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25.
Die Schlangenfalle

Gerade in diesem Augenblick kamen Hassan und Amina, ihre Freunde zu besuchen. Kaum hatten sie erfahren, was sich ereignet hatte, so stürzte Amina vor Fanny nieder und sog die Wunden aus, um das weitere Eindringen des Giftes zu verhindern.

Sieger aber eilte in die Fabrik, um aus seiner Hausapotheke ein Mittel gegen Schlangenbisse zu holen, nämlich Ammoniak oder Salmiakgeist. Zugleich ergriff er eine Flasche Rum und einen Becher und kehrte dann in fliegendem Laufe zurück.

Er rieb nun die Fußwunden seines Töchterleins mit Salmiak ein, füllte den Becher mit Rum, unter den er ebenfalls Ammoniak mengte, und gab die Mischung Fanny zu trinken. Das Mädchen leerte den Becher auf einen Zug, wie ihr der Vater befahl. Sie tat es mit Widerwillen, doch folgsam, wie die Kinder ja gewohnt waren, widerspruchslos zu gehorchen.

»Salmiak hat sich stets als wirksamstes Gegengift gegen den Biß einer giftigen Schlange erwiesen,« sagte der Ingenieur, »und der Alkohol ist das sicherste Mittel, der Herzlähmung vorzubeugen, die in solchen Fällen den Tod herbeizuführen pflegt. So dürfen wir hoffen, mit Gottes Hilfe den gefährlichen Folgen des Bisses einen Riegel vorzuschieben.«

»Aber wie kommt nur eine Giftschlange hier herein?« fragte Helling: »Bisher hat sich doch nie eine blicken lassen in dieser Schlucht. Auch bietet der Felsengrund rein gar nichts, was die Reptilien anlocken könnte. Ja, der Mangel an jeglichem Pflanzenwuchs und an irgendwelchen lebenden Wesen, die ihnen Nahrung bieten könnten, macht ihnen den Aufenthalt dahier unmöglich.«

»Aber da ist noch eine!« rief Hassan, indem er einen Stein ergriff und mit wohlgezieltem Wurfe eine weit größere Schlange einer anderen Art zerschmetterte, die mit großer Schnelligkeit herangeschlängelt kam.

Amina führte ihre teuere Fatme heim, um sie zu Bett zu bringen, da dem Mädchen von dem ungewohnten Alkoholgenuß der Kopf schwindelte. Währenddessen vollführten die Männer und Knaben eine Streife durch das Tal und entdeckten noch zwei weitere Schlangen, die sie erlegten. Eine von diesen war eine Hornviper, die gefürchtetste Schlangenart der Wüste.

»Mir ist es auch ein ganzes Rätsel, woher dieses Gezücht hereinkommt,« sagte Josef. »Oder vielmehr wie es da herunter kommen konnte. Denn durch das Wächterhaus und die Fabrik ist das ein sogenanntes Ding der Unmöglichkeit und über die Mauern können sie noch viel weniger klettern. Sie müssen also von oben herunter gekrochen sein, aber ganz oben sind die Felsen so steil, daß sie auch das nicht gekonnt haben. Also wie soll das möglich sein?«

»Es mag ja immerhin sein,« meinte Sieger, »daß sich irgendwo eine Stelle befindet, die einem Kriechtier den Zugang ermöglicht. Aber dann ist es gar zu merkwürdig, daß bisher niemals eines sich blicken ließ, und jetzt ganz plötzlich gleich mehrere und zwar von drei verschiedenen Arten! Je mehr ich darüber nachdenke, um so gewisser wird es mir, daß die Schlangen böswillig hier ausgesetzt wurden.«

»Dann müßte es sich um einen neuen schurkischen Anschlag unseres geheimnisvollen Verfolgers handeln!« rief Helling: »Und das scheint mir allerdings die einzig mögliche Lösung dieses schauerlichen Rätsels. Dann aber können wir nicht wissen, wie viele solcher gefährlichen Geschöpfe noch unter den Steinen und dem Geröll verborgen stecken. Wir dürfen uns fortan nur mit der allergrößten Vorsicht in das Tal wagen, und können uns nicht mehr so gemütlich hier lagern, wie bisher.«

»Ich werde die Schlucht säubern von dem gesamten Geschmeiß!« versicherte der Diener: »Denn da ist mir ein guter Gedanke gekommen!«

Alle waren begierig auf den guten Gedanken, doch Josef wollte ihn nicht verraten, ehe er ihn ausgeführt habe.

Für heute begaben sie sich in die Wohnung zurück, getrieben von der Sorge um Fannys Befinden.

Sie schlief ruhig und der Fuß zeigte sich nicht im geringsten angeschwollen, so daß keinerlei Anlaß zu Befürchtungen vorlag; denn sonst hätte längst eine Schwellung eintreten müssen.

Den ganzen Montag Vormittag arbeitete Josef emsig an seiner Erfindung zur Vertilgung der Schlangen.

Fanny erhob sich gegen zehn Uhr gesund und munter. Sie spürte weder Schmerzen, noch irgend welche andere üble Folgen von dem Bisse und die kleinen Wunden, die ja nicht viel größer als Nadelstiche erschienen, waren bereits geschlossen.

Nachmittags konnte der erfinderische Diener schon sein Kunstwerk vollendet vorzeigen. Es bestand aus einem zwei Meter langen Kasten, dessen Seiten mit feinmaschigen Drahtgittern benagelt waren, so daß man überall hineinsehen konnte. Im Hintergrund hatte er einen Napf mit Milch aufgestellt, die bekanntlich die Schlangen besonders anlockt, aber noch allerlei andere Lockspeisen hineinbefördert, sogar zwei lebendige Mäuse: »Damit jede Schlange etwas nach ihrem besonderen Geschmack findet, nämlich ihr vermutliches Leibgericht,« sagte er.

An der Vorderseite befanden sich unten drei schmale runde Öffnungen, von denen fünfzig Zentimeter lange Drahtröhren ins Innere führten, sich beständig verengernd, genau wie bei den Mausefallen aus Drahtgeflecht, nur eben viel länger. An dem in den Kasten ragenden Ende waren die im Kreis vorstehenden starken Drähte scharf zugespitzt. Auch größere Schlangen konnten sich hier durchdrücken und in die Falle gelangen. Wollten sie jedoch wieder heraus, so starrten ihnen die spitzigen Drähte entgegen und mußten sich in ihre Haut bohren, wenn sie den Versuch machten, sich durchzuzwängen.

Zu aller Vorsicht hatte Josef noch in jedem dieser Eingänge etwa in dessen Mitte, eine runde Blechscheibe angebracht, die am obersten Draht lose befestigt war. Kroch eine Schlange hinein, so stieß sie mit dem Kopf an die Scheibe, die nachgab und emporgehoben wurde, so daß sie dem Vordringen kein Hindernis bot.

War das Reptil unter dem Blech durchgeschlüpft, so fiel dieses in seine ursprüngliche Lage zurück.

Wäre es nun einer Schlange gelungen, trotz der scharfen Drahtspitzen sich den Rückweg in die Drahtgeflechtröhre zu erzwingen, was kaum denkbar schien, so wäre sie wieder an die Blechscheibe gestoßen und hätte sie gegen zwei straff gespannte Drähte gedrückt, die an den Seiten der Röhre von oben nach unten liefen, zwischen sich Raum zum Durchschlupfen lassend, um das Eindringen von außen nicht zu hindern. Diese Drähte machten es unmöglich, die blecherne Falltüre von innen nach außen zu öffnen.

»Da kann allerdings kein Geschöpf mehr herauskommen, das einmal hineingelangte,« sagte Helling anerkennend: »Diese Schlangenfalle hast du dir vorzüglich ausgedacht und tadellos ausgeführt!«

»Kein Ingenieur hätte das besser machen können,« lobte auch Sieger: »Aber glaubst du wirklich, daß alle Schlangen, die sich möglicherweise noch in der Schlucht befinden, dir den Gefallen tun, da hinein zu kriechen?«

»Ja!« erwiderte Josef siegesgewiß: »Und zwar deshalb, weil sie nirgends sonst Nahrung finden. Welche nicht da hineingeht muß in ein paar Tagen verhungert sein.«

»So rasch pflegen zwar Schlangen nicht zu verhungern,« sagte der Ingenieur lachend: »Aber die Lockspeise dürfte ihre Wirkung tun. Wir wollen einmal sehen, wie sich deine schlaue Erfindung bewährt: sie hat alle Aussicht auf Erfolg und du kannst dir ein Patent drauf geben lassen.«

Stolz auf diese Anerkennung von maßgebender Seite, stellte der Erfinder seine treffliche Falle in der Mitte der Schlucht auf.

Anderen Tages fanden sich vier Schlangen darinnen, am Mittwoch zwei weitere und am Donnerstag noch eine. Dann war es aus: die Falle blieb noch vierzehn Tage stehen, aber kein Reptil fing sich mehr darinnen, auch ließ sich keines mehr im Tale blicken, so daß man sicher sein konnte, daß keines mehr vorhanden sei, wenigstens kein lebendes.

Als übrigens Sieger die erlegten Tiere genauer untersuchte, sagte er lachend:

»Da hätten wir uns alle Sorge ersparen können, und Fanny hätte es nicht nötig gehabt, den unangenehmen Trank zu schlucken!«

»Wieso das!« fragte Helling verwundert.

»Elf Schlangen haben wir erlegt,« antwortete der Ingenieur. »Von diesen gehören vier einer völlig harmlosen, ungiftigen Art an. Die sieben übrigen sind allerdings äußerst giftig, namentlich die zwei Hornvipern. Allein, die Giftzähne sind ihnen sorgfältig ausgebrochen worden, wie du dich selber überzeugen kannst!«

»In der Tat!« rief der Leutnant erstaunt, als er in die geöffneten Kiefer sah: »Da ist es mir aber unbegreiflich, was der Attentäter überhaupt bezweckt hat. Denn einerseits beweist gerade dieser Umstand untrüglich, daß die Schlangen von Menschenhand hier ausgesetzt wurden, weil keine Schlangen mit ausgebrochenen Giftzähnen in der Freiheit umherlaufen, – anderseits ist es unerfindlich, warum der heimtückische Schurke, dessen bisherige Anschläge zweifellos auf unsere Vernichtung abgesehen waren, plötzlich so zarte Rücksicht auf unser Leben nimmt. Es ist doch nicht zu glauben, daß er uns bloß zu schrecken beabsichtigte?«

»Gewiß nicht! Aber jedenfalls hat er die Schlangen irgendwo erworben, und zwar als todbringende Giftschlangen, und sich nicht zuvor überzeugt, ob sie ihre Giftzähne noch hatten oder überhaupt alle zu giftigen Arten gehörten.«

Mit dieser Vermutung hatte Sieger recht. Auch Emin Gegr hätte sich die Todesangst schenken können, die er wegen des durchgegangenen Reptils ausgestanden hatte. Sein Diener war eben kein zuverlässiger Bote: er hatte wohl richtig ausgerichtet, daß sein Herr zwölf Schlangen begehre, dagegen vergessen, zu bemerken, sie müßten giftig sein.

Der Schlangenfänger hatte daher als vorsichtiger Mann allen Giftschlangen die Giftzähne kunstgerecht ausgebrochen, damit ja kein Unglück ungerichtet würde, das hintennach ihm zur Last gelegt und vielleicht schlimme Folgen für ihn hätte haben können.


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