Otto Ludwig
Die Heiterethei und ihr Widerspiel
Otto Ludwig

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Verfolgte nun das Schicksal die Heiterethei, so nahm es sich ebenso sichtbarlich der Annemarie an. Den Entschluß, das Häuschen der Heiterethei zu verlassen, schien es selber ihr eingegeben zu haben. Denn eben zur rechten Zeit hatte sie ihre wenigen Habseligkeiten in ihre neue Wohnung hinübergeschafft.

Das baufällige Strohdach des Häuschens an den Weiden bot diesem gegen den endlos herabfallenden Regen immer ungenügenderen Schutz. Selber bis in sein Innerstes von dessen Wassern durchdrungen, aufgequollen wie ein vollgesogener Badeschwamm, vermehrte es durch sein Gewicht nur die Unannehmlichkeiten, mit denen Regen und Wind das arme Häuschen heimsuchten. Die alten Lücken der Lehmwand nahmen den Feind mit offenen Armen auf, der sie aus Erkenntlichkeit dafür nach Vermögen vergrößerte. Das Beispiel der belohnten Verräter mehrte ihre Zahl. Was die Heiterethei hineinklebte, nahm der Regen in derselben Stunde wieder hinweg. Von den Nachbarn kam keiner, wie sonst wohl geschehen. Und ging einer vorüber, so geschah es nur, eine offene Schadenfreude zu befriedigen. Der Holunder konnte nichts, als ratlos seine Zweige zusammenschlagen; sie wurden ihm immer schwerer. Von Zeit zu Zeit pochte er an die Wände, wie um zu sehen, wie fest sie noch seien, und nach jedem Pochen schüttelte er ängstlicher das Haupt und griff immer zitternder in den Regen hinein, ihn zu beschwören, er solle nun endlich nachlassen. Der hatte keine Antwort für ihn, als sein ewiges plätscherndes Hohngelächter. Der Fels dicht an der linken Flanke des Häuschens aber war des Häuschens allerschlimmster Nachbar. Er goß Öl ins Feuer oder vielmehr Wasser ins Wasser. Er sammelte all den Regen, der auf seine Scheitel fiel, und hinderte nicht, daß die gesammelten Wasser sich ein Bette nach dem Häuschen hin schufen und von seiner Kante darauf herabstürzten, als hielten sie das Häuschen für ein Mühlrad, das sie in Bewegung setzen müßten.

Jetzt sank die linke Seitenwand des Häuschens unter ihrem Gewichte. Das Dach wäre nachgesunken, hätte nicht der Fels mit zu spätem Erbarmen jene ersetzt und das wankende mit der eigenen Schulter gestützt. Und nun begann auch der größte Teil der Vorderwand zu weichen. Sie bog sich matt vornüber, als wollte sie um die Ecke nach Hilfe sehen. Als keine kam und immer und immer noch keine kam, da sank ihr, ein Bild stiller Ergebung, das Haupt auf die Knie; dann brachen auch diese ein, und der Tod löste zu früh, wenn auch mit sanfter Hand, einen so innigen Bund, als Holz und Lehm nur je geschlossen.

Nun glich das Häuschen einer Wasserkunst. Über die Furchen des Strohdaches ergossen sich die Wasser vom Felsen herab in hüpfenden Kaskaden. Unzählige Öffnungen schluckten sie gierig ein, ebensoviel andere spien sie in schönen Bogen wieder von sich. Dabei grünte das verwitterte Stroh im größten Elend so lustig wie eine Wiese, und der alte Holunder stand daneben abgespannt und schlaff, wie ein durchnäßter Regenschirm in einer Ecke, und schlug die Zweige über seinem Kopfe zusammen aus Entsetzen vor solchem Frevel.

Die Valtinessin tat, als der Bader die Nachricht von dem Schicksal des Häuschens in den Gringel brachte, etwas Ähnliches. Sie schlug mit beiden Händen auf die Knie.

»Da sieht man doch, daß man richtig hat geweissagt,« meinte sie. »Es hat wohl öfter schon geregnet, aber der Regen da, das ist ein sichtbar Strafgericht vom Himmel. Und das ganze Luckenbach muß mit darunter leiden. Wer den Gründonnerstag Sechzig ist gewest, der weiß, was er red't. Hier sitz' ich und sag': Ein Regen soll das sein? Eine Sündflut ist's.«

»Ja,« sagte der Meister Schnödler mit unsicherer Zunge, »die Heiterethei, das ist so ein Kerl, wie die Töchter der Riesen sind gewest. Aber ich will Euch schon kriegen.«

»Und der Herr hat wieder einen unschuldigen Noah gerett't, wie selb'mal,« fuhr die Valtinessin fort. »Die Annemarie da, das ist der andere Noah.«

Die Annemarie, die an der Tür Leuchter putzte, tat einen Neiger. Sie lächelte, aber innerlich seufzte ihr Herz über das Schicksal des Häuschens.

»Ja, es ist kurios,« sagte der Morzenschmied mit einem kleinen Anfall von Schluchzen. »Es scheint, das ganz' Alte Testament geht noch einmal für in unserm Luckenbach. Erst ist die Austreibung aus dem Paradies gewest; jetzund ist die Sündflut; nu muß der babylonisch Turm noch kommen und der Auszug der Kinder Israel aus Ägyptenland.«

»Der ist gewest, der Auszug,« sprach die Valtinessin. »Aber nu ist er erst fertig. Der Pharao, der sein Herz hat verstock gehabt, nu liegt er im Roten Meer. Ich hab' manchmal beinah gemeint, man hätt' ihr zu viel getan, aber nu hat der Himmel selber gered't.«

»Zuviel getan?« beruhigte der Meister Schnödler nachträglich. »So ein Kerl, wie die Frau Valtinessin, die kann schon eine Sünd' mehr tun. Wozu wär' denn einer reich auf der Welt? Das ist noch immer nicht den Hals gebrochen. Nur nicht ängstlich, Frau Valtinessin. So eine kann gar nicht zu viel tun.«

»Ja,« meinte der Schmied, »das Zuvieltun ist andern Leuten ihre Sach'.«

Der Meister Schnödler sah den Morzenschmied an; er konnte nicht einig werden, ob der ihn meine. Aus Vorsicht für jeden Fall sagte er dann: »Keinen Tropfen, Meister Langgut. Der Tropfen, den ich heut getrunken hab . . .«

Er wollte sich eben eines hohen Schwures vermessen, aber die Valtinessin unterlief seine Zunge, indem sie feierlich warnend die Haube schwang. »Meister Schnödler! Aber was ist denn da in seinem Glas gewest?«

»Das ist Bier gewest, Frau Valtinessin. Wenn ich sag: Einen Tropfen, hernachen mein ich einen Bittern.«

Die Valtinessin sagte: »Ja, wenn Er's so meint!«

Der Schmied und die übrigen gingen. Der Meister Schnödler rannte die Valtinessin an. In seinem weißlichen Rock schien er mit ihr Nachtfalter und Pfingstrose spielen zu wollen. Es ergab sich aber, er hatte beabsichtigt, der Valtinessin etwas ins Ohr zu flüstern.

»Von wegen,« sagte er und zeigte auf die Ev', die eben hereintrat.

»Ev'!« rief die Valtinessin.

»Nu, wie ist's denn mit dem?« fragte die Ev' leichthin, als sie herangekommen war.

»Ja, so ein Kerl,« lachte der Meister Schnödler. »Das ist eine Lust, wenn so ein Kerl das Fieber hat! Die Frau Valtinessin, wollt' ich, kräg's einmal. Die sollt's herumreißen. Das ist noch lang nicht den Hals gebrochen. Nur nicht ängstlich, Frau Valtinessin. Wir wollen sie schon kriegen. Ja, wenn's ihn hat, da red't er von nix als der Heiterethei. Ich kann sie nicht los werden, schreit er. Da steckt sie fest. Jetzt ist sie da, jetzt da. Und deutet bald auf seinen Brustkasten, bald an seinen Schädel. Ein verwünschter Kerl, aber wir wollen ihn schon kriegen. Und wenn er einmal zu sich kommt, dann fragt er: Fräle, habt Ihr's richtig gemacht mit der Valtinessin? So ist er auf die Jungfer Ev' versessen.«

Die Gringelwirts-Ev' schien anderer Meinung. Aber: »Wenn ich ihn nur erst hab',« sagte sie zu sich. »Ich will sie ihm schon herausbringen.«

Der Meister Schnödler war innerlich der Meinung der Ev', wenn er es auch aus Galanterie oder sonst einem anderen Grunde nicht wollte merken lassen.

Der Valtinessin allein fiel es nicht ein, der Fritz könne Neigung zum König Pharao haben, oder es schien ihr nicht der Mühe wert, sich so etwas einfallen zu lassen.

»Und das Fräle?« fragte die Ev', und ein liebevoller Zug um den Mund sagte, sie brauche eigentlich gar nicht zu fragen.

»Sie will's absolut nicht, daß ich's in Ordnung bring. Das ist ein Kerl! Aber ich will ihn schon kriegen. Wenn's eine Mäd zu dingen gält', meint sie, das könnt' ich verrichten. Aber zu einem Kerl, wie die Frau Valtinessin, da müßt' sie selber kommen. Und das geschäh', so wie sie's nicht mehr in den Beinen hätt', daß sie den Schloßberg könnt' steigen. Und weiter sagen soll ich nix. Der Fritz wär' ein Wunderlicher. Wenn die Leut' sagten: Er freit den Kerl – die Gringelwirts-Ev', da könnt' er aus Trotz die Heiterethei noch nehmen.«

»Hm!« dachte die Gringelwirts-Ev'. Das Mordmädle erriet richtig, daß das Holders-Fräle sie nicht haben wollte. Sie dachte: »Wenn's nur erst fertig ist, der will ich's schon eintränken.«

»Ich meint', er wär' selber alt genug,« sagte sie, »und könnt' schicken, wen er wollt'. Die Alte kann mich nicht erriechen. Meinetwegen. Sie kann ihn zusammentun mit dem rohen Ding da unten und kann sie noch in Baumwollen einwickeln bis über ihr unverschämtes Gesicht. Wenn's einer machen tät', einen großen Kuppelpelz kräg' er nicht von mir.«

Der Meister Schnödler verstand wohl, daß das hieß: »der kräg' einen großen Kuppelpelz von mir.«

Er schmachtete sie an und sagte: »Ein Schieferdecker, der den Hals gebrochen hat, das ist noch ein ganz anderer Kerl, als das Holders-Fräle.«

Aber die Valtinessin schwang ihre Haube, so daß diese auf ihrem Wege einen Strich durch die Rechnung der Tochter zu machen schien.

»Das Holders-Fräle hat recht. So einen schickt man nicht zu der Gringelwirts-Valtinessin,« sagte sie, »in solcher Sach'. Das Holders-Fräle weiß, wie man eine große Frau zu respektieren hat. Und es wird ihr schon aus den Beinen herauskommen, daß sie den Schloßberg kann ersteigen. Hier sitz' ich und sag': Der Gringel wirft sein Mordmädle niemand an den Kopf.«

Das Mordmädle griff nach einer Flasche, darauf geschrieben stand: »Spanisch Bitter«, und schenkte dem Meister Schnödler unverlangt zweimal nacheinander davon in ein Glas. Sie verweigerte die Bezahlung hinter dem Rücken ihrer Mutter und sagte: »Der Meister Schnödler braucht sich mit der Sach' nicht weiter unnütz zu beschweren. Wie meine Mutter meint, so mein ich auch.«

Der Meister Schnödler verstand; er nickte der Ev' mit lachendem Gesicht zu und gab, nach der Valtinessin hindeutend, zu verstehen: »Ein verwünschter Kerl, die Frau Valtinessin! Aber wir wollen sie schon kriegen.«

Der Meister ging, und die Valtinessin wandte sich zu der Annemarie, die eben den blauen Mantel umnahm und auch gehen wollte.

»Ja,« sagte sie, »Annemarie, wär' der gerecht' Zorn der großen Weiber nicht gewest, ganz Luckenbach hätt' mit dem König Pharao müssen ersaufen. Und wären wir noch anders aufgetreten, so wär' vielleicht der ganz' Regen nicht gewest. Was denkt sich die Annemarie dabei?«

»Ach,« sagte die Annemarie; »aber was meint die Frau Valtinessin nur? So würd' ich mir doch das nicht zu schulden kommen lassen. Und wenn's zehnmal sich für arme Leut' schicken tat', daß sie was denken täten dabei, was die Frau Valtinessin sagt. Und die Frau Valtinessin weiß es schon einzurichten, wenn sie was sagt, daß nix dabei zu denken ist. Und wenn's sein könnt'; in der Frau Valtinessin ihrem Beisein mich's zu unterstehn, das wär' mir ja noch immer viel zu niederträchtig. Ja, wer so reich ist, wie die Frau Valtinessin, und ist am Gründonnerstag Sechzig gewest!«

»Die Annemarie ist eine recht vernünftige Person für ihre Umständ',« genehmigte die Valtinessin dieses Ersterben in Demut, »drum hat der Herr sie auch so sichtbarlich mit seinem Arm behüt't. Und an dem Exempel da kann sie's ersehen, daß der liebe Gott die Welt nicht so in den Tag hinein hat erschaffen, sondern hat sich was dabei gedacht, warum er reiche Leut' und arme Leut' hat erschaffen.«

Die Valtinessin dachte, als sie die Rächerhand des Himmels feierte, nicht daran, daß sie noch vor kurzem den Unfall des Holders-Fritz ebenso bestimmt den Gästen des Gringels als ein solches Strafgericht verkündet hatte.

Dennoch schien sie recht zu haben. Denn kaum war die Rache des Himmels an dem Häuschen der Heiterethei so weit vollzogen, als wir geschildert haben, und schon machte sich ein Morgenwind auf, dem weiteren Regen zu steuern.

»Ja,« sagte die Valtinessin, als zum erstenmal wieder das blaue Auge des Himmels durch die grauen Regenwimpern sah, »das ist sichtbarlich. Ordentlich gewart't hat der Wind, daß er nicht eher losgebrochen, bis das Strafgericht ist vollend't gewest. Und daß er nicht hat müssen warten, bis das Häusle ganz verstört wär' gewest, daraus kann man ersehen, daß der Himmel den König Pharao nicht hat ganz wollen vertilgen, sondern hat ihn nur wollen demütigen und hat ihn durch Demütigung zum Rechten wollen führen. Und wenn der lieb' Gott so was vorhat, so sollen die Menschen behilflich sein. Und was mich anbetrifft, hier sitz' ich und sag': was ich kann tun, daß der König Pharao wird gebessert, das soll ehrlich und getreulich geschehn.«

So triumphierte die Valtinessin in der Seele des Schicksals und faßte den Entschluß, ihm zum Besten der Heiterethei unter die Arme zu greifen.

Die alte Annemarie dagegen in ihrem Taubenschlag – denn als solcher hatte ihre neue Wohnung früher gedient – war zwar stolz auf die unmittelbare Gnade des Himmels, aber heimlich mußte sie doch über das Schicksal des alten Häuschens und die Verstocktheit und Lieblosigkeit des Königs Pharao weinen.

Sie konnte sich nicht eingewöhnen, weder in die neue Gunst, die doch ihr Stolz war, noch in ihren Taubenschlag, das sie beides allein genießen mußte. Im dicksten Regen wandelte ihr alter blauer Mantel, wenn es dämmerte, scheuen Schrittes wie ein Gespenst um die Stätte früherer Traulichkeit. Es war, als müßte das Häuslein seinen Lauerer haben. Seit der Fritz diese Stelle niedergelegt hatte, versah die alte Annemarie ihre Obliegenheiten. Dabei marterte sie ihren alten grauen Kopf, nachträglich noch auszudenken, wie alles hätte so ganz anders werden müssen, hätte die Heiterethei ihr nur gefolgt. Und wunderbarerweise tat sie das in den vornehmsten und verbindlichsten Redewendungen, die sie der Valtinessin und der Weberin abgelauscht. So hatte sie ja immer die Neiger gemacht, die eigentlich die Heiterethei hätte machen müssen, und jetzt war es, als könne sie noch rückwirkend alles gutmachen, wenn sie die Artigkeit, durch deren Mangel die Heiterethei ihr Unglück verschuldet, nachträglich für sie ersetzte. Und so oft sie in ihrer Erinnerung auf den Grund des Papiers hinabtauchte, in welchem die Abschiedsbrezel untergegangen war, schluchzte sie wiederum mit schmerzlichem Vorwurf: »Wenn sie nur wen'gstens hätt' gesagt, ich wollt' lieber, ihr bliebt! Aber die –! Nicht einmal den einzigen Neiger hat sie mir noch zulieb' getan vor meinem End'.«

Der Morgenwind aber, wie anders wurde er heut vom ganzen Städtchen begrüßt, als wenn er in der Zeit der Kornblüte zu Besuch kam! So angenehm hätte nicht die Milde des süßesten Westlüftchens geschienen, als das rauhe Wesen des alten trockenen Gesellen.

Denn rauh und streng mußte er sein, um all das heruntergekommene Wolkengesindel, das wochenlang mit strotzenden Wasserbäuchen von Abend hergekommen war, wieder dahin zurückzujagen. Unter seinem zornigen Schnauben raffte es sich zusammen aus seiner Zerfahrenheit und floh zurück nach seiner Heimat, dem alten Meer. Was davon zurückgeblieben war, als er sich zum Ruhen legte nach der schweren Arbeit, das hing hoch wie schneeweiße Baumwollenrocken am blauen Himmel. Da spann es die Sonne ab in langen zarten Fäden mit rosiger Hand.

Wie war das nun ein ander Leben, als aus dem zerborstenen Leibe des Grau all' die Farben wieder erstanden, die es verschlungen hatte! Wie Scharlachspinnchen auf grünem Papier rannten auf den grünen Wiesen die roten Unterröcke durcheinander, dazwischen dunkle Jacken und Beinkleider wie schwarze Käferchen oder wie lebendig gewordene Tintenkleckse. Wie vorher der Regen vom Himmel zur Erde gefallen, so in tausend Strömen stieg jetzt der Heuduft von der Erde zum Himmel hinauf. An Statt des grauen Regenplätscherns erklangen unermüdlich die buntesten Vogelstimmen. So verlassen hatten noch nie der Webstuhl und die Brücke gestanden in der dumpfigen Stube, die Schere gehangen und die Säge am alten langweiligen Nagel. Wer Sense oder Rechen zu führen wußte, konnte schwitzen ohne Holundertee. Kein Paar gesunder Arme blieb in dem Städtchen zurück.

Und doch eins, und vielleicht das gesundeste, regte sich nicht in der freien Luft, wo es hingehörte. Freilich war das Häuschen, in dem es stak, dank den Anstrengungen des Regens luftig genug geworden, luftig bis fast zur Durchsichtigkeit.

Die Heiterethei hätte sich beim Ein- und Ausgehen das Türöffnen ersparen können. Es war fast komisch, daß sie nicht neben der Tür durch die Wand ging. Die hätte sie nicht erst zu öffnen gebraucht. Ja, sie schloß die Tür sorgfältiger als je, wennschon sie nicht weiter als nach ihrem Gärtchen ging, das, etwa hundert Quadratfuß groß, über dem Schloßweg drüben, ihrem Häuschen gegenüberlag. Und wenn sie dies jetzt mit noch leichteren Schritten und aufgerichteten Hauptes tat und dabei ein lustigeres Liedchen sang, als je zuvor, so sah man wohl, daß es aus Trotz gegen den Spott der Vorübergehenden geschah.

Wäre sie neben der Tür durch die Lücke gegangen, so hätte sie diese förmlich anerkannt, und den Triumph darüber gönnte sie den Spöttern nicht.

Selbst ihr Zurückziehen bei Tag in ihr unversehrtes Schlafgemach hätte sie als ein Zugeständnis angesehen, durch welches erst der Zustand ihres Häuschens eine feste Tatsache geworden wäre. So saß sie den ganzen Tag über, da niemand ihrer begehrte, allen Vorübergehenden sichtbar an ihrem Tische. Aber sie schien niemand zu sehen; für sie war keine Lücke in der Wand.

Das war ein rechtes Fest für alle Spottmäuler des Städtchens. Jeder suchte der notwendigen Arbeit wenigstens so viel Zeit abzustehlen, als er brauchte, die Heiterethei so dasitzen zu sehen, und irgendeinem Nachbar oder Gevatter eine Bemerkung zuzuflüstern, eben noch laut genug, um von der Heiterethei selber verstanden zu werden. Aber nur, wenn sie etwa in der Tür stand oder durch das eine übriggebliebene Fenster sah, nahm sie von dergleichen Notiz. Dann hatte sie, ohne irgendein Zugeständnis in Rücksicht des delikaten Punktes zu machen, auf jedes Wort der Spötter ein frisches Lachen und eine witzigere Antwort.

Nachts in dem kleinen Kämmerchen war's freilich anders. Zunächst half ihr's noch, daß sie sich erst an das Bewußtsein gewöhnen mußte, nicht mehr jedem Vorübergehenden sichtbar zu sein, und jedes Geräusch rief augenblicklich ihren ganzen Trotz wieder wach. Aber wenn nun so lange draußen alles still gewesen war und ihr Stolz die unnötige Wacht endlich aufgegeben hatte, dann erlag die müde Seele dem Drucke der Gegenwart und dem Drohen der Zukunft.

Dann zeigte sich aber auch, wie sehr zu ihrem Glück der Gedanke an den Fritz ein so unzertrennlicher Gefährte ihrer einsamen Stunden geworden war; und wiederum wurde er dies dadurch noch immer mehr.

Als einmal die Heiterethei aus dem kurzen, erst spät gekommenen Schlaf erwachte und den Tag im Anbrechen fand, und doch den Wiederschein seines ersten Strahles aus ihrem kleinen Spiegel vermißte, da trieb der fast verdorrte Baum ihrer Hoffnung neue Knospen. Schnell sprang sie aus dem Bette, und wirklich! sie sah den ganzen Himmel umzogen von grauem Gewölk. Dazu flogen die Schwalben hastiger als sonst und so niedrig, daß sie fast das Wasser des Baches berührten. »Nu werden sie doch müssen kommen,« lachte sie in sich hinein. »Das viele Heu, das noch draußen liegt! Und so ein Gewitter vor der Sonn' kommt jederzeit vor Abend wieder. Das weiß alle Welt. Wird nicht lang' dauern, so werd' ich geholt; aber hernachen tu ich gewiß nicht, als wär' mir viel dran gelegen. Und bin ich einmal wieder dabei gewest, hernachen ist mir nicht bang. Wenn sie nur einmal wieder gesehn haben, was ich ermachen kann.«

So schnell war sie nie fertig geworden mit Anziehen und Waschen. Sie hatte ihren leichtesten Rock angetan, um recht ausbündig schaffen zu können. Und bald pochte es auch, erst einmal, dann wieder und wieder, aber es war immer einer und derselbe, der gepocht hatte; es war kein Bote, der zur Arbeit rief; es war nur der alte Holunder. Von einem so wertgehaltenen Freunde wahrlich ein schlechter Spaß! Sie war nahe daran, zu glauben, auch den alten Busch hätten ihr die Weiber verhetzt. Und je höher die Sonne stieg, desto ruhiger und höher über der Erde flogen die Schwalben. Die Waldberge tranken so gierig die Wolken ein, daß bald der blaue Grund ihres Bechers durchschien. Jetzt war er leer, und seine Ränder liefen von jenem eigenen graurötlichen Dufte an, den man den Herauch nennt und der dauernde Trockne prophezeit.

Der Heiterethei Gedanken flogen nicht mit den Schwalben in die Höhe, ihr innerer Himmel umzog sich, wie der äußere sich aufklärte, und es fehlte nicht viel, so regneten ihre Augen.

Da näherte sich durch das Gras draußen schleichend ein schwerfälliger, hinkender Schritt. So viel war nun gewiß, der Schritt gehörte keinem jener Boten, die sie am frühen Morgen erwartet hatte. Seinen ganzen lebendigen Inhalt hatte das Städtchen auf die Wiesen hinausgeschüttet. Wer konnte es sein, der jetzt daher kam, dem Häuschen zu, als ein Dienstbote oder Lehrling, der, etwas Vergessenes nachzuholen, in die Stadt geschickt, sich unterwegs an dem Anblicke des Häuschens eine Schadenfreude machen wollte?

Im Nu war der Stolz der Heiterethei wieder oben; sie saß in straffer Haltung und sang ein lustiges Liedchen.

Jetzt hielt der Schritt dicht vor der Lücke in der Vorderwand an. Die Heiterethei tat nicht, als hörte sie den schweren Atem des nun Stillstehenden, sie sah nicht nach ihm um. Der Atem klang ihr wie der der Valtinessin; das Blut drängte sich nach den Augenbrauen, aber sie sang noch besser, als vorhin.

Draußen erklang nun ein Räuspern, aus dem Verwunderung und Unwille heraus zu hören war. Endlich sagte zürnend die Stimme der Reicker Wirtin: »Aber Mädle, bist du denn der Verzeihmirsgott? Was ist das für eine Aufführung da?«

Die Heiterethei verdroß in ihrer Gereiztheit der Ton, in dem die Frau das sagte. »Sie ist eben auch eine von den Großen, oder will's wenigstens sein,« dachte sie bei sich; »sie soll aber nicht denken, ich knie vor ihr nieder.« Dann rief sie laut, als wenn die Dotin durch die Lücke nicht das leiseste Wort hätte verstehen können. »Ist jemand da draußen vor der Tür?«

Diese Komödie verdroß wiederum die Dotin, die allerdings für eine große Frau gehalten und danach behandelt sein wollte. »Mit mir stellst du keine Faxen an,« sagte sie. »Du bist nicht der Mann danach.«

Trotzdem ging die Heiterethei erst ans Fenster und öffnete es auch noch mit großer Umständlichkeit. »Ihr seid's, Frau Dotin? Aber warum kommt Ihr nicht herein ins Häusle? Ich lass' das Fenster nicht gern auf; das Liesle hat's mit den Zähnen, und da kann's die Luft nicht vertragen. Und wenn das Fenster zu ist, kann man's nicht gut hören, wenn jemand draußen spricht.«

Die Reicker Wirtin schüttelte mit dem Kopf und dachte: »Sollt's mit der nicht richtig sein hinter der Stirn? Aber danach ist sie doch nie gewest, daß das mit dem Häusle sie so sehr hätt' sollen angreifen.« Sie wollte durch die Lücke hinein, da sie aber die Tür aufschließen hörte, meinte sie: »Wenn sie wirklich so ist, solchen Leuten muß man den Willen tun, sonst können sie einem was zufügen in ihrer Wut.«

Jetzt ging die Tür auf, und die Wirtin hinkte unwillkürlich einen Schritt rückwärts, als sie die Heiterethei so nahe vor sich stehen sah. Ihr fielen in dem Augenblick allerlei Geschichten von Verrückten ein. Als sie aber die Heiterethei genauer betrachtet und von verwirrtem Wesen, wenigstens von den Anzeichen eines nahen Wutausbruches nichts gefunden hatte, hinkte sie hinter dem Mädchen in die Stube hinein.

»Guten Tag herein,« sagte sie dann; »wenn man dir nämlich was Guts zu wünschen braucht. Deinem Gesicht nach sollt' man meinen, es wär' nicht nötig.«

»Ach,« entgegnete die Heiterethei lustig. »Gut's kann man immer brauchen. Und wenn man gleich keiner ist von denen, die nix genug können kriegen. Aber Ihr fürcht't Euch wohl gar vor mir?«

»Du denkst, du bist die einzig', die sich vor gar nix fürcht't,« lachte die Wirtin in ihrer Erleichterung. Denn sie sah wohl, die Heiterethei war noch ganz die alte. Indem sie sich in dem Stübchen umsah, ärgerte sie sich wiederum, wenn auch in anderer Meinung, darüber, daß die Heiterethei nach solchen Erlebnissen und Taten doch die alte sein konnte. Drum fuhr sie fort, und nicht mehr im Tone des Scherzes: »Aber nu läßt du mir deine Faxen. Ich bin da, ein ernsthaft Wort mit dir zu reden. Aber ich kann auch fortgehen ohne das, das sag' ich dir.«

Die Dotin setzte sich auf die Ofenbank und legte ein Bündel, das sie mitgebracht, vor sich auf den Tisch. Die Heiterethei holte ihren Stuhl vom Fenster und nahm der Dotin gegenüber Platz.

Die Dotin zog ihre Brille aus dem Busentuch; das gehörte zu den nötigen Vorbereitungen, wenn sie jemandem eine Predigt halten wollte. Dann strich sie die Schürze glatt, lehnte sich hintenüber, setzte die Brille auf und begann: »Aber Mädle! Mädle! was machst du mir da für Ding'! Rennst den Holders-Fritz vom Steg, weil er dich nicht will frein, und wie dir die großen Weiber deine Unart verweisen, bist du noch so unsinnig und jagst sie aus dem Häusle!«

»Weil er mich nicht will frein?« unterbrach sie die Heiterethei zornig. Die Wirtin nahm die Brille ab, wie jederzeit, so lange sie nicht selber sprach. Die Heiterethei aber fuhr fort: »Das habt Ihr Euch weis lassen machen und hättet doch daran sehen sollen, was zu Euern großen Weibern ist. Und sie sollen erst an ihre eigene Unart denken, wie sie mir so lange in den Ohren haben gelegen, der Fritz paßt mir auf und wollt' mir was tun, bis ich's hab' geglaubt.«

»Das mög' sein,« entgegnete die Wirtin, nachdem sie die Brille wieder aufgesetzt hatte, »das mög' sein, wie's will. Und daran liegt auch nix, wie die Sach' ist gewest. Das Ding ist so: Du bist ein arm Mädle, und das sind große Weiber. Das ist die Sach', und nicht, wer schuld ist und wer nicht schuld ist. Denn Reden, siehste, das sind nur Wörter, und es kommt nix drauf an, was einer red't, sondern ob einer Geld hat und Sachen oder nicht. Und wenn, siehste, die Weiber den Fritz selber 'neingerennt hätten, das bleibt sich gleich; aber ein arm Mädle darf einer großen Frau nicht so kommen, wie du gekommen bist. Ich hab' mir's immer gedacht, daß das mit deinem Wesen einmal schlimm wird ablaufen. Armut und Hochmut, die führen zusammen eine schlechte Eh', und wird nicht gut, bis sie sich scheiden und die Armut freit die Modestigkeit. Der Hochmut hat dir alle Leut' erbittert und hätt' dir das Häusle eingerennt, hätt's auch nicht der Regen getan. Aber die Modestigkeit, siehste, wenn du die gehabt hätt'st, da wär' die Wand wieder zugewachsen, du hätt'st selber nicht gewußt, wie. Und wer weiß, was nicht noch kann werden, wenn du dich beizeit bekehrst! Drum gehst du heint noch herum und bitt'st den großen Weibern dein Unart ab. Die Valtinessin ist eine herzensgute Frau, wenn sie nicht einer mit Gewalt reizt, wie du's hast gemacht. Hernachen . . .«

Auf der Heiterethei Backen hatte schon während der ganzen Rede der Dotin ein weißer Druckflecken den andern gejagt; jetzt fiel sie jener in das Wort. »Ich dächt' auch, Ihr hättet noch ein Hernachen oder zwei. Das geht nun in einem hin, und wer einmal den Mund voll nimmt, da kommt's auf ein oder zwei Hernachen nicht an. Ich sag' Euch nur so viel: In meine Ohren geht nicht das Zehntel, als in Euren Mund.«

Die Wirtin setzte die Brille wieder auf und sagte ruhig: »Das ist deine Sach'. Mach' du, was du willst; hör' oder hör' nicht. Ich red', weil's meine Schuldigkeit ist, und es soll mir kein Mensch einmal nachsagen, ich hätt' meine Schuldigkeit nicht getan, und du selber nicht, wenn's dich einmal reut. Da mit dem Liesle, das wär recht gut und schön, was du an der tust, wenn du kein arm Mädle wärst, das genung für sich selber zu sorgen hat. Ich weiß, wem's ist, aber das wissen nicht alle Leut', und manchmal will einer nicht wissen, was er weiß. Und du denkst, du meinst's gut mit deiner Schwester, wenn du ihr die Ruten abnimmst, die sie sich aufgebunden hat? wenn du ihr die Sorg' abnimmst, die sie vernünftig machen könnt', besser als deine Reden, damit sie so leichtsinnig fort kann machen, wie sie angefangen hat?«

Die Heiterethei hatte unwillkürlich das Liesle, das eben vor ihr stand, mit beiden Armen umschlungen. Als die Dotin die Brille abnahm, wie um nicht zu sehen, was die Heiterethei auf ihre Reden sagen könnte, entgegnete diese mit leiserer Stimme, als gewöhnlich: »Ich red' nicht gern davon.« Und indem sie das Liesle auf ihren Schoß setzte, fuhr sie, mehr zu dieser, als zur Dotin gewandt, fort: »Es muß jeder seine Leut' kennen und muß wissen, ob das Elend sie nicht noch schlimmer kann machen, statt besser; und wenn eine schlimm wird, ist's besser, sie wird's allein, als daß sie noch ein anderes mit schlimm macht. Gelt, Liesle, wir bitten nix ab, wo uns die andern sollten abbitten, und auseinander bringt uns auch keiner, es müßt' denn der Totengräber sein. Und so ist's, und nu ist's fertig. Ihr habt mir auch noch gar nicht gesagt, Frau Dotin, was der Mann macht, den ich Euch hab' mitgebracht vom Gründer Markt? Wär's nur ein lebendiger gewest, der hätt' Euch aufgefressen, statt Ihr ihn. Und eine rote Nase hätt' er nunmehr auch von Eurem Bier.«

»Ja,« sagte die Wirtin, indem sie ihre Brille wiederum im Busentuch unterbrachte, »lernt einen Bär tanzen, er fällt doch wieder auf seine alle Vier'. Und wenn man denkt, du bist einmal vernünftig, da bist du geschwind mit deinen Faxen wieder dahinter her. So groß und stark du bist, so bist du doch nix, als ein pures Kind. Ich hab' dir gesagt: mach', was du willst; aber denk' nicht, daß du an mir einen Rückhalt haben willst, wenn du mir nicht folgst. Nicht, daß ich's mit den Weibern in der Stadt nicht möcht' verderben um deinetwegen; wiewohl ich nicht wüßt', warum ich das sollt' tun. Aber es soll auch nicht heißen, die Reicker Wirtin hat sie in ihrem Trotz bestärkt. Und nun will ich auch einmal sagen: und so ist's, und nu ist's fertig. Behüt' dich Gott!«

»Ja, wie Ihr's sagt, da klingt's auch nach was!« lachte die Heiterethei. Sie sah die Dotin ungewiß, ob sie durch die Lücke gehen solle, oder durch die Tür. Es ist eigen, daß man gern wieder durch den Eingang fortgeht, durch den man hereingekommen ist. Hätte nicht unbewußterweise auch die Reicker Wirtin diese Nötigung gefühlt, die Heiterethei wäre mit dem Türöffnen zu spät gekommen. Die Wirtin wartete darauf und schüttelte doch selber verwundert darüber den Kopf, und schüttelte ihn noch, als die Heiterethei sie nicht mehr sehen konnte.

Der Heiterethei war es nicht so ums Herz gewesen, als sie die Wirtin glauben machte, daß ihr wäre. Sie war vor dem Häuschen stehen geblieben, bis die Alte über die Strecke ihres Weges hinweggehinkt war, die sie durch eine Lücke in den Weiden hindurch sehen konnte. Die Dotin war die einzige, von der sie noch Teilnahme und Hilfe erwarten durfte gegen die Not, die mit schnellerem Schritte dem Häuschen zueilte, als die Alte sich davon entfernte. Mehr als einmal meinte sie, sie noch errufen zu müssen. Aber die Alte wäre auf ihrer Rede bestanden, und abbitten konnte sie nicht, wenn sie auch gewollt hätte.

Der Spott der am Abend auf der Heimkehr aus dem Heuen an ihrem Häuschen Vorbeikommenden hatte sie dann nur noch in ihrem Trotze bestärkt.

Waren das böse Nächte gewesen seither für die Heiterethei, so zeigte sich die heutige um nichts besser.

Die Not drohte näher, ihre Empfindlichkeit war gereizter, als je. Sie war nie erbitterter auf die Menschen gewesen, die so unbillig mit ihr verfuhren, und doch hatte sie nie dringender gefühlt, wie nötig sie dieselben hatte.

»Meinetwegen?« sagte sie, kummervoll aufsitzend im Bette, denn nichts verstärkt das Gefühl innerer Bedrängnis empfindlicher, als die äußere Hilflosigkeit der liegenden Stellung. »Meinetwegen? O, wenn ich allein wär', sie sollten mich zu nix zwingen, so lang's Wurzeln gibt auf den Wiesen und Wasser im Bach. Aber mit dem Liesle da, wo ich froh bin, daß ich's so aufgebracht hab mit Ziegenmilch und Tee! Und hätt' ich's nur wenigstens ermachen können, daß ich die Geis behalten hätt'! Und sie geben mir keine Milch auf Borg; ich muß froh sein, wenn ich für Geld welche krieg'. Und das ist nun auch alle. Aber abbitten tu ich doch nicht! Mich anbieten zur Ärbet, das will ich meinetwegen noch. Und ich weiß nicht, wie ich das anfangen soll, daß ich zu den Leuten soll sagen: Gebt mir Ärbet, wo sie sich vorher haben gerissen um mich. Ja, anbieten, das will ich noch tun um dem Liesle seinetwegen. Und das tu ich morgen; aber jetzt denk' ich nicht mehr dran. Die Gedanken machen einen desperat. Gut; lachen sie äußerlich, so lach' ich innerlich. Am End' müssen die Leut' sich schämen und nicht ich. Und tun sie das nicht, so tun sie was anders. Ich schlaf aber nun, und nun seid still, ihr Gedanken, ich sag's euch zum letztenmal, und so ist's, und nu ist's fertig!«

Dazu machte die Heiterethei eine entschiedene Wendung auf die Seite, um ihren Worten den Nachdruck der Gebärde zu leihen. Aber es schien vergebens. Der Schlaf, den sie gerufen, kam ihr nicht zu Hilfe. Instinktmäßig suchte sie nach einem Punkte, an den sich eine andere Gedankenreihe knüpfen ließe. Ihr Blick fiel auf das Händchen des Kindes, das im vollen Mondlicht auf der Decke neben ihr lag. Unwillkürlich fiel ihr ein, wie ihre Schwestern und Bettgenossinnen sich schon als Kinder gemüht, aus den Verzweigungen des Geäders auf dem Händerücken die Anfangsbuchstaben des Namens ihrer künftigen Männer herauszulesen. Sie selber hatte dann dieses Treiben verspottet; die Schwestern behaupteten, weil auf ihrer Hand nichts geschrieben stehe, so werde sie einmal gar keinen bekommen. Jetzt, wo ihr's darum zu tun war, nur nicht wieder in jene Gedanken zu geraten, tat sie, was sie damals nicht getan. Und seltsamerweise, als sie eben dieses Treibens halb sich vor sich selber schämen wollte, meinte sie, ganz leserlich ständen zwei verschlungene Schriftzüge auf ihrer Hand. Sie fühlte sich über und über erröten und wollte nicht wieder hinsehen; denn so keck und frisch vor den Leuten, so schamhaft war sie vor sich selbst.

Und wie nun das Liesle, plötzlich erwachend, die Pflegerin munter sah und nach seiner Weise mit ihr zu reden begann, da fürchtete sich die Heiterethei vor seinen klugen Augen. Es war, als wolle das Kind die Namen nennen, die sie eben entdeckt hatte. Sie wußte, daß das Kind noch kein Wort sprechen konnte, dennoch suchte sie es auf andere Gedanken zu bringen.

»Sei nicht dumm, Liesle,« sagte sie schnell, um ihr zuvorzukommen; »es ist ja nicht wahr. Der Mond guckt 'rein, ob du ein gut Kind bist und schläfst, und hernachen sagt er's seinen kleinen Brüderlen am Himmel. Guck', er ist schon auf dem Gringel da oben; da trinkt er erst eins, hernachen legt er sich nieder und schläft.«

Das Kind war schon wieder im Entschlummern und sank zurück. Und nun bedurfte es keiner Anstrengung mehr, sich der Sorgen von vorhin zu erwehren; denn es knüpfte sich eine Gedankenreihe an, die stark genug war, sich gegen jede andere zu behaupten.

Es war, als wenn die Heiterethei sich bei sich selber entschuldigen müßte, daß ein F. und ein H. auf ihrem Handrücken stand. Denn daß am Ende aus den Verschlingungen des Geäders zu lesen war, was man wollte, daran dachte sie in ihrer Unbefangenheit nicht.

»Dummes Zeug,« sagte sie zu ihrem Handrücken, »ich brauch' keinen Mann. Nicht den und auch einen andern nicht! Wenn ich was möcht', so wär's ein Bruder. Schön sein muß es doch, wenn man einen Menschen hat, dem man alles kann sagen. Ja, und zu einem Bruder, da ließ' ich mir meinetwegen den Holders-Fritz gefallen. Wenn er mein Bruder wär', und ich wohnt' bei ihm, wie wollt' ich ihm seine Sach' zusammenhalten! Da wollt' ich den ganzen Tag in seiner Werkstatt mit ihm sein und ihm helfen. Er sollt' nicht merken, daß er einen Finger weniger hat. Hernachen, wenn er nieder wär', da macht' ich Ordnung in der Werkstatt und scheuert' und macht', was zu machen wär'. Und wenn mir das Blut unter den Nägeln vorlief, ich wollt' nicht meinen, ich tät' zu viel. Zuerst müßt' er ein ordentlich Halstuch haben, denn das Krägeleszeug kann ich nicht leiden und die langen Quasten schnitt' ich gleich den ersten Tag von seiner Pfeifen. Rauchen möcht' er meinetwegen; es ist, als wenn's einmal zu einem Mannsbild gehört'. Und ohne Westen, wie ein Schlenkerles-Jörg, dürft' er mir auch nicht mehr auf die Gass'. Es ist ein Jammer, wenn so ein hübsch gewachsener Mensch so gar nix auf sich hält. Er ist der schönst' Bursch', den ich gesehen hab'. Aber die langen, wilden Haare, da weiß ich auch nicht, wozu das helfen soll; wird nur der Rockkragen schmutzig davon. Und sein Maß Bier den Tag, das wollt' ich ihm auch nicht verwehren. Das Geld freilich, das müßt' ich haben. Er ist die Guttat selber, und wenn er welch's hat, so haben's eigentlich andre Leut', und wo selber genug haben im Haus.«

So sinnt sie. Aber schon versagen ihr die Worte, bald auch die Gedanken vor Schläfrigkeit. Ihre Augen fallen zu. Kaum noch, daß sie hört, was zwei am Häuschen Vorübergehende eben sprechen.

Der eine sagt: »Ja, jetzt hat er eine tüchtige Frau notwendiger, denn zuvor, mit seinem gelähmten Finger.«

Die Heiterethei denkt im Einschlummern: »Die meinen den Fritz.«

»Und wenn die Ev' ist,« entgegnete der andere, »wie ihre Mutter, die Valtinessin! Das ist eine tüchtige. So eine könnt' ihn zusammenhalten.«

»Die Ev'« – denkt die Heiterethei noch, dann nichts mehr. Sie ist eingeschlafen.

Und wie lang' schläft sie das mal! Als sie erwacht, ist's schon hoher Tag.

Sie hört reden in der Stube. Sind die dummen Weiber doch wieder da? Aber sie hat keine Zeit, sich zu verwundern; sie hört des Walkmüllers-Gretle drinnen sagen: »Die Heiterethei soll aber gleich kommen. Heint muß die Ulrichswiesen noch 'rein.« Sie zieht sich eilend an, während die Valtinessin dem Gretle antwortet. »Jetzt schlägt die Valtinessin auf ihre Knie,« denkt die Heiterethei, »und nun geht's los. Richtig!«

»Denn obschon mein Vater seliger ein Weber ist gewest, hier sitz' ich und sag': sie wird gleich kommen, das Annedorle.«

»Denn warum?« fügte die Schreinerin hinzu, »sie will ja noch auf der Ev' ihre Hochzeit.«

»Aber daß das Annedorle sich in acht nimmt!« sagte die Schmiedin. »Er hat schon wieder ein Beil bei Mein'm bestellt.«

»Dummes Zeug!« sagt sie selber, nämlich die Heiterethei. »Ich fürcht' mich vor zehn solchen nicht.« Dabei wunderte sie sich über sich selber .und denkt: Das ist ja eigentlich alles lange vorbei.

Aber schon ist sie draußen und wundert sich wiederum, daß sie den Schiebkarren mit sich führt. Den braucht sie doch eigentlich nicht. Und sie ist auch schon weit über des Walkmüllers Ulrichswiese hinaus. Sie ist schon im Ulrichsholze; sie fährt schon wieder heimwärts. Sie hört noch den Karren der Bäuerin mit den weißen Bündeln hinter sich. Die Tannennadeln duften so stark, es nimmt ihr fast den Atem. Da tritt auf einmal der Fritz hinter einem Baum hervor, aber nicht im Ulrichsholz, sondern in ihrem Gärtchen drüben über dem Schloßweg.

Er nimmt sie bei der Hand. Sie hat den Schiebkarren nicht mehr.

»Laß mich los,« sagte sie; »ich hab' gern meine Hand' frei.«

Sie sieht ihm ins Gesicht; das ist blaß, aber so gut, daß es ihr in der Seele weh tut. Und was ist das auch für ein Blick, mit dem er sie ansieht! Sie denkt: »Wenn ich immer so dastünd', und er säh' mich immer so an!«

»Gelt,« sagt sie zu ihm, »du hast mich gewollt? Du hast dir kein Beil bestellt? Ich hab' ja auch immerfort gedacht, du sollst mich nehmen, damit dein' Sach' gut gehalten wird. Das ich so bei dir könnt' stehn und könnt' dir das selber sagen, das hätt' ich mir nimmermehr eingebild't, und es wundert mich noch, indem ich's zu dir sag'. Aber daß du nun die Ev' willst frein!«

»Ja,« sagt der Fritz und sieht sie immerfort dabei an, »das ist freilich schrecklich schlimm! Aber das Fräle hat einmal ihre Laden zugemacht, da kann das Zeug zum Brauthemd nicht mehr wieder hineingetan werden. Ja, da ist's nun nicht mehr zu ändern.«

Das begreift die Heiterethei. »Wenn's so ist,« meint sie traurig, »da ist's freilich zu spät. Aber halt' mich nicht so närrisch bei der Hand!«

»Tut dir's weh? Ja, ich bin stark. Ich bin der wilde Fritz.«

»Deswegen? Und wenn du noch zehnmal stärker wärst, vor dir fürcht' ich mich noch nicht. Aber die Flämmle, die aus deinen Fingerspitzen kommen und schlängeln so heiß den ganzen Arm herauf bis ins Herz. Mir ist Angst, die tun mir was dran. Es pocht auch so sehr; ich kann kaum Atem kriegen! Und sieh mich auch nicht mehr so an, ich kann's nicht mehr erleiden. Ach Gott, Fritz, was willst du mit der Gringelwirts-Ev'? Guck', so eine ist nix für dich. Du kannst keine brauchen, als mich. Hätt' ich dich doch nicht vom Steg gerennt; nun denkst du, ich mag dich nicht. Du meinst, weil sie ein hübsch Gesichtle hat? Und es ist nicht einmal so hübsch. Nein, hübsch ist's gar auf der Welt nicht, der Gringelwirts-Ev' ihr Gesicht! Wenn ich mir denk', wie's einmal aussehen soll bei dir, wenn die einmal ein ganz Jahr den Schmutz unter den Schränken hat liegen lassen. So ist ihre Mode; sie kehrt nix weg, als was von selber geht. Du denkst, ihre Leut' haben Geld; aber sie haben auch Kinder genug; und, wer weiß, leben sie noch wie lang! Ach, du weißt nicht, Fritz, wie leid du mir tust! Und dein Handwerkszeug! Wenn ich nur wüßt', ob dein Stadel wieder offen ständ'. Das wird sie hin- und herwerfen, aus einer Ecken in die ander', wie sie's macht. So ging ich hin, damit's säh', wie's mich dauert. Aber ich sag' dir's noch einmal, laß mich los! So um die Achsel laß ich mich nicht angreifen. So leid ich's von meiner Schwester nicht, geschweig' von einem Mannsbild! Wer weiß, was ich sonst tu. Ach Gott, ich weiß nicht, wie mir's ist! So ist mir's mein Lebtag nimmermehr gewest. So müßt's im Himmel sein, wenn nicht die Angst dabei wär'!«

»Vor was denn?«

»Ja, das weiß ich nicht.«

»Wenn nun das Liesle da im Bett dein Kind wär', oder du hätt'st ein ander' Kind, aber es wär' dein?«

»Aber das von deinem Fräle gefällt mir nicht, daß sie nur ein Bein hat. Da kann sie nicht in den Himmel kommen; das geht hoch hinauf.«

»So?« sagt der Fritz. »Hat sie nur eins? Das hab' ich nicht gewußt. Aber sie kann besser damit laufen, als andere mit zwei.«

»Das ist alles so närrisch,« meint die Heiterethei. »Aber so närrisch' Zeug hab' ich ja die ganz' Zeit erlebt. Und warum soll ich das nicht glauben? Hab' ich doch das ander' geglaubt.«

»Aber da kommt gar der Holunderbusch an mein'm Häusle. Wo der nur dem alten Schramm seinen roten Kirchenfrack her hat gekriegt! Und er bringt die Valtinessin geführt. Wie die geputzt ist! Das ist auch noch nicht passiert, daß eine alte Frau bei ihrer Tochter ist Brautjungfer gewest. Ach, nimm sie nicht, Fritz! Nimm sie nicht, die Gringelwirts-Ev'! Und laß mich los, sonst muß ich dich ja drücken, bis du tot wirst, und hernachen kannst du die Gringelwirts-Ev' nicht frein.«

»Drück mich tot! Drück mich tot!« sagt der Fritz, umschlingt sie und legt seinen Mund auf ihren.

»Laß mich los,« ruft sie zornig und hält ihn doch selber fest. Da wallt ihr der Stolz und die Scham mit einem Druck vom Herzen ins Gesicht. Sie gibt ihm einen Stoß, daß er weit fortgeschleudert wird, wie damals vom Ulrichssteg; daß sie selber gegen einen Baum fällt mit dem Kopf.

Wie hat der Baum eine kalte Rinde! Und es ist fast, als wär's gar kein Baum, als wär's eine Kalkwand. Sie tastet daran herum, denn es ist plötzlich Nacht geworden; nur ein kleiner viereckiger Raum dort gegenüber ist etwas heller! sonst ist die ganze Gegend finster um den Garten herum.

Ja, es ist eine Wand, an der sie sitzend lehnt. Der Boden unter ihr ist weich, wie ein Bett. Neben sich hört sie einen leisen Atem. Sie fühlt, sie ist im bloßen Hemde. Die Scham brennt ihr immer heißer im Gesicht. Der Fritz hat sie geküßt! Und wie hat sie mit ihm geredet! War sie denn das selber? So kann sie ja nicht gesprochen haben! Von einem Manne kann sie sich ja nicht haben küssen lassen! Aber sie fühlt noch den Druck, mit dem sie ihn an sich preßte, an ihrer Brust. Sie fühlte seine Wärme noch auf ihrem Munde, das Gefühl noch, das sie vorher nicht gekannt, in ihrem Herzen.

Und doch gehört der leise Atem neben ihr dem Liesle. Der viereckige Raum, der etwas heller erscheint, als die übrige Umgebung, ist ihr Kammerfenster. Sie sitzt in ihrem Bette. Es kann doch wohl noch gar nicht wieder Tag gewesen sein, seit sie zum letztenmal einschlief. Ob das ein Traum gewesen ist? Ja, so hat sie sich das Träumen immer gedacht, daß man tun und leiden müßte, was man wachend nicht täte und nicht litte.

Wie wär' das gut! Da wär' auch das nicht wirklich, daß der Fritz die Gringelwirts-Ev' freite. Denn das könnte sie nicht ertragen. Aber auch, daß er sie, die Heiterethei, lieber hätte, war dann nur ein Traum. Und das muß sie wiederum schmerzen.

Wenn sie von neuem einschliefe, träumte sie vielleicht so fort, und die seltsame Angst, die sie noch wachend fühlte, würde noch größer, und wer weiß, was sie noch täte im Traum! Und ihr Gesicht brennt noch über das, was sie schon getan. Was muß der Fritz denken von ihr? Was werden die Weiber nun erst reden!

Sie weint vor Entrüstung über sich selbst, daß sie die Gefühle nicht wieder los werden kann, ja nicht los werden möchte, um alles nicht!

»Ich will nichts vom Fritz,« sagte sie laut. »Mag er die Gringelwirts-Ev' frein. Ich mag ihn nicht! Ich mag keinen! Und so ist's, und nu ist's fertig.« Sie kann sich zwingen, so zu reden, aber nicht, daß sie so fühlt, wie sie spricht. Sie wird aus sich selber nicht klug. Immer wieder verwechselt sie Traum und Wirklichkeit. Sie weiß nicht, wo der eine aufhört und die andere beginnt.

Sie sieht aus dem Fenster, um sich zu kühlen; die Luft scheint ihr so heiß, als ihr Gesicht.

»Wenn ich baden ging',« sagte sie zu sich, »dann müßt's anders werden.

Das Liesle, das weiß sie, wacht vor dem Morgen nicht wieder auf. Sie zieht sich an. Denkt sie ihrer Empfindungen, wie der Fritz gefragt: »Wenn du ein ander Kind hättest, aber es wär' dein?« da schmerzt sie das in der Seele des kleinen Liesle, als hätte sie's verleugnen wollen. Sie bittet's der Schlafenden ab. Dann eilt sie dem Bade zu.

Und wie sie nun an der heimlichen Stelle steht, wo sie so oft um diese Nachtzeit gebadet, da kann sie's nicht über sich gewinnen, nur das Halstuch abzulegen. Sonst entkleidete sie sich so unbefangen wie ein Kind und stürzte sich in die kühle Flut. Und nun – sie weiß es, es sieht sie niemand –, dennoch kann sie sich nicht entkleiden. Sie schämt sich vor den Bäumen, vor dem Himmel, vor dem Wasser, vor der Nacht und vor sich selbst.

Hat sie denn etwas Böses getan?

Denkt sie der Gringelwirts-Ev', so schnürt's ihr die Seele zu. Da steht sie; die vertraute Tiefe lockt sie mit tausend heimlichen Lauten, sich hineinzustürzen, wie sie geht. Ein leiser Windstoß erschreckt sie; erst sucht sie sich in sich selber zu verstecken, dann flieht sie heimwärts wie ein scheues Reh.

Hat sie der erste Traum so ganz geändert? Sonst fürchtete sie niemanden. Aber es ist auch nicht die Furcht vor fremder Stärke; die Furcht vor der eigenen Schwäche ist's. Und diese hat sie noch vor einer Stunde nicht gekannt.

Das erste Rot des jungen Morgens glüht ihr aus dem kleinen zerbrochenen Spiegel entgegen, als sie, heimgekehrt, atemlos wieder in ihre Schlafkammer tritt. Sie sieht nach dem Kinde. Das war doch aufgewacht während ihrer Abwesenheit. Es hatte sich aufgesetzt und geweint; das fühlte sie an der Bettdecke, wo sein Köpfchen lag; dann war es, im Sitzen wieder entschlummernd, mit dem Oberleibe nach vorn gesunken. Ihr war's, als könnte das Liesle über nichts geweint haben, als über sie selber. Sie kniete an das Bett hin und schlang den einen Arm leise um das Kind.

»Glaub' mir's doch nur, Liesle,« sagte sie zu der Schlafenden, aber flüsternd, um sie nicht zu wecken, »ich lass' dich gewiß nicht, so lang ich lebe. Ich brauch' kein Kind weiter, als dich. Und ich werd' auch gewiß nicht schlecht. So was, wie vorhin, tu ich gewiß nicht, wenn ich bei mir bin, das glaub' mir nur, Liesle; und die Mutter selig vom Himmel wird helfen, daß ich's auch nicht im Traum wieder muß tun.«


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