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V.
Über die Frauen

Auch in diesem Bereiche sind die Gesetze unbekannt. Über unseren Häuptern funkelt am Zenit der Stern der Liebe, die uns bestimmt ist; und alle unsere Liebschaften werden bis zuletzt unter den Strahlen und im Dunstkreise dieses Sternes entstehen. Mögen wir zur Rechten oder auch zur Linken, auf den Höhen oder in den Niederungen wählen, mögen wir, um herauszukommen aus diesem Zauberkreise, den wir um alle Vorgänge unseres Lebens gezogen fühlen, unsern Instinkt vergewaltigen und gegen die Wahl unseres Sternes zu wählen suchen: wir werden doch immer das Weib wählen, das von dem unveränderlichen Gestirne kommt. Und wenn wir wie Don Juan tausendunddrei küssen: wenn der Abend da ist, wo die Arme sich lösen und die Lippen sich trennen, werden wir doch erkennen, dass es immer dasselbe Weib ist, das gute oder böse, das zärtliche oder grausame, das liebende oder ungetreue, das vor uns steht …

In Wahrheit kommen wir nie aus dem kleinen Lichtkreise heraus, den unser Schicksal um unsere Schritte zieht, und man könnte sagen, dass die entferntesten Menschen Färbung und Ausdehnung dieses unüberschreitbaren Ringes kennen. Die Farbe dieser geistigen Strahlen ist es, die sie zu allererst gewahren, und die sie uns lächelnd die Hand reichen oder sie scheu zurückziehen heisst. Wir alle kennen uns in einer höheren Sphäre, und die Vorstellung, die ich mir von einem Unbekannten mache, nimmt unmittelbar an einer geheimnisvollen Wahrheit teil, die tiefer ist als die irdische Wahrheit. Wer von uns hat nicht jene Dinge erfahren, die sich in den undurchdringlichen Sphären der fast astralen Menschheit zutragen? Wenn Ihr einen Brief von einer im Schosse des Weltmeeres verlorenen Insel empfangt, geschrieben von einer Hand, die Euch unbekannt ist, seid Ihr da ganz sicher, dass ein Unbekannter Euch schreibt und fühlt Ihr nicht beim Lesen – die Götter wissen allein, in welchen Sphären – Gewissheiten über diese Seele, die untrüglicher und ernster sind, als alle gewöhnlichen Gewissheiten? Und glaubt Ihr andererseits nicht, dass diese Seele, die im Ungefähr von Raum und Zeit der Euren gedachte, nicht auch entsprechende Gewissheiten hatte? Es gibt da von beiden Seiten seltsame Erkennungen, und wir können unser Dasein nicht verbergen. Nichts wirft anscheinend auf die zarten Bande, die zwischen allen Seelen bestehen müssen, ein eigneres Licht, als diese kleinen Mysterien, die den Briefaustausch zwischen zwei Unbekannten begleiten. Dies ist vielleicht eine der schmalen Spalten, – eine klägliche gewiss, aber es gibt deren so wenige, dass wir uns mit dem blassesten Schimmer begnügen müssen, – dies ist vielleicht eine der schmalen Spalten in der Tür der Finsternis, durch die wir einen Augenblick ahnen können, was in der Höhle nie entdeckter Schätze vor sich gehen muss. Man prüfe die Briefschaften eines Menschen, und man wird darin ich weiss nicht welche seltsame Übereinstimmung finden. Ich kenne weder diesen noch jenen, der mich heute Morgen nach etwas fragt, und doch weiss ich bereits, dass ich dem Ersten nicht auf dieselbe Weise werde antworten können, als ich dem Zweiten antworten werde. Ich habe etwas Unsichtbares gesehen. Und was mich betrifft, so bin ich sicher, wenn jemand, den ich nie bemerkt habe, mir schreibt, dass sein Brief nicht genau so ist, als wenn er an meinen Freund geschrieben hätte, der mich in diesem Augenblick ansieht. Es wird immer eine unfassliche geistige Verschiedenheit da sein. Das ist das Zeichen der Seele, die unsichtbar eine andere Seele grüsst. Man muss glauben, dass wir uns in Gegenden kennen, von denen wir nichts wissen, und dass wir eine gemeinsame Heimat besitzen, wohin wir gehen, wo wir uns wiederfinden, und von wo wir ohne Mühe zurückkehren.

In dieser gemeinsamen Heimat wählen wir auch unsere Geliebten; darum täuschen wir uns auch nicht, und unsere Geliebten täuschen sich noch weniger. Das Reich der Liebe ist mehr als Alles das grosse Reich der Gewissheiten, weil in ihm die Seelen am meisten Musse haben. Hier haben sie in der Tat nichts anderes zu tun, als sich zu erkennen, sich tief zu bewundern und sich tränenden Auges auszufragen, wie junge Schwestern, die sich wiederfinden, während die Arme sich verschlingen und die Lippen sich berühren, so weit von ihnen … Endlich haben sie Zeit, sich zuzulächeln, im harten Alltagsleben inne zu halten und einen Augenblick für sich zu leben; und vielleicht verbreitet sich von den Höhen dieses Lächelns und dieser unaussprechlichen Blicke selbst über die fadesten Augenblicke der Liebe das geheimnisvolle Salz, das die Erinnerung an die Begegnung zweier Lippenpaare immerdar frisch erhält …

Aber ich spreche hier nur von vorherbestimmter und wahrer Liebe. Wenn wir eine von Denen wiederfinden, die das Schicksal uns aufgespart und aus dem Schoss der grossen Städte des Geistes, in denen wir ohne unser Wissen leben, uns entgegengesandt hat, damit wir sie an dem Kreuzwege treffen, wo wir zur nämlichen Stunde vorüber müssen, so sind wir vom ersten Blick an unterrichtet. Einige versuchen dann das Schicksal zu vergewaltigen. Vielleicht, dass wir wütend die Hand auf unsere Lider legen, um nicht mehr zu sehen, was man sehen müsste, und dass wir, mit unseren schwachen Kräften gegen ewige Mächte anringend, es durchsetzen, vorüberzugehen, um einer anderen Abgesandten zu begegnen, die nicht für uns bestimmt ist. Aber was wir auch tun mögen, es wird uns nicht gelingen, »das stehende Wasser in den grossen Behältern der Zukunft zu bewegen.« Es wird sich nichts ereignen, die reine Kraft der Höhen wird niemals herabsteigen, und diese unnützen Küsse und Stunden werden sich den wahren Küssen und Stunden unseres Lebens nicht beigesellen …

Das Schicksal schliesst zuweilen die Augen, aber es weiss wohl, dass wir am Abend zu ihm zurückkehren werden, und dass das letzte Wort ihm gebührt. Es kann die Augen schliessen, aber die Zeit, in der es sie schliesst, ist verlorene Zeit …

Wie es scheint, ist die Frau mehr als wir dem Schicksal untertan. Sie unterwirft sich ihm mit viel grösserer Einfalt. Sie kämpft nie aufrichtig dagegen an. Sie steht Gott noch näher und gibt sich mit weniger Zurückhaltung der reinen Handlung des Mysteriums hin. Und aus diesem Grunde scheinen ohne Zweifel alle Ereignisse, bei denen sie sich in unser Leben einmischt, uns auf etwas zurückzuführen, was den Quellen des Schicksals selbst gleicht. In ihrer Nähe empfinden wir zuweilen und vorübergehend noch »ein klares Vorgefühl« von einem Leben, das sich nicht immer mit dem Erscheinungs-Leben deckt. Sie bringt uns den Toren unseres Wesens wieder nahe. Wer weiss, ob die Helden nicht in einem dieser tiefen Augenblicke, wo sie an ihrem Busen ruhten, die Kraft und Treue ihres Sterns empfanden, und ob der Mensch, der nie am Herzen eines Weibes gelegen hat, je das feste Gefühl der Zukunft haben wird?

Wir treten noch einmal in die gestörten Kreise des höheren Bewusstseins ein. Ach! Wie wahr ist es auch hier, dass »die sogenannte Psychologie auch zu den Larven gehört, welche die Stellen im Heiligtum eingenommen haben, wo ächte Götterbilder stehen sollen!« Denn es handelt sich nicht immer um Oberfläche, es handelt sich nicht einmal um die gewichtigsten Hintergedanken. Oder glaubt man wohl, dass es in der Liebe nur Gedanken, Taten und Worte gibt, und dass die Seelen aus diesen Kerkern nicht herauskommen? Muss ich durchaus wissen, ob die, welche ich heute umarme, eifersüchtig oder treu, fröhlich oder traurig, aufrichtig oder treulos ist? Glaubt man, diese kleinen, elenden Worte gelangten bis zu dem Gipfel, auf dem unsere Seelen sitzen und unser Schicksal sich stillschweigend vollzieht? Was liegt mir daran, ob sie mir von Regen oder Schmuck, von Federn oder Nadeln erzählt, und ob sie mich anscheinend nicht versteht? Glaubt man, ich lechzte nach einem erhabenen Worte, wenn ich fühle, wie eine Seele meine Seele anschaut, und ich wüsste nicht, dass auch die wundervollsten Gedanken nicht das Recht haben, im Angesicht von Mysterien das Haupt zu erheben? Ich bin immer am Ufer des Meeres, und wenn ich Pascal, Platon oder Michelangelo wäre, und meine Geliebte spräche mir von ihren Ohrgehängen, so würde alles, was ich sagte, alles, was sie mir sagte, in gleicher Gestalt auf den Tiefen des inneren Meeres schwimmen, das wir in einander betrachten. Mein höchster Gedanke wird nicht schwerer in die Wage des Lebens oder der Liebe fallen, als die paar armen Worte des geliebten Kindes über seine Silberringe und sein Halsband von Perlen oder Glas …

Wir sind es, die nicht verstehen, weil wir uns immer in den Niederungen unseres Verstandes aufhalten. Man braucht nur bis zum ersten Bergschnee zu steigen, und alle Ungleichheiten ebnen sich unter der läuternden Hand des sich erweiternden Horizontes. Welcher Unterschied ist dann noch zwischen einem Worte Marc Aurels und der Bemerkung des Kindes, dass es kalt sei? Seien wir demütig und suchen wir das Zufällige vom Wesentlichen zu scheiden. Wir dürfen über dem »Treibholze« nicht die Wunder des Abgrunds vergessen. Die schönsten Gedanken und die niedrigsten Vorstellungen ändern an dem ewigen Anblick unserer Seele nicht mehr, als alle Himalayas und Abgründe am Anblick unserer Erde unter den Sternen des Himmels ändern. Ein Blick, ein Kuss, und die Gewissheit einer unsichtbaren, mächtigen Gegenwart, und alles ist gesagt; ich weiss, dass ich an der Seite einer Gleichen bin …

Aber die Gleiche ist wahrhaft bewundernswert und seltsam; und sobald es liebt, besitzt auch das niedrigste Mädchen etwas, was wir niemals haben, weil in seiner Vorstellung die Liebe immer ewig ist. Haben sie alle aus diesem Grunde noch Beziehungen zu den Urgewalten, die uns versagt sind? Die Besten unter uns befinden sich fast immer weit entfernt von ihren Schätzen der zweiten Umwallung; und wenn ein feierlicher Augenblick des Lebens ein Juwel aus diesem Schatze fordert, so entsinnen sie sich nicht mehr der Pfade, die dahin führen, und bieten den gebieterischen, untrüglichen Umständen vergeblich die falschen Steine ihres Verstandes dar. Aber die Frau vergisst nie den Weg zu ihrem Mittelpunkte, und ob ich sie im Überfluss oder Elend, in Unwissenheit oder Weisheit, in Schande oder Ruhm antreffe: wenn ich ihr ein Wort sage, das wirklich aus den jungfräulichen Tiefen meiner Seele hervorgeht, wird sie die geheimen Pfade zurückzufinden wissen, die sie nie aus den Augen verloren hat, und ohne Umstände, ohne Zögern, wird sie mir aus der Tiefe des unerschöpflichen Vorrats der Liebe ein Wort, einen Blick oder eine Gebärde zurückbringen, die ebenso rein sein wird, wie die meine. Man könnte sagen, dass ihre Seele ihr immer erreichbar ist; sie ist Tag und Nacht bereit, den höchsten Forderungen einer anderen Seele Bescheid zu tun, und das Lösegeld der Ärmsten unterscheidet sich nicht von dem der Königinnen …

Nähern wir uns mit Ehrfurcht den geringsten und stolzesten, den zerstreuten und nachdenklichen, denen, die noch lachen, und denen, die weinen; denn sie wissen Dinge, die wir nicht wissen, und sie haben eine Leuchte, die wir verloren haben. Sie wohnen zu Füssen der Notwendigkeit selbst und kennen besser als wir ihre vertrauten Pfade. Und darum haben sie erstaunliche Gewissheiten und einen wundervollen Ernst, und man sieht wohl, dass sie sich bei ihren kleinsten Handlungen von den sicheren und starken Händen der grossen Götter hochgehalten fühlen. Ich sagte soeben, dass sie uns den Toren unseres Wesens nahebrächten, und in der Tat könnte man glauben, dass alle unsere Beziehungen zu ihnen durch den Spalt dieses Ur-Tores und in jenem unbegreiflichen Flüstern stattfinden, das ohne Zweifel die Entstehung der Dinge begleitete, damals, als man nur mit leiser Stimme sprach, aus Furcht, ein Verbot oder einen unerwarteten Befehl zu überhören …

Die Frau wird die Schwelle dieses Tores nicht überschreiten und erwartet uns auf der Innenseite, wo die Quellen sind. Und wenn wir dann von draussen anklopfen und sie öffnet, so lässt ihre Hand nie den Schlüssel oder den Torflügel los. Sie blickt einen Augenblick den ihr nahenden Zugesandten an, und in diesem kurzen Augenblick hat sie alles wahrgenommen, was sie wahrnehmen muss, und die zukünftigen Jahre haben bis an das Ende der Zeiten gezittert … Wer kann uns sagen, was der erste Blick der Liebe enthält, »wo der Zauberstab der abgebrochene Lichtstrahl ist«, der, vom ewigen Brennpunkt unseres Wesens ausgegangen, zwei Seelen verwandelt und um zwanzig Jahrhunderte verjüngt hat? Das Tor schliesst sich dann oder öffnet sich; man mache keine Anstrengungen mehr, alles ist entschieden. Sie weiss. Sie wird Euch Eure Handlungen, Worte und Gedanken nicht mehr anrechnen, und wenn sie diese noch überwacht, so wird sie es doch nur lächelnd tun; und unbewusst wird sie alles zurückweisen, was nicht geeignet ist, die Gewissheiten dieses ersten Blickes zu befestigen. Und wenn Ihr glaubt, sie irre zu führen, so wisst, dass sie recht hat gegen Euch selbst, und dass Ihr allein die Irrenden seid; denn Ihr seid weit gewisser das, was Ihr in ihren Augen seid, als was Ihr in Eurer Seele zu sein wähnt, selbst wenn sie sich unaufhörlich über den Sinn eines Lächelns, einer Gebärde oder einer Träne täuscht …

Oh ihr verborgenen Schätze, die nicht einmal einen Namen haben! … Ich wünschte, dass alle, die schlechte Erfahrungen mit ihnen gemacht haben, es ihrerseits verkündeten und uns ihre Gründe sagten, und wenn diese Gründe tief sind, werden wir erstaunt sein und sehr weit ins Mysterium hineingelangen. Sie sind fürwahr die verschleierten Schwestern aller grossen Dinge, die man nicht sieht. Sie sind fürwahr die nächsten Angehörigen des Unendlichen, das uns umgibt, und wissen ihm allein noch mit der vertrauten Anmut des Kindes zuzulächeln, das seinen Vater nicht fürchtet. Sie unterhalten hienieden, wie ein himmlisches und unnützes Kleinod, das reine Salz unserer Seele; und wenn sie fortgingen, würde der Geist allein in einer Wüste herrschen. Sie haben noch die göttlichen Wallungen der ersten Tage, und ihre Wurzeln tauchen viel unmittelbarer als die unseren in alles, was nie Grenzen hatte. Wahrlich, ich bedaure Die, welche sich über sie beklagen, denn sie wissen nicht, auf welchen Höhen man die wahrhaften Küsse findet. Und doch, wie wenig scheinen sie, wenn die Männer sie im Vorübergehen anblicken! Sie sehen sie im Schosse ihrer kleinen Behausungen beschäftigt; diese neigt sich ein wenig; dort unten die andere schluchzt; eine dritte singt, und die letzte stickt; und nicht einer versteht, was sie treiben! … Sie kommen und besuchen sie, wie man lächelnde Dinge besucht. Sie nähern sich ihnen mit lauerndem Geiste, und die Seele kann nur unter den grössten Zufälligkeiten dazutreten. Sie forschen sie misstrauisch aus und erhalten keine Antwort, weil jene schon wissen. Da gehen sie dann achselzuckend fort und sind überzeugt, dass sie nichts wissen … »Aber was brauchen sie zu wissen?« antwortet uns der Dichter, der stets recht hat; »was brauchen sie zu wissen, diese glücklichen Seelen, die das beste Teil erwählt haben und als reine Flammen der Liebe in dieser irdischen Welt nur auf den Spitzen der Tempel oder auf umhergetriebenen Schiffen als Zeichen des überströmenden himmlischen Feuers lodern? Oft erfahren diese liebenden Kinder in seligen Stunden herrliche Dinge aus den Geheimnissen der Natur und tun sie in unbewusster Einfalt kund. Ihren Tritten folgt der Forscher, um jedes Kleinod zu sammeln, was sie in ihrer Unschuld und Freude haben fallen lassen, ihrer Liebe huldigt der mitfühlende Dichter und sucht durch seine Gesänge diese Liebe, diesen Keim des goldenen Alters, in andere Zeiten und Länder zu verpflanzen.« Denn was er über die Mystiker gesagt hat, lässt sich vor allem auf die Frauen anwenden, welche uns bis auf diesen Tag den mystischen Sinn auf Erden bewahrt haben …


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