Otto Ludwig
Die Heiterethei und ihr Widerspiel
Otto Ludwig

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Jetzt war in der Tat der Schneider der Herr im Hause. Viele Tage vergingen und man hörte ihn nicht auf der Gasse schreien: »Respekt muß sein im Haus.« Die Neugier, wie das kommen möge, führte ihm manchen neuen Kunden zu. Bald hatten er und der Gesell', wie man sagt, alle Hände voll zu tun. Die solchergestalt den Haushalt in der Nähe gesehn, konnten nicht genug erzählen, was es für eine Lust sei, dem kleinen Meister und seinem großen Gesellen zuzusehen. Sie erzählten allerlei Geschichten, wovon sie Zeugen gewesen sein wollten. Da hieß es, der Schneider steige, wenn er mit dem Gesellen reden wollte, jederzeit auf die Brücke, um dabei auf ihn herabsehen zu können. Einmal habe der Schneider gefragt, warum der Gesell die Hand ausstrecke, so oft er mit ihm rede. Der Gesell' habe gesagt: »Na, 's wär' doch schade um den chuten Meester, wenn er herunterfallen täte. Die Brücke ist hoch, und da ist's, damit ich zuchreifen kann, wenn er chetorkelt kommt.« Der Schneider sei zornig geworden und habe im Eifer des Scheltens dem Gesellen mit der Elle vor der Nase herumgefochten, das Gleichgewicht darüber verloren und sei wirklich in die Lappen unter der Brücke gefallen. Der Gesell' habe phlegmatisch gesagt: »Na, hab' ich's nich' chesagt?« Und gerufen: »Aber, Meester, wo liegt er denn eegentlich? Unter den chrünen oder chelben Lappen da?«

Die Bemühungen der Schwarzen um den Gesellen waren zu handgreiflich, als daß sie nicht hätten bemerkt werden sollen. Der Frau Bügel erregten sie einen harten Kampf. Wenn auch das Häuschen nicht mehr das ihre sein sollte, so fühlte sie doch des Häuschens Ehre als die ihre. Und sie wäre gewiß zu deren Verteidigung aufgetreten. Aber klug, wie die Frau Bügel war, dachte sie: wenn's der Schwarzen gelingt, wird man sie los. Und weil sie es wünschte, so glaubte sie, der Schwarzen werd' es gelingen. So viel Verdruß es ihr auch machte, daß die Schwarze in solchen Reichtum hineinkommen sollte, und so gern sie das gehindert hätte. Darum hielt sie sich ruhig, tat, als sähe sie nichts, und sagte auch dem Schneider nichts davon, der in seiner Eitelkeit wie taub und blind war.

Auch die Sannel hätte in ihrer Unschuld vielleicht nichts gemerkt, wäre sie noch so beschäftigt gewesen, als sonst. Vielleicht war auch, ohne ihr Wissen, Eifersucht im Spiele und machte ihr die Augen, die sonst so geneigt sich zeigten, überall nur Liebes und Gutes zu sehen, schärfer. Der Schneider mußte mancherlei Andeutungen von Fremden hören. Einmal sagte er zu der Sannel: »Die Leut' wollen mir was zu Gehör reden. Das merk' ich, denn dumm bin ich nicht; was Sannel?«

Die Sannel war zu ehrlich, die Meinung, um die man sie fragte, zu verschweigen. Aber, wie sie gewohnt war, den Hannes in allem bei sich zu rechtfertigen oder wenigstens zu entschuldigen, sagte sie eifrig: »Nein, du bist ein gescheiter Bursch', Hannesie. Und wo die Leut' meinen, es ist Dummheit, da ist's manchmal nur zu große Guttat bei einem.«

»Nu', du red'st doch auch beinah' wie die Leut',« sagte der Schneider. »So daß es klingt, als tät'st du was damit meinen, und wollt'st doch nicht sagen, was? Was die Leut' haben, das weiß ich; das ist nix als der reine gelbe Neid. Es darf nur einer ein glücklicher Kerl sein, da sind sie gleich da; und was der best' Rock ist von der Nadel weg, da soll's verschossen sein, und die Knopflöcher sind nicht recht umnäht und die Taschen sind zu klein, und sollt's nur der Henkel sein, als wenn der nicht lang' könnt' halten. Der Gesell' das ist ein talketer Kerl, und ich weiß auch, was eine an einem Burschen mag. Vor so einem brauch' ich mich nicht zu fürchten. Und sie müßt' nicht ein Narr sein in mich. Ich bin doch ein Kerl, was, Sannel?«

»Ja; das schon,« entgegnete die Sannel. »Aber es hat eins das lieber und das ander' das. Und der Gesell' ist schon einer, den ein Mädle lieb gewinnen kann; und nu' hat er drei Häuser und ist ein reicher Mensch, und das ist doch auch nichts Gering's. Und wem's um ein Häusle zu tun ist, dem sind drei lieber, wie eins. Und wenn er die drei kann haben, da läßt er das einzig' stehn! Nein, Hannesie, du mußt nicht so ein Gesicht machen.«

»Wenn ich das wüßt'! Sannel, wenn ich das wüßt', Sannel, der Gesell' tat' mich dauern. Aber wenn einer in der Wut ist, hernachen fragt er nach nichts.« Der Schneider fragte nicht, ob's der Luft weh tat, die er mit Fäusten schlug, als hätte sie drei Häuser, und ein Mädchen könnte sie schon lieb gewinnen.

»Aber es ist dumm' Zeug. Sie ist die Liebetät selber.«

»Ja,« sagte die Sannel, »seit der Gesell' da ist und hat gesagt, er wollt' eine Frau aus unserer Gegend, und es müßt' eine sanfte sein. Da ist sie auf einmal sanft geworden. Ach ich wollt', Hannesie, ich wollt' um deinetwillen, der Gesell nähm' sie; aber ich denk' nicht, daß er sie nimmt. Es wär' gut für dich, Hannesie, es wär' besser für dich, wenn dich's auch erst ärgern tät'.«

»Mordsapperment, und daß dich der Guckguck hätt', Sannel, nu wird's schrecklich. Solch eine Geschicht' hat noch nicht im Schackigter Kalender gestanden, wie das eine wird. Weißt du, wie die, wo das Bild davon ist dabei gewest.«

Der Sannel wurde es bange. »Ach Gott, Hannesie, du hast doch nichts Schlimms vor?«

»Wenn einer einmal so weit ist,« sagte der Schneider, »hernachen hört alles auf. Sannele, ich weiß noch nicht, was wird; aber wenn's wird, hernachen wird's was Schrecklich's. Du weißt nicht, was ich für einer bin, wenn ich anfang'. Wenn ich anfang', hernachen hat's aufgehört. Frag nur die Sannel! Und erschreck nicht, Sannel, wenn's wird.«

Die Sannel tat, was sie konnte, ihn zu besänftigen; es war vergebens. Er lief nach der Wohnstube. Die Sannel eilte nach, aber die Tür war hinter dem Schneider ins Schloß gefallen. Die Sannel klinkte vergeblich; es ging nicht auf. Sie wußte nicht, ob sie rufen sollte. Sie lauschte in ihrer Angst am Schlüsselloch, aber sie hörte nichts.

Der Geselle war allein in der Wohnstube gewesen. Er saß und nähte. Der Schneider lief zur Brücke und schwang sich hinauf.

»Nu ist's aus,« sagte der Schneider, »nu ist's aus.«

Der Gesell griff phlegmatisch in seine Tasche und brachte sein Schnellfeuerzeug hervor. Er betrachtete den Meister verwundert.

»Das, was aus ist,« sagte der Schneider gewaltig, »das kann nicht wieder angezünd't werden.«

»Ja,« sagte der Gesell, »der Meester hat seine Pfeife auscheraucht. Ich dachte, sie wär' ihm bloß auschechangen. Nu, da ist zu helfen.«

»Ja, von wegen,« sagte der Schneider mit schrecklicher Stimme, und schien mit der Faust auf den Deckel seiner Pfeife zu schlagen; aber eigentlich schlug er auf den Gesellen. »Wem da die Pfeifen nicht ausgeht! Aber ein End' will ich machen. Meine Braut, das ist meine Braut. Weiß Er das?«

»Ach, der Meester ist doch nicht char eifersüchtig?« fragte der Gesell. »Die Müh' braucht der Meester sich nich zu cheben.«

»Ich kann mir so viel Müh' geben, als ich will,« sagte der Schneider außer sich. »Ich bin der Meister, und Er ist mein Gesell'. Ich lass' mir nicht vorschreiben, was für eine Müh' ich mir soll geben. Ich geb' mir eine Müh', was für eine ich will. Und das geht keinen Menschen was an, geschweig' meinen Gesell'. Und wenn Er nicht still ist, so ist mir's nicht zu viel, ich schmeiß Ihn zur Tür da 'naus.«

»Na,« sagte der Gesell phlegmatisch; »ich hätt' doch chemeint, das wär' dem Meester zuviel. Er müßte chedenken, es auf zweimal zu machen.«

Der Schneider focht mit beiden Händen in der Luft. Der Geselle hatte bemerkt, dem Meister war die Pfeife wirklich ausgegangen; er hatte ruhig ein Hölzchen in Brand gesteckt, ein altes Stück Kleidermaß angezündet und hielt es dem Meister auf den Tabak. Während dieser seine Pfeife mechanisch in Brand setzte, aber mit schrecklichen Gesichtern andeutete, daß deshalb der Friede noch nicht geschlossen sei, fuhr der Geselle fort:

»Na, und ich dächte, der Meester hätte mir einen bessern Geschmack zuchetraut, als daß ich mich um das alte schwarze Cheschöpfe sollte bemühn. Da kann der Meester ruhig sein. Das kann keinem vernünftigen Menschen ins Chehirn kommen, wo so ein chemütliches Mädchen zuchechen ist. Ich bin weit herumchekommen, aber so hübsch hab' ich noch keine chesehn, wie die Sannel da bei Ihm im Hause; das müßt' ein ander Frauchen cheben.«

Dem Schneider ging zum zweitenmal die Pfeife aus. Er vergaß seinen ganzen Zorn über einem neuen Gedanken. In dem Lichte eines heiratbaren Mädchens hatte er die Sannel noch gar nicht gesehen. Der Gesell, wußt er, wollte sich eine Frau holen. Es kam ihm die Angst, er möchte die Sannel wollen, und diese Angst zeigte ihm mit einem Blicke, was er bis jetzt nicht gesehen. Die Sannel wuchs ihm wie durch Zauberei in einem Nu von einem kleinen Mädchen zu einer mannbaren Jungfrau auf, die er heiraten konnte; und in dem Entzücken des Gesellen sah er erst, wie schön die Sannel war.

Der Geselle schien etwas von dem zu merken, was in dem Schneider vorging. Er sagte: »Na, nu wird der Meester doch auch auf die eifersüchtig sein. So chroß und stark der Meester ist, aber zwei für einen sind doch zu viel.«

Die Schwarze war dahinter gekommen, daß die Sannel dem Gesellen gefiel. Nun waren wieder zu viel Leute im Haus, und die Sannel erhielt den Befehl, ihre Sachen zusammenzupacken und zu gehen. Das gab einen harten Strauß. Der Schneider hätte die Sannel nicht gehen lassen, auch ohne das neue Licht, das ihm der Geselle aufgesteckt. Dafür wolle er den Gesellen fortschicken, und die Schwarze wollte ihn behalten. Der Kampf brach erst, als nach dem Feierabend der Gesell in die Herberge gegangen war, wo er schlief, in volle Flammen aus. Nun konnte die Schwarze die Klauen zeigen, die sie unter den Sammetpfötchen der Verstellung verborgen.

,.Und das leid ich nicht,« sagte der Schneider, »und der Gesell muß fort. Da ist ein Wort, wie hundert.«

»Ja,« sagte die Schwarze; »ein Wort von dir ist nix, und hundert sind auch nix. Der Gesell bleibt da, und ich will sehn, ob mir eine in meinem Häusle soll bleiben, wo ich nicht will haben.«

»Respekt muß sein im Haus,« schrie der Schneider. »Und eh' die Sannel 'raus soll, da kannst du eh'nder gehn.«

Die Schwarze schlug auf ihr Halstuch, auf die Stelle, wo das Heiratsversprechen steckte. »Respekt?« lachte sie; »wenn du mich nicht tät'st dauern! Du willst mich ziehn? Weil ich dir die Schuh' hingetragen hab' und hab' dir die Stiefel ausgezogen? Denkst du denn, es ist mir was an dir gelegen?«

»Und hast dir Müh' gegeben, bis du mich hast gehabt,« sagte der Schneider. »Ja, da hast du anders gered't, du falsche schwarze Katz'. Weißt du noch, auf der Bank in der Gerbergassen? Und du hätt'st verdient gehabt, ich hätt' dich lassen sitzen, und ich wär' so gewest, wie du da hast gemeint. Und nu willst du's mit dem Gesellen machen, wie du's mit mir hast gemacht!«

Die Schwarze sah ihn verächtlich an. »Du bist auch der Kerl danach, daß du dich mit dem Gesellen vergleichst. Und die möcht' ich sehn, die du hast lassen sitzen. Und meinst du denn, wenn ich den Schackigter Müller hätt' können haben, ich hätt' dich genommen? Und wenn ich nicht dein Häusle hätt' gewollt? Dich nähm' keine andre mit dem Häusle, geschweige gar ohne. Da nähm' eine hundertmal den Gesellen, und wenn die Kleider nicht sein wären, wo er auf dem Leib hat, als dich mit samt deinem Häusle. Was denkst du denn? Denkst du denn, daß dich ein Mädle mag? Und die müßt' was anders im Gesicht haben, wo die Augen sind. Denkst du denn, dich nähm' eine, die sich was aus den Leuten macht? Wo die Jungen hinterdreinschreien, wenn man mit dir über die Gass' geht, und die Leut' bleiben stehen und lachen. Und denkst du denn, ich hab' dich für einen Mann angesehn? Da wollt' ich mir lieber einen aus der Schule holen; da sind größere und stärkere als du. Und bild'st dir doch ein, man soll Respekt haben? Die Katz' möcht' ich sehn, die Respekt hätt' vor dir, und wär' sie erst sieben Tag' alt. Und wenn das Kätzle seine Klauen heraustut, da läufst du davon, wie ein Schneider. Und nu läßt du mich gehn und bist froh, wenn der Gesell mich nimmt, und du wirst mich los. Du sollst sehn, wie dir's geht, wenn du machst, daß der Gesell was merkt. Bei Tag sollst du auf deiner Brücken schwitzen, und die Nacht steck' ich dich in den Kleiderschrank. Da kannst du die Mäuse verjagen und schreien: Respekt muß sein im Kleiderschrank.«

Damit ging die Schwarze hinaus und schlug die Tür als Siegel unter ihre Rede.

Als später die Sannel hereinkam, um Abschied zu nehmen, fand sie den Schneider vor einem Stuhle knien. Seine Arme lagen auf dem Polster und sein Kopf auf seinen Armen. So hatte er schon lange gelegen. Die Sannel sah an der Bewegung seines Kopfes, das er schluchzte. Sie kniete neben ihm nieder und wollte liebkosend sein Gesicht aufheben. Er ließ es nicht geschehen.

»Sei gut, Hannesie,« sagte die Sannel wie eine Mutter; »steh auf und sei gut!«

»Ja, daß du mich auslachst,« schluchzte der Schneider. »Die Jungen schreien hinter mir her und die Leut' bleiben stehn und lachen. Es ist kein Mädle, wo mich mag, mich armen Bursch.«

»Du wirst dir doch nicht so was lassen weismachen?« sagte die Sannel und weinte vor Mitleid. »Und kannst denken, ich lach' dich aus?«

»Nu, bist du nicht deswegen kommen?« schluchzte der Schneider. »Du bist falscher wie alle.«

»Ich bin kommen,« sagte die Sannel tief bekümmert, »weil ich fort muß. Ich bin so lang' in dem Häusle gewesen; es ist mir immer noch, als könnt's nicht sein. Ich hab' nicht daran gedacht, bis jetzt, daß es könnt' sein, ich müßt' einmal fort. Ich hab' dir's gesagt und du hast's nicht wollen glauben, und nu ist's doch.«

»Du willst fort, Sannel?« fuhr der Schneider mit dem Kopf vom Stuhle auf und hernach mit den Knien vom Boden. »Du willst fort, Sannel? Du willst fort?«

»Ja, ich muß,« sagte die Sannel.

»Ja, nu gehst du fort,« schluchzte der Schneider; »es soll auch kein bißle Trost bei mir bleiben. Wenn einer einmal im Elend ist, hernachen hilft ihm keiner, da stoßen sie einen tiefer 'nein. Nu wird auch der Ofen fortgehn da in der Stuben, und der Keller unter dem Häusle, und hernachen bricht das ganze Häusle zusamm', und das ist mir eben recht, wenn mich's nur erschlägt. Aber die schwarz' falsch' Katz' müßt's auch erschlagen; da wollt' ich lustig sein. Das wär' eine Hochtzig, wie ich sie möcht'. Du denkst, das ist nicht mein Ernst? O, ich bin einer – frag nur die Sannel! Juhu! Hochtzig! Aufgespielt, ihr Musikanten; und nu, Häusle, krach!«

Die Sannel war außer sich, als sie den Schneider so reden hörte. Und er tanzte noch zu seinen Reden und schlug mit den Armen um sich, wie besessen.

»Ach, Hannesie, du wirst doch nicht überschnappen?« rief sie.

Die Angst des Mädchens um ihn tat ihm wohl. Es hing doch ein Mensch an ihm. Er faßte sich zusammen und sagte: »Nein, Sannele, da müssen doch noch andere Puff kommen. Und du bleibst, Sannele; oder wenn du gehst, geh ich mit. Die schwarz' Katz' mag das Häusle behalten; ich geh' mit dir, Sannele, ich geh' mit dir!«

»Nein, Hannesie,« sagte das Mädchen; »das geht net. Siehste, was soll denn aus deiner Mutter werden? Und das arm' Häusle, wenn seine Leut' alle weggehn? Und die vom Amt, die werden's auch nicht leiden. Du mußt ans viert' Gebot denken, Hannesie!«

»Das viert' Gebot! Es war an den andern neun genug gewest, es hätt' nicht auch noch das viert' gebraucht. Das viert' Gebot, das ist wie ein Kreuz, an das ich geheft't bin gewest, seit ich mich kann besinnen. Und jede Stund' den Tag hat ihren Nagel 'nein geschlagen. Ich hab' müssen geboren werden, damit das viert' Gebot was gehabt hat, womit's hat können spielen, wie die Maus mit der Katz'. Wenn ich der Papst wär, ich ließ's 'rausschneiden aus dem Katechismus. Aber wo willst du denn hin, Sannel?«

»Guck,« sagte das Mädchen; »aber du mußt gescheit sein, Hannesie, und mußt mich ruhig anhören. Jetzt geh' ich zur Unterender Bas, die wird mich wohl eine Zeit bei sich behalten. Und der Magdeburger will mich frein. Er will heim, und hernach will er wiederkommen und mich holen. Er hat mir's gesagt. Noch den Tag will er zum Pastor und will's bestellen.«

Der Schneider brach zusammen. Erst konnte er nicht reden. Der Sannel zerbrach fast das Herz, wie er in der Stubenecke auf dem Boden saß und in seine kleinen Hände weinte, wie ein kleines Kind.

»Recht,« sagte der Schneider, »und da kann er gleich meine Leich' mit bestellen. Das viert' Gebot soll sich verrechnet haben, wenn's hat gemeint, es will mich noch lang türängeln. Geh', Sannele, ich bin nicht bös auf dich. Ich verdenk' dir's nicht. Der Magdeburger, das ist einer, und ich bin keiner. Das ist ein großer, schöner Mensch, den ein Mädle lieb kann haben, und das viert' Gebot hat's auch nicht auf ihn abgesehn. Nein, sei still, Sannel, du brauchst nix zu sagen. Ich verdenk' dir's nicht; ich weiß, mich kann kein Mädle lieb haben auf der Welt. Ich hab' immer gesagt, was ich für einer wär' und hab' groß getan, als wenn ich auch einer wär' wie die andern Bursch'. Ganz da drin in meinem Herzen hab' ich's wohl gewußt, daß ich nicht so einer bin gewest. Und ich hab' nur so getan, damit ich's vergessen wollt', daß ich nicht so einer bin. Von Kind an haben die Leut' über mich gelacht, und die Kinder haben hinter mir hergespottet, und ich hab's müssen hören, daß ich nicht bin wie ein anderer Mensch. Und ein Mensch bin ich doch gewest, und ein Mensch hat doch eine Seel' im Leib, und wenn der noch so klein ist und so schwach; und die Seel' verlangt nach andern Menschen, daß sie was auf ihn halten und haben ihn lieb. Mein Vater selig und meine Mutter haben keine Freud' an mir gehabt, und wenn andere über mich gelacht haben, da haben sie sich geärgert, und da war's, als wär' ich schuld daran und hätt's ihnen zum Trotz getan, daß ich so klein war und so schwach. In der Schul' ist mir's schlecht gangen. Und hernachen; siehst du, wenn ein junger Bursch einen neuen Rock kriegt, so weiß er sich was und läßt sich drin sehn. Ich bin allemal traurig gewest, wenn ich einen hab' kriegt, und hab' mich mit versteckt, wie ich nur hab' gekonnt. Denn hernachen haben die Leut' auf mich gesehn, und da war's, als hätten sie's vergessen gehabt oder gar nicht gewußt, daß ich so klein war, und sie würden's nun erst weis. Und da ging der Spott wieder vom frischen an. Da hab' ich's wollen vergessen, daß ich so klein bin gewest und nicht wie die andern Leut'. Ich dacht', so lang' ich nicht dran denk', denken auch die anderen Leut' nicht dran, und hab' getan, als dächt' ich, ich wär' wie die andern Leut'. Aber da haben's die übelgenommen und haben gemeint, sie müssen mich demütigen, daß ich mir einbilden wollt', ich wär' wie sie. Guck', Sannel, die weichste Hand wird hart, wenn sie immerfort harte Ding' angreift, und so ist mir's auch gangen. Ich bin den Spott gewohnt worden und hab' doch getan, als wär' ich was Rechts. Ganz da drin nur hat mir's wehgetan, und das hat nicht aufgehört, wehzutun, wenn ich hab' gedacht: ich kann nix dazu und warum hat mich der lieb' Gott nicht größer und stärker gemacht. Manchmal ist mir's gewest, als wär' er wie die Leut', und hätt' selber seinen Spott an mir, und hätt' mich so gemacht, damit die Leut' über mich sollten spotten. Und da ist mir's nur wohl gewest bei dir. Siehst du, Sannele, all die Freud', die ich gehabt hab' auf der Welt, die ist von dir kommen. Und der lieb' Gott wird dir's vergelten, was du hast an mir getan. Und vor dem lieben Gott bin ich auch nicht schlechter, als die andern Leut' sind.«

So sprach der Schneider aus seiner Ecke. Die Sannel war neben ihn gekniet und wollte ihn immer unterbrechen, aber er litt es nicht. Nun er fertig war, begann die Sannel.

»Aber Hannesie,« sagte sie und legte ihre Hände wie beteuernd auf seine Knie. Das war nicht nötig. Die Sannel brauchte niemand zu versichern, sie meine es, wie sie rede, der sie hörte und sah. »Aber Hannesie,« sagte die Sannel. »Du denkst dir's nur, daß du so ewig klein bist, wie du meinst. Und es ist ja gar nicht wahr. Wenn ich sagen tät', du wärst mir drum nicht vorkommen wie die andern, ich müßt's lügen. Der Gesell ist ein guter Mensch, und ich hab' gedacht, wenn ich nicht bei dir und in dem Häusle da kann bleiben, so ist der Gesell mir lieber, wie ein anderer. Aber nicht, wie du. Und wenn ich nur da könnt' bleiben, mir wär's doch tausendmal so lieb. Dort wo er her ist, sind die Leut' anders wie bei uns, und ich bin fremd, und da in dem Häusle bin ich von Kind an gewest. Siehst du, Hannesie, du bist schlecht, daß du mir nicht willst glauben. Ich hab' keinmal daran gedacht, daß du so klein bist, und wenn ich daran gedacht hätt', das hätt' nichts geändert. Und bist du klein, so ist mir's eben recht, daß du so bist. Und da gefielen mir eher die andern Leut' nicht, daß sie nicht so sind wie du, geschweig, daß du mir nicht sollst gefallen, weil du anders bist, als die andern Leut'. Und wenn dir's so sehr antut, wenn ich den Gesellen nehm', so muß ich's ja nicht. Sei nur gut, Hannesie! Siehst du, auf die Leut' darfst du nichts geben, die wissen ja nicht, wie du bist; aber ich weiß von klein Kind an, wie du bist, und da mußt du nicht traurig sein. Denn, Hannesie, du bist doch gewiß und wahrhaftig ein Mordbursch! Und wenn du nicht den Leuten ihrer bist, so bist du meiner.«

Dem Schneider liefen noch die Tränen aus den Augen, aber er lachte so glücklich, wie sonst. »Und da heirat' ich doch dich und keine andere,« sagte er.

Aber das Glück dauerte nicht lang. Denn beifallen mußte es ihm doch wieder, daß er sein eigener Herr nicht mehr war. Er meinte, die Sannel sollte den Gesellen recht bitten, die Schwarze zu nehmen. Wenn er die Sannel so lieb habe, tue er es vielleicht. Aber der Zauber, mit dem die Schwarze ihn geblendet hatte, war in alle Winde verweht; wie er sie jetzt sah, begriff er nur zu gut, es werde ihn keiner erlösen.

Eins gab ihm wenigstens nur Erleichterung seines Zustandes. Die Schwarze, die des Gesellen Werbung erfahren hatte, befahl ihm, diesen nicht wieder in das Haus kommen zu lassen. Er mußte ihm den Feierabend in die Herberge bringen. Die Sannel aber erhielt die Weisung, sie solle sich nicht unterstehen, heut' oder die nächsten Tage aus dem Haus zu gehen, und sie könne immerhin noch länger bleiben. Die Schwarze wußte nicht, wie froh sie die Sannel machte. Und diese durfte sich wieder satt essen; alle Arbeit lag wieder auf ihr. Wäre die Schwarze aus dem Häuschen zu bringen gewesen, kein Haus auf der Erde konnte sein Glück mit dem des Häuschens messen.

Aber die Schwarze war noch da. Und sie war schwärzer, als je. Wie ein Sturmwind fuhr sie in dem Häuschen umher; wohin sie trat, ächzten die alten Bretter unter ihrem Fuß. Die alten Balken zitterten unter dem Grimm ihrer Stimme. Kuh und Ziege im Stall schmiegten sich ängstlich aneinander, wenn der Sturm vor der Stalltür vorbei brauste. Das zerbrochene Bodenfenster oben neben Hannes' Kammertür bekam klirrendes Herzklopfen, wenn die Wut der Schwarzen die Haustreppe herauf- oder hinabfuhr. Wenn die Frau Bügel mit leiser Stimme ihren Gesangbuchvers begann, da raste die Stimme der Schwarzen mit einem »Lott' ist tot« wie ein durchgegangenes Pferd darüber hin, daß die andächtigen Töne zitternd rückwärts krochen und sich lange nicht mehr sehen ließen.

Und der Hannes? Er war der unglücklichste von allen unglücklichen Schneidern unter dem Mond. Auf seiner Brücke mußte er sitzen von Sonnenaufgang, bis die Sterne ihre Schlafmützen aufsetzten. Selbst das vierte Gebot, sein ausgemachter Feind von Kind auf, konnte sich des Mitleids nicht erwehren. Es ließ ihm Ruhe. Im Anfang der offenen Tyrannei war er der Schwarzen entflohen und hatte auf der Straße sein: Respekt muß sein im Haus! gerufen. Aber über diesen Geist hatte dieser Spruch keine Macht. Die Schwarze war ihm nachgerannt und hatte ihn heraufgeholt. Nun saß er, ein Miniaturbild verzweifelter Ergebung, auf seiner Brücke. Jeden Stich begleitete ein Seufzer, mit jedem Herausziehen der Nadel zog er den heißen Wunsch aus seiner Seele nach dem Ende seines Elends. Wäre er nicht doppelt gewesen, er hätte umkommen müssen. Den traurigen Schneider auf der Brücke erhielt nur noch der glückliche Schneider am Leben, der in Sannels Herzen wohnte und wußte, das war sein Eigentum, ein Eigentum, das er nicht verlieren konnte, wie Häuschen und Freiheit.

Er mußte arbeiten wie eine Mühle oder eine Uhr, die auch niemand fragt, ob sie müde ist und einmal ausruhen will. Die Schwarze dagegen ließ nun alle Arbeit sein, wenn man nicht, daß sie Menschen und Vieh im Hause auf alle Art quälte, für eine Arbeit rechnen will. Stundenlang saß sie bei dem Schneider und warf ihm vor, er habe sie in Elend und Schande gebracht. Und daß sie ihm nun die unverdiente Ehre, die sie ihm erzeigt hatte, nicht umsonst erzeigt haben wolle. Um solch eine armselige Wirtschaft habe sie sich nicht die viele Mühe gegeben, hereinzukommen. Sie wolle in schönen Kleidern gehen und gut leben; das Geld dazu müsse sie haben; und komme er darüber um, so sei ihr's noch lieber. Hernach könne sie einen Reicheren bekommen, oder doch wenigstens einen, der ein Mann sei.

Die Sannel schien eine ganz andere geworden, als sonst, und doch war sie eben recht die alte Sannel geblieben. Man konnte es kaum glauben, wie vergessen und verkehrt sie alles machte, wußte man nicht, sie war nur darum so vergessen und verkehrt, um den Sturm von Hannes und seiner Mutter auf sich zu lenken. Und wie seelenfroh sah sie aus, so oft ihr das gelungen war. Sie wußte, des Gesellen wegen, der sich noch im Orte aufhielt, würde die Schwarze sie nicht aus dem Hause schicken; und das machte die furchtsame Sannel so überkühn.

Mit der Schwarzen wurde es immer schlimmer. Der Geselle hatte bei einem andern Meister Arbeit bekommen und hatte gesagt, er gehe nicht eher aus Luckenbach, bis er eine Frau habe; Die Schwarze gönnte die drei Häuser, die sie schon für ihr Eigentum angesehen hatte, keiner andern. Und als ihr einmal nachts zugetragen wurde, der Geselle habe geschworen, bis morgen längstens müsse er beim Pastor gewesen sein, da kannte sie sich nicht mehr. Der Schneider, seine Mutter und die Sannel mußten sich durch die Hintertür retten. Die warf die Schwarze hinter ihnen zu, daß es weithin scholl durch die Nacht.

In der Frau Bügel war nichts mehr von ihrem alten Mut. Sie hatte ihre Hörner verloren. Sie war so voll Furcht, daß sie sich in dem Hofe noch nicht sicher glaubte. Der Hof hatte keine andere Tür in das Freie, als jene, welche die Sannel einmal aus dem Stegreif gemacht, das halbledige Brett der Verzäunung. Als Frau Bügel nach großer Anstrengung und nicht ohne Schmerzen in dem Winkel angekommen war, sagte sie zu dem Schneider: »Dadran bist du schuld. Verzeih dir's Gott, du bös' Kind! So geht's, es wird alles vergolten in der Welt. Du hast mich betrogen, und nu bist du's schlimmer, wie ich. Aber es geschieht dir schon recht.«

Der Schneider war so in Verzweiflung, daß er das vierte Gebot vergaß. »Und Euch auch,« entgegnete er. »Wer hat mich denn dazu bracht, daß ich's hab' getan? Ja, Ihr habt recht, Mutter, es wird einem alles vergolten. Guckt, Mutter, da habt Ihr mich dazu bracht, daß ich hab' müssen durchkriechen, und nu müßt Ihr selber durchkriechen, so lang Ihr seid. Ihr red't davon, wie ich bin gewest; aber wie Ihr seid gewest, davon red't Ihr nicht. Und wenn Ihr anders wär't gewest, da wär' ich auch anders gewest. Nu seht Ihr's, wie mir's gewesen ist. Gelt, nu mögt Ihr auch nicht ins Haus? Und Ihr tätet auf der Stell' einen recht starken heiraten, daß er Euch nur gegen die da drin hälf, die wild' schwarz' Katz'. Gerad so ist mir's gangen. Und je ärger Ihr gewest seid darin gegen mich, je unlieber hab' ich 'nein gemocht, und hab' am Häusle und meiner Arbeit meine Freud' verloren und bin lieber in den Wirtshäusern gewest, als daheim bei Euch. Aber ich wollt' doch, es wär' noch so. Wenn ich Euch in Euern alten Tagen so da haußen muß sehn stehn, und Ihr seid Euer warm Bett gewohnt, da stößt mir's das Herz ab in meinem Leib. Und ich wollt' lieber, Ihr tät't mir noch den Wirtshausteufel austreiben und ich riss' Euch aus auf die Gass'. Ach, was das für eine schöne Zeit ist gewest, wo Ihr mir habt wollen den Teufel austreiben, und ich hab' auf der Gass' geschrien: Respekt muß sein im Haus! Aber das wird nicht wieder werden, so lang' ich leb'.«

»Ja,« sagte die Frau Bügel, »es kommt einem einmal, wo man in sich muß gehn. Und das ist nun bei mir kommen. Und du dauerst mich nu in mein eigen Elend hinein. Aber guck, wenn ich auch unrecht gehabt hab, ich hab's gut gemeint. Und wenn uns der liebe Gott von der da drin half, so sollt's nicht wieder werden, wie's gewest ist. Ich hab' den Teufel aus wollen treiben aus dem Häusle, und hab' ihn 'nein getrieben. Und nu wollt' ich lebenslang nicht wieder 'nauflangen an die Fensterwand. Ich weiß nu, was dabei 'rauskommen ist. Und wenn uns der Himmel von der da drin befreien tät', die Sannel müßt' deine werden, und keine andere auf der Welt. Eine bessere sieht die Sonn' nicht, so weit sie scheint. Aber wo ist sie nur hinkommen?«

»Wenn man den Wolf nennt, kommt er gerennt.« Und so war es jetzt mit der Sannel. Und sie kam glänzend wie Mondenschein; der Hannes und seine Mutter konnten es nur vor der finsteren Nacht nicht sehen. Die Sannel war voller Hoffnung.

Sie hatte bei der Unterender Base zu essen geholt, denn von Mittag her hatten sie alle gefastet. Die Schwarze hatte den Küchenschrank verschlossen, und die andern hatten zusehen müssen, wie sie selbst sich die teure Butter fingerdick auf das Brot gestrichen; aber zu essen bekommen hatten sie nichts.

Auf dem Weg von der Unterender war sie dem Gesellen begegnet. Der hatte sie gefragt, ob sie ihm noch immer einen Korb geben wollte. Und als sie das bejaht, hatte der Geselle wissen wollen, wie sie nur noch in dem Häuschen bleiben möchte. Sie hatte ihm nun alles erzählt, wie es mit ihr und dem Hannes stand, und wie die Schwarze in das Häuschen gekommen war, und daß man sie gerne los würde, wenn man nur wüßte, auf welche Art.

Der Gesell hatte sich »chewundert«; er hatte »chemeint«, so was wie dies Heiratsversprechen müsse umzustoßen sein. Wofür gebe es sonst Advokaten in der Welt! Er hätte die Sannel gern zur Frau gehabt; was nicht sein sollte, da müßte man sich trösten. Morgen gehe er von Luckenbach fort, und es sei ihm lieb, daß er ihr vielleicht noch einen Dienst erweisen könne. Die Advokaten könne man noch immer befragen; er wolle erst etwas anderes versuchen. Es sei billig, daß die Schwarze in ihrer eigenen Schlinge gefangen würde. Er wolle sogleich zu der Schwarzen gehen; vorher teilte er seinen ganzen Plan der Sannel mit.

Der Plan war nicht leicht auszuführen. Das Schwerste daran, die Schwarze zu überzeugen, der Gesell habe es von Anfang nur auf sie gemeint. Des Meisters wegen, der ihn sonst fortgeschickt haben würde, habe er sich gestellt, als stäche ihm die Sannel in die Augen. Aber seine Verstellung sei vergeblich gewesen, der Meister habe ihm doch Feierabend gegeben. Er, der Geselle, sei nun bloß deshalb in Luckenbach geblieben, um der Schwarzen vielleicht zufällig einmal zu begegnen, da er nicht mehr in das Haus gedurft habe. Nun aber sei er in seine Heimat gerufen worden, er müsse morgen aus Luckenbach; er könne sie nun nicht anders sprechen, als im Hause, und so habe er es doch gewagt, gegen des Meisters Verbot hereinzukommen.

Endlich war die Schwarze doch überzeugt worden, und nun hatte der Geselle darauf gedrungen, sie müsse noch heute aus dem Hause. Er könne es nicht im bloßen Gedanken leiden, daß das sanfte Wesen länger geplagt würde von den armseligen Schneidersleuten; die seien nicht wert, einen solchen Diamant nur eine Stunde lang zu besitzen.

Aber wenn nun die Schwarze sich auch bereit zeigte, das Häuschen zu verlassen; so lange sie des Schneiders Versprechen noch besaß, war nichts gewonnen. Der Geselle zeigte sich so eifersüchtig, als es seinem Phlegma möglich war. Er wollte nicht dulden, daß sie etwas von dem Schneider behielte. Er habe von einer Eheverschreibung gehört, die müsse er haben, eher gehe er nicht. Die Schwarze war klug genug, erst das Papier gänzlich zu verleugnen, dann zu tun, als wisse sie nicht, wo sie es hingebracht habe. Sie suchte und suchte und fand es nicht. Es sei das kein Wunder. Sie habe es nicht begehrt, und da der Schneider es ihr aufgedrungen, keinen Wert darauf gelegt.

Der Geselle erzählte dabei von daheim, und wie es da werden sollte, wenn sie erst Frau und Mann wären; er fragte sie nach ihrer Meinung darüber. Die Schwarze schmolz zusehends in der Vorstellung künftiger Herrlichkeit, aber das verwünschte Papier fand sich dennoch nicht.

So müsse sie ihm, sagte der Geselle, eine Bescheinigung geben, daß er sicher sei, sie ändere während seiner Abwesenheit nicht ihren Entschluß. Wenn er nun wiederkäme, sie abzuholen, und fände sie als des Schneiders Frau! denn dergleichen sei in allen Romanbüchern und Liedern zu lesen; und wenn er sie so fände, dann wäre es sein Tod. Dagegen wolle er sich und, was er habe, ihr verschreiben. Und er sagte das nicht nur, er tat das wirklich. Die Schwarze zerfloß in Sanftmut und Gemütlichkeit; und als sie des Gesellen Heiratsverschreibung hatte, da fand sich denn endlich auch die Verschreibung des Schneiders. So geht es, wenn man recht angelegen sucht; da liegt die »Sachen« mitten da, und man sieht sie nicht. Man wendet alles um und um, nur eben das nicht, was man finden will.

Der Geselle versprach in dem Schein, sie zu heiraten, sobald er wieder hierher zurückkäme; und das sollte in längstens vierzehn Tagen geschehen. Nach einem zärtlichen Abschiede ging der Geselle in die Herberge zurück, siegelte da die Verschreibung des Schneiders in ein Paket, das er an die Sannel adressierte. Dazu schrieb er nur, das solle sein Hochzeitsgeschenk an die Sannel sein.

Der Schneider, seine Mutter und die Sannel saßen unterdes im Winkel und aßen unter Hoffnung und Furcht, was die Sannel herbeigeholt hatte; dann machten sie gute Vorsätze für die Zukunft auf den Fall der Befreiung, Vorsätze, denen sie, wie ganz Luckenbach bezeugen kann, bis heute treugeblieben sind.

Endlich hörten sie die Hintertüre gehen und die Schwarze die Nacht laut fragen: »Wo nur die Schneidersleut' hingangen sind?« Ihre Stimme war so sanft, wie sie noch nie gewesen war. Sie hatte, ohne es zu wissen, noch die Maske vor, die sie des Gesellen wegen vorgebunden. Aber es war auch etwas Vornehmes in ihrem Tone; jede Silbe klang nach den drei Häusern in Delitzsch und Magdeburg. Der Schneider verstand, was das bedeutete, er sprang auf und gab der Sannel den ersten Kuß, was sich um so leichter machte, da die Sannel noch saß. »Zeitlebens glücklich!« sagte er, »und den Sonntag wirft uns der Pastor zum erstenmal von der Kanzel!«

Die Frau Bügel war nicht so schnell zum Hoffen. Aber als sie in die Stube kamen und die Schwarze reisefertig auf ihrem Koffer sitzen sahen, da wagte auch der Frau Bügel Nase zum erstenmal wieder in dem ganzen Glanze ihrer Farben zu schimmern. Die Schwarze tat sehr vornehm. Sie schickte die Sannel nach Leuten, die ihren Koffer in den Gringel tragen sollten. In Magdeburg, da brauche sie nur aus dem Fenster zu rufen, und es kämen Leute, mehr als man brauche. Aber sie brauche da – in Magdeburg nämlich – gar nicht zum Fenster hinauszurufen, da hätte sie der Leute genug im Haus.

So dienstwillig die Sannel immer gewesen war, so rasch hatte sie noch keinen Befehl ausgeführt, als den die Schwarze ihr jetzt gegeben. Und auf dem ganzen Wege lachte sie und weinte sie vor Seligkeit.

Die Träger kamen und die Schwarze nahm einen herablassenden Abschied. Vielleicht komme die Frau Bügel einmal nach Magdeburg. Da solle sie nur unter dem Tore fragen, oder wo sie sonst wolle; alle Leute in Magdeburg könnten ihr sagen, wo der Schwarzen Haus stehe. Und vielleicht finde sie es auch, ohne zu fragen; es sei leicht zu erkennen an den steinernen Männern, die vor der Türe ständen. Und auch ohne die Männer sei es zu finden, denn es habe vier Gestocke und in jedem nach der Straße zu vierzehn Fenster. Und sie selber sei auch nicht stolz.

Den Tag darauf kam das Paket von dem Gesellen. Der Schneider zerriß sogleich seine Eheverschreibung in drei Stücke. Es war gut, daß er sie wieder in seinen Händen hatte. Die Eheverschreibung des Gesellen hatte weder Jahreszahl noch Datum; es hieß darin, er werde in längstens vierzehn Tagen hierher kommen, aber ein Ortsname stand auch nicht dabei. Als die Schwarze länger als vierzehn Tage gewartet hatte, ohne daß der Geselle zurückgekommen war, und der Schneider mit der Sannel schon zum zweitenmal aufgeboten war, ging sie mit dem Papier zu einem Advokaten, und hier erfuhr sie, daß darauf hin nichts zu machen sei. In vollem Grimm rannte sie nun in das Häuschen, ihr altes Recht geltend zu machen. Sie tat, als hätte sie des Schneiders Verschreibung noch unter ihrem Busentuch, und führte sich in dem Häuschen ein, als wäre sie noch gar nicht daraus hinweggezogen. Aber der Schneider zeigte ihr die Fetzen des zerrissenen Papiers, und die Frau Bügel suchte ihre abgelegten Hörner wieder hervor und gabelte den ungebetenen Gast dermaßen hinaus, daß er nicht wiederkam.

Aber man muß der Frau Bügel zu ihrer Ehre nachsagen, daß sie die Hörner in der nächsten Viertelstunde wieder ablegte und sie seither nicht wieder aufgesetzt hat. Sie hatte das auch nicht nötig, am wenigsten gegen ihren Sohn und ihre Schwiegertochter.

Das Leben in dem Häuschen ist nun wie das Häuschen selbst; es ist ein kleines bescheidenes Leben, dafür aber auch keine Leere darin. Es ist voll von unten bis oben, und nichts darin, was nicht glänzte von Reinlichkeit und im Widerstrahl des innern Glückes seiner Bewohner. Und dabei liegt jedes Kleinste, wie und wo es soll. Auch das äußere Glück der Familie ist im Wachsen; aber das kann noch lange wachsen, ehe die Sannel in Verlegenheit käme, wo sie allen Segen unterbringen will. Denn sie hat das Geheimnis in der Hand, wenn nicht im Kopfe, einen kleinen Raum zu einem großen zu machen durch Ordnung und durch zweckmäßige Verteilung. Auch an lebendigem Segen fehlt es nicht, und der Schneider ist glücklich; der Älteste verspricht, wächst er so fort, wie bisher, ein Bursch zu werden, dem nichts am Soldatenmaße fehlt. Die Jüngeren tun ihm aus Kräften nach. Der Schneider ist ein anderer geworden und befindet sich wohl dabei. Seit er nicht mehr groß sein will und nach Großem begehrt, scheinen die Leute vergessen zu haben, daß er klein ist. Von dem Tage an, da die Schwarze das Häuschen verließ, hat der Schneider seinen Zauberspruch nicht mehr gebraucht. Die Sannel ist noch immer die alte, der ganze Unterschied gegen sonst, daß sie nicht mehr sagt: »Du bist doch ein Mordbursch«; jetzt sagt sie: »Du bist ein Mordmann, Hannesie!« Und es erinnert wie an eine Sage der Vorzeit, wenn der Schmied oder sonst einer einmal den Spruch bringt: »Respekt muß sein im Haus!«


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