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12.
Die Schreckensherrschaft im Sudan

Der Kalifa Abdullahi war unbeschränkter Herr in Omderman und im ganzen Sudan. Es schien jedoch, als wollte er seine sämtlichen Untertanen in seiner Hauptstadt vereinigen, um sie stets unter seiner unmittelbaren Aufsicht und in der völligen Gewalt seiner Willkür zu haben. Immer mehr Einwohner aus Dörfern und Städten nötigte er zur Übersiedelung nach Omderman, ganze Araberstämme zwang er, sich hier niederzulassen, so daß die Ausdehnung der Stadt immer ungeheuerlicher wuchs.

Infolgedessen wütete beständige Hungersnot in den entvölkerten Provinzen.

Abdullahi war kein gebildeter, geschweige denn gelehrter Mann, wie Mohamed Achmed; er konnte weder lesen noch schreiben. Sein Gesicht war dunkelbraun und voller Pockennarben; es hatte meist einen finstern, furchteinflößenden Ausdruck.

Der Mahdi war persönlich kein herzloser Wüterich gewesen, wenn auch seine Derwische entsetzliche Greueltaten begingen. Der Kalifa aber war ein wahrhaft blutdürstiger Tiger von teuflischer Grausamkeit, die sich mit der Zeit nur zu steigern schien. Er wurde des Schlachtens nicht müde. Er bedurfte dazu keines Grundes oder Anlasses, es schien eben seine Lust und sein Vergnügen zu sein. Daß er sein eigenes Reich durch sein blindes Wüten zugrunde richtete, schien ihm gar nicht zum Bewußtsein zu kommen oder ihn doch völlig gleichgültig zu lassen.

Der entsetzlichste Zug im Charakter dieses finstern Mannes war, daß er es ganz besonders auf die Ausrottung der Kinder abgesehen zu haben schien, oft um die Eltern besonders empfindlich zu treffen, oft ohne irgend einen ersichtlichen Grund.

In einem großen Teil der Ortschaften des Sudans wurde buchstäblich jedes Kind ermordet, das nicht dem Hunger oder sonstigen Leiden erlag.

Präsident Roosevelt, der den Sudan nach der Niederwerfung des Aufstandes persönlich bereiste, sagt: »Furchtbare Verbrechen sind hier begangen worden, Verbrechen so dunkler und gräßlicher Art, daß es sich verbietet, sie zu beschreiben. Während der mahdistischen Herrschaft hat eine Tyrannei, Grausamkeit, Blutdürstigkeit und zügellose Zerstörungswut geherrscht, die alles übertrifft, was die kühnste Einbildungskraft eines zivilisierten Volkes sich auch nur vorstellen kann.«

Begreiflicherweise war die Riesenstadt Omderman der Raserei des Unmenschen am meisten ausgesetzt: Köpfen, Hängen und Verstümmeln war hier an der Tagesordnung. Keiner war seines Lebens auch nur einen Tag sicher, und ebenso mußte er für das Leben von Weib und Kindern stündlich zittern.

Was unter solchen Umständen die langjährige Gefangenschaft für Sieger bedeutete, läßt sich leicht ermessen. Er konnte nur auf Schonung hoffen, weil der Kalifa ihn für unersetzlich und daher unentbehrlich hielt, um sich mit todbringenden Geschützen reichlich versehen zu können, um einem Angriff europäischer Heere, den er immer befürchten mußte, wirksam begegnen zu können.

Immer wieder versicherte der Ingenieur den Tyrannen, daß Helling seine rechte Hand sei, dessen Hilfe und vielseitige Kenntnisse besonders auf dem Gebiet der Heeresbewaffnung er nicht entbehren könne. Dadurch hoffte er mit Recht, auch den Freund am sichersten schützen zu können.

Unter sich nannten sie den Kalifa nur noch »Herodes«.

»Eigentlich tun wir dem König Herodes Unrecht,« bemerkte Helling einmal: »Seine abscheulichste Tat war der Bethlehemitische Kindermord, der ihn in aller Welt und für alle Zeiten in Verruf brachte. Doch ließ er es bei diesem einen Massenmord bewenden, für den er seine besonderen Gründe hatte, und dem nur die Kleinsten zum Opfer fielen. Unser Herodes von Omderman läßt fortgesetzt Kinder jeden Alters umbringen und die Erwachsenen dazu.«

»Das ist leider nur zu wahr,« bestätigte Sieger: »Es muß eine besondere Art von Verbrecherwahnsinn sein, von der dieser Henkerfürst besessen ist. Bliebe ihm ein Funke Vernunft übrig, so müßte er doch einsehen, daß die Entvölkerung seines Reiches nur seine eigene Macht untergräbt und daß sein Wüten auf die Dauer viele seiner Anhänger zu seinen Todfeinden machen muß, was wiederum seine Herrschaft der besten Stützen beraubt.«

Wie es bei grausamen Tyrannen der Fall zu sein pflegt, konnte sich auch Abdullahi zuweilen äußerst leutselig, ja großmütig zeigen und seine Günstlinge reich beschenken. Doch keiner, der heute seine Gunst besaß, war sicher, ob er nicht morgen in Ungnade fiele, ohne irgendwelche Schuld seinerseits. Und dann verfiel er gewöhnlich dem Schwert oder Strick des Henkers.

Unsere Freunde waren froh, verhältnismäßig weit entfernt vom Palaste des Herrschers zu wohnen, und es läßt sich begreifen, daß sie die Kinder nie aus den Augen ließen. So wuchsen auch Johannes und Fanny in Gefangenschaft auf: in das Innere der Stadt durften sie überhaupt nie, und vor die Stadt hinaus kamen sie nur selten und dann stets in Begleitung ihres Vaters und Onkel Hellings. Josef wurde gewöhnlich bei solchen Spaziergängen mitgenommen.

Wie die Wohnung unablässig von einem bewaffneten Doppelposten bewacht wurde, so konnten auch diese kurzen Ausflüge nicht unternommen werden, ohne daß stets zwei Wächter mitgingen. Man fühlte sich als Zuchthäusler und hatte keinen rechten Genuß von den kurzen Wanderungen, die nur noch der Gesundheit wegen unternommen wurden.

Josef war der einzige im Haus, der sich frei bewegen durfte.

Wie viel mußten Johannes und Fanny entbehren. Und doch, umgeben von der Liebe und zärtlichen Fürsorge des Vaters, des Onkels und des treuen Dieners, empfanden sie nichts von diesen Freiheitsbeschränkungen, weil sie es eben nicht anders gewohnt waren und nicht wußten, was andere Kinder vor ihnen voraus hatten, die unter glücklicheren Umständen aufwuchsen.

Wir lassen einen Schleier fallen über das, was sich in Omderman und im übrigen Sudan unter der Schreckensherrschaft des arabischen Herodes begab und begnügen uns mit den kurzen Andeutungen, die wir gaben, denn die Beschreibung all der Greuel in ihren Einzelheiten könnte nur Grauen erregen. So schließen wir lieber dieses trübe Kapitel mit Ludwig Uhlands Worten:

»Das Lied, es folgt nicht weiter: des Jammers ist genug!«


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