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20.
Heimtücke

Emin Gegr um Salama war bitter enttäuscht, daß sein Anschlag auf Siegers Leben mißglückt war. Er war überzeugt, daß der Ingenieur kein anderer sei, als Otto, der Bruder des Leutnants Siegmund von Helling.

Otto von Helling war auch Offizier gewesen, aber Emil Geigers Haß hatte ihn aus seiner Laufbahn geworfen unter Umständen, welche die allgemeine Vermutung, er habe freiwillig seinem Leben ein Ende gemacht, äußerst glaubwürdig erscheinen ließen. Auch Geiger hatte das geglaubt. Er hatte aber keine Ruhe, bis er Siegmund ebenfalls aus dem Leben geschafft hätte.

Zu diesem Zwecke hatte er sich an seine Fersen geheftet und war ihm heimlich nach Khartum gefolgt. Die arabische Sprache beherrschte er schon seit jüngeren Jahren, da er viel im Orient gereist war, was ihm seine damaligen Reichtümer gestatteten. Nun hatte er sich ganz in einen Araber verwandelt, um seine Absichten leichter verwirklichen zu können. Der neue Name »Emin Gegr«, den er sich nunmehr beilegte, war ja mühelos aus »Emil Geiger« gebildet, doch, da es ein echter arabischer Name war, konnte gewiß niemand, der ihn nicht kannte und erkannte, aus diesem Namen seinen ursprünglichen erraten. Auch den mohammedanischen Glauben hatte der Schurke leichten Herzens angenommen, wenigstens äußerlich: im Grunde glaubte er ja nichts, und deshalb machte ihm ein Glaubenswechsel keinerlei Bedenken.

Am Abend vor dem Fall von Khartum, zu dem sein Verrat ja mitgeholfen hatte, erblickte er Sieger zum erstenmal. Es stand ihm nun fest, daß Otto von Hellings Verschwinden keinem Selbstmord zuzuschreiben war, und das erklärte ja auch, daß seine Leiche niemals entdeckt wurde. Der frühere Offizier hatte sich, jede Spur seines früheren Daseins verwischend, einfach heimlich in den Sudan begeben, den Namen Albert Sieger angenommen und die Ingenieurslaufbahn ergriffen. Allerlei technische Kenntnisse hatte er sich früher schon angeeignet, da er besonderes Interesse und Geschick dafür besaß. Er war auch, wie sein Bruder Siegmund, jahrelang bei der Luftschifferabteilung gewesen und später bei den Pionieren. Lerneifrig und hochbegabt, wie er war, konnte er sich leicht noch so viel Kenntnisse aneignen, daß er die Rolle eines Ingenieurs spielen konnte, ohne Verdacht zu erregen. Wenigstens hier im Sudan war dies möglich, in Deutschland wäre es wohl erheblich schwieriger gewesen. So konnte man sich alles leicht zurechtlegen.

Übrigens fiel es Emil Geiger oder Emin Gegr nicht ein, über diese Einzelheiten nachzugrübeln: ihm genügte es vollkommen, daß er beide Brüder in der Nähe hatte, unter Umständen, die es ihm wesentlich erleichterten, sich an ihnen zu rächen. Sie waren Gefangene, die nicht vom Platze weichen konnten, und er selber war neuerdings beim Kalifa gut angeschrieben. Zwar wollte Abdullahi vorerst nichts davon wissen, daß ihnen Schaden zugefügt werde; denn eine Kanonenfabrik war für ihn von höchster Wichtigkeit, und er hatte niemand anders zur Hand, von dem er hoffen konnte, daß ihm die Herstellung von Geschützen gelingen könnte. Immerhin konnte Emin die Brüder verdächtigen und verleumden, und so vielleicht später den Wüterich dazu bringen, sie hinrichten zu lassen, namentlich wenn sie keine brauchbaren Kanonen lieferten. Und daß dies, sei es aus Unvermögen, sei es aus Absicht, der Fall sein werde, erschien ihm mehr als wahrscheinlich.

Dennoch verließ er sich nicht auf diese Möglichkeiten, sondern handelte auch selbständig. Es gab für einen findigen Kopf Mittel genug, unter den obwaltenden Verhältnissen sein mörderisches Ziel zu erreichen. Schlug ein Anschlag fehl, so wurde eben ein neuer ersonnen.

Vor allem war es Emil wichtig, einmal die Fabrikgebäude genau auszukundschaften, um besser beurteilen zu können, wie den beiden beizukommen sei, und das war der Grund, warum er sich am heutigen Nachmittage nach dem Margayatale begab.

Er trat in das Wächterhaus, in dem der Bimbaschi träge auf einer Ottomane hingestreckt lag, seine Nargileh, das heißt Wasserpfeife, rauchend. Drei Wächter lungerten auf dem teppichbelegten Boden umher und schmauchten ihre Tschibuks.

»Allah segne deine rastlose, harte Arbeit!« sagte der Eintretende zum Hauptmann.

»Der Prophet schütze jeden deiner Schritte, Emin Gegr um Salama, du würdiger Liebling des Kalifa!« lautete die Antwort.

»Der erhabene Herr sendet mich her mit einem Auftrag an Abd el Ziger, den Vater der Kanonen. Weilt er in der Fabrik oder ergehen sich seine müßigen Schritte in den Gefilden der Margayaberge?«

»O würdiger Vater der leeren Augenhöhle, Abd el Ziger befindet sich nicht in den Stätten der Arbeit, denn es ist heute sein Tag der Ruhe, und weil er der Herr dieser Werke ist, befindet sich auch kein Arbeiter darinnen; denn er schenkt allen Ruhe am Feiertag der Christen. Dein Knecht Raschid bin Karam allein hat keine Ruhe bei Tag und Nacht, denn er ist vom erhabenen Herrscher, dessen Leben Allah erhalte, zum Wächter bestellt. Abd el Ziger lustwandelt auch nicht in den Gefilden der Wüste, sonst wären wir nicht hier, da wir ihm folgen, wie sein Schatten, wenn er seine Behausung verläßt.«

»Deine Rede ist voll Weisheit und Verstand, o Bimbaschi Raschid, doch verzeihe, wenn Emin Gegr keinen so scharfen Geist besitzt, sie zu deuten. Abd el Ziger ist nicht drinnen, aber auch nicht draußen? Geruhe, durch deine lichtvollen Worte mich zu erleuchten, daß ich den Sinn deiner Rede erkennen möge.«

»Der Herr der Fabrik ruht nach seiner Gewohnheit mit den Seinen in der Schlucht der unersteiglichen Felsen, wo er frei ist zu wandeln und zu weilen, ohne daß wir uns mit seiner Aussicht zu bemühen brauchen. Denn nur ein Vogel kann über ihre Mauern entfliegen, der Vater der Kanonen ist aber kein Vater der Flügel.«

»Wann wird er wieder in sein Haus zurückkehren?«

»Sobald das Gestirn des Tages hinter den Felsen versinkt, pflegt er sich in sein Wohngemach zurückzubegeben mit Ismain el Heliki, Osman, Fatme und Jussuf, seinem Diener. Aber bis dahin sind es noch zwei Stunden, und wenn du ihn in der Schlucht aufsuchst, so wirst du in fünf Minuten bei ihm sein.«

»Gut, so werde ich mich zu ihm bemühen, denn ich werde lange mit ihm zu reden haben. Allah sei mit dir, bis ich wiederkehre.«

Emin Gegr durchschritt die Mauer durch das Tor im Hintergrund des Wächterhauses.

»Besser konnte ich es nicht treffen,« sagte er vor sich hin: »Die Fabrik und die Wohngemächer sind leer und zwei Stunden habe ich Zeit, sie unbemerkt zu durchforschen. Werde ich dabei überrascht, so wäre mir dies freilich unangenehm. Aber sie werden mich nicht erkennen, denn keiner von ihnen hat mich gesehen, seit mich Siegmund, der Schuft, so entstellt hat. Er sah mich freilich mit der Wunde, die er mir beibrachte, aber nur einen Augenblick, und seit sie vernarbt ist, würde mich meine eigene Mutter nicht mehr erkennen. Es laufen auch noch mehr Einäugige in der Welt herum, und wie können sie mich im Sudan vermuten?

»Also, kommen sie vor der Zeit ins Haus zurück, so schwindle ich ihnen irgend einen Auftrag vom Kalifa vor und sage, ich habe sie im Gebäude gesucht, oder ich sei neugierig gewesen, die Räume der Fabrik zu besichtigen.«

Unter solchen Selbstgesprächen war er in das weitläufige Bauwerk gelangt. Zu ebener Erde befanden sich die Fabrikräume, in denen schon nahezu fertige Kanonenrohre zu sehen waren. Im ersten Stock zeigten sich Arbeitssäle und Vorratskammern. Emin hielt sich hier nicht lange auf.

Im zweiten Geschosse fand er die Wohn- und Schlafzimmer, Küche und Speisekammer. Jedes Gemach hatte eine Glastüre, durch die man auf eine breite Altane hinaustrat, von der aus man weit über die niedrigere Sperrmauer des Tales hinwegsehen konnte. Das Torwächterhaus vermochte man natürlich von hier nicht zu sehen: die Mauer entzog es den Blicken.

Auf der Terrasse befand sich ein schattiger Garten: da waren zahlreiche mit Betonmauern eingefaßte Beete, in denen meterhoch Erde aufgeschüttet war. Palmen, Orangen- und andere Obstbäume gediehen hier prächtig.

Die Aussicht dehnte sich bis zum Horizonte aus: im Osten und Norden übersah man das Hüttenmeer von Omderman, die Ruinen von Khartum mit seinen schönen Gärten und üppigen Dattelpalmenwäldern am schimmernden Nil; im Süden breitete sich die Wüste aus, in der man die Ziegelei und die Glashütte erblickte.

Emin Gegr begab sich in das mittlere Zimmer zurück, das durch seine Einrichtung und die umherliegenden Gebrauchsgegenstände unverkennbar als das Wohnzimmer der Familie sich kennzeichnete. Daneben war Siegers Arbeitsstube. Hier fand sich an der Wand ein Schlüsselbrett, an dem fünf große Schlüssel hingen.

Ohne Bedenken nahm sie der Eindringling an sich: er vermutete, sie möchten ihm den Zugang zu den für ihn wichtigsten Räumen eröffnen.

Nun eilte er in die Kellergelasse hinab.

Richtig! Der eine Schlüssel paßte zu der Kellertüre!

Die weiten Hallen, in denen Erzeugnisse der Fabrik, Fässer und Vorräte verschiedenster Art lagerten oder aufgestapelt waren, durchmusterte der Späher nur flüchtig. In der letzten derselben fand sich eine besonders starke Türe in der südlichen Felswand, an die der Fabrikbau stieß. Auch in ihr Schloß paßte einer der Schlüssel.

Emin öffnete. In einer Nische befand sich eine wohlverwahrte Sicherheitslaterne, Streichhölzer lagen dabei. Schnell entzündete der Schurke die Laterne und verfolgte den mäßig ansteigenden Felsengang in einer Länge von etwa fünfzig Metern. Hier bog ein zweiter Gang in scharfem Winkel rechts ab, während der erste noch zehn Meter weiter führte, um in einer hohen, leeren Halle zu endigen.

Auch links zeigte sich noch ein ebenso langer Tunnel, der ebenfalls in ein leeres Gelaß mündete.

Emin untersuchte nun den Korridor zur Rechten. Dieser lief noch zwanzig Meter in den Felsen hinein, etwas stärker ansteigend. Dann verschloß eine schwere Holztüre den Weg.

Aber der Spion besaß den Schlüssel und trat bald in ein besonders hohes, aus dem Felsen gehauenes Gewölbe. Hier stand Faß an Faß und alle waren mit Inschriften versehen, die den Inhalt angaben.

»Aha! Hier werden die Sprengstoffe verwahrt!« murmelte Um Salama.

Von dieser Halle strahlten nach allen Seiten breite und hohe Gänge aus, die sämtlich nach kurzem Verlauf in leere Räume einbogen.

»Äußerst scharfsinnig und vorsichtig!« sagte der Einäugige mit unwillkürlicher Bewunderung: »Diese Sackgassen, wie die beim Hauptgang, sind offenbar alle dazu bestimmt, den Sprenggasen möglichst Raum zu gewähren, wenn durch irgend einen Zufall das ganze Lager in die Luft ginge. Dadurch würde die Gewalt des Luftdrucks derart verteilt und geschwächt, daß der Fabrik keinerlei Gefahr drohen könnte, auch wenn die Türe zum Keller noch gesprengt würde. Wahrhaft genial! Aber halt! Da kommt mir ein ausgezeichneter Gedanke! Deine ganze Vorsicht soll dich nichts nützen, schlauester der Ingenieure: der Geiger wird dich heute noch mit deiner ganzen Sippschaft in die Luft sprengen!«

Er rollte ein Faß zur Türe hinaus, die er für alle Fälle wieder verschloß, während die Tonne langsam den abschüssigen Weg weiter rollte. An der Biegung brauchte er sie nur zu wenden und ihr einen kleinen Anstoß zu geben, und sie kugelte gemächlich bis in den Keller. Hier befanden sich ganze Rollen Lunten.

Emin schnitt ein langes Stück ab, das etwa anderthalb Stunden glimmen mußte. Dann verschloß er die Türe zum Felsengang, rollte das Faß bis zum Mittelraum des Kellers, legte die Lunte und glimmte sie an.

»So!« sagte er mit teuflischer Befriedigung: »Es ist noch eine halbe Stunde bis Sonnenuntergang. Eine Stunde nach Einbruch der Nacht, wenn ihr ganz gewiß alle im Wohngemach gemütlich versammelt seid, werdet ihr eine plötzliche Himmelfahrt antreten!« Und er lachte höhnisch auf.

Nun verließ er die Kellergewölbe, schloß die Türe, begab sich nach oben, brachte die fünf Schlüssel, von denen ihm drei so treffliche Dienste geleistet hatten, wieder sorgfältig an ihren Platz, damit ihr Fehlen keinen Verdacht errege, der leicht eine Nachschau und damit das Scheitern des Mordanschlags zur Folge hätte haben können. An jedem Schlüsselring hing ein viereckiges Stück Pappe mit einer Nummer. Ebenso waren die Haken am Schlüsselbrett numeriert, so daß es leicht war, jeden an den richtigen Platz zu hängen.

Jetzt machte sich der Mordbube rasch aus dem Staube, froh, die ganze Zeit unbemerkt geblieben zu sein.

»Deine Botschaft war nicht leicht auszurichten,« bemerkte der Bimbaschi.

»Wir haben uns auch noch von andern Dingen unterhalten,« erwiderte Emin. »Siehst du Abd el Ziger oder jemand der Seinigen noch, so wünsche ihnen nochmals eine gute Nacht von Emin Gegr um Salama.«

»Oh, mein Auge schaut heute niemand mehr: keiner verläßt mehr das Haus um diese Zeit, zumal am Feiertag der Christen.«

Ein Lächeln der Befriedigung überflog des Einäugigen widerliches Antlitz: das hatte er noch wissen wollen. Jetzt würden sie nichts von seinem Besuch erfahren und ungewarnt ihrem gräßlichen Geschick verfallen.


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