Otto Ludwig
Die Heiterethei und ihr Widerspiel
Otto Ludwig

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Aus dem Regen in die Traufe

In Luckenbach, fast am Ende des Städtchens, steht ein kleines Haus. Luckenbach hat ganz ansehnliche Häuser; die meisten prangen mit zwei Fensterreihen, ja das Rathaus hat ihrer drei. Man trifft da Leute genug, die ein ganzes Haus besitzen; häufiger aber findet es sich, daß ein und dasselbe Haus zwei Eigentümer hat. Einem gehört dann das Parterre, dem andern das obere Stockwerk. In Keller und Boden sind Scheidungen angebracht; es ist ganz genau im Kaufbriefe beschrieben, welchen Raum der eine, welchen der andere Eigentümer zur Benutzung ansprechen darf. Und das ist gut. Entstehen doch trotzdem nur zu oft vorübergehende Reibungen, ja dauernde Feindschaften zwischen den zwei Besitzern, die zuletzt an dem Besitztum kleben bleiben, so daß der neue Käufer der einen Hälfte auch in die alte Feindschaft eintritt. Ich habe noch ein Haus in Luckenbach gesehen, das den Haß seiner beiden Besitzer offen auf der Stirne trug. Der eine hatte seine Hälfte außen rot malen lassen, sogleich strich der andere die seine grün an. Unter solchem forterbenden Fluche litt das Häuschen nicht, das ich meine. Es hatte zwar zwei Fensterreihen übereinander und war unten und oben bewohnt, und wär es zur Feindschaft zwischen den Bewohnern gekommen, so könnt es eine gefährlichere werden, als irgendwo. Denn die Bewohner der untern Hälfte waren beständig unter Waffen und trugen nicht einmal eine Scheide darum. Sie konnten sie nicht aus den Händen legen; das ging sehr natürlich zu: sie hatten keine Hände. Sie trugen sie auf dem Kopfe; kurz gesagt, es war eine Ziege und eine Kuh. Sie standen so nah beisammen, wie man nur so friedliebende Geschöpfe stellen darf, als die beiden sich immer gezeigt. Und hätte man sie auch weiter auseinander stellen wollen, es hätte an Raum dazu gefehlt. Neben dem Stalle war ein Behälter, ursprünglich wohl zu einem anderen Zwecke angebracht, als dem er jetzt diente. Das konnte man deutlich sehen, wenn die Türe nach dem Stalle zu aufging; und eine andere hatte das Gemach nicht. Es war ganz ausgefüllt von einem schmalen Bette. Wer das Bett machen wollte, mußte das von außen; und wer sich in das Bett legen wollte, konnte die Tür nicht eher schließen, bis er darin lag. Ein dicker Mann, der sich darin auf die Seite wenden wollte, hätte die Tür erst öffnen müssen, um den Bauch, der sonst nicht Platz hatte, in den Stall hinaushängen zu lassen. Die das Gemach jetzt inne hatte, brauchte das nicht. Es war bei aller jugendlichen Fülle ein zierlich Mädchen; sie durfte auch nicht einen Zoll länger sein, als sie war; sonst hätte sie nicht ausgestreckt in dem Bett liegen können. Im unteren Stock gab es bedeutend mehr Raum; der Baumeister war oben sparsamer damit umgegangen. Hätte man, was unten der Hausraum zu groß war und um was die gerade, ohne Gelenke emporführende Treppe und das Gewinkel darum herum, sich zu lang und breit machte, zusammennehmen können, es hätte noch ein Stübchen abgegeben. Die Decke des Stalles war unmittelbar der Fußboden der Wohnstuben oben, und das war nicht übel, besonders für Leute, die, wie Frau Bügel, leicht kalte Füße bekommen.

Die Frau Bügel sah nach der »Brücke«, dem Sitz des Schneidermeisters und seiner Gesellen, wenn er welche hat; und sie sagte wohl zum hundertsten Mal diesen Abend: »wo der Jung' bleibt! der Sapperlot!« Dann fiel ihr Auge wohl, auf dem Weg von der Brücke zum nahen Fenster, an ein Ausklopfstöckchen von spanischem Rohr, das quer über zwei Holznägeln an der Fensterwand lag, just so hoch, daß eine Frau von der Höhe der Frau Bügel keinen Schemel unter den Füßen brauchte, ihn aber auch nicht erlangen konnte, ohne sich einigermaßen zu dehnen. »Wo der Jung' bleibt!«

An der anderen Seite des Tisches saß ein Mädchen, das auch ohne den Zug von Herzensgüte in ihrem Gesicht hübsch erschienen wäre. Sie sah aus, als wünsche sie nichts sehnlicher, als daß jemand irgendeinen Dienst von ihr verlange, je schwerer, desto besser. Ihrer Art zu sitzen sogar merkte man den Diensteifer an. Sie saß nur auf der äußersten Kante, ewig im Begriffe, vor Bereitwilligkeit vom Stuhle zu fallen; die halbgeöffneten Lippen hatten ein unausgesprochenes ewiges »Gleich« zwischen sich; und das stehende Lächeln um das runde Näschen versicherte unaufhörlich: man solle doch sagen, was man von ihr wünsche; es sei ihr ja eine Lust, es auszurichten; sie tu es ja ganz gewiß von Herzen gern. So war es, wenn die Frau Bügel sagte: »wo der Jung' nur bleibt!« als wollte sie vor Eile gleich vom Stuhl herab zum Fenster hinausfallen, und da sie nichts weiter tun konnte, stand sie wenigstens für einen Augenblick auf. Fiel ihr dann ein Stäubchen auf einem Möbel oder sonst etwas in die Augen, was hinwegzutun oder zurechtzurücken war, so ließ sie ihren Diensteifer einstweilen daran aus, eh' sie zu ihrer Arbeit zurückkehrte. Es waren ein Paar Socken, die sie ausbesserte; sie hielt sie mit einer Art andächtiger Schonung in ihren kleinen Händen. Die Socken waren klein, wie diese Hände. Sie mußte den Knaben sehr liebhaben, dem sie gehörten, man sah es in ihrem Blicke, an jeder Bewegung. Es war etwas Mütterliches darin, das ihr sehr gut stand. Daß sie aber keine Mutter war, sah man mit dem ersten Blicke auf die frische, zierliche Gestalt und das mädchenhafte Wesen.

»Der Jung' wird alle Tag' schlimmer, der Nichtsnutz! Da ist keine Parition mehr. Der Diktes hat schon neun getüt't, und er ist noch nicht da. Ist das auch eine Zeit für so einen Jung', daß er noch draußen ist? und sollt' nunmehr in seinem Bett liegen, der Nichtsnutz! Das ist eine Sorg', die mich noch unter die Erden bringt. Und was soll hernacher aus ihm werden! Wenn mich der Herrgott nur nicht früher abruft, bis meine Stell' ersetzt ist und ich hab eine Frau für ihn. Denn jemand muß sein, der ihn in der Ordnung hält, und es muß eine tüchtige sein, wie ich, den Nichtsnutz, den!«

Als die alte Frau Bügel zu reden begonnen, hatte sie den Nasenklemmer – so nennt man eine Art Brillen – bis auf die Nasenspitze vorgeschoben; nun rückte sie denselben wieder an den richtigen Ort zurück. Das Mädchen hätte gern bei beidem geholfen, sie hatte unwillkürlich die Hand aufgehoben. Dann sagte sie: »Ja, der Gründer Markt ist eine Ausnahm'; und der schrecklich Regen –«

»Hat schon vor vier Stunden aufgehört. Er könnt' eine ganze Stunde schon da sein. Du red'st ihm immer das Wort. Du gäbst schon sonst eine gute Frau für ihn; aber ich möcht' wissen, was hernacher aus ihm sollt' werden. Kräfte zum Arbeiten hast du schon auch, aber keine, den Nichtsnutz so fort zu erziehen, wie ich getan hab.«

Das Mädchen wurde rot bis über den Hals hinab und in die braunen Haare hinein. Sie war's schon vorhin geworden, als die Alte von einer Frau für den Jungen gesprochen. Sie meinte, das Erziehen sei nicht nötig; er sei auch kein Nichtsnutz, sondern ein schmucker Bursch, der sich ein Ansehn geben könne, daß es eine Lust sei. Es wäre wunderlich, wenn sie gar nichts gewußt hätte, was sie ihm, im Falle, sie wäre seine Frau, abgewöhnen müsse. Jetzt dachte sie aber an nichts von dem. Möglich, daß sie noch mancherlei meinte, aber sie sagte nichts von allem, was sie meinte. Sie wurde rot; mehr sagte sie nicht. Aber sie stimmte auch nicht in das üble Zeugnis ein, das die Frau Bügel dem Jungen gab. Sie tat's auch nicht, wenn es über andere herging, so gerne sie sonst der Frau Bügel, ihrer Base, in allem half, was diese tat. Da sie aber der Base gern einen Dienst erwiesen hätte, so putzte sie wenigstens die Lampe.

Die Base schob den Nasenklemmer wiederum auf die Nasenspitze, die dadurch noch spitziger wurde, als vorher, und vor Betrübnis ihre rotblaue Farbe verlor.

»Noch ist nicht dran zu denken,« sagte sie dann, die langen knochigen Arme lang und steif und so auf ihre Knie legend, daß die Ellenbogen fast sich berührten. »Seinetwegen hat's noch Zeit. Und die ihn einmal kriegt, der sind auch noch ein paar ruhige Tag' zu gönnen, eh' sie sich das blaue Herzeleid an den Hals ärgert über den Tunichtgut, wie ich hab müssen tun.«

Sie hätte wohl eher sagen sollen »an die Nase«. Denn diese hüllte sich, da die Brille an ihren Ort kam, wiederum in ihre blaue Tracht. Der Nasenrücken war vom vielen Hin- und Herschieben des Nasenklemmers wie poliert. Man spricht von glänzendem Elend, wenn man ein sorgenvolles Dasein bezeichnen will, das nach außen ein glückliches erscheint; war das, was so blau um der Frau Bügel Nase sich lagerte, Herzeleid, so war es nicht bloß bildlich ein glänzendes Herzeleid.

»Wo der Jung' nur bleibt!« Sie sagte es noch zwanzigmal und bei jedem Male wurde der Blick nach dem Ausklopfstöckchen ausdrucksvoller. Es war weit später, als sonst gewöhnlich, daß sie heute zu Bette ging. Die Sannel erhielt erst noch den Befehl, ihr morgen genau zu sagen, wann »der Jung'« nach Haus gekommen sei. Die Sannel putzte die Lampe fast aus. Als wollte sie den ganzen Vorrat ihrer Dienstbeflissenheit auf einmal erschöpfen, damit sie nur für den Befehl, dem ihr Herz widerstrebte, keine mehr übrig behielte.

Es war wohl um drei ganze Stunden später, daß drei Wanderer männlichen Geschlechts die Straße von Reick nach Luckenbach daherkamen. Ich habe zwei Gründe nicht zu sagen: drei Männer. Erstlich heißt in Luckenbach nur der ein Mann, der eine Frau hat; und den von den dreien, und das ist der zweite Grund, den von den dreien, der in der Mitte ging, hätte man sich wohl auch an jedem andern Orte besonnen, einen Mann zu nennen. Wenn ein Bart ein untrügliches Kennzeichen eines Mannes ist, so durfte er für einen gelten, denn er trug einen vollen Backenbart von ungewöhnlicher Größe, und war, trotz seines Barbiertages heut, schon wieder stachelig um den Mund. Verlangt man eine gewisse Größe und Stärke der Gestalt von einem Mann, die über das Maß des kindlichen hinausgeht, so war er keiner. Die Schulknaben in Luckenbach, die ihm begegneten, gingen so hart an ihm vorbei, als sie vermochten; und es fanden sich wenige unter den Vierzehnjährigen, die, waren sie an ihm vorüber, nicht mit einem Luftsprung über ihn triumphierten. Aber er selbst war das einzige an ihm, was unter dem Maße eines Mannes blieb; schien seine Gestalt die eines Knaben, so trug er doch Bart, Hut, Stock und Vatermörder eines Mannes. Und aufgerichtet ging er, wie es sonst nur die Herren vom Amte in Luckenbach tun.

Die drei waren im eifrigen Gespräche. Sie waren alle drei aufgeregt. Auf dem Heimwege vom Gründer Markt hatte sie der Regen in das Reicker Wirtshaus getrieben. Da war ihnen etwas geschehn, was sie noch immer nicht verwinden konnten.

»Ja,« sagte der Kleine, »wer denkt, daß das verwünschte Blitzmädle solche Kraft hat? Wir sind doch wahrlich keine Kinder, wir sind Männer und keine schlechten. Und wie das fortging mit dem Karrn, den keiner von uns erheben konnte, als wär's nichts!«

»Ja,« hustete der zu seiner linken Seite, eine lange, schmächtige Gestalt, daß die Wangenhaut, unter der eigentlich Fleisch stecken sollte, wie eine im Wind flatternde Fahne um seine Zähne schlug. »Ja, und daß sie tut, als könnt' sie den verbrannten Karrn nicht herausbringen aus dem Dr–ck, und man springt bei aus christlicher Liebe, und es ist ihr nur darum, daß sie einen auslachen will.«

»Ja,« sagte der dritte, eine untersetzte Gestalt mit schwärzlich angelaufenen Händen und Gesicht, wodurch das Weiß der Augen noch weißer schien. Er trug den Kopf zwischen den Schultern, aber nur aus Angewöhnung. »Ja; ich hätt' dem Mädle seinen Spaß nicht verderben mögen, und wär' der Karrn noch leichter gewesen.«

Der Schneider sah den Schmied einen Augenblick verwundert an. Aber er war, wenn ein Mann, einer, der nicht hinter einem andern zurückblieb. »Wenn ich einmal was anfass', da fass' ich's an; aber das Ding hat mich gedauert.«

Den Schmied verdroß, daß nun auch der Schneider tat, als hätt' er den Karrn heben können, wenn er nur wollte. Er war überhaupt übellaunig. »Freilich,« sagte er, »wenn Ihr nicht so ein gut Gemüt hättet, da wär' Respekt im Haus.«

»Und der ist!« entgegnete der Schneider und schlug der Luft ausfordernd ins Gesicht, ob sie's leugnen wolle, »Respekt muß im Hause sein!«

»Ja, aber vor dem Stöckchen rennt er auf die Gass',« sagte der Schmied.

»Ihr kriegt Euern Schlucken,« meinte der Schneider fast mitleidig. »Da darf man Euch nichts übelnehmen. Da reibt Ihr Euch an Gott und der Welt.«

Der Schmied sah den Schneider an, als wollte er sagen: wenn ich mich an Euch reibe, so reib ich mit einem Strich den ganzen Kerl weg. »An Eurer Mutter möcht ich mich nicht reiben,« sagte er. »Das Ding, das über Eurer Brücke an der Fensterwand auf dem Nagle liegt – wenn das Ding nicht wär! Ich will Euch einen guten Rat geben. Seht, daß Ihr die Heiterethei freit.«

Der Schneider machte ein Gesicht, das hieß: »Da müßt' ich mich doch erst besinnen. Da sind ganz andre, die ich kriegen könnt'. Ich brauch nur den Finger zur Tür herauszustrecken und es hängt ein Dutzend daran und mehr.« Aber er ließ sich gern mit Mädchen aufziehn. Es war dann, als wenn ihm jemand den Rücken streichelte. Und die Heiterethei war schon ein Mädchen, mit der man sich aufziehen lassen konnte. Er sah ihre roten Lippen, und das braune Lachen ihrer Augen war schon den Weg über oft genug vor den seinen hergeflattert.

»Aber Ihr seid schon vertan,« sagte der Schmied. »Ei nun, die Sannel da bei Euch im Haus, die ist rotbäckig, wie ein Honigapfel, und wird auch nicht bitterer sein, mein ich. Ich verdenk's Euch nicht, wenn Ihr da hineinbeißt. An Saft fehlt's ihr gewiß nicht. Und ich mein, Ihr braucht nicht lang zu schütteln, sie ist reif; und Ihr braucht gar nicht zu schütteln, Ihr braucht nur den Mund aufzumachen, so habt Ihr sie drin.«

Der Schneider lachte und reckte sich höher; seine Gestalt war ein Bild seiner Gedanken. Ich wollte sagen, die Gebärde seiner Gestalt ein Bild der Gebärde seiner Gedanken. Denn seine Gedanken waren ungeheuer viel größer, als er; er ging dem kleinsten seiner Gedanken kaum bis ans Knie.

»So wollt' ich, Ihr hättet Euern Holzapfel noch nicht,« sagte er; »meinetwegen könntet Ihr das Honigäpfelchen haben, das Euch so süß dünkt. Die Sannel ist schon brav, und es kann auch sein, daß sie hübsch ist; ich hab' sie noch nicht darauf angesehen. Aber ich muß eine haben, versteht Ihr – eine –« Seine Augen wurden groß und sagten damit, was er meine: »So einen Knirps kann ich nicht brauchen.«

»Ja,« sagte der Schmied, »sie ist kaum einen ganzen Kopf länger als Ihr. In der Rundung beträgt's etwas mehr. Es hat mich lang' gewundert, daß Ihr nicht einmal einen Strumpf von ihr statt Eurer Spitzkappe (Zipfelmütze) aufgesetzt habt. Aber freilich! es wär' um die Hälfte zu weit für einen solchen Irrtum. Und sie ist auch zu ordentlich; sie läßt nichts herumliegen. Aber wahr ist's schon, so lang und breit ist sie doch nicht, daß Ihr Euch vor Eurer Mutter hinter ihr verstecken könnt, wenn die das Ding in den Händen hat, Ihr wißt schon, das über der Brücke an der Fensterwand. Und sie abzuhalten, dazu ist die Sannel zu gutmütig und zu furchtsam, so lieb sie Euch hat, und auch zu schwach. Drum mein ich eben, Ihr sollt die Heiterethei frein. Da wollt' ich Eurer Mutter nicht geraten haben – da brauchtet Ihr nicht mehr auf die Gass' zu laufen und zu schrein: Respekt muß im Hause sein. Da wär' er drinnen. Es ist ein gut Sprichwort: Auf einen groben Klotz gehört ein grober Keil.«

»Deswegen?« sagte der Schneider fast verächtlich. »Und ich weiß überhaupt nicht, was Ihr wollt. Mit dem Ding an der Fensterwand oder Gott weiß, wo. Und mit Eurem Verstecken. Ich versteck mich nicht und brauch mich nicht zu verstecken. Und wenn ein grober Keil nötig wär', da bin ich selbst einer und brauch keinen andern. In meinem Haus, da bin ich Herr. Wenn ich red', tut niemand ein Maul auf. Und ich wollt's auch niemand geraten haben. Ich bin gut, aber wenn ich hitzig bin, hernach ist's aus. Meine Leut' kennen mich. Fragt nur die Sannel. Ich tu's nicht anders. Respekt muß sein im Haus.«

Er sprach das nicht zu laut. Vielleicht war das Haus schon zu nah, von dem er sprach. Die andern führte ihr Weg weiter. Sie wünschten sich gute Nacht. »Ja, Respekt muß sein im Haus,« sagte der Schmied sehr laut. »Ein gute Nacht will ich Euch nicht wünschen, aber einen guten Morgen und –«

»Pst,« machte der Schneider. »Der Nachbar da hat's Nervenfieber. Seine Leut' bitten immer, man soll ruhig sein.«

Der Schmied und der Weber bogen in eine andere Gasse ein. Der Schneider blieb aufgerichtet stehen, bis er sie nicht mehr sah. Er horchte, bis der Klang ihrer Tritte zu winzig wurde für sein scharfes Ohr. Er stand so, daß man ihn vor dem Vorbau des Nachbarhauses von dem seinen aus nicht sehen konnte. Dann wischte er eilig und leise wie ein Schatten um die Ecke und durch den Winkel, der das Nachbarhaus von dem seiner Mutter schied. Das Häuschen war nicht tief. Daran schloß sich eine Art von Bretterzaun, der den Hof umgab. Ein anderer Mann hätte nur vier tüchtige Schritte gebraucht; unser Schneider machte mehr als noch einmal so viel, bis er an der Stelle stand, wo ein Brett des Zauns, vom Nagel ledig, eine Art von heimlicher Tür bildete. Aber er blieb erst eine Weile regungslos stehen, damit Herzschlag und Atem ihren ruhigen Schritt wieder finden konnten. Dann horchte er, bis ein leises »Pst« sich innen an dem Bretterzaun vernehmen ließ. »Schläft sie?« flüsterte er. Ebenso leis antwortete drin ein »Ja«. Eine Hand von innen bog an der untern losgegangenen Seite das bewegliche Brett nach außen. Die Öffnung, die dadurch entstand, wäre für jeden andern Mann zu klein gewesen; für unsern Schneider war sie weit genug. Er legte sich platt auf die Erde und kroch so unter dem Brette weg in den Hof hinein. Erst mit dem halben Leibe war er darin, als er liegen blieb und den Kopf furchtsam horchend nach oben wandte. »Es ist nichts,« flüsterte die leise Stimme. Zwei weiche Hände faßten die seinen und zogen ihn daran eilends in den Hof hinein. Das Brett folgte seinem Gewicht und schloß die Öffnung wieder. Die weichen Hände richteten den Schneider auf und halfen ihm schnell und leise über den Hof bis in die offene Hintertür des Hauses. Sie trugen ihn mehr, als daß sie ihn führten. Und nun stand er vor seinem Führer. Es konnte ihn vom Fenster niemand mehr sehen; er richtete sich wieder hoch auf und sah der Art, wie er hereingekommen, nicht im entferntesten mehr ähnlich. Die andere Gestalt bückte sich und nahm einen Scheffel neben der Tür von der Hausflur auf. Dieser hatte eine Lampe verborgen. Eine Hand hob die Lampe, die andere versteckte die Flamme, so gut es möglich war; sie schimmerte hinter der bergenden Hand herauf in ein Gesicht voll Lieb und Sorge, und machte die runde Hand wie glühend durchsichtig, die sie barg.

»Sie ist schon lange in ihr Bett gegangen,« sagte das Mädchen leise und eifrig. »Der Diktes hat nur erst elf getüt't gehabt. Und daß sie nach dir hat gefragt, da klecken nicht hundertmal. Die alten Leut' haben einen leisen Schlaf. Um die Zeit ist sie manchmal schon auf und singt und bet't –«

»Und schreit um ihre Erdäpfel, wenn's zuviel regnet oder wenn's zu lange trocken ist, um ihren Lein.« Der Schneider sagte das, wenn auch immer noch leise, doch weit lauter, als das Mädchen zu sprechen wagte. Sie sah ihn an und ängstigte sich, und freute sich zugleich über seine Verwegenheit. Und wie stand er da! Wie aufgerichtet, und strich mit beiden Händen den Backenbart nach vorn so soldatenmäßig! Die Sannel vergaß, wieviel seiner Länge am Soldatenmaß fehlte. Vielleicht brauchte sie das nicht zu vergessen; vielleicht hatte sie noch nicht daran gedacht. Dem Schneider tat ihre unverhehlte Bewunderung wohl; es freute ihn, daß sich jemand um ihn ängstigte. Darüber vergaß er fast die eigene Angst. Er besah sich in der Sannel wie in einem Vergrößerungsspiegel.

Die Sannel hing mit fragenden Augen an ihm. Daß er ihr nichts mitgebracht habe vom Gründer Markt, wußte sie: sie wußte ja, daß die Alte die Kasse führte und dem »Jung'« die Kreuzer zuzählte; daß er kaum zu einem »Maß Bier« für sich Geld mitbekommen. Aber ihm waren immer so merkwürdige Dinge begegnet. Die hübschesten Mädchen hatten ihn geneckt, und es bedurfte nicht seiner Einkleidung! die Sannel wußte ja: was liebt, das neckt. – Er hatte Händel mit den tüchtigsten Burschen gehabt, oder es war nahe daran gewesen. Es war ihre einzige Lust, ihn als den Gegenstand der Bewerbungen von Mädchen, und als Gegenstand der Furcht für die herzhaftesten Burschen zu bewundern. Hatte er nun vollends einen Witzbold, der sich an ihm reiben wollte, mit gewandter Erwiderung dem allgemeinen Gelächter preisgegeben, dann war sie selig. Das schien ihr das Höchste zu sein unter allem; vielleicht, weil ihr selbst das das Schwerste gewesen wäre unter allem.

»Ja, siehst du, Sannel,« schloß jede Geschichte, »Respekt muß sein.« Dann sagte sie seelenvergnügt: »Ja, Hannes, der kommt dir gewiß nicht wieder zu nah. Du bist doch ein Mordbursch! Und wie war's denn mit der? oder mit dem? Aber red leiser, sonst hört's deine Mutter. Wenn sie käm' und säh', du kommst jetzt erst nach Haus, da möcht' ich lieber mein blau Kattunkleid nicht wieder in die Kirch' anziehn.« Dann wieder: »Aber mach, daß du in dein Bett kommst, sonst bist du morgen früh verschlafen, und deine Mutter ist schon so bös, daß du nicht zeitig heim bist kommen.« Und doch blieb sie selbst, die ihm vorleuchtete, auf jeder Treppenstufe stehen, und verwickelte ihn durch ihre Fragen in ein neues Erzählen. Vom Kirchturm brummte die Glocke Viertelstunde auf Viertelstunde dazwischen und erinnerte sie an die Flüchtigkeit der Zeit, die aber auch den ganzen Tag über nicht so flüchtig gewesen war. Und der Treppenstufen waren so viel: erst die Stufen bis zum Oberstock, dann kam noch die Bodenstiege; denn Hannes hatte sein Kämmerlein oben auf dem Boden. Da oben auf der Stufe vor der Tür – man stieg unmittelbar von der Bodentreppe in das Gemach – wurde das längste »Ständchen« gehalten.

So auch heute. So viel hatte der Hannes lange nicht zu erzählen gehabt, und ihre Bereitwilligkeit, zu hören, konnte nicht größer sein; selbst wenn sie gemeint hätte, ihm einen Dienst damit zu leisten. Mit ihrer Bewunderung wuchs Hannes' Größe vor seinen eigenen Augen, und in gleichem Maße wuchsen seine Geschichten über die Wirklichkeit hinaus. Sie glaubte unbesehn seiner Erzählung, und er glaubte ihrem Glauben. Er war so überzeugt, als sie, daß er ein Mordbursch' sei.

»Aber nu ist's genug für heint,« sagte sie endlich. Sie hatte auf der Treppe gesessen, die Lampe im Schoß und die Hand davor, damit der Schein nicht hinunter leuchten sollte auf den Hausplatz vor der Wohnstube. Sie stand auf.

Wie der Schneider immer größer geworden war, hatte auch der Gedanke, den der Schmied ihm heute erweckt hatte, immer mehr Macht gewonnen. Der Gedanke machte ihn schon im Erzählen seiner Abenteuer irre; er war so dringend geworden, daß er ihn dem Mädchen mitteilen mußte.

»Noch eins muß ich dir sagen, Sannel. Was meinst du; wenn ich die Heiterethei nähm'?«

Das Mädchen erschrak, daß die Lampe ihr fast im Schoß umfiel. »Die Heiterethei?« sagte sie.

»Ja, ich wüßt' nicht, wer so gut zusammen sollt' passen, als ich und sie.«

Der Schneider wurde ungeduldig, daß das der Sannel nicht einzuleuchten schien, die doch sonst so verständig war. Er fuhr eifrig fort: »Die hat Haar' auf den Zähnen, beinahe wie ich. Die bleibt keinem eine Antwort schuldig. Und im Bettstroh verliert man sie auch nicht. Weißt du, sie hat just die rechte Größ'; und wenn ich einen Hund halten möcht', so müßt's auch ein großer sein. Das ist einmal meine Liebhaberei. Arm ist sie freilich; aber je mehr der Mann vor der Frau voraus hat, desto besser. Das hilft zum Respekt. Meinst nicht?«

Das Mädchen wischte sich die Augen mit der Schürze; Hannes dachte an die Heiterethei und sah's nicht.

»Ja, eine tüchtige Frau gäb' sie schon,« sagte die Sannel. Ihre Stimme hatte den schnupfigen Ton, der ein Begleiter weinender Augen ist. Hannes hörte nichts davon. Er hörte nichts, als daß der Rede der Sannel ein »Aber« folgen könnte.

»Du meinst, weil sie wild ist,« sagte er rasch, um das »Aber« überflüssig zu machen. »Was ein rechter Kerl ist, der muß was Wild's an sich haben. Eine Schlafmützen kann ich nicht brauchen. Hol der Kuckuck die Schlafmützen!« Er hieb in die Luft vor sich hin, als wäre sie voll Schlafmützen, und sah so wild aus, wie ein rechter Kerl aussehen muß. Das sah die Sannel durch das Wasser in ihren Augen.

»Und wenn sie noch wilder wär',« fuhr der Schneider voll Überzeugung fort, »das macht eine Eh' erst kurzweilig. Der Mann muß freilich der Herr sein, aber wenn's ihm zu leicht wird, ist doch keine rechte Lust dabei. Du brauchst nicht zu denken, sie könnt' zu wild sein für mich. Und wär' sie noch wilder, wie sie ist, ziehn wollt ich sie. Denn du weißt, Respekt muß sein! Daß dich der Guckguck hätt'! ich wollt' –«

»Red nur nicht so laut, Hannesie,« bat das Mädchen. »Ich glaub dir's ja. Das ist meinem Kummer sein Geringst's, Hannesie. Du bist ein Mordbursch. Aber mir ist's gewesen – wenn's nur deine Mutter nicht hört, daß du so spät nach Haus kommen bist.«

»Ei was, meine Mutter!« sagte der Schneider immer hitziger. Ich wollt', sie käm' mir jetzt die Quer. Ich wär' gerad aufgelegt, daß ich ihr einmal sagt, was ich denk. Siehst du; ich gäb' drei Kreuzer in den Klingelbeutel, wenn sie jetzt 'raus käm. Ich bitt dich um Gottes willen, Sannel, sei still! Mach die Lampen aus. Die Tür ist gangen, Sannel! Sie kommt! Wenn ich doch den Schlüssel hätt'.«

Das Mädchen blies in die Flamme, daß ihr das Öl in das Gesicht spritzte. Sie stellte die Lampe neben sich, schob den halbohnmächtigen Hannes an die Wand und trat vor ihn hin. Wäre ein ganzes wütendes Heer auf den Hannes zugerannt, sie wäre nicht auf die Seite gewichen. »Sei ruhig, Hannesie,« sagte sie; »ich mach meinen Rock auseinander; mach dann deine Tür auf und geh in deine Kammer. Ich sag, ich bin 'rauf gangen, ob du noch nicht da bist. Du sagst: ich bin um elf kommen, die Sannel ist nicht gescheit. – Aber sie kommt gar nicht. Hörst du, sie singt und bet't und red't mit sich. Bleib nur ganz still, vielleicht schläft sie wieder ein.«

Eine Weile war es mäuschenstill. Die alten Bretter hatten nicht das Herz, zu knacken. Nur die Frau Bügel sang in ihrer Kammer: »Wer nur den lieben Gott läßt walten!« und sprach dazwischen jammernd: »Ach, meine Erdäpfel! Meine schönen Erdäpfel!« und sang: »Und baut auf ihn –« und jammerte wieder: »Meine schönen Erdäpfel am Erlenweg!« Singen und Jammern wurde leiser. Bald war alles wieder still; nur die Kuh unten im Stalle, die der Gesang aus dem Schlaf geweckt haben mußte, schnaufte einigemal. Nicht lange, und auch die Kuh schien wieder eingeschlafen.

»Das weiß der liebe Gott,« sagte der Schneider noch zitternd. »Ich hab' Mut wie einer. Hundert Soldaten sind mir nichts. Ich fürcht mich vor keinem Menschen; ich könnt' manchmal den Galgenberg umreißen, so hab ich Herz, aber wenn ich die Mutter kommen hör! Die ist doch nichts gegen hundert Soldaten; es muß sein, weil sie meine Mutter ist. Ja, wenn ich nicht so verwünscht gutmütig dabei wär'. Die Gutmütigkeit läßt die Courage nicht herauskommen aus dem Sack. Sonst – daß dich der Kuckuck hätt'! Siehst du, Sannel, wär's nicht meine Mutter! Sannel, weißt du noch das vierte Gebot von der Schul'?«

»Ja,« sagte die Sannel. Sie faltete die runden Hände unter der verlöschten Lampe und betete, als wäre sie noch in der Schule und müßte aufsagen. »Du sollst Vater und Mutter ehren, damit dir's wohlgeht und du lange lebst auf Erden. Was ist das? Antwort. Wir sollen Gott – und ja, das ist recht von dir, Hannesie, und es wird dir auch noch kommen, wie der alt selig Schulmeister immer gesagt hat. Es ist schon recht, wenn ein Bursch wild ist, wie du sagst, aber gegen Vater und Mutter soll kein Mensch wild sein. Und es ist um so schöner, wenn einer, der sonst ein Mordbursch ist, Vater und Mutter ehrt. Und wenn du die Heiterethei – aber wie du nur auf die gekommen bist, Hannesie!«

»Ja, wie man auf so etwas kommt,« sagte der Schneider und fühlte sich in seiner Frömmigkeit und im Respekt der Sannel wieder einen rechten Kerl. »Und weißt du; die könnt' die Mutter in Respekt halten. Die geht das viert Gebot nichts an. Meine Mutter ist nicht ihre Mutter, und darum braucht sie sie auch nicht zu ehren.«

»Ja,« sagte die Sannel; »das ist schon wahr. Du denkst doch alles aus.«

»Was?« lachte der Schneider. »Mit den Kräften und der Courage ist auch noch nicht alles getan. Wenn einer einen rechten Merks hat. Nun hab ich mir gedacht, wie ich's an die Heiterethei bringen wollt'; denn die ist schnippisch und spöttisch, wie der Teufel. Du könntst einmal so wie von ohngefähr; nu, du begegnest ihr doch einmal – weißt du?«

»Ja, ich soll's anbringen?« sagte die Sannel. An ihrer immer munteren Bereitwilligkeit hing ein schwer Gewicht. Sie streifte es ab und das klang wie ein tiefer Seufzer. »Nu, wenn's nicht anders ist, Hannesie, ich will schon; aber bedenk dir's noch einmal. Und nu geh in deine Kammer und schlaf wohl. Ich hätt' dich nicht so lang abhalten sollen. Du wirst morgen die Augen nicht können aufhalten, und deine Mutter ist den Abend schon bös gewest. Ich sag, du bist nach elfen heimkommen; sag du auch so. Und wenn das sein soll mit der Heiterethei, so wird sich's ja schicken. Gut Nacht, Hannesie. Ich begegn' ihr schon.«

Der Schneider war eingeschlafen und träumte einen großen Traum. Er saß auf seiner Brücke und nähte an einem unendlichen Rock. Die Mutter saß ganz still auf ihrem Stuhle, denn die Heiterethei drohte ihr mit dem Finger; und die Heiterethei war noch einmal so groß, als die Mutter. An der Türe stand ein Hund, so groß, wie der Mutter Blesse im Stall, und schnaufte, wie die. Aber es war doch, als fehlte ihm das Beste. Da kam die Sannel aus der Küche herein und freute sich über ihn und sein Glück. Da war alles gut.

Die Sannel aber ging viel langsamer, als gewöhnlich, die Treppe hinab und klopfte der Kuh nicht den Bug, wie sie sonst liebkosend tat, wenn ihr Herz voll war von Glück über all' das, was dem Hannesie heute wieder begegnet war und was er ausgerichtet hatte. Wie langsam ging das Ausziehen, jede Schleife wurde erst zum Knoten. Sie war mit dem Hannesie aufgewachsen vom kleinen Kind an, darum fiel ihr seine Kleinheit nicht auf. Und wuchs er nicht in seiner Haut, so wuchs er in ihrem Herzen. Und so, wie bis jetzt, war' es fortgegangen; anders dachte sie sich's nicht, wenn sie seine Frau geworden wäre; nur, daß sie eine Haube trug und Frau Bügel und Frau Meisterin hieß. Wie sie im Bette lag und mit der linken Hand die Türe ihres engen Gemachs geschlossen hatte, streckte sie sich, so lang sie konnte. Daß sie sich nicht länger strecken konnte, das war's, warum sie so traurig die Treppe heruntergeschlichen, was alle Schlingen zu Knoten gemacht hatte. Wär sie so groß, wie die Heiterethei, hätte sie die Treppe hinunterspringen können wie sonst. Da hätte sie nicht die Blesse vergessen. Aber sie strafte sich für ihr Murren, wie sie es nannte, denn die Sannel war fromm. Gott hatte sie geschaffen, wie sie war; es war Sünde, wenn sie mit ihrer Größe nicht zufrieden war. Und was hatte die Blesse getan, daß sie leiden sollte unter der Sannel Leiden? Die Sannel meinte, das Tier könne nicht ruhig schlafen, weil sie ihm nicht zugesprochen hätte, wie sonst. Sie stand auf und ging zu der Blesse. »Es war schlecht,« sagte sie zu der Kuh; »was kannst du dazu? Du bist mein alt gut Tier.« Sie klopfte das Tier auf jeden Bug. Die Kuh machte eine Bewegung und schlief wieder ein. Die Sannel war auch nicht lange mehr wach, als sie einmal wieder in ihrem Behälter steckte. »Die Heiterethei wird alles allein wollen machen,« sagte sie noch leise vor sich hin. »Wenn ich nur wenigstens da könnt' bleiben! Ach, wenn ich nur wenigstens da könnt' bleiben!«

Die Frau Bügel war eine konsequente Frau, in allem, innerlich und äußerlich, eine geradlinige Frau. Wenn sie einmal ein Ziel in das Auge gefaßt hatte, ließ sie es nicht wieder fahren, und eher wäre eine Kanonenkugel unterwegs umgekehrt, als sie. Aber das Sprichwort sagt: »allzuscharf macht schartig« und »eine gute Krüm' geht nichts üm«. Und daß es recht hat, konnte man hier sehen. Ihr ganzes Dichten ging darauf aus, den »Jung« zu einem rechten Manne zu erziehen. Aber die Strenge, mit der sie ihn zum Fleiße und zur Ordnung anhielt, hatte die entgegengesetzte Wirkung. Natürlich war er nicht gern, wo er in steter Furcht sein mußte. Er benutzte jede Gelegenheit, der strengen Zucht sich zu entziehen. Und das zwischen Handwerk und Feldbau geteilte Schaffen in dem dörflichen Städtchen brachte dem Greiflustigen solcher Gelegenheiten genug entgegen. Der Frau Bügel Felder lagen in entgegengesetzter Richtung von der Stadt. Wie war da eine sichere Kontrolle möglich! Und wie viel Wirtshäuser standen wie Mausefallen an dem Wege von dem einen dieser Grundstücke bis zum andern offen! Der Frau Bügel graugrünliche Augen waren scharf, aber durch Häuserwände hindurch konnten sie doch nicht sehen. Dabei hätte sie niemand zu der Einsicht gebracht, ihre Strenge erzeuge und fördere das erst, was sie verhüten und vermindern wollte. So wurde sie nur immer strenger; und dem armen Schneider kam nur das zu gut, daß die eifrige Frau einen so großen Respekt vor dem Spott der Leute hatte, als er vor ihr. So blieb ihre Tyrannei nur eine häusliche. Außerhalb ihrer vier Wände war der Schneider sicher vor den Ausbrüchen ihres Zorns. Geschenkt wurde ihm deshalb nichts. Daheim bekam er mit Zinsen, was sie ihm außerhalb schuldig geblieben war. Desto verhaßter wurde ihm das Daheimsein. Und sie erreichte auch nicht einmal ihren Zweck. Die Leute wußten doch, was geschah, und machten sich auf alle Weise darüber lustig. Der Schmied behauptete sogar, der Schneider sei so klein geblieben, weil die Mutter ihn beständig in sich hineingejagt habe. Der Schneider sei eigentlich ein langer, starker Kerl, aber er habe sich in sich selber verkrochen, und könne sich nun nicht mehr aus sich herausfinden.

Es war noch kaum Tag, als die Sannel schon die Treppe und Bodenstiege hinaufrannte, um an des Hannes Kammertüre zu pochen. »Steh auf, Hannesie, deine Mutter singt schon den zweiten Vers; da zieht sie allemal ihre Strümpf dabei an. Und vermerk's nicht, daß du gleich nach elf heimkommen bist. Und wegen der Heiterethei; wenn du dich nicht anders hast besonnen; ich geh hernach einen Gang und begegn' ihr vielleicht.«

»Nein,« sagte der Hannes drin. »Was ich gered't hab', hab' ich gered't. Aber im Bett ist's doch gar zu schön. Ist ihre Stimm' zittrig, Sannel?«

»Ja,« entgegnete das Mädchen, »schrecklich zitt'rig. Mach', daß du auf deiner Brücken sitz'st, wenn sie reinkommt.«

»Es ist doch nirgends schöner, als im Bett,« sagte der Schneider drin und dehnte sich. »Aber sie ist wohl noch im ersten Vers?«

»Nu nein. Sie hat schon den letzten angefangen gehabt.«

Das Mädchen hörte, wie der Schneider aus dem Bette sprang und war mit drei Schritten die Bodenstiege herab und in der Küche. »Er tut's nicht anders,« sagte sie traurig vor sich hin, »mit der Heiterethei. Wenn ich nur wenigstens da dürft' bleiben!«

Der Schneider schlich auf den Strumpfspitzen die Treppe herunter; die Pantoffeln zog er erst an der Stubentür an. Er horchte. Die Sannel sagte eben drin: »Es hat noch kein Viertel geschlagen gehabt, da ist er kommen. Und naß ist er gewesen! Er ist im Reick eingekehrt, weil er das Fieber gekriegt hat vom Regen, damit er nur ein bißle warm geworden ist. Und war noch immer naß, wie er kommen ist, und hat mit den Zähnen geklappert, daß es ein Jammer ist gewesen.«

»Geschieht ihm recht, dem Nichtsnutz,« entgegnete die Alte. »Und nun wird auch seine neue Kappen verdorben sein.«

Sie fing an zu singen, und der Schneider sagte zitternd: »Wenn sie nur erst im Haus wär', die Heiterethei! Oder wenn so ein Gesangbuchvers einen ganzen Tag tät' dauern!« Dann öffnete er die Tür und ging hinein. Er wußte, so lange der Vers dauerte, den sie sang, war er sicher. Er konnte wenigstens die Brücke erreichen, ehe das Donnerwetter losging. Die Alte sang fort, sie wandte das Gesicht nicht gegen ihn, aber sie erhob den Arm drohend in die Höhe, und ihr ganzes Gesicht zündete sich an dem blauen Feuer ihrer Nasenspitze an.

Der Schneider war schon in voller Arbeit, als die Alte fertig wurde mit dem Vers. Seine Augen hatten sich tief in die Westentasche verkrochen, an der er nähte, um ihrem Blicke nicht zu begegnen, wenn dieser vernichtend auf ihn fiel. Sie aber wandte ihr Antlitz noch immer ihm nicht zu. Sie kehrte sich zu der Sannel, die dem Hannes sich ängsten half.

»So ist er doch da, der Nichtsnutz?« sagte sie, und nach ihrer sparsamen Weise soviel als möglich in einem Atem. »Ich hab gemeint, er wird heut und morgen nicht aus dem Reicker Wirtshaus herauskommen. Denn ein Wirtshaus ist dem Sapperlot wie der Flieg' eine Weinflasche, wo noch naß ist inwendig. Da ist leicht 'neinkommen, aber schwer wieder 'raus. An allen Wänden bleiben die Flügel kleben. Ja? er ist doch da? Hm, hm, hm! Und ich hab geglaubt, der Regen hat ihn in ein Mäusloch geschwemmt und die haben ihn drinnen behalten. Ja, Gott behüt! Wer wird so einen Nichtsnutz behalten? Niemand, als wer einmal mit ihm gestraft ist und muß ihn behalten. Bis er sich ins Zuchthaus geschwemmt hat, da werden sie ihn behalten. Oder sie kriegen ihn bald wieder.«

Die Frau Bügel stand auf. Es war für die bereitwillige Sannel ein Schweres gewesen, auf die Fragen nicht zu antworten. Sie hob bei jeder beide Hände auf und öffnete den kleinen Mund, um wenigstens zu zeigen, es sei nicht Mangel an Dienstfertigkeit von ihrer Seite, daß sie nicht antworte. Aber die Frau Bügel, wußte sie, wollte keine Antwort. Der Schneider tat einen Atemzug, so tief und stöhnend, als wüßte er, es ist sein letzter. Die Sannel half ihm atmen. Die Frau Bügel aber ging in der Stube umher, als wäre der Gedanke von dem Mäuseloch ihr voller Ernst gewesen. Sie sah unter Stühle und Tisch und schüttelte das Haupt nach jedem suchenden Blick. Alles schien sie zu sehen, nur den Hannes auf der Brücke nicht, der einen Knopf mit Tuch in Todesangst überzog. Die Sannel half der Base widerstrebend suchen.

»Wo wird er nur stecken, der Sapperlot? Soll er zu Haus sein, und die gottesfürchtigen Wort' hören, die seine Mutter red't? Ja, der wär' der Recht'. Wo wird er sein? Ja, wenn's antworten könnt, wenn seine Mutter fragt, das bös' Kind!«

»Nu, da in Eurer Stuben,« schluchzte der Schneider. »Da auf der Brücken. Ach, du lieber Gott im Himmel!«

Die Frau Bügel dehnte sich; die Sannel half ihr sich dehnen, aber mit Widerstreben. Die Frau Bügel nahm das Ding herunter, das von den Nägeln an der Fensterwand, das schreckliche Ding. Aber sie suchte fort. »Da in der Stuben wär' er, da in meiner Stuben? Was? Den müßt' man auf seiner Brücken suchen? Pros't die Mahlzeit! Im Wirtshaus ist er. Im Tabaksrauch, daß man ihn schneiden kann, da ist er wie der Fisch in seinem Wasser. Und noch ein Maß, Frau Wirtin! Und einen Nordhäuser darauf! Und lustig, mein Wenzel! Und das Eicheldaus sticht. Und o du lieber Augustin! Was! Nicht im Wirtshaus wär' der Jung'? Nu, wird er reden, der Sapperlot?«

»Ja, wenn Ihr's haben wollt, Mutter. Aber macht lieber los, damit's überstanden ist. Aber Ihr werd't sehn, ich krieg die Schwindsucht. Alle Leut' sagen's. Meinetwegen ja, es soll ja das Wirtshaus sein. Und das ist der Eichelwenzel da.«

»Was? Im Wirtshaus ist er? Und er ist im Wirtshaus? Nu! will mich der Nichtsnutz blind machen, daß ich meine eigene Stuben nicht mehr kenn? Und das ist nicht des Herrn Burgemeister seine Westen? Das ist der Eichelwenzel? Und das dort ist nicht mein Schmolkes Schatzkästlein und meine Schlafhauben? Ist das ein Wirtshaus, Jung?«

»Was soll ich denn sagen, ich armer Bursch! Was ich sag, das ist nicht recht. Nu freilich ist das Eure Stuben.«

»Meine Stuben? So? Und das wär' meine Stuben, wo du drin bist? Und du wärst, wo du hingehörst? Und säß'st auf deiner Brücken? So erbarm sich der Himmel über so ein sündlich Kind. Aber ich will's ziehn, so lang ich meine Arm' kann heben. Ich will nicht schuld sein, wenn er ein Taugenichts wird. Ich will ihm den Wirtshausteufel austreiben, dem Nichtsnutz dem!«

Und es hätte nicht an der Frau Bügel gelegen, wenn nur ein Stückchen Teufel in ihm blieb.

Aber die Sannel hatte zur rechten Zeit die Türe geöffnet. Der Schneider schoß wie ein Pfeil von seiner Brücke herab, quer über die Stube und hinaus, die Treppe hinunter und hielt nicht eher an, bis die Luft der Straße um sein erhitztes Gesicht wehte. Er wußte, nun war er sicher. Er sah sich majestätisch um, gab der Luft einen Klaps mit seiner rechten Faust und rief: »Respekt muß sein im Haus!« Dann ging er mit Löwenschritten vor dem Häuschen auf und ab, bis eine leise Stimme aus der Tür flüsterte: »Sie ist in ihre Kammer gegangen, Hannesie; du kannst wieder 'rauf. Nu ist sie wieder gut.«

Die Sannel streichelte dem Schneider die heißen Backen, als er bei ihr im Hausflur stand, und wischte mit weichen Händen den Angstschweiß von seiner kalten Stirn'. Sie tröstete ihn, wie nur die Sannel trösten konnte. Sie hätte gern selbst sein Kreuz auf sich genommen. »Und hast du dir's überlegt, Hannesie?« sagte sie dann. »Ich geh aufs Feld. Vielleicht, daß mir die Heiterethei in Weg läuft.«

»Du gehst in die Erdäpfel,« sagte der Hannes, als er wieder auf der Brücke saß. »Da geht dein Weg nach dem Gottesacker zu und ich komm bald nach. Das sind die Erdäpfel, in die ich geh. Und da brauch ich keine Heiterethei dazu. Und auch keinen Hund. Guck mich noch recht an, Sannel; wer weiß, wie bald ich in die Erdäpfel geh.«

»Das ist Schicksal, Hannesie; deswegen gehst du noch nicht in die Erdäpfel. Und die Schicksal kommen auch von dem, der Essen und Trinken schickt.«

»Ach Gott! Die Bas' am Unterende hat mir immer Hefenklöß' wollen schicken; die ess' ich so gern. Dumms Zeug von wegen! Mir hat der Herrgott noch kein Stückle Brot, geschweig Hefenklöß' geschickt; ich hab mir's allemal selber müssen verdienen; nicht das Salz dazu hab ich umsonst kriegt. Und das Schicksal hab ich nicht verlangt; wär' nur was Guts dran, hernach wär's gewiß nicht an mich kommen. Sannel, Hefenklöß'! Aber die Brüh muß fett sein. Und Schnitz und Hutzel dazu. Ach du lieber Gott! Das viert Gebot ist mein Schicksal; wenn ich bald in die Erdäpfel geh, hernach hat's das viert Gebot getan. Wer weiß, ist das die letzt' Westen, die ich mach! Guck, da kommt vielleicht der letzt' Stich 'rein, den ich tu. Hernach hat's ausgeschicksalt und ich ess' keine Hefenklöß' mehr auf der Welt.«

»So darf man nicht reden, Hannesie; die Seel' ist doch mehr wie Hefenklöß'. Und siehste, deine Mutter hat gewiß nichts gegen die Heiterethei. Sag's nur der Bas' am Unterend', die wird's schon anbringen bei deiner Mutter, und es schickt sich ja wohl, daß ich der Heiterethei begegn'. Das ist hernachen ein gut Schicksal; und die kommen auch, wenn man nur die bösen geduldig erträgt. Wenn du nur denkst,« fuhr die Sannel fort, »daß du's mit der Heiterethei ermachen kannst. Sie ist doch schrecklich wild.«

»Was wild!« sagte der Schneider. »Wenn sie nur Hefenklöß' kann kochen! Sannel, da ist kein viert Gebot dabei. Sannel, ich sag dir: du kennst mich. Und Respekt muß sein im Haus! Und wenn ich erst einen großen Hund hab! Denn so ein Knirps von einem Spitzle darf's nicht sein. Und ich geh mit der Heiterethei auf den Schützenhof! Was? Karo, komm her! Aport, Karo! Da wirst du zum Fenster 'raus lachen. Ich seh dich schon. Und Menschen und Vieh sollen sich verwundern. Mach nur, Sannele, und geh; ich hab schon keine Ruh' mehr. Sannele, du kennst mich immer noch nicht!«

Die Sannel ging. Sie schüttelte unterwegs wohl hundertmal ihren dicken braunen Zopf. Es war ein ander Ding mit ihrem Glauben bei Nacht, wenn er, heimgekommen, ihr eine Stunde lang erzählt hatte, was alles er eben getan und sie sich hineingedacht hatte, als hätte sie alles selber gesehn.


 << zurück weiter >>