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10.
Die Riesenstadt Omderman

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In einem Punkte freilich hatte sich Petrus Polus verrechnet: neben Schonung des Lebens und völliger Straflosigkeit hatte er vor allem Freiheit als Bedingung der Übergabe für sich und seine Freunde gefordert. Darunter hatte er, wie selbstverständlich, verstanden, daß ihrem Abzug nach Ägypten keine Hindernisse entgegengestellt würden.

Es erwies sich jedoch, daß der schlaue Mahdi seine eigenen, ganz eigentümlichen Begriffe von Freiheit hatte: er gestattete keinem, sich aus seinem Lager zu entfernen.

Der Schreiber versäumte nicht, ihm persönlich Vorstellungen über diesen Wortbruch zu machen. Der Herrscher aber erwiderte ihm in freundlichster Weise: »Allah verhüte, daß ich euch nicht Wort halten sollte! Ich habe euch Freiheit zugesagt: habe ich euch in Ketten legen lassen? Habe ich euch ins Gefängnis geworfen? Seid ihr nicht frei, euch ungehindert in meinem Lager zu bewegen?«

»Gewiß! Aber wir möchten frei sein, es zu verlassen und uns zu unseren Glaubensgenossen zu begeben.«

»Wie könnte ich euch das erlauben, ohne wortbrüchig zu werden? Ich habe euch Sicherheit des Lebens versprochen. Hier ist euer Leben sicher, denn alle meine Untertanen haben strengsten Befehl, es nicht anzutasten. Ließe ich es aber zu, daß ihr das Lager verlasset, so wäre es mir unmöglich, euer Leben zu schützen: ihr würdet unterwegs von den Derwischen erschlagen, die nicht unter meiner persönlichen Aufsicht stehen. Ich darf euch also um eurer selbst willen nicht aus meinen Augen lassen.«

»Wir entbinden dich gerne aller Verantwortlichkeit: laß uns nur ziehen. Wir werden selber dafür Sorge tragen, unser Leben auf der Reise zu schützen.«

»Wie könntet ihr mich meines Eides entbinden? Allah hat ihn gehört, und ihm bin ich für euer Leben verantwortlich. Preiset ihn, daß ich eurer Torheit nicht nachgebe, die euch Verderben bringen würde.«

Da half nichts: unsere Freunde mußten Gefangene im Lager des Mahdi bleiben und froh sein, daß sie sich wenigstens hier ungehindert und ungefährdet bewegen konnten.

Omderman, vielfach auch Omdurman genannt, blieb die Residenz des Beherrschers des Sudans. Aus der kleinen Festung vor Khartums Toren wurde eine Stadt von geradezu riesenhaften Ausmessungen: fast alle Anhänger des Mahdi ließen sich hier nieder, und in der Folge siedelte sein Nachfolger noch zahlreiche Stämme hier an. Dadurch wurde der Keim zu ungeheurer Not und himmelschreiendem Elend gelegt, und es sollte eine Hauptursache des späteren schrecklichen Unterganges der Derwische werden.

Vorerst ahnte man noch nichts von solchen Folgen. Die Macht des Propheten hatte ihren Höhepunkt erreicht, und das gewaltige Anwachsen seiner Hauptstadt schien sie nur zu stärken.

Es befanden sich noch andere europäische Gefangene in Omderman, vor allem Slatin Bey, der Pater Ohrwalder und der deutsche Kaufmann Neufeld. Aber es war sehr schwer, mit ihnen zusammenzutreffen bei der ungeheuren Ausdehnung der Stadt. Der Mahdi hatte allen ihre besonderen Wohnplätze angewiesen, und jeder ihrer Schritte wurde überwacht. Es wurde Sorge getragen, daß sie einander entfernt blieben, um nicht etwa miteinander eine Verschwörung anzetteln oder Fluchtpläne beraten zu können.

Auch Petrus Polus und die Nachbarn, die in seinem Hause Zuflucht gefunden hatten, wurden von unseren Freunden getrennt, und sie bekamen sie nur noch äußerst selten zu Gesicht. Sie waren froh, daß sie selber wenigstens beieinander bleiben durften, nämlich Sieger mit seinem Diener Josef und seinen beiden Kindern, sowie Onkel Helling, wie Johannes und Fanny gelehrt wurden, den Leutnant zu nennen.

Auch ihnen hatte der Mahdi einen bestimmten Platz im Lager angewiesen, wo sie sich eine Hütte erbauen mußten.

Als Eiferer für seinen Glauben, ließ es sich der Prophet angelegen sein, sie zum Islam und zu seiner Sekte zu bekehren. Oft wurden sie zum Gebete befohlen. Da mußten sie stundenlang knieend die Lehren des Mahdi anhören, so daß sie hernach vor Schmerzen in den Füßen kaum noch gehen konnten. Allein zum großen Ärger des Gewalthabers widerstanden sie tapfer allen seinen Bemühungen, sie von ihrem Christenglauben abzubringen.

Hatte Farag Pascha seinen Verrat mit dem Tode büßen müssen, so ging es Emin Gegr um Salama wenig besser. Er wurde in Ketten gelegt und im Seier gefangen gehalten. Das hatte er nun von seinen stolzen Träumen, eine ehrenvolle Machtstellung beim Mahdi einnehmen und denjenigen, den er so tödlich haßte, nach Willkür quälen zu können.

Es war eine harte Gefangenschaft, wenn auch der Kerker, den man den »Seier« hieß, die Schrecken noch nicht hatte, die ihm später einen so furchtbaren Ruf eintrugen, daß er allgemein »Der Vorhof der Hölle« genannt wurde.

Inzwischen waren auch Galabat und Senaar in die Hände der Mahdisten gefallen. Senaar, die Hauptstadt der gleichnamigen Provinz, hatte den hartnäckigsten Widerstand geleistet. Sie wurde grausamer behandelt als alle anderen Eroberungen. Ohne Gnade und Barmherzigkeit wurden sämtliche Einwohner niedergemetzelt und die Stadt von Grund aus zerstört. Um ihren Wiederaufbau zu verhindern, erließ der Mahdi, erbittert über den langen Widerstand, ein Rundschreiben, in dem er Senaar verfluchte und jeden für einen Feind Gottes und des Propheten erklärte, der sich fürder dort niederlassen würde.

Im Mai 1885 verkündete Mohamed Achmed, daß er nunmehr Ägypten erobern werde. Mit der Eroberung betraute er Hussein Pascha Kalifa, den früheren Statthalter von Berber, der zu ihm übergegangen war und zum Emir von Barr el Rif, das heißt Ägypten, bis Wadi Halfa ernannt wurde.

»Wenn die Zeit gekommen ist,« weissagte der Mahdi, »werde ich mit nur sechs Mann Kairo einnehmen, denn Allah wird ohne Hilfe von Kriegern seiner Religion den Sieg verleihen, und bei meiner Ankunft in Kairo werden mir die Einwohner von selbst entgegenkommen und mir ihre Unterwerfung anzeigen.«

Allein, anstatt Ägypten zu erobern, verließ Hussein Pascha Kalifa die Mahdisten an der Grenze und floh nach Kairo. Mohamed Achmed hatte ihm allzuviel Vertrauen geschenkt.

Aber noch ein härterer Schlag traf die Rebellen: im Juni desselben Jahres starb der große Mahdi plötzlich am Typhus.


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