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XI.
Von der unsichtbaren Güte

Dies ist etwas, sagte mir eines Abends der Weise, den ich durch Zufall am Ufer des kaum vernehmbaren Meeres getroffen hatte, dies ist etwas, was man nie bemerkt, worauf scheinbar kein Mensch rechnet; und doch glaube ich, dass es eine der Kräfte ist, welche die Wesen erhalten. Die Götter, von denen wir stammen, geben sich in uns auf tausendfache Weise kund; aber diese geheime Güte, die man nicht bemerkt hat und von der keiner unmittelbar genug gesprochen hat, ist vielleicht das reinste Zeichen ihres ewigen Lebens. Man weiss nicht, woher sie kommt. Sie ist einfach da und lächelt auf der Schwelle unserer Seelen; und die, in denen sie am Tiefsten oder am Häufigsten lächelt, werden uns Tag und Nacht leiden machen, wenn sie es wollen, ohne dass es uns möglich wäre, sie nicht mehr zu lieben …

Sie ist nicht von dieser Welt und mischt sich doch in unsere meisten Handlungen ein. Sie gibt sich nicht einmal die Mühe, sich in einem Blick oder einer Träne zu zeigen. Sie verbirgt sich im Gegenteil aus unerforschlichen Gründen. Man möchte sagen, dass sie Angst habe, von ihrer Gewalt Gebrauch zu machen. Sie weiss, dass ihre unfreiwilligsten Bewegungen rings umher unsterbliche Dinge hervorrufen werden; und wir geizen mit unsterblichen Dingen. Warum doch fürchten wir uns so, den Himmel zu erschöpfen, der in uns ist? Wir wagen nicht, dem Gotte gemäss zu handeln, der uns beseelt. Wir fürchten alles, was durch Worte und Gebärden sich nicht erklären lässt, und wir schliessen die Augen vor Dem, was wir wider Willen in jenem Bereiche tun, wo die Erklärungen überflüssig sind. Woher kommt doch die Furcht vor dem Göttlichen bei den Menschen? In der Tat könnte man sagen, je mehr eine Seelenbewegung sich dem Göttlichen nähert, desto mehr sind wir bemüht, sie den Blicken unserer Brüder zu verheimlichen. Wäre der Mensch vielleicht nichts anderes als ein Gott, der Furcht hat? Oder ist es uns wohl verboten, höhere Gewalten zu verraten? Alles, was dieser allzu sichtbaren Welt nicht angehört, hat die rührende Demut des kranken Töchterchens, das von seiner Mutter nicht gerufen wird, wenn Fremde ins Haus kommen. Und darum hat unsere verborgene Güte die schweigenden Tore unserer Seele bisher nie durchschritten. Sie lebt in uns wie eine Gefangene, der man untersagt hat, sich dem Gitter zu nähern. Übrigens braucht sie sich ihm gar nicht zu nähern. Genug, dass sie da ist. Sie mag sich immerhin verbergen: sobald sie das Haupt erhebt, einen Ring ihrer Ketten verschiebt oder die Hand öffnet, erhellt sich das Gefängnis, die Luftlöcher öffnen sich ein wenig unter dem Drucke der inneren Klarheit, und plötzlich ist ein Abgrund voller Engel da, die sich zwischen Worten und Wesen hin und her bewegen; alles schweigt, die Blicke wenden sich einen Augenblick ab, und zwei Seelen umarmen sich weinend auf der Schwelle …

Dies ist nichts, was von unserer Erde stammt; und alle Beschreibungen würden zu nichts dienen. Wer mich verstehen will, der muss in sich selbst den gleichen empfindlichen Punkt haben. Wenn Du nie im Leben die Macht Deiner unsichtbaren Güte empfunden hast, gehe nicht weiter: es wäre unnütz! Aber gibt es wirklich Solche, die diese Macht nie empfunden haben, und waren die Schlimmsten unter uns niemals unsichtbar gut? Ich weiss es nicht; es gibt so viele Wesen auf dieser Welt, die an nichts anderes denken, als wie sie das Göttliche in ihrer Seele entmutigen können. Und doch genügt die Frist eines Augenblicks, damit sich das Göttliche erholt, und auch die bösesten Menschen sind nicht unablässig auf der Lauer; und darum sind auch ohne Zweifel so viele Böse gut, ohne dass man es sieht, während so viele Weise und Heilige nicht unsichtbar gut sind …

Ich habe mehr als einmal leiden gemacht, setzte er hinzu, wie jedes Wesen um sich leiden macht. Ich habe leiden gemacht, weil wir in einer Welt sind, wo alles sich durch unsichtbare Fäden hält und niemand allein ist, wo die holdeste Gebärde der Güte oder Liebe oft so viele Unschuld neben uns verletzt! Ich habe leiden gemacht, weil auch die Besten und Zärtlichsten es zuweilen nötig haben, ich weiss nicht welchen Teil ihrer Selbst im Schmerze des Nächsten zu suchen. In Wahrheit gibt es Samenkörner, die in unserer Seele nur unter dem Regen der Tränen aufgehen, welche um unseretwegen geweint wurden; und doch bringt dieser Same gute Blumen und heilsame Früchte hervor. Was will man? Das ist ein Gesetz, das wir nicht gemacht haben; und ich weiss nicht, ob ich den Menschen zu lieben wagte, der niemandem Tränen entlockt hat. Oft lassen Die, welche am besten lieben, uns am meisten leiden, denn man weiss nicht, welche zärtliche und furchtsame Grausamkeit die unruhige Schwester der Liebe zu sein pflegt. Liebe sucht allerorten nach Beweisen der Liebe, und wer ist nicht geneigt, die ersten Beweise zuvörderst in den Tränen der Geliebten zu finden?

Selbst der Tod könnte nicht genügen, um den Liebenden zu vergewissern, wenn er den Ansprüchen der Liebe nachzugeben wagte; denn der Augenblick des Todes scheint zu kurz für die innige Grausamkeit der Liebe; jenseits des Todes ist noch Platz genug für ein Meer von Zweifeln, und Die, welche zusammen sterben, sterben vielleicht nicht ohne Unruhe. Es bedarf hier langer und langsamer Tränen. Der Schmerz ist die erste Nahrung der Liebe, und alle Liebe, die sich nicht mit einer Wenigkeit reinen Schmerzes genährt hat, stirbt wie ein Säugling, den man wie einen Erwachsenen nähren wollte. Wirst Du die gleiche Liebe für das Weib empfinden, das Dich immer lächeln liess, und das, welches Dich zuweilen weinen machte? Ach! es ist nötig, dass die Liebe weint, und oft genug werden gerade in dem Augenblick, wo das Schluchzen laut wird, die Ketten der Liebe geschmiedet und fürs Leben benetzt …

So habe auch ich leiden gemacht, weil ich liebte, fuhr er fort. Auch ich habe leiden gemacht, weil ich nicht mehr liebte. Aber welch ein Unterschied ist zwischen diesen beiden Schmerzen! Hier die langsamen Tränen empfundener Liebe, die schon im Grunde ihrer Selbst zu wissen schienen, dass sie in unseren mit einander verbundenen Seelen etwas Unaussprechliches betauten, und dort jene armen Tränen, die ihrerseits wohl wussten, dass sie allein auf eine Wüste fielen. Aber in diesen Augenblicken, wo die Seele wirklich ganz Ohr oder vielmehr ganz Seele ist, habe ich die Macht der unsichtbaren Güte erkannt, die den unglücklichen Tränen sterbender Liebe die göttliche Täuschung der entstehenden Liebe zu verleihen wusste. Hattet Ihr noch nie solch einen trüben Abend, wo die entmutigten Küsse kein Lächeln mehr begleitete und die Seele endlich merkte, dass sie sich getäuscht hatte? Die Worte klangen nur noch mühsam in der kalten Luft endgiltiger Trennung; Ihr wolltet auf ewig von dannen gehen, und die Hände streckten sich fast leblos zum Abschied auf Nimmerwiedersehen entgegen, als plötzlich die Seele aus sich heraus eine unfassliche Bewegung machte. Die Schwesterseele erwachte augenblicks auf dem Gipfel des Wesens; es entstand etwas viel Höheres als die Liebe müder Liebender; und ob die Leiber sich auch von einander wandten, die Seelen konnten von nun an nicht mehr vergessen, dass sie sich einen Augenblick von Gebirgen herab angeschaut hatten, die sie nie gesehen, und dass sie für die Spanne eines Augenblicks von einer Art von Güte erfüllt gewesen waren, die sie noch nicht kannten …

Welches ist doch diese geheimnisvolle Bewegung, von der ich hier nur gelegentlich der Liebe spreche, die aber bei den kleinsten Gelegenheiten des Lebens statthaben kann? Ist es ich weiss nicht welche innere Aufopferung oder Umarmung, der sehr tiefe Wunsch, Seele für eine Seele zu sein, oder das unaufhörliche zarte Gefühl der Gegenwart eines unsichtbaren Lebens, das dem unseren gleicht? Ist es alles Bewundernswerte und Traurige in der einfachen Tatsache, dass wir leben, und der Anblick des einen, unteilbaren Lebens, der in solchen Augenblicken unser ganzes Wesen überschwemmt? – Ich weiss es nicht; aber man fühlt alsdann wirklich, dass es irgendwo eine unbekannte Macht gibt, dass wir die Schätze ich weiss nicht welches Gottes sind, der alles liebt, dass nicht eine Gebärde dieses Gottes unbemerkt vorübergeht und dass wir endlich in der Sphäre der Dinge sind, die nicht trügen …

Allerdings kommen wir von der Wiege bis zum Grabe nie aus dieser endgültigen Sphäre hinaus, aber wir irren in Gott, wie arme Schlafwandler oder Blinde, die verzweifelt den Tempel suchen, in dem sie sich befinden. Wir sind hier im Leben Mensch gegen Mensch, Seele gegen Seele, und Tag und Nacht gehen unter den Waffen vorüber. Wir sehen uns nicht, wir berühren uns nicht. Wir sehen nichts als Schilde und Helme und berühren nichts als Erz und Stahl. Aber wenn ein kleiner Umstand, der von der Einfalt des Himmels kommt, die Waffen einen Augenblick sinken lässt, findet man dann nicht immer Tränen unter den Helmen, Kinderlächeln hinter den Schilden und erblickt man nicht eine andere Wahrheit?

Er dachte noch nach; dann fuhr er trauriger fort: Ein Weib, ich sagte es Dir wohl schon, ein Weib, das ich wider Willen habe leiden lassen – denn auch die Aufmerksamsten verbreiten unbewusst rings um sich Leiden – dieses Weib hat mir eines Abends die überlegene Macht dieser unsichtbaren Güte enthüllt. Man muss gelitten haben, um gut zu sein; aber vielleicht muss man Leiden verursacht haben, um besser zu werden. Das sollte ich an jenem Abend empfinden. Ich wähnte mich allein angelangt in jener traurigen Zone der Küsse, wo man scheinbar schon die Hütten der Armen besucht, während die verspätete Geliebte noch in den Schlössern der ersten Tage lächelt. Die Liebe starb zwischen uns nach Menschenart gleich einem Kinde, das eine Krankheit traf, von der man nicht weiss, woher sie kommt, und die kein Erbarmen kennt. Wir haben uns nichts gesagt. Ich könnte mich nicht einmal mehr entsinnen, woran ich in diesem so ernsten Augenblicke dachte. Jedenfalls an gleichgültige Dinge. Wir hatten die letzten Menschen hinter uns, und am Ende des verlassenen Quais zitterte das Licht einer Laterne; aber stattgefunden hat alles in einem tausendfach reineren und höheren Lichte, als wenn alle Kräfte des Mitleids und der Liebe, denen ich in meinen Gedanken und in meinem Herzen gebiete, sich dareingemischt hätten. Wir haben uns verlassen, ohne etwas zu sagen, aber wir haben zur gleichen Zeit unseren unaussprechlichen Gedanken begriffen. Wir wissen nun, dass eine andere Liebe geboren ist, die der Worte, der kleinen Lügen und des Lächelns der gewöhnlichen Liebe nicht bedarf. Wir haben uns nicht wiedergesehen, wir werden uns vielleicht vor Jahrhunderten nicht wiedersehen. Wir werden ohne Zweifel vieles vergessen und vieles andere lernen müssen, durch alle Welten hin, die wir noch zu durchwandern haben, ehe wir uns in derselben Seelenbewegung wiederfinden, die an jenem Abend stattfand, aber wir haben Zeit zu warten …

Und darum habe ich seit jenem Tage überall, und selbst auf dem Grunde der härtesten Stunden, die wohltätige Gegenwart dieser wunderbaren Gewalt begrüsst. Es genügt, sie einmal gesehen zu haben, und man kann ihrem Antlitz nicht mehr entgehen. Man sieht sie von nun an oft genug in den letzten Verstecken des Hasses und selbst auf dem Grunde der grausamsten Tränen lächeln. Und doch zeigt sie sich unseren leiblichen Augen nicht. Sobald sie sich durch einen äussern Vorgang kundgibt, ändert sich ihre Natur; und wir sind nicht mehr in der Wahrheit der Seele, sondern in einer Art menschlicher Lüge. Die Güte und Liebe, die sich kennen, haben keinen Einfluss auf die Seelen, weil sie das Reich verliessen, wo sie leben; doch in dem Masse, wie sie blind sind, können sie selbst das Schicksal rühren. Ich kannte mehr als einen Menschen, der alle Werke der Güte und Barmherzigkeit erfüllte, ohne eine einzige Seele zu erreichen; und ich habe andere gekannt, die in der Lüge und Ungerechtigkeit zu leben schienen, aber weder diese Seelen verscheuchten, noch einen Augenblick die Vorstellung erweckten, dass sie nicht gut wären. Mehr noch: die Menschen, die Euch nicht kennen und denen man Eure guten Werke und Taten berichtet, werden, wenn Ihr nicht gut seid im Sinne der unsichtbaren Güte, etwas wittern und in den Tiefen ihres Wesens nie berührt werden, gleich als gäbe es irgendwo einen Ort, wo alles im Beisein der Geister gewogen wird, oder vielmehr dort unten jenseits der Nacht einen Born von Gewissheiten, an dem die stumme Herde der Seelen allmorgendlich ihren Durst löscht.

Vielleicht weiss man noch gar nicht, was das Wort lieben bedeutet. Manche lieben, ohne es zu wissen. So lieben, heisst nicht allein Mitleid haben, sich innerlich opfern, helfen und beglücken wollen; es ist etwas tausendmal Tieferes, und die lieblichsten, geschicktesten und stärksten Worte der Menschen könnten es nicht erreichen. Zuweilen möchte man sagen, es sei eine verstohlene, aber äusserst durchdringende Erinnerung der grossen Ur-Einheit. In dieser Liebe ist eine Kraft, der nichts widerstehen kann. Wer von uns findet nicht, wenn er sich in dem Lichte befragt, das man gewöhnlich nicht beachtet, die Erinnerung an gewisse seltsame Werke dieser Kraft in sich wieder? Wer von uns hat nicht plötzlich, vielleicht an der Seite eines gleichgültigen Wesens, gefühlt, wie etwas herannahte, das keiner rief? War es die Seele oder auch das Leben, das zu sich selbst zurückkehrte, wie ein erwachender Schläfer? Ich weiss es nicht, auch Ihr wusstet es nicht und keiner sprach davon; aber Ihr trenntet Euch nicht, als wäre nichts geschehen.

So lieben, heisst seiner Seele gemäss lieben; und es gibt keine Seele, die diese Liebe nicht erwiderte. Denn die menschliche Seele ist seit Jahrhunderten ein hungriger Gast, den man nicht zweimal zum Hochzeitsfest zu laden braucht.

Alle Seelen unserer Brüder umschweifen uns ohne Unterlass, nach einem Kusse lechzend und nur ein Zeichen erwartend. Aber wie viele Wesen haben nie gewagt, in ihrem Leben eines dieser Zeichen zu machen! Es ist das Unglück unseres Lebens, dass wir so abseits von unserer Seele leben und dass wir ihre geringsten Regungen fürchten. Wenn wir ihr erlaubten, in ihrem Schweigen und ihrem Lichte freimütig zu lächeln, so lebten wir bereits ein ewiges Leben. Es genügt, einen Augenblick zu betrachten, was sie alles in den kurzen Minuten fertig bringt, wo wir nicht daran denken, sie wie eine Tolle in Ketten zu legen, zum Beispiel in der Liebe, wo wir ihr bisweilen gestatten, sich den Göttern des äusseren Lebens zu nähern. Und sollten sich, nach der ersten Wahrheit, nicht alle Wesen im Leben uns gegenüber fühlen, wie die Geliebte dem Geliebten gegenüber?

Diese unsichtbare und göttliche Güte, von der ich hier nur spreche, weil sie eines der sichersten und nächstliegendsten Anzeichen der unablässigen Tätigkeit unsrer Seele ist, diese unsichtbare und göttliche Güte veredelt ein für allemal alles, was sie unbewusst berührt hat. Mögen alle die, welche sich über ein Wesen beklagen, in sich selbst hinabsteigen und sich befragen, ob sie in Gegenwart dieses Wesens jemals gut waren. Was mich betrifft, so habe ich nie Einen getroffen, an dessen Seite ich fühlte, wie meine unsichtbare Güte in Bewegung geriet, ohne dass er augenblicklich besser geworden wäre als ich selbst. Seid gut in den Tiefen, und Ihr werdet sehen, dass die, welche Euch umgeben, gut werden bis zu den gleichen Tiefen. Nichts erwidert den geheimen Ruf der Güte unfehlbarer, als der geheime Ruf der benachbarten Güte. Solange man im Unsichtbaren Gutes tut, werden Alle, die einem nahen, Dinge tun, die sie an der Seite eines Anderen nicht tun könnten. Es gibt da eine Kraft, die keinen Namen hat, eine geistige Nebenbuhlerschaft, die unwiderstehlich ist. Man möchte sagen, dass sich gerade hier der empfindlichste Punkt unserer Seelen befindet, denn es gibt solche Seelen, die scheinbar vergessen haben, dass sie da sind, die auf alles verzichtet haben, was ein Wesen erhebt; aber an dieser Stelle angelangt, erholen sie sich sämtlich; und in den göttlichen Gefilden der verborgenen Güte erträgt auch die geringste Seele keine Niederlage.

Und doch ist es möglich, dass sich im sichtbaren Leben nichts verändert; aber ist das allein von Belang, und bestehen wir wirklich nur aus Handlungen, die man in die Hand nehmen kann, wie die Kiesel der Landstrasse, wenn wir uns fragen, wie wir uns jeden Abend fragen sollten: »Was tat ich heute Unsterbliches?« Soll man zuerst immer unter den Dingen suchen, die man ohne Irrtum berechnen, wägen und messen kann? Es ist möglich, dass wir aussergewöhnliche Tränen vergiessen, dass wir ein Herz mit unerhörten Gewissheiten erfüllen und einer Seele das ewige Leben wiedergeben, ohne dass jemand es gewahrt, ohne dass wir selbst es wissen. Es kann vorkommen, dass nichts sich ändert, dass bei der Prüfung alles zusammenbricht und dass diese Güte schon bei der geringsten Furcht nachgibt. Das tut nichts. Etwas Göttliches hat stattgefunden, und unser Gott muss irgendwie gelächelt haben. Ist es nicht vielleicht das höchste Ziel des Lebens, das Unaussprechliche so in uns wiederzugebären; und wissen wir, um was wir uns selbst bereichern, wenn wir ein wenig von dem Unbegreiflichen erwecken, das in allen Ecken schläft? Hier habt Ihr die Liebe wiedererweckt, und sie wird nicht wieder einschlafen. Die Seele, die Eure Seele erblickt und mit Euch die heiligen Tränen der feierlichen Freude vergossen hat, die man nicht gewahrt, wird Euch auch inmitten ihrer Leiden nicht mehr zürnen. Sie wird es nicht einmal mehr nötig haben, zu vergeben. Sie ist so sicher, dass irgend etwas von nun an durch nichts mehr ausgetilgt werden kann, und dass ihr inneres Lächeln nicht mehr wird verblassen können; denn nichts kann zwei Seelen trennen, die einen Augenblick »zusammen gut gewesen sind«.

 


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