kategorie von Männlichkeit, die sich das zum Lebenszweck erkor, mochte zusehen, wie sie damit fertig wurde, jeder Mensch, der das Recht der Persönlichkeit gewahrt wissen wollte, lehnte diese Taktik ab. –

Margot Hilarius, ein schlankes, blühendes Mädchen mit kastanienbraunem Haar und schönen Farben, stand im malvefarbenen Abendkleide, einen weißen Hyazinthenstrauß an der Brust, mit einem Inaktiven in lebhaftem Gespräch in einer der tiefen Fensternischen.

»Das ist ja gerade das Zeichen des Monismus, daß ihm jede Direktion fehlt, – ob er sich nun Materialismus, Idealismus oder Identitätsphilosophie nennt,« sagte Doktor Wenden, der junge Assistenzarzt des Universitätsprofessors Sentis. »Es war ein verzweifelter Versuch Eduard von Hartmanns, die beiden Hauptarten durch den konkreten Monismus vereinigen zu wollen. Das einzige Verdienst, das sich der tiefsinnige Philosoph durch seine düstre Lebensarbeit erworben hat, ist die Niederlage, welche die beiden erstgenannten Monismen durch seine Identitätslehre erfahren haben. Freilich eine unbeabsichtigte. Aber Tatsache bleibt's: er wollte klären und einen und machte das Unmögliche völlig unmöglich.«

»Kennen Sie die Monistenpredigten von Professor Ostwaldt?« fragte das junge Mädchen.

Über die feinen Züge des Mediziners flog ein Staunen. »Lesen Sie die?«

Fräulein Hilarius errötete.

»Ach, nun habe ich mich verplappert! Nein, ich lese sie nicht. Sie wissen doch, Herr Doktor, daß ich ganz positiv bin, wie können Sie denn annehmen …«

Er unterbrach sie. »Verzeihung, aber Ihre Frage machte mich stutzig.«

»Ich hätte sie anders stellen sollen,« gab sie zu.

»Ja, aber woher kennen Sie diese – Abhandlungen? Predigten kann man wirklich nicht sagen!«

Sie zögerte. »Fräulein Händler läßt sie sich jeden Sonntag schicken,« sagte sie mit gedämpfter Stimme.

»Fräulein Händler?« Er schien seinen Ohren nicht zu trauen. »Die jüngere?«

»Ja.«

»Sonderbar,« sagte er kopfschüttelnd. »Ich habe die ältere etwas näher kennen gelernt. Wir arbeiten seit einigen Wochen zusammen. Ich habe verschiedentlich längere Gespräche mit ihr gehabt und kann nur sagen, ich wollte, ich stünde so fest und sähe mein Ziel so klar vor Augen wie sie. Man sagt, Frauen seien religiöser, als wir. Diese ist es jedenfalls, denn sie ist stärker als ich. Das Liebste begraben und dann noch still und getrost seine Straße ziehen, kann nur wahrer Christenglaube. Ich wollte, ich wäre so weit!« Er schwieg einen Augenblick. »Und die Schwester liest Ostwaldts Monistenpredigten!« fügte er nachdenklich hinzu.

Margot Hilarius blickte sinnend in das ernste männliche Antlitz.

»Wenn Sie noch nicht so weit sind, so sind Sie doch auf dem Wege,« sagte sie leise.

Er sah sie mit einem eigenen Blick an. »So weit menschlicher Wille gilt, darf ich sagen: ich erstrebe dies Ziel!«

»Eben darum ist es Ihnen gewiß,« rief sie lebhaft. »Christen sind keine Deterministen. Unser Wille ist frei, Gottes Gnade zu ergreifen.«

»Aber die Bahn ist nicht immer frei!«

Sie trat dicht an ihn heran.

»Christ sein heißt Kämpfer sein, Herr Doktor!« In ihren Augen lag ein warmer Glanz. »Wir dürfen nicht vergessen, daß der Weg, den wir erwählten, kein leichter ist. Ich möchte sagen, eben weil sie das vergaß oder richtiger, weil sie das Kreuz, das auf diesem Wege liegt, nicht auf sich nehmen und tragen wollte, wurde Rose Händler Monistin.«

Er sah sie fragend an.

»Es gibt Menschen, die das Kreuz ausschalten müssen, weil sie die Sünde ausgeschaltet haben,« sagte sie. »Dem Monismus bleibt ja gar nichts anderes übrig, als sich im besten Falle einen energielosen, immanenten, weltabhängigen Gott zu konstruieren, – die ganze Sache würde sonst nicht stimmen, auch Eduard von Hartmanns Hypothese nicht.«

Wenden nickte zustimmend. »Ganz recht. Die monistische Erkenntnistheorie würde auf der ganzen Linie eine Niederlage erleiden. Aber, bitte, sagen Sie mir, gnädiges Fräulein, wie kommen Sie zu diesem Urteil über eine Weltanschauung, die Ihnen ganz fern liegt?«

Sie lächelte. »Doch nicht so ganz, Herr Doktor. Innerlich gewiß. Christenglaube hat nichts mit dem modernen Heidentum gemein. Aber wir stehen mitten im Kampf. Um denselben recht zu führen, müssen wir vor allem unsern Gegner kennen. Zumal wir studierenden, mitten im wissenschaftlichen Leben stehenden Frauen sollten uns nicht der Aufgabe entziehen, einen Gesamtüberblick über die Gruppe der Weltanschauungen zu gewinnen; sollen wir doch in gewissem Sinne alle Apologetik treiben und darum stets gerüstet sein. Gewiß, – Christentum ist Tat, und ein schönes Wort sagt: die beste Apologetik ist ein Christ, – aber ganz dürfen wir das Wissen in unseren Tagen nicht ausschalten. So viel ich kann, halte ich mich darum auf dem Laufenden. Es ist nicht immer ganz leicht, in der Studienzeit neben allem übrigen auch dies noch zu bewältigen, aber es muß sein!«

Energisch kam's von den jungen Lippen, und der Mann, der den frischen Worten lauschte, freute sich ihrer wurzelechten, urwüchsigen Kraft. Er wußte: sie wurden in die Tat umgesetzt. Warum fand man solch starkes, zielstrebiges Christentum hauptsächlich bei Frauen? Sinnend ruhte sein Blick auf der blühenden Mädchengestalt, und wie so oft schon in diesen Wochen zog's ihm durch den Sinn: ›Das gehört nicht auf die Hochschule! Die Wissenschaft zerstört die weibliche Psyche!‹

Hatte er unrecht? Galt das ewig Weibliche nicht mehr?

Bei der Frau von heute? Nein. Die begehrte Vermännlichung, weil sie darin das Ideal der Persönlichkeit zu erkennen glaubte.

Margot Hilarius glich dieser Frauengestalt nicht. Aber jedes Milieu besaß Umbildungskraft, Färbstoff. Ihn schauderte, wenn er sich die Durchschnittsstudentin als Gattin und Mutter vorstellte. Noch vor wenigen Monaten hatte er einer älteren Schwester geschrieben: ›Gott bewahre mich vor einer Hochschülerin! Für Ehe und Mutterschaft ist die Kommilitonin verdorben!‹ Und heute?

Doktor Wenden war mit Mark Albrecht von Benz, mit dem er noch einige Semester zusammen studiert hatte, eng befreundet, trotz ganz verschiedener Weltanschauungen. Wendens Standpunkt war ein gesunder, ehrlicher Theismus, der sich immer mehr dem Christentum näherte. Benz war Monist. Dieselben schimmernden Fäden, welche eine Rose Händler umgarnten, waren dem kühnen Geist des jungen Idealisten gefährlich geworden. Seit das Bild des schönen, hochsinnigen Mädchens in seiner Seele lebte, in verstärktem Maße. War's nicht ein Glaube, der die beiden jungen Menschen in Liebe verband, so war's die Philosophie des Unbewußten. Eine feine, schimmernde Filigrankette, der zarte Schmuck eines sonnigen Erdentages, der aber dem Nachtfrost des Todes nicht standhält. Wenden war von Anfang an der stille Zeuge dieses Romans gewesen, der sich langsam, wie eine knospende Blüte entwickelte. Jede Stimmung des Freundes kannte er, seine feine, sensitive und doch so impulsive Art. Er wußte ganz genau, wie die Dinge standen. Benz hatte ihn bei Händlers eingeführt, und es gehörte nicht gerade Scharfblick dazu, um die Situation zu übersehen. Aber in einem hatte er geirrt. Er hatte von dem religiösen Einfluß der Schwestern auf Benz gehofft, und erfuhr nun, daß gerade die, die sein Freund liebte, Monistin war. Was tun? Er hatte auch Rose schätzen gelernt, den feinen Takt, der die weibliche Kameradschaft der jungen Kommilitonin auszeichnete, ihre vornehmen Ansichten, ihre ungekünstelte Natürlichkeit. Um so mehr verstand er, daß Benz daran trug, daß gerade dies Mädchen Studentin der Medizin war. Er kannte seine Ansichten auf diesem Gebiet und teilte sie. Beide sprachen dem Weibe weder die Gabe der theoretischen Auffassung noch die praktische Ausübung unter allen Umständen ab. Aber sie verneinten auf Grund von Erfahrung und Statistik die Durchführung eines qualifizierten Berufes ohne gesundheitliche Schädigung im Verein mit Ehe und Mutterschaft, und waren sich außerdem über die psychischen Folgen, welche der Frau aus dem studentischen Leben erwachsen, völlig einig.

›Der Scharm ist nach sechs Wochen hin,‹ hatte Benz kategorisch erklärt. Wenden konnte dies Urteil nur unterschreiben.

Und dann war er in derselben Lage und fragte sich: ›Warum studiert Margot Hilarius?‹ Den alten, vielumstrittenen Punkt galt's: der Mann will das Weib, das er liebt, nicht im Hörsaal sehen.

Margot war sehr wohlhabend. Äußere Notwendigkeit hatte also bei der Wahl ihres Berufes nicht mitgesprochen. Wenden glaubte aber, den Schlüssel zu diesem Problem gefunden zu haben: der Wunsch, zu helfen und zu lindern, die Sehnsucht nach dem Liebesdienst, der in so vielen Fällen der unverheirateten Frau versagt bleibt, hatte sie den ärztlichen Beruf ergreifen lassen. Das Weib hatte gesprochen. Die Liebeskraft, die in der Erfüllung ehelicher und mütterlicher Pflichten immer neue Blüten treibt, wollte nicht länger brach liegen. Das war's. Hier lag nicht der Wunsch nach Vermännlichung vor, sondern die tiefste Sehnsucht nach dem Beruf des Weibes. Darum ihr Studium, – ein Surrogat.

Und trotzdem, – die Gefahr blieb bestehen: das studentische Milieu mit seinen Einflüssen, – die durch die Vorbildung zum wissenschaftlichen Beruf hervorgerufene Entfremdung der Frau auf ihrem eigenen, von Gott gewiesenen Gebiet.

Und er sagte sich in diesem speziellen Falle: Ursache und Zweck sind gesund, ob aber die theoretische Vorbildung, ob die praktische Ausübung des männlichen Berufs Weibessehnsucht und Frauenart nicht wie so oft schon, so auch hier, beschränken und verbilden werden?

Es war und blieb das alte Problem, das die Frau bisher vergeblich zu lösen suchte, das der Mann ablehnte. – –

Ein feingebauter, weißhaariger Herr im schwarzen Gehrock näherte sich den beiden jungen Menschen. Ein Schillerkopf, klassisch schön, durch hohes Alter geadelt. Trotz etwas gebeugter Haltung lag etwas Gebietendes in der Erscheinung des Gelehrten. Der Adlerblick dieser Augen bannte. Die ganze Persönlichkeit trug das Gepräge geistiger Überlegenheit. Ungewollt. Denn der Ruf größter Bescheidenheit ging dem Manne voraus, dessen Riesenwissen Tausenden diente. Aber Sonnenlicht blitzt durch alle Spalten, und das Menschenantlitz spiegelt die Seele wider. Das war Geheimrat Schnitzler, der König der Philosophen, wie er in akademischen Kreisen genannt wurde.

Sein durchdringender Blick flog von einem zum andern.

»Nun, worüber wird hier so ernsthaft philosophiert?« fragte er lächelnd.

Margot Hilarius errötete. »Über den Monismus, Herr Geheimrat!«

Der Greis zog die Stirn in Falten. »Über den Monismus?« Er schüttelte das weiße Haupt. »Setzt Ihnen der da etwa das Zeug in den Kopf?« fragte er mit einer Bewegung nach Wenden hinüber.

»Nein, Herr Geheimrat, das ist der letzte, der den Monismus vertreten würde!« rief das junge Mädchen in ungewohnter Lebhaftigkeit, während das Rot auf ihren Wangen sich tiefer färbte. Und dann hielt sie erschrocken inne, als sei sie unbescheiden gewesen.

Aber der königliche Philosoph hatte Gefallen an der kleinen Studentin.

»Nur immer frisch von der Leber weg geredet,« sagte er, ihr die Hand reichend, freundlich. »Unsere Zeit fordert, daß wir Farbe bekennen. Das heißt, sie mag's nicht, aber imponieren tut's ihr doch, da mag einer sagen, was er will! Welche Weltanschauung vertreten Sie denn, mein kleines Fräulein?«

Die großen, dunklen Augen blickten ernst und fest zu dem Gelehrten empor. »Das Christentum,« sagte Margot Hilarius einfach.

Über die blassen Züge des großen Denkers flog ein heller Schein. »Das freut mich,« sagte er warm und drückte die kleine Hand, die noch immer in der seinen lag. »Und was studieren Sie?«

»Medizin, Herr Geheimrat!«

In den geistvollen Augen blitzte es schalkhaft. »Und warum?« setzte er sein Examen fort.

»Um anderen dienen und helfen zu können,« klang bescheiden die Antwort.

»Bravo! Das hat Hand und Fuß, und ist das Wort einer echten Frau! Das tut einem wohl nach all dem femininischen Gefasel vom universellen Überblick über das Wissen der Gegenwart und dergleichen Utopien, – kühl bis ans Herz hinan wird's einem, wenn man das Weib von heute reden hört. Der Monismus tötet die christliche Charitas, kein Wunder, – das blaue Blut seiner Ahnfrau, der Antike, rollt ihm in den Adern. Kennen Sie Heines Erlebnis mit der Venus von Milos? Nein? – In einer schlaflosen Nacht will er sich zu der neben seinem Bette stehenden Statue der Göttin mit den Worten gewendet haben: ›Rette mich, ich bin der treuste Knecht und Lobredner deiner Hoheit gewesen!‹ Und was antwortet die Venus? ›Du Tor, siehst du nicht, daß ich keine Arme habe?‹ – Das ist das Abbild der Antike, der Vorläuferin des modernen Heidentums, das heute unter uns herrscht. Beide predigen die Barmherzigkeit, setzen sie aber nicht in die Tat um. Der Monismus ist leblos wie die Antike. Er hat einen toten Gott, einen gemachten Götzen, wenn Hartmann auch dessen Ehre zu retten sucht und ihm den Titel des allmächtigen Schöpfers verleiht. Es steht alles nur auf dem Papier. Geht man der Sache auf den Grund, so erkennt man den Schaden, – Nonsens ist's, purer Nonsens, Pseudowissenschaft! Ihre Frucht eine tote, kraftlose, auf schiefer Ebene gegründete Weltanschauung, die nur in restloser Auflösung endigen kann. Darum ist der Monismus der Mörder der Volksseele. Er saugt ihr das Blut aus, die Herzkraft, und läßt sie verkommen. Er ist der größte Lügner, der eine Generalkonfusion ohnegleichen anrichtet. Er nimmt ihr ihren Gott. Weil er selbst keine Hoffnung hat, sollen andere auch hoffnungslos dahinfahren, – das ist alles!«

Er fuhr mit der Hand durch sein dichtes, weißes Haar. Dann wandte er sich mit einer raschen Bewegung dem jungen Mediziner zu.

»Wählen Sie sich kein Weib aus den Töchtern der Monisten, lieber Wenden,« sagte er, und in dem edlen Antlitz zuckte schmerzliche Erregung. »Es wäre nicht wohlgetan!«

Er nickte den jungen Leuten freundlich zu und schritt, auf seinen Krückstock gestützt, weiter.

Gedankenvoll blickten die beiden ihm nach.

»Frau Doktor Schnitzler ist Monistin,« sagte Wenden. »Ich glaube, diese Schwiegertochter macht es dem alten Herrn nicht immer ganz leicht!«

»Um Mann und Kinder scheint sie sich wenig zu kümmern,« meinte Margot. »Man sieht die vier kleinen Mädchen immer nur mit der Bonne. Das Ehepaar habe ich noch nie zusammen getroffen.«

»Wissen Sie nicht, daß die Frau seit drei Wochen in Leipzig Archäologie studiert?«

Margot sah ihn groß an. »Ja, was denkt sie sich denn?«

»Sie denkt, daß ein sie interessierendes Studium ihrer Pflicht vorgeht,« sagte der Mediziner scharf.

Sinnend blickte das junge Mädchen vor sich nieder. »Das begreife ich nicht,« sagte sie.

Sein dunkles Auge ruhte auf ihr. »Würden Sie anders handeln, Fräulein Hilarius?«

»Wenn ich eine Ehe einginge, würde ich mein Studium aufgeben,« erwiderte sie ernst.

»Das freut mich!« Ein warmer, herzlicher Ton lag in seinen Worten. »Die meisten Damen würden aber anders handeln,« fügte er hinzu.

Sie zuckte die Achseln, als wollte sie sagen: ›Was gehen mich andere an?‹

»Zum Beispiel Fräulein Rose Händler,« fuhr er fort. »Ich glaube kaum, daß sie sich entschließen würde, in solchem Falle ihr Studium aufzugeben.«

»Halten Sie sie für so egoistisch?«

»Nicht für egoistischer, als andere. Es ist ja kein Wunder, wenn die Frauenseele durch die systematisch betriebene Vermännlichung unserer Zeit ihres Hauptschmuckes beraubt wird und verkümmert.«

»Herr Doktor, da wird einem ja himmelangst!«

Er lächelte fein. »Ja, ist's nicht so?«

»Ich fürchte. Sie haben recht,« gab sie zu. »Hoffentlich bin ich noch kein Mannweib!«

Er sah sie von der Seite an. »Sie?«

Sie versuchte, seinen Blick auszuhalten, aber es gelang ihr nicht. »Ja, ich!« rief sie lebhaft und zog die Sache ins Komische. »Wenn es so weit ist, Herr Doktor, sagen Sie's mir, nicht wahr? Aber rechtzeitig!«

Sie nickte ihm freundlich zu und entzog sich weiteren Auseinandersetzungen, indem sie an den Tisch der Hausfrau trat und die Gäste mit Kuchen versorgte.

Sein Blick folgte der anmutigen Erscheinung. »Also doch eine Studentin!« sagte er halblaut vor sich hin. Dann verließ er den stillen Platz, um seinen Freund Benz zu suchen.

Vergeblich wanderte er durch die Räume. Der Vandale war nirgends zu finden. Schon wollte er sich, des Suchens müde, einigen Inaktiven, die in einer behaglichen Ecke saßen, zugesellen, als ihm einfiel, daß der Händlersche Salon heute abend den Gästen der Hausfrau zur Verfügung stehen werde.

Er hatte sich nicht getäuscht. Die sonst geschlossene Verbindungstür war geöffnet. Eine rote Ampel erhellte das kleine Zimmer, das die beiden großen Räume trennte.

Auf der Schwelle desselben verhielt er den Fuß. Im Türrahmen des Händlerschen Salons stand eine weibliche Gestalt in Trauerkleidern. Frieda. Ihre Züge hatten etwas Geistesabwesendes. Sie schien ihn nicht zu bemerken. Als wollte sie etwas niederringen, lehnte sie den Kopf an die Wand.

Er konnte nicht mehr zurück, so indiskret er sich vorkam.

»Verzeihung, gnädiges Fräulein,« sagte er, »haben Sie Benz gesehen?«

Erschrocken blickte sie auf. »Um Gottes willen, Herr Doktor,« sagte sie halblaut, »nicht hier!« Sie suchte sich zu fassen. »Kommen Sie,« bat sie, und er folgte ihr in das kleine Arbeitszimmer der Hausfrau.

Dort war kein Mensch.

»Sie sind der einzige, der mir raten kann,« sagte sie, das Antlitz zu ihm erhebend. »Darf ich im Vertrauen sprechen? Ich wüßte hier sonst keinen. So sehr ich Frau Korallus schätze, weiß ich doch nicht, ob sie bedingungslos diskret ist. Sie hat zu viele gute Freunde. Ihnen gegenüber begehe ich zudem weniger Indiskretion, weil ich annehmen muß, daß Ihnen der fragliche Punkt schon bekannt sein wird. Ich weiß. Sie sind ein Christ. Nicht nur, weil Sie Sonntag für Sonntag in der Universitätskirche sitzen. So etwas fühlt man, wenn man täglich zusammen arbeitet.«

Wenden hatte sich bei ihren ersten Worten stumm verneigt. Ihr Vertrauen ehrte ihn. Selten hatte er vor einer Kommilitonin solche Hochachtung empfunden.

Impulsiv streckte er ihr die Hand entgegen. »Ich danke Ihnen,« sagte er bewegt. »Größeres konnten Sie mir nicht sagen.«

Und sie setzten sich.

In tiefer Abgeschiedenheit lag der kleine Raum, von einer grün verschleierten Lampe matt erhellt. Unten träumte der verschneite Hausgarten im Mondlicht. Ab und an lockte drüben ein Mädchenlachen. Sonst kein Laut.

Da begann Frieda Händler zu sprechen. Leise und traurig. Immer mehr hob sie den Schleier, und der Mann an ihrer Seite blickte in die Tiefen einer großen, bangen Sorge.

Ungewollt war sie heimliche Zeugin eines Gesprächs zwischen Rose und Mark Albrecht von Benz geworden, und was sie gehört, hatte sie aufs tiefste beunruhigt und bekümmert: Benz war Monist. Der Mann, von dessen Liebe sie für die junge Schwester das Höchste und Beste erhofft, huldigte einer toten Weltanschauung. Und sie hatte dem häufigen Zusammensein der beiden nicht gewehrt. Soviel sie konnte, hatte sie allerdings ihren Verkehr überwacht, – ob sich gerade deshalb manches ihrer Kenntnis entzogen? Im Gedanken an die Bitte ihrer Eltern, Rose so viel wie möglich im Auge zu behalten, war sie vielleicht zu weit gegangen. Rose war klug und hütete sich wohl, in Gegenwart ihrer Schwester religiöse Fragen zu berühren. Möglicherweise hatte sie Benz eingeweiht.

Und dann hatte Frieda die Unterredung der beiden mit angehört. An den Kopf hätte sie sich fassen mögen, während sie, auf der Schwelle stehend, die Worte des Mannes vernahm, dessen positiv christliches Elternhaus seinerzeit als vorbildlich gegolten: »Die einzige Weltanschauung, die dem denkenden modernen Menschen gerecht wird und ihm eine klare Perspektive eröffnet, ist der konkrete Monismus. Die christliche Ethik dagegen ist nichts als ein verkappter Eudämonismus ohne ein einziges, festes Grundpostulat.«

Und Rose hatte ihm zugestimmt. In diesen Auffassungen begegneten sich zwei Menschen, die jedem, der sie kannte, wie füreinander geschaffen erscheinen mußten. Bewußt und unbewußt würde eines das andere fortwährend beeinflussen; die große, tiefe Liebe aber, die heute vielleicht noch in ihnen schlummerte, würde über kurz oder lang erwachen und leidenschaftlich begehrend die Hand nach ihrem königlichen Recht ausstrecken. Sie mochte wenig geeignet sein, einem objektiv abwägenden Urteil das Wort zu reden. Im Gegenteil. Mit feinen Fäden würde sie Herz und Sinne umspinnen, mit lieblichen Zukunftsbildern die vertrauende Seele betören und sie mit ihren weichen Schlummerliedern in Schlaf singen. Nur eine von Grund auf christliche Persönlichkeit, die fest und unentwegt auf dem Felsengrunde des göttlichen Wortes stand, würde die Kraft in sich tragen, den heißen Ringkampf mit Fleisch und Blut aufzunehmen und einer Liebe, die ihre ganze Seele erfüllte, die harte, blanke Wahrheit entgegenzuhalten: ›Du redest nicht was göttlich, sondern was menschlich ist!‹ Aber das Weib, dem die Dämonen des modernen Heidentums nahten, stand schutz- und wehrlos da, eine Blume im Sturm, eine Seele, der man das Brot genommen.

Während Frieda Händler in dem halbdunklen, einsamen Raum bangend das Gehörte überdacht, war's ihr durch den Sinn gezogen, was ihr Vater so oft ausgesprochen: ›Der Mann erträgt eine Zeitlang den Zweifel, ohne das ethische Gleichgewicht zu verlieren, die Frau, die in einem Punkte an Christo irre geworden, hat der Giftpfeil des Zweifels ins Herz getroffen. Das Weib, das den Herrn verwirft, geht über jede göttliche Offenbarung zur Tagesordnung über. Ihre Seele wird zu einem Totenacker, der keine Blüte mehr zeitigt.‹ Das war der Ausspruch eines berühmten Frauenarztes und Psychiaters. Die Tochter aber mußte ihm beipflichten. Vermännlichung und Loslösung vom Christentum waren die Feinde der Frau von heute.

Aufmerksam hatte der junge Mediziner ihren Ausführungen zugehört. Eine Falte stand auf seiner Stirn. Und doch – allem Anschein nach war Rose Händler als Monistin hergekommen. Benz war vielleicht nur für seine Überzeugung eingetreten. Nachdenklich blickte er vor sich nieder.

»Was wollen wir tun?« fragte das junge Mädchen mit zerdrückter Stimme.

»Wir können gar nichts tun,« erwiderte er. »Jedes direkte Eingreifen würde diesen beiden energischen, zielbewußten Menschenkindern gegenüber höchstens das Gegenteil von dem bezwecken, was wir wünschen. Alles Absichtliche erscheint mir in solchen Fällen vom Übel. Es wird immer erkannt und verstimmt. Solch fest eingewurzelte Irrtümer beseitigen Worte nicht, wenigstens nur in Fällen, wo sie ganz unmittelbar berühren. Der Vertreter des konkreten Monismus läßt nur die Kausalität gelten. Was ihm auch begegnet, die Kausalität ist die Ursache des Geschehens. Und auch seine Taten beherrscht sie.«

Frieda seufzte. »Was sollen wir tun? Wenn sie sich nun heiraten?«

»So können wir's nicht hindern. Vielleicht sind sie füreinander bestimmt.«

Auf der Stirn der Studentin lagerte ein Schatten. »Der Gedanke, daß Rose immer tiefer in diese Ideen verstrickt wird, ist mir unerträglich,« sagte sie leise. »Bedenken Sie, daß die Eltern sie mir anvertrauten!«

»Gewiß. Ich verstehe Ihren Kummer. Aber im letzten Grunde ist ein Mensch wie Ihre Fräulein Schwester doch selbst für sich verantwortlich. Auch wird sie schon früher den Hartmannschen Theorien gehuldigt haben. Nach allem, was Sie mir sagen, muß ich es wenigstens annehmen.«

»Ja, das hat sie. Aber trotzdem …«

»Ich finde nicht, daß Sie Schuld trifft,« sagte der junge Arzt. »Wie konnten Sie ahnen, daß Benz Monist ist?«

»Ich hätte gleich sondieren sollen, Herr Doktor.«

Er zuckte die Achseln. »Wenn die beiden sich wirklich lieben, so können Sie sie nicht trennen. Soviel ich Ihre Fräulein Schwester kenne, scheint sie sich überhaupt wenig beeinflussen zu lassen.«

»So gut wie gar nicht.«

»Sehen Sie! Also, selbst wenn wir jetzt ein Exempel statuierten und ein Wortgefecht über den Monismus in Szene setzen, es würde eher schaden als nützen. Denn unsere Gegner sind ja keine Zweifelnden, Angefochtenen. Sie wähnen, ein festes Fundament unter den Füßen zu haben.«

Frieda erhob sich und reichte Wenden die Hand. »Ich danke Ihnen herzlich für Ihren Rat, Herr Doktor! Ein Mann faßt dergleichen Dinge objektiver auf, als wir Frauen. Vielleicht ist mir der männliche Rat auch deshalb lieber, weil ich ihn von frühster Kindheit an gewohnt bin. Meine Mutter starb, als ich sieben Jahre alt war; mein Vater hat mich erzogen.«

»Das dachte ich mir,« sagte Wenden.

Überrascht sah sie auf. »Wieso? Ich habe doch hoffentlich nichts Männliches an mir?«

»O nein,« rief er. »Im Gegenteil. Aber ich mache immer wieder die Erfahrung, daß die Frau, deren Erziehung ein Mann leitete, besonders gut erzogen ist. Deshalb behaupte ich nicht, daß Pädagogik ein ausschließlich männliches Privilegium ist. Absolut nicht. Andererseits aber ist mir noch keine Frau, deren Erziehung ein Mann leitete, begegnet, von der ich hätte sagen können: dem Weibe fehlt die Disziplin!«

»Und das wird jetzt so oft von uns behauptet,« sagte Frieda. »Ich danke Ihnen übrigens für Ihr Kompliment, Herr Doktor, ich werde es meinem Vater, dem es von Rechts wegen zukommt, übermitteln.«

Sie traten in den Salon.

Alles war im Aufbruch.

Margot Hilarius kam mit hochgeröteten Wangen auf Frieda zu. »Wissen Sie, daß Herr Geheimrat Schnitzler in der nächsten Woche einen öffentlichen Vortrag im Künstlerhause halten wird? Da müssen wir hin!«

Frieda nickte zerstreut.

»Kennen Sie das Thema?« fragte Wenden.

»1913,« erwiderte das junge Mädchen.

»1913?« Er nickte befriedigt. »Das ist allerdings vielversprechend. – Dieser Vortrag wird Ihre Fräulein Schwester ganz besonders interessieren,« wandte er sich an Frieda, »wollen Sie ihr das von mir bestellen? Ich fürchte, ich sehe sie nicht mehr, da ich mich nicht länger aufhalten darf.«

Er grüßte die Damen und näherte sich der Hausfrau.

Frau Korallus hatte ein besonderes Tendre für den Assistenten des von ihr hochverehrten Professor Sentis, eines Freundes ihres verstorbenen Mannes.

»Sie waren ja heute gar nicht zu sprechen, Doktorchen,« sagte sie, ihm mit dem Finger drohend. »Warten Sie!«

»Verzeihung, gnädige Frau! Ich war ohne meine Schuld dringend in Anspruch genommen.«

Sie lächelte fein. »Ach, wirklich? Drüben im Erker? Ich wüßte nicht, was Sie sonst hier fesselte! Binden Sie mir keine Märchen auf, ich kenne meine Pappenheimer!«

Geheimrat Schnitzler näherte sich den beiden. »Nun, was gibt's hier?«

»Ach, nichts Besonderes! Er absentiert sich nur zu sehr!«

Der Greis hob den Krückstock. »Das ist ja gegen die Kleiderordnung,« sagte er, und ein listiger Blick flog zu Wenden hinüber.

Dann wandte er sich an die alte Freundin. »Liebe Korallus, ich möchte Sie noch sprechen!«

Die Hausfrau stand sofort zur Disposition. Trotz jahrelanger, freundschaftlicher Beziehungen hatte sie einen grenzenlosen Respekt vor dem Nestor der Wissenschaft.

Wenden war entlassen.

Gedankenvoll verließ er das Haus, in dessen hellen Gemächern die Freude wohnte. Daß auch die Sorge in diesen Räumen einen Platz finden sollte, wollte ihm nicht in den Sinn. Die graue Frau mit den verhärmten Zügen paßte nicht in das fröhliche Palais Korallus. Aber er wußte, sie schlug ihr Quartier auf, wo sie wollte.


 << zurück weiter >>