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3. Kapitel.
Ein Problem.

Des Mannes Lebensinhalt ist die Tat,
Des Weibes Lebensinhalt Dienst der Liebe.

»Tante Maria!«

Auf der Schwelle des Wohnzimmers stand eine Erscheinung, die sofort den Blick auf sich ziehen mußte. Eine vollendete Schönheit, ausgestattet mit der ganzen Frische und Grazie der Jugend. Zwei große schwarze Augen blickten voll sprühender Lebenslust in die Welt, das zarte Gesicht war vom raschen Gange gerötet. Der ungemein sympathische, freundliche Ausdruck verlieh den klassischen Zügen besonderen Reiz. In der Haltung lag Energie. Das Weib von heute im besten Sinne!

In schweren Flechten war das reiche Haar um den Kopf gesteckt, ein englisches Straßenkleid umschloß knapp die hochgewachsene, elegante Gestalt. Über den Schultern hing eine Nerzboa. Spazierstock, Handschuh und einen wundervollen Teerosenstrauch in der Rechten, stand sie auf der Schwelle. Das war Rose Händler, der zwei Regimenter und die Hälfte der jungen Akademiker zu Füßen lagen.

Wie immer kam sie unangemeldet herein.

»Tante Maria, ich mußte dich noch sehen!«

Sie legte den Rosenstrauß rasch auf den Tisch, umschlang die Braut mit beiden Armen und küßte sie wieder und wieder.

»Ich hab nur zehn Minuten Zeit, denn ich muß noch packen, um elf fahren wir schon!« Sie drückte die andere fester an sich. »Tante Maria, wie ich mich freue! Und die kleine Ehrengard! Eine bessere Mama wüßte ich nicht für sie! Tante Maria, bist du sehr glücklich?«

Die Künstlerin lachte. »Natürlich, Rose! Sonst hätt' ich es doch nicht getan! Aber drück mich nicht tot, du Wildfang, komm, setz dich einen Augenblick zu mir!«

Rose atmete schwer.

Die ganze Sache war ein Ereignis für sie, mit welchem sie nicht gerechnet hatte. Sechsunddreißig Jahre alt, mit einem das Durchschnittsmaß weit überragenden Talent, ganz im künstlerischen Beruf aufgehend, – und nun plötzlich heiraten! Rose wußte, daß eine zarte Konstitution ihrer Tante die Vereinigung zweier Berufe zum mindesten erschweren würde, auch hatte ihr Vater, als er ihr heute früh die Verlobung mitteilte, ein diesbezügliches, andeutendes Wort fallen lassen. Aber was sollte denn nun werden? Eine Künstlerin konnte doch ihren Beruf nicht aufgeben!

Darum hatte Rose die Tante unter allen Umständen noch vor der Abreise sprechen wollen. Natürlich hätte sie ihr auch sonst gleich gratuliert, denn sie liebte sie zärtlich, aber diese Frage sprach doch sehr stark mit und ließ sie den Rest von Migräne, mit dem sie erwachte, schneller, als es sonst der Fall gewesen, vergessen. Der Geheimrat merkte es und zog seine Schlüsse. Schmunzelnd blickte er ihr nach, als sie in höchster Eile das Haus verließ.

›Das ist dir sehr gesund, daß du einmal wahre deutsche Frauenliebe kennen lernst, mein kleiner Akademiker?‹ zog es ihm durch den Sinn, während sein Blick der anmutigen Erscheinung folgte. Sein Gesicht ward plötzlich ernst. Er seufzte. Wenn Rose nun trotz alledem einmal einen Doppelberuf erzwingen würde, zuzutrauen wär's ihr! In schweren Gedanken verließ er das Frühstückszimmer.

Rose saß indessen in der Villa Salten, in der Hoffnung, die ganze Verlobungsgeschichte zu erfahren. Aber sie irrte sich gründlich. Es war nichts aus Tante Maria herauszubekommen. Sie war innerlich empört über diese Tuerei. Nichts mehr und nichts weniger erfuhr sie, als sie bereits durch ihren Vater wußte. Nichts als das ›Ding an sich.‹ – ›Das kommt davon, wenn man in dem Alter noch ans Heiraten denkt,‹ zog es ihr durch den Sinn. Aber ein hübscher Anblick war diese späte Braut trotz alledem! Professor Schumann hatte Geschmack.

Sie sah nach der kleinen marmornen Standuhr auf dem Diplomatenschreibtisch. Viel Zeit hatte sie nicht zu verlieren. Um so mehr galt's, dieselbe auszunutzen, um die Hauptsache zu erfahren, nämlich wie die Künstlerin sich ihre Zukunft dachte. Nur die Frau ihres Mannes sein, das stellte Rose sich bodenlos langweilig vor. Zudem würde es dann doch wieder auf das alte Lied hinauskommen: die Frau des Mannes Kreatur. Das war früher ganz selbstverständlich gewesen. In Zeit und Menschen, in Erziehung und Sitte lag's. Aber die moderne Frau ertrug eine Sentimentalität wie die des Chamissoschen Liebesliedes nicht mehr:

›Darfst mich nied're Magd nicht kennen,
Hoher Stern der Herrlichkeit!‹

»Das ist nicht nur dumm,« hatte Rose Händler kürzlich einer Freundin erklärt, »das ist unwürdig und abgeschmackt. Die Frau ist des Mannes Kamerad. Sie will ihm ebenbürtig zur Seite stehen. Und das tut sie, sobald sie aus eigener Kraft etwas leistet, sobald sie etwas geworden ist, das Respekt und Achtung fordert. Sind die vorhanden, so kann und wird sie auch gehorchen, aber nicht aus Angst oder Zwang oder Dankbarkeit oder der Himmel weiß was, – sondern einfach aus Liebe. Eines muß des anderen Wert kennen, sonst gibt's eine unglückliche Ehe.« So hatte die kleine Weisheit philosophiert und zum Schluß in ihrer frischen, natürlichen Art hinzugefügt: »Außerdem ist es den Männern sehr gesund, wenn sie nicht mehr so angeschmachtet werden. Die Herren der Schöpfung bilden sich immer ein, »Köpfchenanlehnen« wäre die größte Seligkeit für unsereins. Denkt nicht daran! Das ist ab und an sehr nett und gehört mit dazu, aber,« – Rose zuckte, das Mündchen verziehend, die Achseln, – »ich brauche ja kein weiteres Wort darüber zu verlieren!«

Sie tat's auch nicht. Sie arbeitete. Ihr Ziel war qualifizierte Berufstätigkeit, – alles übrige war vorläufig Nebensache.

Rose Händler war ein moderner Mensch. Modern im Streben wie im Ziel, modern in Neigungen und Wünschen, modern in ihrer Weltanschauung. Ein starker, etwas eigenwilliger, aber vornehmer Charakter ließ sie gern selbstgewählte Wege einschlagen. Ohne zu fragen, was andere dazu sagen würden, tat sie, was sie wollte. Es steckte etwas von Nietzsches Herrenmenschentum in diesem jungen Geschöpf, das die Natur andererseits zum lieblichsten Weibeslos geradezu prädestiniert. Im vergangenen Winter war sie als Gast einer verheirateten Freundin in Wien gewesen. Ein Eliteregiment lag ihr zu Füßen, in Künstlerkreisen feierte man ihre eigenartige Schönheit. Sie war der verwöhnte Liebling der Wiener, und wußte es. Doch die leichtlebige Art an der schönen blauen Donau ließ die junge Norddeutsche kalt. Das frohe Treiben amüsierte sie, aber sie sehnte sich täglich nach ihrer festen, zielbewußten Arbeit zurück. Wien war bald vergessen. Nur eines haftete ihr aus jener Zeit an; ihre Weltanschauung, die schon vorher das Moderne stark zu bevorzugen begonnen, hatte im Hause des Ritters von Lenk eine entschieden monistische Färbung erhalten. Rose hatte die strenge, christliche Erziehung des Elternhauses, welche dem heißen Wissensdrang des Heranwachsenden Mädchens aus leicht erkennbaren Gründen manchen Riegel vorgeschoben, stets als Einengung empfunden. Sobald sie konfirmiert war und ihren Wünschen mehr Spielraum gelassen wurde, hielt sie sich schadlos und suchte, wo sie konnte, Bereicherung ihres Wissens, Antwort auf ihre Fragen. Obgleich sie sich an diesem Feuereifer freuten, sahen Händlers Roses Wissensdrang doch mit einiger Sorge an. Denn der monistische Einschlag war nicht zu verkennen. Trotzdem ließen sie das junge Mädchen gewähren. »Rose ist ein ausgewachsener Mensch,« sagte Geheimrat Händler zu seiner Frau, als diese sich einmal über die zahllosen Vortragsbesuche ihrer Stieftochter äußerte. »Ich habe sie vor dem Chaos der modernen Weltanschauungen gewarnt, und ihr, soviel meine Zeit es erlaubte, diese Fragen in das rechte Licht zu rücken gesucht und die Konsequenzen gezogen. Ein zwanzigjähriges Mädchen unserer Zeit bildet sich auf jedem Gebiet sein eigenes Urteil. Eine Einschränkung durch väterliches Machtgebot würde daran nichts ändern, höchstens zu Heimlichkeiten führen. Rose ist viel zu klug, um nicht bald zu erkennen, daß jeder Monismus die Zersetzung in sich trägt. Laß ihr nur Zeit! Nur keinen Zwang ausüben! Bei Kindern ist strenge Erziehung am Platz; ist dieselbe vollendet, muß der Mensch seinen Weg allein gehen.«

Frau Dorothea schwieg. Sie teilte nicht ganz die Ansicht ihres Mannes. Roses lebhafter, allem Schönen weit offenstehender Sinn war eine Gefahr, mit der man rechnen mußte. Ob ihr scharfer Verstand im Kampf mit dem modernen Idealismus gerade ein Verbündeter des Christentums werden würde? Sie bezweifelte es. Ihr Mann zog leicht seine Schlüsse von sich auf andere. Aber gerade in diesen Fragen war Individualisierung Bedingung. Und zudem, – wie manchen älteren erfahrenen Menschen hatte der Monismus, der heutzutage alle Kreise in seinen Bann zog, in die Irre geführt, – würde ein junges Mädchen, das mit offener Seele allem Neuen entgegentrat, das Phantom erkennen, dessen Truggold seine Sinne umgaukelte? Frau Dorothea kannte ihres Mannes pädagogischen Standpunkt: den ausgewachsenen Menschen nach Vollendung einer gesunden, christlichen Erziehung ungehindert zur Persönlichkeit ausreifen zu lassen. Mochte es durch Irrung und Fehltritt gehen, nur die selbständige Entwicklung berechtigte zur Hoffnung auf eine gute Frucht. Jede künstliche Nachhilfe zeitigte Treibhausprodukte und Mißwachs.

Es war der Standpunkt des Mannes, der, mitten im modernen, wissenschaftlichen Leben stehend, sich täglich mit der werdenden und wachsenden Menschheit nach ihrer psychischen und physischen Seite hin beschäftigte.

Die Stiefmutter schwieg. ›Du könntest irren,‹ sagte sich Dorothea Händler.

Dann war die Einladung nach Wien gekommen. Händlers trugen keinerlei Bedenken, ihrer Tochter den längst geplanten Besuch bei ihrer verheirateten, aus ganz positivem Elternhause stammenden Freundin zu gestatten. Auch der Gatte der jungen Frau, den sie vor einigen Jahren allerdings nur flüchtig auf seiner Hochzeit kennen gelernt hatten, war ihnen damals von den Verwandten der Braut als ein christlich denkender Mann bezeichnet worden.

So ging Rose nach Wien in ganz neue Verhältnisse, in den bunten, freien, österreichischen Fasching. Das Haus aber, das sich ihr gastlich öffnete, war kein christliches Haus mehr, sondern eine Stätte modernster monistischer Weltanschauung. Die heiße Frage nach der Welt Anfang und Ende geht durch alle Völker und Zeiten. Sie kam auch in den Wochen reger Geselligkeit im Hause des kaiserlichen Beamten täglich und reichlich zu Wort. Nicht ab und an nur. Die wissenschaftliche Forschung bildete einen Hauptteil der täglichen Unterhaltung. Beide Gatten bekundeten reges Interesse an den großen Fragen der Zeit. Ihre Weltanschauung war, wie jeder Monismus, durchaus spontan, ein Abschöpfen des Schönsten vom Schönen, ein Idealismus, dessen geistreiche Phantasie keine Schranken zu kennen schien, dessen Fundament aber ein völlig imaginäres war. Die vornehmste, bedeutendste Art idealistischer Weltanschauung, die Philosophie des Unbewußten, der konkrete Monismus Eduard von Hartmanns. Ein Stück tausendjähriger, indischer Weisheit, eine Kombination brahmanisch-buddhistischer Philosophie, eine leuchtende Fata Morgana, deren negatives, verschleiertes Ziel der schwermütigste Pessimismus überschattet – und doch die Weltanschauung, die sich in ihren Grundgedanken einer christlichen Fundamentalwahrheit vor anderen zu nähern scheint.

Herr von Lenk hielt seinem jungen Gast, der sich glühend für die Hartmannschen Gedankengänge interessierte, stundenlange Vorträge über die Philosophie des Unbewußten, akademische Vorlesungen wurden besucht, im Hause verkehrende Künstler und Gelehrte trugen an ihrem Teil dazu bei, das Bild zu vervollständigen; auch die Antipoden der Hartmannschen Richtung wurden gehört, alle Für und Wider erwogen, – und der tiefsinnige Philosoph trug den Sieg davon.

Vor sechs Wochen war Rose heimgekehrt, später als zuerst geplant. Eine alte Verwandte hatte Händlers gebeten, ihr das junge Mädchen auf einer Schweizerreise mitzugeben. Rose wollte Anfang Oktober ihre akademischen Studien beginnen, ihre verlängerte Abwesenheit war den Eltern daher nicht lieb. Aber der Geheimrat brachte es nicht fertig, seiner alten vereinsamten Cousine einen Lieblingswunsch, der seit Jahren der Erfüllung harrte, abzuschlagen. Auch gönnte er Rose die schöne Reise, zu der sich später nicht so leicht die Zeit finden würde. So ging der Sommer hin. Anfang August kehrte Rose zurück. Sie nahm sofort die Vorstudien für ihren akademischen Beruf wieder auf und arbeitete angestrengter, als mancher Student. Von ihren Erlebnissen war wenig die Rede. Denn im Händlerschen Hause war tiefe Trauer eingekehrt. Roses ältere Schwester Frieda hatte vor wenigen Wochen ihren Verlobten, einen jungen Arzt an der chirurgischen Abteilung der Universitätsklinik, durch Blutvergiftung verloren. Still und gefaßt ging die verwaiste Braut ihren schweren Weg. Rose verstand sie nicht. Sie wußte die Größe ihres Schmerzes zu würdigen, um so unerklärlicher erschien ihr diese Fassung. Aber sie wagte nicht, Frieda zu fragen. Die Wunde war noch zu frisch. – Dann reiste Dorothea Händler mit ihrer ältesten Stieftochter und den beiden Jüngsten in die Heide, wo ihr Mann ein Landhaus besaß, das der Familie als Sommeraufenthalt diente. Rose blieb auf ihren Wunsch bei dem Vater. Aber Geheimrat Händler bestand auf einer kurzen Ausspannung vor dem Verlassen des Elternhauses.

Mitte September hieß es: ›Morgen fahren wir!‹ Rose war, obgleich sie die Heide sehr liebte, in diesem Moment nicht sehr entzückt von der väterlichen Verordnung, mußte sich aber wohl oder übel fügen und trotz aller Bitten und Vorstellungen, unter Zurücklassung sämtlicher Bücher, ihr Köfferchen packen. Auch die Verlobung seiner Schwägerin änderte nichts an Geheimrat Händlers Plänen. Es blieb bei der ersten Abmachung: ›Morgen mittag mit dem D-Zug!‹

›Wenn die Väter doch nicht immer so kategorisch wären,‹ dachte Rose, als ihr letzter Versuch, den Reiseplan ins Wanken zu bringen, scheiterte.

Eine halbe Stunde später saß sie in der Saltenschen Villa.

»Tante Maria, erzähl mir schnell noch, wie denkst du dir dein künftiges Leben?« In dem lebhaften Gesichtchen lag fieberhafte Spannung.

Die Braut lehnte sich im Sessel zurück und blickte sie lächelnd an.

»Liebe Rose, das ist doch leicht beantwortet. Das Glück und die Aufgaben einer Frau liegen in der Liebe zu Mann und Kind!«

Rose sah auf die Spitzen ihrer juchtenfarbenen Schuhe nieder. »Ja, gewiß, Tante Maria, aber ich meinte es anders: wie du dir die Vereinigung deiner neuen Pflichten mit deiner Kunst denkst?«

»Eine Vereinigung ist nicht möglich für mich,« antwortete Fräulein von Salten ruhig. »Eines von beiden würde unbedingt darunter leiden, wahrscheinlich die Kunst, denn die Pflichten der Gattin und Mutter kommen doch zuerst. Ich will damit nicht sagen, daß ich im ganzen Leben nicht wieder dichten oder eine Skizze schreiben werde, – aber ein größerer, zeitgeschichtlicher Roman mit seiner umfangreichen Vorarbeit fordert zu viel Zeit und Kraft, Rose, – nicht zu vergessen zu viel Einsamkeit!«

Entgeistert blickten die dunklen Augen die Sprecherin an. »Tante Maria, das kann nicht dein Ernst sein! Und wenn er es heute ist, – verzeih, es ist unverschämt und wenig nichtenhaft von mir, was ich jetzt sage, – so glaube ich nun und nimmer, daß es so bleibt. Du bist durch und durch Künstlerin, deine Schriftstellerei ist ein Stück deines Lebens, so etwas kann man nicht plötzlich aufgeben!«

»Doch, Rose. Man kann es. Nicht um irgend ein gleichwertiges Äquivalent, aber gegen etwas Größeres, gegen das Größte, was einer Frau beschert wird, gegen das, wozu sie in erster Linie berufen ist.«

Rose schüttelte den Kopf. Diese Auffassung lief ihren modernen Ideen ganz entgegen.

»Ich gebe zu, daß es hier, wie auf allen Gebieten, Ausnahmen gibt,« fuhr ihre Tante fort. »Aber sie sind selten. Das Genie, die physisch und psychisch außergewöhnlich veranlagte Frau mag unter Umständen einen wissenschaftlichen oder künstlerischen Beruf mit Ehe und Mutterschaft zu vereinen imstande sein. Aber das trifft hier nicht zu!« Sie: blickte zum Schreibtisch hinüber, wo das Bild der kleinen Ehrengard stand. »Glücklicherweise bin ich kein Phänomen, und die Welt wird ohne mich fertig!«

»Ist dir denn der Entschluß gar nicht schwer geworden, Tante Maria? Verzeih meine Indiskretion, aber ich kann es nicht fassen, wie man einen Beruf, wie den deinen, aufgibt, um zu heiraten!«

»Leicht ist mir der Entschluß insofern nicht geworden, als ich im Zweifel war, ob ich die von Gott gewiesene Aufgabe mit dem Glück vertauschen durfte,« sagte die Braut. »Dein Vater, der immer das rechte Wort bereit hat, kam mit gestern abend wie gerufen. Anstatt ins Theater zu gehen, verlobte ich mich.«

Das junge Mädchen hatte aufmerksam zugehört. Auf der schönen Stirn lag ein Schatten. Ihr Vater vertrat das Christentum. Natürlich hatte er seiner Schwägerin zur Ehe geraten. Es konnte ja nicht anders sein. Aber Maria Saltens Handlungsweise verstand sie trotz ihrer christlichen Weltanschauung nicht. Dies Talent einfach aufzugeben! Da konnte sie nicht mit!

»Es ist allerhöchste Zeit, daß ich gehe!« sagte sie, auf die Uhr blickend, und erhob sich.

Sie trat dicht vor die Braut hin. Ihre Augen forschten in dem feinen Gesicht. »Tante Maria, ich hab dir doch nicht weh getan?«

Fräulein von Salten lächelte. »Nein, absolut nicht, Rose!« Sie legte den Arm in den ihrer Nichte und ging langsam mit ihr zur Tür.

»Aber?« fragte Rose.

»Kein Aber. Es stieg mir nur, wie schon öfter, der Gedanke auf, ob es für ein Mädchen, das voraussichtlich heiraten wird, richtig ist, sich für einen qualifizierten Beruf vorzubereiten.«

»Ich soll also warten, bis Seine Hoheit der Mann geruht?« lachte Rose. »Tante Maria, wo denkst du hin?«

»Es steht noch manches zwischen dem Warten auf den Mann und dem männlichen Beruf einer Frau. Deshalb sage ich noch lange nicht, daß man den ganzen Tag Romane lesen oder sticken soll. Aber die moderne Frau überschreitet die Grenze. Frag einmal deinen Vater! Der Prozentsatz der Studentinnen, welche den akademischen Beruf nicht aushalten, ist bedeutend größer als der der Studenten. Außerdem kommt noch eins dazu, was mir schon mancher Akademiker bestätigt hat: die Weiblichkeit geht der studierenden Frau in den meisten Fällen verloren. Ich meine hier natürlich nicht jene Art, die der Franzose kurzweg mit un peu déclassée bezeichnet, sondern das vornehme Mädchen, das die Hochschule besucht. Damit soll kein Tadel gegen die Einrichtung an sich ausgesprochen sein, denn es handelt sich lediglich um ein Resultat der Verhältnisse, um die Prägung, die jedes ausgesprochen gefärbte Milieu der einzelnen Persönlichkeit verleiht. Vielleicht ist es etwas scharf ausgedrückt, wenn man direkt sagt: ›Die Weiblichkeit geht verloren!‹ und doch läuft es im letzten Grunde darauf hinaus. Die moderne Frau legt ja auch nicht mehr allzu viel Wert auf diesen Schmuck!«

»Aber, Tante Maria, du bist doch selbst eine gelehrte und durchaus nicht unmoderne Frau und deshalb noch lange nicht unweiblich!«

»Ich habe nicht studiert, Rose, und vor allem niemals in einem qualifizierten Beruf gestanden. Meine Arbeit ist etwas ganz anderes, wenn sie auch eine berufliche geworden ist. Du weißt ganz genau, was ich meine. Sieh dir einmal die Studentin an. Ihr Beruf zwingt sie geradezu in andere Lebensformen hinein. Sie muß sich durchsetzen, muß sich behaupten, das kollegialische Verhältnis zum Manne ändert ganz von selbst den Verkehr der Geschlechter. Denn nur der rein kameradschaftliche Ton ermöglicht die bestehenden Verhältnisse. Die Folge aber ist, daß man sofort die Frau im männlichen Beruf erkennt. And damit ist, wie schon gesagt, der Scharm hin. Deshalb braucht die Persönlichkeit als solche ihren Wert durchaus nicht zu verlieren. Die vorgegangene Veränderung aber kann man, wenige Ausnahmen abgerechnet, nicht leugnen. Frag' einmal die Studenten, Rose!«

»Ach, die sagen alle, wir verbummelten in der Toilette, und unser Gehirn sei zu klein für Plato und Schopenhauer. Das kenne ich. Dafür, daß einige Studentinnen dumm sind und sich die Haare nicht ordentlich machen, können die anderen doch nichts! Es ist alles nur Neid, weil wir auch etwas fertig bringen und die Herren der Schöpfung sogar manchmal überflügeln.«

Sie sah auf die Uhr. »Himmel, ich muß ja weg, und zwar im Trab! Zu dumm! Ich hätte mich gerne noch etwas mit dir gezankt!« Sie küßte die Tante. »Wann kommt ihr? Ja recht bald und nicht zu kurz, nicht wahr? Adieu, Tante Maria!« Sie wandte sich noch einmal um. »Kommt die Baronin Werthern zu dir?«

»Ich erwarte sie jeden Augenblick!«

»Willst du ihr bestellen, Mutter hoffte, sie käme noch ein paar Tage zu uns in die Heide!? Ich hätte noch zu ihr kommen wollen, aber es sei zu spät geworden!«

»Schön, ich werde es bestellen.«

»Vielleicht kommt ihr zusammen, das wäre reizend!« Und Rose stürmte die Treppe hinab.

Gedankenverloren ging Fräulein von Salten in ihr Arbeitszimmer zurück.

»Das wird noch Kämpfe geben,« sagte sie halblaut vor sich hin, während sie, ans Fenster tretend, der anmutigen Erscheinung nachblickte.

›Wenn sie wenigstens auf festem, religiösem Grunde stände! Nach dem, was Frieda mir neulich sagte, scheint sie sich sehr mit den Hartmannschen Theorien befreundet zu haben.‹ Ihr Gedankengang wurde unterbrochen. Zwischen den Asternrabatten kamen zwei Menschen auf die Villa zugeschritten, ein hochgewachsener Mann mit einem kleinen weißgekleideten Mädchen an der Hand.

Der Braut stieg das Blut in die Wangen. Einen kurzen Moment ruhte ihr Blick auf den Kommenden, dann durchschritt sie rasch das angrenzende Zimmer und trat auf die Veranda hinaus. Unwillkürlich verhielt sie den Schritt. Ehrengard Schumann hatte ihres Vaters Hand losgelassen und flog wie ein kleiner weißer Schmetterling mit ausgebreiteten Armen auf die lichte Gestalt zu. Maria kniete neben dem Kinde nieder und umfaßte das zierliche blonde Geschöpfchen, das sie aus großen blauen Augen bewundernd ansah. Sie hatte sich, ob sie es sich auch nicht eingestand, vor der ersten Begegnung mit dem Stieftöchterchen gefürchtet. Die kleine Ehrengard galt überall für sehr wohlerzogen, aber auch für scheu und zurückhaltend. Zwar hatte sie für Maria Salten, die dem zurückgesetzten Kinde stets besondere Freundlichkeit erwiesen, immer eine Art Vorliebe gezeigt, aber im letzten Jahr hatte sie dieselbe kaum gesehen, und zudem – dieser Augenblick forderte etwas Besonderes, anderes von ihr: Kindesliebe. Wie oft aber ward diese zarte Blüte im Keim erstickt! Dienstboten, die das arme Kind bejammerten, Geschichten von bösen Stiefmüttern, bisweilen auch Verwandte der verstorbenen Frau, denen es an Herzenstakt fehlte – das waren die bösen Geister, die auf diesem Gebiet ihr Zerstörungswerk trieben. Ein scheuer Trotz, ein hartes Sichverschließen war die Frucht solcher Saat.

Ehrengard Schumann schien nichts von dem allen zu ahnen. Sie schmiegte ihr süßes Gesichtchen zutraulich an Marias Schulter und flüsterte: »Vater hat gesagt …« hier stockte sie und blickte in ratloser Befangenheit in das Antlitz der neuen Mutter.

Lächelnd sah Maria auf sie nieder. »Nun, Liebling, was hat Vater gesagt? Willst du's mir nicht erzählen?«

Ehrengard wollte es nur zu gern, aber etwas Überwindung kostete es sie doch. Sie barg aufs neue ihr Lockenköpfchen an Marias Schulter, und dann kam's nach und nach heraus, das Wunderschöne, das sie sich kaum vorstellen konnte, wonach ihr kleines Herz aber mit heißer Sehnsucht trachtete: »Vater hat gesagt, ich dürfte dich Mutti nennen!«

Maria traten die Tränen ins Auge. Wie töricht war sie gewesen, sich vor diesem Augenblick zu fürchten! Hier hatte die große, große Liebe, die sich ihr vor wenig Stunden zu eigen gegeben, ihre schöne Vorarbeit getan, – es konnte nicht anders sein!

Sie zog die Kleine fester an sich und küßte sie. »Ja, Ehrengard, du darfst jetzt immer Mutti sagen!«

Sie fühlte sich leicht an der Schulter berührt und sah empor.

Glücklich ruhten Professor Schumanns dunkle Augen auf seinen Schätzen.

»Hast du dir das so gedacht?« fragte er, sich zu Maria neigend, mit halber Stimme.

Sie schüttelte stumm den Kopf.

»Aber ich!«

Ihre Augen strahlten ihn an. »Du? Ja, das glaub ich!«

Sie war aufgestanden und neben ihn getreten. »Ich danke dir!« Ganz leise sagte sie's.

Er hatte sie nie so lieblich gesehen wie heute in dem schlichten weißen Kleide, die Rosen, die er ihr morgens geschickt, an der Brust, die sanften Züge glückverklärt.

Mit Entzücken ruhte sein Blick auf ihr. Er zog sie an sich und küßte sie.

Mit großen staunenden Augen stand die kleine Ehrengard dabei. So etwas hatte sie nie bei Vater und Mutter erlebt. Und eine große Sehnsucht zog durch die Seele des vereinsamten Kindes. Wenn sie sich erfüllte, würden die öden Räume daheim hell werden, auch die großen kalten Salons, wo Mamas elegante Möbel standen, auf die sie sich niemals hatte setzen dürfen und wo sie im heißesten Sommer gefroren. Und dann grübelte das Kind, das man so viel auf sich selbst und sein kleines Phantasieleben angewiesen, darüber nach, wann seine Eltern sich geküßt hatten. –

»Komm, Ehrengard,« rief eine freundliche Stimme, »wir wollen hineingehen.«

Noch ganz in ihren Gedanken befangen blickte sie auf.

Maria faßte ihre Hand.

»Maus, du träumst wohl wieder?« fragte der Professor.

Der Kleinen traten die Tränen ins Auge, sie wußte selbst nicht warum. Tapfer schluckte sie dieselben herunter, während die Kinderhand sich fest um die der neuen Mutter schloß.

Maria kam ihr zu Hilfe.

»Ehrengard, weißt du auch, daß du auf meinem Schreibtisch stehst, als ganz kleines Mädchen mit der schönen Weihnachtspuppe?«

In dem lebhaften Gesichtchen leuchtete es auf.

»Mutti, das ist ja Emil! Den hab ich doch noch!«

»Das ist ja schön! Du mußt mir Emil recht bald mal zeigen!«

»Ja, wenn du zu uns kommst! Du kommst doch gleich heute mit, nicht wahr? Wird deine Villa dann zugeschlossen oder wohnt jemand anderes darin?«

Maria bückte sich zu dem Kinde nieder.

»Bring mir Emil lieber hierher, Ehrengard. Heute kann ich doch noch nicht mitkommen, ich muß ja erst meine Sachen packen!«

Das leuchtete der Kleinen ein. »Dann kommst du gewiß nächste Woche!«

»Ehrengard, paß auf, gleich kommt eine Stufe,« rief der Professor.

Sie nickte versonnen.

Eine Flut von frohen Gedanken und Fragen war in ihr erwacht und drängte ins Leben und begehrte Antwort.

»Mutti, darf ich Emil heute nachmittag bringen?«

»Ja, gern!«

Ehrengard blickte in das holde, freundliche Antlitz. So hatte die Mama sie niemals angesehen. Ob es davon kam, daß sie immer krank war? Vielleicht. Nach Emil hatte sie auch nicht gefragt. Das würde nun alles anders werden! Und von lieblichen Zukunftsbildern umschwebt, betrat Ehrengard Schumann das Haus der Frau, die ihrem Herzen das Größte entgegenbrachte, was Kindessehnsucht begehrt: Mutterliebe.


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