Otto Ludwig
Die Heiterethei und ihr Widerspiel
Otto Ludwig

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Den andern Abend saß der Morzenschmied ganz still im »Gringel«. Er hatte sich beiseite gemacht und schien wenig von dem zu hören, was gesprochen wurde. Es galt dies dem Holders-Fritz; man wollte wissen, er sei krank. Der Morzenschmied meinte: »Ja, einen Schnupfen mag er schon gekriegt haben davon.« Dann kroch er ganz in sich hinein und versank völlig in die Betrachtung seiner Pfeife. Er hielt sie wieder und wieder einmal so nah vor seine Augen, als wär' er plötzlich kurzsichtig geworden. Dann kniff er die Augen auf die Weise zusammen, die nur ihm gehörte, bis sie ganz schief zu stehen schienen, und immer öfter meldeten sich Anwandlungen des eigenen Schluchzens, das wir schon an ihm kennen.

Endlich erhob er sich, lange vor seiner gewöhnlichen Aufbruchszeit, bezahlte schweigend und duchste hinaus.

Ebenso duchsig trat er daheim in die Stube. Ein unmerkbar flüchtiger Blick zeigte ihm, daß seine Morzenschmiedin in der Ecke an der Wiege des Gottliebles saß. Sie nahm sich aus wie ein Pfahl, an den das Kind vielleicht gebunden war, damit kein Geier es wegtragen konnte.

Und nun dehnte sich sein vorher ganz zusammengeschobenes und gefaltetes Gesicht ebenso in die Länge. Wiederum fingerte er zitternd an der eben aufgehängten Jacke herum.

Die Schmiedin sah ihm eine Weile zu. Die Neugierde schraubte sie mit unsichtbarer Schraube immer höher vom Stuhle empor; es kostete Mühe, das Gleichgewicht zu erhalten. Das Gottlieble war nie so langsam eingeschlafen, als diesen Abend. Als es endlich doch geschehen, stand sie mit zwei Schritten hinter dem Schmied und fragte: »Aber was ist denn? Was hast du nur wieder einmal?«

»Du bist da?« gegenfragte der Schmied über seine Schulter. Dann, indem er sich wandte: »Hast du denn auch Tee genug daheim für die Nacht?«

»Wie kommst du auf den Tee, Morzenschmied? Hast's etwa wieder einmal in der Achsel? Ach, deinen Schlucker hast du einmal wieder!«

Der Morzenschmied antwortete nicht, sondern sagte wie zu sich selbst: »Ich bin nur froh, daß ich froh bin.« Dann wandte er sich zu der Schmiedin: »Ich sag' dir, es gibt nix Gescheiter's auf der Welt, als wenn einer so eine gescheite Frau hat wie ich. So gut ist heut nicht ein jeder dran. Ja, ja. Das wird eine schöne Geschicht'! Ich hab's mir gedacht, was mit der Wachtstuben noch müßt' herauskommen. Na, wir beiden können lachen. Aber die daran schuld sind! Ja, du weißt's wohl noch gar nicht? Die Heiterethei hat den Holders-Fritz vom Steg gerennt. Und ich möcht' nicht unter denen sein, die ihr so lang' haben angst gemacht, bis sie desperat ist geworden.«

»Die Heiterethei hat ihn hineingerennt? Aber er lebt ja noch, und es ist gar so gefährlich nicht mit dein Holders-Fritz. Das Holders-Fräle selber hat mir's gesagt.«

»Ja,« sagte der Schmied, »daß er noch lebt, das ist nicht denen ihre Schuld; das Gericht sieht darauf, wie's hätt' können werden. So steht's im Gesetz. Sie hat ihn doch in den Bach gerennt, daß er sollt' ertrinken, und dazu haben sie die verrückten Wachtstubenweiber gebracht. Sie haben ihr weisgemacht, der Fritz hätt' ein Beil bei mir bestellt, und was noch sonst für dummes Zeug.«

»Ja, hast du's denn nicht selber gesagt?« fuhr die Schmiedin auf, wild vor Angst. »Und nu sollen's die armen Weiber, du greulicher Mann?«

Der Schmied schien die Rede seiner Frau für einen Ausbruch von Heiterkeit zu nehmen. »Ja, wir beide können lachen,« fuhr er fort. »Ich hab' freilich auch so was gedacht, aber Denken ist ein andrer Mann, wie Sagen. Und der Morzenschmied ist kein Esel seines Namens, daß er so schrecklich gefährliche Ding' auf den Markt ausschreit, ich hab's niemand gesagt, als dir, Lene; und hab' dir das Weitersagen obendrein verboten. Sag' nix, ich weiß ja, das war unnötig. Du bist das vernünftigst' Weib in der Stadt und verbrennst dir von selber nicht die Finger. Weil ich so hab' gesehn, wie die andern Manner in Angst sind gewest, da hab' ich erst gemerkt, was ich an dir hab'. Und da hab' ich dir ein ganz Päckle Aniskuchen vom dicken Semmelbeck mit bracht, weil du die so gern ißt. Freilich, Lene, ich weiß ja, dir hätten sie mit glühenden Zangen nix davon abgezwackt, was ich dir hab' gesagt, du sollst's heimlich halten. Und da ist auch Zeug zu einem Schöpple für dich. Du hätt'st längst gern so eins gehabt. Siehstu? Einem vernünftigen Weib kann man nicht zu viel zulieb' tun. Mach' doch und iß, Lenele. Sie sind wohl nicht süß genug? Sind von den besten, wo er hat. Denn siehstu, wenn auch die Heiterethei nicht desperat wär' geworden, so haben die verrückten Wachtstubenweiber doch gesagt, der Fritz will sie umbringen. Ja, das will das Gericht nun bewiesen haben; wer weiß, müssen die Weiber einen leiblichen Eid schwören vor einem Tisch, der ganz schwarz aus ist geschlagen, und da liegt ein Totenkopf drauf und die Geistlichkeit steht dabei und der Meister Schramm, ihr Hinterviertel, und unten auf der Gass' singt der Kantor mit seinen Jungen. Der verwünscht' Schlucker! Iß doch, Lenele. Ich mein', es ist ein Jahr her, daß ich dir keinen Schmatz hab' geben. Komm' her, Lenele; tu' nicht so schämerig; eine Frau braucht nicht so zu tun. Und wie dir das Schöpple wird stehn! Ja, es heißt, das Gericht will wieder ein neues Trillerhaus dazu lassen baun, weißtu? Wo die armen Sünder herum werden getrillert. Also Tee hastu für die Nacht. Ich bin schrecklich müd. Was schlägst du denn die Hand da unterm Tisch zusammen? Ich meint', du wärst ordentlich verblaßt? Dich dauern wohl die Wachtstubenweiber? Warum sind die so dumm!«

Damit duchste der Schmied in seine Kammer. Die Schmiedin rang nun über dem Tisch die Hände. Sie stand schon halb vor dem schwarzbeschlagenen Tische, halb stak sie im Trillerhause.

»Hast auch Öl für morgen früh?« fragte der Schmied schon über dem Auskleiden in der Kammer.

Die Schmiedin hörte es nicht. Sie setzte ihr Zifferblatt auf ihr Haupt, und nachdem sie die Haltebänder geknüpft, was nicht so schnell ging, da Händezusammenschlagen und Schleifenbinden Dinge sind, die zu vereinigen man ein Taschenspieler sein muß, nahm sie ihr Gehäuse um und verschwand in der Finsternis des Hausflurs.

Hätte der Gurken-Kaspar der Heiterethei länger nachsehen können, der Kreuzberg hätte sich wieder um ein Stück aus seiner Stelle bewegt.

Bis jetzt hatte sie nur den einzigen Gedanken gejubelt: »Der Fritz lebt! Du hast ihn nicht auf deinem Gewissen! Du wirst nicht geschlossen über die Gasse geführt, daß die Leute ausweichend schweigen, wenn du vorbeikommst, und nicht eher flüstern, als bis du vorüber bist! Nicht im engen Gefängnis lange Monden lang sitzen, du sollst frei bleiben wie die Vögel unter dem Himmel und die Hirsche in dem Walde!« Der Glanz des Ganzen, der so plötzlich die Finsternis vertrieb, hatte sie fürs einzelne geblendet. Nun ihr Auge sich an ihn gewöhnte, trat auch dieses hervor.

»Der Fritz lebt, aber sein Arm ist gelähmt, und das hast du getan. Wie soll er schaffen ferner mit dem gelähmten Arm? Und dennoch hat er dich nicht angeklagt; er ist selber gefallen, hat er gesagt.« Von ihrem Herzen durch den linken Arm bis in die Fingerspitzen hinein zieht ein Schmerz, der doch etwas Süßes hat. »Er schont dich: und du hast ihm das getan,« meinte der Schmerz; das Süße daran ist der Gedanke: »er schont dich.« Denn heißt das nicht: »er ist dir nicht feindselig; er hat dir nicht aufgepaßt, dir Böses zu tun, vielleicht gar –?« Aber dieses voreilige Vielleicht mit seinem blauen Himmel schwindet. »Denn, freilich,« sagt sie, »sollt' es heißen, ein Mädle hat den starken Fritz überwunden? Dazu ist er zu stolz auf seine Stärk'. Und ich hätt's an seiner Stelle auch nicht können gestehn.« – Warum aber ist sie nun traurig?

Ja, der Gurken-Kaspar schüttelte den Kopf, säh' er sie so vor sich hingebückt gehen, als läse sie ihre Gedanken von der Erde auf.

So ist's. Aber ist es nicht noch unendlich gut, daß es nur so ist? und nicht so unendlich schlimm, als es sein könnte?

Die ununterdrückbare Jugendkraft hob ihre Augen und ihre Gedanken von der Erde auf. Und als sie emporsehend ihr Häuschen erblickte und den alten Holunderbusch, wie er schon wieder unter einer flatternden Perücke von Kaffeewölkchen prangte, da jagte ein Lächeln die ganze Farbe aus der Mundgegend nach den prallen Wangen hin.

»Sind die dummen großen Weiber schon wieder da beisammen? Nun ist's doch mit dem Warnen aus und dem andern dummen Zeug. Wie viel haben die nicht gered't, was sie müßten versäumen meinetwegen! Da sollt' man meinen, sie sind nun beim Nachholen daheim. Ja, prost! ums Plaudern ist's den Weibern zu tun gewest, und das Häusle steht so just am End', da kann man hineinwischen, und es sieht's kein Mensch, der es könnt' bereden. Nu, ich will mir's noch ein Tager etliche lassen gefallen. Aber hernachen hört's auf; hernachen kehr ich aus. Und so ist's und nu ist's fertig!«

Man kann sich denken, mit welcher Freude die Heiterethei von den »Wachtstubenweibern« empfangen wurde. Und auch Stolz war dabei. Der Himmel hatte die Heiterethei gerettet, indem er den boshaften Auflaurer in die eigene Schlinge fallen ließ. Denn es war kein Zweifel, der Holders-Fritz hatte die Heiterethei in den Bach werfen wollen, in den er selber nun gestürzt. Aber es fragte sich sehr, ob der Himmel ohne die Wünsche, Sorgen und Gebete der vereinigten Frauen ein solch Exempel statuiert hätte? Und diese konnten wiederum daran die Größe des Steines erkennen, den sie bei dem Himmel im Brette hatten. Alle Stimmen feierten das Walten der Gerechtigkeit; nur die kleine verschämte Baderin, die kurz vor der Heiterethei in das Stübchen getreten, schien von anderen Gefühlen beseelt. Aber in ihrer Blödigkeit und ihrer ängstlichen Demut vor den großen Weibern wagte sie kein Wort und schien nur mit stummen Blicken und gefalteten Händen die jedesmalige Rednerin um Barmherzigkeit für den ja ohnehin vom Himmel Gestraften zu flehen.

Die Weberin spann mit beiden Händen und verklärtem Auge der höheren Fügung, welche die verfolgte Unschuld geschützt, ein Ehrenkleid.

»Ja,« schloß sie ihre Rede, »den Bösewicht hat so recht der Finger der Vorsehung vom Steg getippt.«

»Da mög' einer,« machte die Tischlerin begeistert die Nutzanwendung, »Bonapart heißen oder Rinaldo Rinaldini oder Holders-Fritz; denn warum? das ist der Vorsehung egal.«

»Denn jeder,« fügte die Tüncherin hinzu, »treibt's nur so lang', als es geht, und hernachen geschieht was, worüber sich Menschen und Vieh verwundern.«

»Und wenn die Zeit gekommen ist,« sagte die Beutlerin, »hernachen ist sie da.«

»Und hernachen,« nahm die Weberin ihren Faden wieder auf, »sagt alle Welt: So ist's einmal recht! So hat's einmal müssen kommen.«

Bewirkte es nun der stumme Flehblick der Baderin, oder war die Genugtuung über die Bestrafung des Sünders zu dem höchsten Punkte gestiegen, wo sie notwendig in Mitleid umschlagen mußte, die Tischlerin sagte sanfter: »Ja, aber dauern tut es einen doch; denn warum? man ist doch ein Mensch.«

»Und,« meinte die Weberin, die auch in der Milde keiner nachstehen wollte, »er hat doch eigentlich auch seine schlimme Tat noch nicht verübt gehabt. Der Himmel kann strafen, aber die Menschen sollen mitleidig sein.«

»Zumal,« bestätigte die Tüncherin, »wenn einer hernachen so bußfertig ist, wie der Holders-Fritz. Denn das muß man sagen, obschon er ein Bösewicht ist, so ist er doch eine recht christliche Seel'. Wie ein Lamm ist er, hat das Holders-Fräle gesagt. Und er hat auch gar kein bißle Reu' über das, was er hat getan, sondern er erträgt's als ein frommer Christ, der da aus seinem Katechismus weiß, der Gottlose muß viel leiden. Und glücklich ist, wer das vergißt, was einmal nicht zu ändern ist, hat der Apostel Paulus gesagt.«

Dem durchdringenden Blicke der Weberin war indes nicht entgangen, daß die kleine Baderin mit einer wichtigen Eröffnung geladen war, aber nur den Mut nicht hatte, in Gegenwart der großen Weiber loszugehen.

»Die Frau Baderin muß doch eigentlich wissen, wie's mit dem Holders-Fritz steht?«

Die Baderin erschrak, daß sie reden sollte. Sie errötete über und über und stotterte eine Entschuldigung. Es kam ihr wie eine Anmaßung vor, etwas zu wissen, was so große Weiber nicht wußten. Und die Nachricht, die sie geben konnte, hätte sie in jedem anderen Munde für wichtig und mitteilenswert gehalten; in ihrem eigenen aber schien sie ihr so unbedeutend, als sie sich selber vorkam.

»Es muß sehr gefährlich sein,« spann die Weberin. »Die gute Frau hat nicht das Herz, es zu sagen.«

»Dummes Zeug!« lachte die Heiterethei, um sich selber die Furcht zu vertreiben. »Er ist auf den Arm gefallen; daran stirbt so einer nicht, wie der Holders-Fritz.«

Die Tischlerin wollte beiden recht geben. »Nein, daran gewiß nicht,« sagte sie, »wiewohl's ihm kein Mensch könnt' wehren, daran zu sterben, wenn er's absolut will. Denn warum? Der Mensch ist wie ein Gras; das hat gar keinen Arm und muß doch sterben.«

»Ihrer ist geholt worden?« fragte die Weberin.

»Ja,« entgegnete die arme kleine Frau und zupfte verschämt an ihrem Mantel herum, daß es nur ihrer war, der geholt wurde. Dann faßte sie sich ein Herz und fuhr fort: »Das Fräle ist zu Nacht gekommen mit ihrer Latern' und hat Meinen in die Werkstatt geholt. Da hat der Holders-Fritz gelegen und war von sich. Aber es ist nix –«

»Was soll's denn auch sein?« zankte die Heiterethei mit ihrer Angst. »Bei so einem Jungen!«

»Ich mein,« fuhr die Baderin fort, und wußte nicht, wo sie hinsehen sollte, »daß ich's sag; ich weiß, daß ganz andere Weiber da sind, und es ist nicht, weil ich dächt', es wär' was, weil ich's hätt' gesagt, und . . .«

»Mit wem ist nix?« gab die Weberin der allgemeinen Spannung die Frage. »Mit dem Holders-Fritz seiner Krankheit?«

Die Baderin hatte sich's ja gedacht, daß sie die großen Weiber beleidigen würde. Sie seufzte eine Rede, die an Kleinheit und Vergehen in Angst und Selbstverschmähung ihr völliges Ebenbild war: »Mit mir.«

»Und der Holders-Fritz ist wirklich von sich gewest?«

Die Baderin nickte und zuckte die Achseln, daß sie's nur war, die entgegnete: »Und so ist's geblieben. Meiner hat sich alle Mühe gegeben, aber so ist's geblieben . . .«

Die Tünchnerin brach aus: »Ja, er hat noch gesagt: Ich bin allen Menschen gut gewest, drum will ich nu in Gott begraben sein.«

»Es ist nicht wahr,« sagte die Heiterethei zornig und wollte sich mit Gewalt glauben machen, es könne nicht sein, wenn sie's nicht zugebe.

»Es ist der Marasmus gewest, hat Meiner gesagt,« fuhr die Baderin fort. »Und so ist's geblieben . . .«

Die Tüncherin konnte sich nicht mehr halten. Wie in schmerzlichem Triumph über die ungläubige Heiterethei wiederholte sie mit schrecklichem Nachdruck nickend: »Das hat der Holders-Fritz gesagt. Ich will am Schmarasmus sterben, hat er gesagt, und hernachen hat er auch noch gesagt: wie's mit der Leich' soll werden.«

Darüber geriet die Beutlerin außer sich.

»Da soll's wohl eine große Leich' geben?« fragte sie hastig. »Wann wird er denn begraben? Die Wochen muß ich nach Tambich; das war' doch dumm, wenn's gerad' die Wochen wär'! Ich mach' mir weiter nix draus, aber man heult doch auch einmal gern mit. Wenn so die Kurrendschüler singen und der alt' Meister Schramm, der Leichenbesorger, wackelt so barmherzig mit dem Kopf, und der Vikares sieht oben 'nauf, wo alles Gute kommt, vom Vater des Lichts. Und der Meister Schramm nimmt seine Pfeifen aus dem Mund und legt sie auf den Teller, und hernachen geht's fort, so schwarz und weiß, da muß es einen Hund erbarmen, und so einer ist doch gleichsam nur eine Vieh, geschweig' einen Chri–hi–stenmenschen.«

Aber nicht die Beutlerin allein schluchzte; die Frauen schluchzten alle, und die Baderin, die mit einem Worte den ganzen Jammer ein Ende machen konnte, vergaß dieses Wort und vermochte nicht, dem mächtigen Beispiel zu widerstehen. Wie gewaltig dies sei, wußten die Frauen recht gut. Denn so oft ihnen die Rührung ausgehen wollte, sahen sie einander an und erquickten sich durch das Bewußtsein der Gesellschaftlichkeit zu neuem, stärkerem Schluchzen.

Die Heiterethei war wie ein Marmorbild; ihr spannte die Muskeln an, was die der Frauen auflöste.

Die Weberin ließ den unsichtbaren Rocken, denn sie hob die Arme wie tröstend. »Sterben müssen wir alle.«

»Aber so jung!« schluchzte die Tischlerin. »Er kann noch keine Zweiunddreißig sein. Er ist grad' so alt, wie mein Traugöttle selig. Na, wenn die Stadt wieder brennt, da wird die Kirch' nicht wieder gerett't. Und wenn's einen Wolkenbruch tut, muß der alt' Gerber ertrinken. Denn warum? Wenn ein Mensch tot ist, muß man sagen, was wahr ist.«

Es entstand eine Stille allgemeiner Ermattung. Die Baderin konnte in ihrer Erzählung fortfahren: »Bis meiner ihm einen Topf kalt Wasser hat über den Kopf gossen. Hernachen ist er aufgewacht.«

Das war für die Frauen selber kalt Wasser über den Kopf. Die Wendung kam zu unerwartet.

Was den übrigen die Augen trocknete, machte die Heiterethei erst weinen. Vorhin war ihre Seele im Krampf gefangen; jetzt fühlte sie erst seinen Tod und ihren Schmerz über diesen und daß sie ihn verschuldet, als wär' er wirklich, da sie wußte, er lebte noch.

Die Beutlerin dagegen sah auf mit halb unwilliger Verwunderung.

»Was?« sagte sie. »Da ist er noch gar nicht einmal gestorben? Da hab ich für nix geflennt?«

»Nun, und wenn er auch noch nicht gestorben ist,« schluchzte die Tischlerin, die sich nicht so leicht aus dem Jammer herausarbeiten konnte, »denn warum? Den Leuten ihre Schuld ist's nicht.«

»Ach,« sagte die Baderin leise, »ja, er hat auch dem Annedorle gar nix zuleid wollen tun. Er ist auch schon lang gar nicht mehr wild gewest. Das Holders-Fräle hat gesagt: So ordentlich und so die Guttat selber ist gar keiner mehr wie mein Tichterle.«

Das gab ein neues Erstaunen. Aber wie man einmal über dieses hinaus war, wunderte man sich, daß man hatte erstaunen können, und fand, daß man ja eigentlich nie an die böse Absicht des Holders-Fritz geglaubt. Und nachdem die Frauen einmal so weit vorgerückt waren, bedurfte es nur noch eines kleinen Schrittes weiter, und sie besannen sich, jede hatte diesen Unglauben auch ausgesprochen.

Es war wunderbar, mit welchem Scharfsinn man zuletzt bewies, daß nur ein ganz überspannter Mensch auf eine solche Albernheit habe kommen oder ihr Beifall geben können.

»Aber so sind die Leut',« sagte die Tischlerin. »Denn warum? Wenn's nur nix Gut's ist vom lieben Nebenmenschen; je schlimmer es ist, je lieber glauben's die Leut'.«

»Freilich! freilich!« spann die Weberin mit beiden Händen. »Weil er ein Beil bestellt hat? Ich hab' gleich gemeint, er will es zu den Weiden haben. Es ist zu verrückt. Da dürft' zuletzt kein Mensch mehr ein Beil bestellen. Und er hat's ja selber gesagt, er ist über dem Weidenhauen in den Bach gefallen. Na, wenn ein Büttner keinen Reif mehr soll hauen, womit soll er denn binden?«

Die Tüncherin war zornig über das Unrecht, das dem unschuldigen Holders-Fritz widerfahren war.

»Lieber Gott!« rief sie; »über die Leut'! Und wenn er nu vollends am hellen lichten Tag Weiden gehauen hätt', wo's alle Leut' hätten gesehn? Was war' da erst draus gemacht worden, wenn er's nicht einmal bei Nacht hat dürfen tun, ohne daß die Leut' reden!«

»Es ist schrecklich,« sagte die Tischlerin noch zorniger. »Wenn ich's nicht immer gesagt hätt', wenn's hat geheißen: Nu hat er wieder da gelauert! Nu hat er wieder dort gelauert! Denn warum? hab ich gesagt. Es darf gar keiner mehr ordentlich werden auf der schlechten Welt. Denn warum? Wenn einer den ganzen Tag ärbet, wenn soll er denn Weiden hauen gehn als wie bei Nacht? Da hat's geheißen: Er lauert, wo das Annedorle vorbei muß kommen. Da hätten die Leut' ebensogut könnt sagen, das Annedorle lauert dem Holders-Fritz auf. Denn warum? weil sie immer da hat geärbet, wo Weiden stehn.«

»Ja,« sagte die Baderin ängstlich verlegen. »Aufgepaßt hat er dem Annedorle schon. Aber nur, weil er sie hat wollen freien und hat's nur vor den Leuten nicht wollen tun.«

Das wäre schon wieder Stoff zum Erstaunen gewesen. Aber das Unerwartete war diesen Abend so oft gekommen, daß es keine Wirkung mehr tat.

Vielmehr lachte die Weberin laut auf und sah die anderen Frauen der Reihe nach an. »Was hab' ich gemeint, wenn ich's auch nicht hab' wollen sagen?«

»Ja,« entgegnete die Tischlerin beistimmend. »Denn warum? Man wär' ausgelacht worden. Aber darauf wird sich jede noch können besinnen, was ich für ein Gesicht gemacht hab', wie zum erstenmal ist die Karten gelegt worden. Denn warum? Da hat die Eichelzehn und das Eicheldaus beim Annedorle gelegen.«

»Ja,« fuhr die Tüncherin fort, »und wie die Tischlerin das Gesicht hat gemacht, da hab' ich die Tischlerin angesehn und hab' gesagt: Das ist eine Hochtzig!«

»Und hernach hab ich genickt und zwei Lacher getan,« sagte die Beutlerin. »Na, die Frau Weberin und die andern werden sich noch können erinnern an die zwei Lacher, wo ich da hab' getan. So: Hahaha! Hahaha!«

Und wenn's sonst niemand ihnen glaubte, sie hatten sich so hineingeredet, daß jede wenigstens von sich überzeugt war, so habe sie getan.

Die Baderin hatte davor mit ihrem Bericht kaum zu Ende kommen können, daß für das Leben des Holders-Fritz keine Gefahr mehr vorhanden sei. Nur freilich! der verletzte Finger konnte steif bleiben.

Aller Kraft ihrer ungeschwächten Jugend bedurfte die Heiterethei, den plötzlichen Wechsel der stärksten Gefühle zu verwinden.

Und wunderlich! auch ihr ging's wie den Frauen. Ihr war, als hätte sie, selbst in der Aufregung, die sie zu der wilden Tat getrieben, im Innersten ihres Herzens gewußt, was der Fritz eigentlich von ihr wollte. Um so entschuldigungsloser und schwärzer stand nun die wilde Tat vor ihr. Sie konnte der Freude nicht froh werden davor. Und nun schoben die Frauen, indem sie ihr früheres Warnen und Aufregen verleugneten, die ganze Schuld ihr ins Gewissen. Das allein zwar hätte sie nicht so sehr aufgebracht gegen jene; diese Verleugnung erzeugte im Gegenteil das Gefühl der Verachtung in der stolzen Seele der Heiterethei. Sie vergaß aber, daß sie damals die Frauen nicht so gekannt als jetzt. Und so kam zu der Reue über das Unrecht und die Unentschuldbarkeit ihrer Tat auch noch der Zorn auf sich selbst, daß sie von solchen Menschen sich habe dazu verleiten lassen. Dazu verleiten! und durch solche Menschen! Die Heiterethei, die auf ihre Klugheit und Selbständigkeit so stolz war!

Es bedurfte nur noch einer kleinen Reizung, um ihren Zorn von ihr selbst auf die Frauen hinzulenken. Und diese blieb nicht aus.

Dazu tat sich jetzt die Tür auf. Herein trat die Gringelwirts-Valtinessin im Sturmschritt. Hinter ihr her die Schlosserin drüben von den Weiden und die Russen-Sattlerin. Das geschah mit so eigenen Gebärden und mit so beredtem Schweigen, daß die bereits Anwesenden vor Neugier und Verwunderung verstummten.

Da ließ von all den Vorwänden und Versicherungen, die sonst zum Zeremoniell der »Wachtstube« gehörten, sich nichts vernehmen. Keine Rede davon, wieviel die Valtinessin daheim zu tun hätte, daß sie eigentlich kaum aus dem Hause gucken sollte und doch käme, weil es einmal »so« sei. Es hatte etwas Beängstigendes, wie die drei guten Frauen nur gekommen zu sein schienen, um hier Kaffee zu trinken. Aber auch das mußte ein eigenes Verhängnis nicht geschehen lassen wollen. Sie führten die angebotenen Tassen mit zitternder Hand zum Munde, und stellten sie doch, ohne getrunken zu haben, wieder auf den Tisch. Und mit Gesichtern! mit Gesichtern! Wunderbar war es anzusehen, wie in der Spannung von Angst und Neugier die übrigen Frauen unwillkürlich die Mienen und Gebärden der eben Angekommenen nachahmten.

Endlich ächzte die Valtinessin: »Ei, du Gerechter!«

Die Schlosserin von drüben seufzte: »Nein, so was!«

Die Russen-Sattlerin stöhnte: »Sollt' man's denn meinen!«

Dann war wieder alles still. Und wieder begann das Achselzucken, wieder wurde der Kopf seitwärts geworfen, wurden die Hände zusammengeschlagen.

So eigen, man möchte sagen: melancholisch-resigniert und doch zugleich mit einer schmerzlichen Anklage des Himmels hatte die Haube der Valtinessin noch nie über ihrem rechten Ohr geschwebt.

»Man soll nicht denken,« sagte die Valtinessin endlich, als sie saß, aber mehr zu der Stubendecke, als sonst zu jemand, »man soll nicht denken, man hat alles erlebt, wenngleich man am Gründonnerstag Sechzig ist gewest. Der Holders-Fritz ist ins Wasser gefallen? O, es fallen mehr Leute ins Wasser! Er hat Weiden wollen haun? Ja, pros't die Mahlzeit.«

Sie schlug erst mit beiden Händen auf ihre Knie, dann fuhr sie in Tönen fort, wie sie der Gringel im Einfallen hören lassen würde: »Obschon mein Vater selig ein Weber ist gewest, hier sitz' ich und sag': Da liegt eine Kriminaljustiz! Ins Wasser gerennt ist er worden, der Holders-Fritz!«

Tausend Ausrufe des Schreckens und Erstaunens, ebensoviel Fragen waren im Entstehen. Sie alle erstickte die Valtinessin erbarmungslos in der Geburt, indem sie fortfuhr: »Einem Stuhl und einem Tisch sieht man an, wozu sie gemacht sind, einem Menschen aber nicht. Oftmalen sieht einer aus wie Marzipan und ist aus eitel Galgenholz geschnitzt. Und da findet sich hernachen, daß das, was man für einen Engel hat gehalten, der Gottseibeiuns selbst ist gewest, und wiedrum umgekehrt. Man meint, wenn einer wild heißt, muß er auch wild sein, und wenn eine fröhlichen Herzens ist, so ist kein Falsch an ihr. Ja, pros't die Mahlzeit! Und wenn eine hinter dem Schiebkarren hertanzt wie weiland der König David seliger vor der Bundeslad' – aber der Mensch red't sich nicht in Ungelegenheiten hinein, wenn er am Gründonnerstag Sechzig ist gewest.«

Sie brauchte den Täter nicht namentlich zu bezeichnen. Alles sah erstaunt auf die Heiterethei.

»Aber,« fuhr die Valtinessin fort, indem sie ihre Haube auf das linke Ohr schwang, »aber es ist nix so fein gesponnen, es kommt doch endlich an die Sonnen. Und wenn nur ein Schneider in der Näh' ist gewest. Denn der Vorsehung ist keine Kreatur zu gering. Und kommt so was nicht vor die Gericht', so ist's von wegen der Schererei und nicht etwa, als ob man ein Gewissen hätt'. Aber darum soll keine meinen, nun ist ihr's geschenkt. Denn dort über dem Häusle da –« sie zeigte hinauf, wo man eben den Holunder am Strohdach kratzen hörte – »dort oben, da ist einer, und dem ist's egal, ob einer König oder Kaiser oder auch ein ledig Weibsbild ist. Und der sieht mit dem einen Aug' nach Amerika und mit dem anderen auf den Ulrichsteg. Und wenn schon mein Vater seliger ein Weber ist gewest, und die Leut', die's trifft, mögen leugnen, wie sie wollen, hier sitz' ich und sag': So ist's!«

Nun blieb den Frauen eigentlich kein Zweifel mehr; dennoch versicherten alle, sie könnten's nicht glauben, sie könnten's wirklich nicht, daß so eine, die man für die Best', für die Guttat selber gehalten, so was ganz Schrecklich's sollte getan haben.«

Die Valtinessin schlug auf ihre Knie und wiederholte: »Ja, mög's leugnen, die's getan hat, wie sie will; hier sitz' ich und sag': So ist's!«

Die Heiterethei aber sprang wie eine Stahlfeder von ihrem Schemel auf, daß die Frauen einen Schritt zurückwichen und nur die tapfere Valtinessin ruhig sitzen blieb.

»Leugnen,« sagte sie zornig. »Und vor wem? Vor euch? Was seid ihr denn, wennschon ich ein arm Mädel bin, und ihr seid reich und denkt, ihr seid Wunder was? Und gut; wenn's so einen gibt über dem Häusle da, wie die Valtinessin sagt, so weiß er auch, wer schuld daran ist, und wenn ihr euch noch hundertmal mehr wundert. Was ich getan hab', das hab' ich getan! Und war's was Schlimmer's, so bin ich nicht, daß ich nun tät', als wüßt' ich nix davon, wie's andere machen, die einen reizen dazu, daß man's tut, und hernach verklagen sie einen noch.«

»Die einen reizen?« rief die Valtinessin voll Erstaunen, als die andern verlegen schwiegen. »Hier sitz' ich und frag': Wer hat einen gereizt?«

Da erhob sich eine Stimme, in deren Ton sich Angst und Zorn wunderbar ineinander verbissen hatten. Alle sahen nach der Tür; in dieser erschien die Schmiedin eben wie ein Komet. Ihr Antlitz schimmerte in bläulichem Glanz, und hinter ihm rauschte Unglück verkündend das lange Haubenband als Schweif.

»Und da meint die dort,« schrie sie, »daß man vor Gericht das glauben wird? und denkt, sie will sich weißbrennen, wenn sie ehrbare Frauen verleumden tut? Die, sag' ich, muß einen leiblichen Eid leisten, und nicht arme unschuldige Weiber! Und für die wird das Trillerhäusle gebaut. Ich sag' nur, mich sollen sie nicht trillern, eher lauf ich in den Zehntbach. Ich hab' nix weiter getan, als was alle haben getan, wo hier sind. Und wenn sie's dahin bringt, und die Weiber da lassen sich's alle gefallen . . .«

»Wenn man wüßt', was sie eigentlich will, die Schmiedin!« unterbrach sie die Valtinessin. »Ich für meinen Teil, was das auch mög' sein, hier sitz' ich und sag': Ich lass' mir's nicht gefallen!«

»Und da wundert ihr euch noch!« entgegnete die Schmiedin. »Zum leiblichen Eid und ins Trillerhäusle will die uns bringen da! Aber sie soll nur vor Gericht sagen, ich hätt' sie angestift't!«

»Angestift't?« schrien alle zusammen.

»Vor Gericht?« fragte erblassend die Tischlerin.

»Zum leiblichen Schwur?« rief entsetzt die Tüncherin.

Die Beutlerin schlug schreiend die Hände zusammen: »Ins Trillerhaus?«

»Und dessentwegen,« sagte die Valtinessin vorwurfsvoll, langsam die Haube schwingend, »sind wir so gewest? und haben uns aufgeopfert? blutig aufgeopfert? sind alle Tag' hergekommen und sind nicht so gewest und haben das Unsrig' versäumt?«

»Ich hab' euch nicht verlangt,« entgegnete die Heiterethei.

»Ja,« sagte die Valtinessin und schlug den Takt dazu auf den Knien, »freiwillig sind wir gekommen, unverlangt sind wir gekommen, nicht um gute Wort' und auch nicht um Lohn. Das ist unser Ruhm und Ehrenkleid. Ich hab' gewußt, je größer der Dienst, je größer der Undank: ich bin nicht umsonst am Gründonnerstag Sechzig gewest; und bin dennoch kommen. Aber jede Stuben hat ihre Tür, und wer fortgeht, der braucht deshalb nicht wiederzukommen.«

Die Valtinessin erhob sich, warf die Haube auf das rechte Ohr und schritt der Tür zu. Viele schlossen sich ihr an. Aber an der Tür wandten sich alle unwillkürlich zurück, die Valtinessin nicht ausgenommen.

Sie erwarteten, die Heiterethei werde sie nicht gehen lassen. Unverkennbar sah aus allen Gesichtern die Wehmut, den Ort für immer verlassen zu sollen, wo man so bequem sich täglich gesehen, zusammen geplaudert und Kaffee getrunken hatte.

Die Valtinessin versteckte diese Anwandlung unter feierlichem Ernst und sagte: »Die Schmiedin ist zu ängstlich. Das Annedorle wird sich hüten, solche unkluge Ding' zu machen. Und wenn sie's demohnerachtet tut, hier steh' ich und sag': Meine Hand' wasch' ich in Unschuld. Hier hab' ich gestanden, und den meinen Finger von der meinen Hand hab' ich aufgereckt, wie ich gesagt hab': Annedorle, der Fritz paßt Ihr auf, aber das braucht Sie sich nicht zu Herzen zu nehmen.«

»Ja und wahrhaftig,« bestätigte die Schlosserin von drüben, »so hat die Valtinessin gesagt, und wie ich dazu hab' gesagt: Wenn's die Valtinessin spricht, kann sie's glauben, Annedorle, und da hat der Wind das Fenster aufgerissen. Das ist mir, als war's gestern erst gewest.«

»Hernachen,« beteuerte die Russen-Sattlerin, »hat der Kaffee angefangen zu kochen, und da hab' ich gemeint, es ist, als sagt der Kaffee ja.«

»Hundertmal klecken nicht,« rief die Tischlerin, »daß ich gesagt hab': Sei sie gescheit, Annedorle, das ist ja lächerlich da mit Ihrer Furcht.«

Der Heiterethei kam das Gehaben der Frauen verächtlich vor. Sie hatte nicht gewußt, ob sie zornig werden oder lachen sollte. Aber das Wort Furcht überhob sie der Wahl. Der Tischlerin Rede traf sie da, wo sie am kitzlichsten war.

»Furcht?« lachte sie zornig. »Furcht? Ihr red't von Furcht? Ich fürcht' mich vor niemand. Ich hab' mich nicht vor dem Holders-Fritz gefürcht't und fürcht' mich nicht vor euch. Ihr habt Furcht gehabt und habt mich zu fürchten wollen machen. Und jetzt habt ihr wieder Furcht, ich könnt' vor den Gerichten sagen, ihr seid schuld, daß ich's hab' getan. Und nun wollt ihr alles auf mich allein schieben, und das ist erbärmlich. Nicht, weil mich's betrifft, aber daß die Leut' so sind, das könnt einem wehtun, wenn man nicht müßt' lachen. Ja, und wenn ich nu vor den Gerichten so spräch', wie ihr meint, da würden die sagen: Es ist nicht das Gescheit'st, was sie hat gemacht, aber wenn sie denen gefolgt wär', hernachen wär's erst recht dumm. Ja, wenn ich sagen tät': Ich hab' den Wachtstubenweibern gefolgt, da wär's für mich nicht besser, und ich würd' noch ausgelacht dazu.«

Die Valtinessin beschwichtigte die Empfindlichkeit der Frauen durch einen jener Blicke, welche die Annemarie nicht »aussagen« konnte.

»Wenn die Sach',« begann sie dann, »nur der Müh' wert wär', daß der liebe Kaffee drüber kalt wird. Ich sag': Ein Wort ist kein Donnerwetter, und guter Rat kommt über Nacht. Morgen wird das Annedorle schon wieder vernünftig sein. Ich mein', wir setzen uns noch ein bißle. So jung kommen wir nicht wieder zusammen.«

»Ja,« sagte die Heiterethei, indem die weißen Druckflecken ihr um Mund und Wange spielten. »Setzt euch, wann ihr wollt und wo ihr wollt, nur in meinem Stüble nicht. Ihr sagt, morgen wird das Annedorle schon vernünftig sein, aber das Annedorle ist schon heint. Ihr denkt, ich soll mich in meinem eignen Häusle schlecht lassen machen und soll euch noch Topf und Holz geben zu euerm Kaffee? So wär' ich doch noch dummer, als ihr meint. Mit solchen Leuten will ich nicht zusammen sein, die heint so reden und morgen so. Und so ist's und nu ist's fertig.«

Die Frauen hatten sich's schon wieder bequem gemacht und glaubten an den Ernst der Heiterethei nicht eher, als bis diese mit entschlossenem Schritt dem Herd sich näherte und den Topf ergriff.

Was half's, daß die Annemarie sie von hinten umschlang, um sie aufzuhalten, was half's daß Tüncherin, Tischlerin und Beutlerin heldenmütig ihre Leiber dazwischen warfen, daß die Valtinessin beschwörend ihren Arm gegen sie aufhob! Das starke Mädchen schob sie mit leichter Mühe beiseite. Sie achtete der Wehmut im Gesichte der Beutlerin nicht, nicht des Zorns im Antlitz der Schmiedin. Hoch hob sie den Topf, und die braune Flut strömte unaufgehalten in das Feuer.

Ein vielstimmiger Schrei, in welchem zugleich das Erschrecken kreischte und der Schmerz ausstöhnte und der Zorn drohte, klang in das Prasseln der erlöschenden Kohlen. Drei Funken irrten zuletzt noch ratlos an den zischenden Scheitern hin, Mann, Weib und Kind, die letzten Flüchtlinge aus dem Greuel einer Wassersnot. Und nun erreichte auch diese das Verhängnis, und sie verschwanden spurlos unter den Wogen der Flut.

Und schwarz stand der Herd, die Opferstätte traulicher Geselligkeit noch vor einer Stunde, schwarz, als hätte nie ein Kaffeeflämmlein ihn beleuchtet, öde wie ein ausgebrannter Vulkan.

Über ihm aber erhob sich die Valtinessin, die Oberpriesterin des gestürzten Opferdienstes, in ihrer ganzen häuserbreiten Majestät.

Man sah, noch immer war sie geneigt, Gnade für Recht ergehen zu lassen, wenn das Annedorle Vernunft annahm. Sie wollte eben ihre Haube auf das rechte Ohr schwingen, aber ihr fiel ein, sie müsse diese bedeutungsvolle Handlung aufschieben, um ihrem etwaigen baldigen Abgange damit den erforderlichen Nachdruck zu geben.

Die abgeschiedenen Geister des erstickten Kohlenfeuers aber waren auferstanden zu einem neuen Leben und glühten rachefordernd aus den Augen der Beleidigten die Heiterethei an.

Das erhöhte nur den Trotz des Mädchens. »Ich will die Tür zumachen,« sagte sie befehlend.

Aber nun konnte keine Macht des Himmels und der Erde mehr die Haube der Valtinessin auf ihrem linken Ohr schwebend erhalten. Die Valtinessin schlug mit beiden Händen auf die Schürze und sprach: »Nun wohlan! Woher wir gekommen sind, dahin gehen wir wieder, wenn auch mit anderm Herzen. Aus anderen Stuben sind wir gekommen in das arme Stüble da. Aber wir sind nicht für uns gekommen. Das christliche Mitleid zu üben, sind wir gekommen mit Warnung und mit gottseligen Lehren. Aber wem die Ohren seines Herzens verstockt sind, der macht auch die Ohren seines Leibes zu. Obschon mein Vater seliger ein Weber ist gewest, hier steh' ich und sag': Das Annedorle wird wohl sehen, was sie hat gemacht. Und sie sollt' lieber sehn, wie sie ihre Sach' könnt verdunkeln (verstecken), als daß sie den Leuten selber auf ihre Sprüng' hilft kommen. Der Holders-Fritz hat ihr aufgelauert? Weiden gehaun hat er. Wo soll einer anders Weiden haun, denn wo welche stehn? Das Annedorle hat wohl auch Weiden gehaun, weil sie immer um die Weiden herum ist gewest? Nun begreift man wohl, warum das Annedorle hat gelacht, wenn's hat geheißen, der Holders-Fritz lauert ihr auf.«

Die Heiterethei lief nach der Tür und öffnete sie so weit, als sie sich öffnen ließ.

Schade, daß kein Maler das Mädchen sah, wie sie so schlank und hoch an der Tür stand, mit einem Holzscheit in der ausgestreckten Hand den Frauen zeigend, wohin sie sollten. Die Lippen geschlossen, daß die Farbe bis in die vollen Wangen hineinwich; funkelnde Augen unter herabgezogenen Brauen, eine Stirn darüber, die in ihrer Höhe und Reinheit von dem Zorne unter ihr nichts zu wissen schien, leidenschaftslos und heiter wie der blaue Himmel über Wetterwolken. Er hätte kein schöner Modell zu dem Engel finden können, der die ersten Sünder aus dem ersten Paradiese treibt. Neben den kleinen Bewegungen ängstlicher Hast die großlinige ruhige Gestalt. Der Arm, vor der Spannung der eigenen Kraft erbleichend, brauchte kein kriegerisch Werkzeug; es war ein Arm, in dessen Hand das unschuldigste Holz zum flammenden Schwert werden konnte. Wenn etwas an der Heiterethei zu diesem Bilde gebrach, so war es der Zug mitleidigen Lächelns. Aber Mitleid und Lächeln im Zorne geziemt nur den Unsterblichen. Und die Heiterethei war sterblicher als andere, weil sie mehr Leben besaß.

Die Valtinessin fuhr einige Schritte zurück vor dem Wandeln des austreibenden Engels, und wäre rücklings aus der Tür gefallen, wenn sie diese anders als mit einer Schwenkung halb rechts hätte passieren können. Sie verstopfte sich und den anderen auf einen Augenblick die Passage, so daß diese im unwilkürlichen Weichen vor der Heiterethei weiter nach der Tiefe des Stübchens zurückgedrängt wurden. Aber nur einen Augenblick. Denn sie war trotz ihrer Häuserbreite eine rasche Frau, wenn es sein mußte. Erst als sie den Bereich des scheitbewaffneten Armes überschritten hatte, fand sie den Faden ihrer Rede wieder. »Nun begreift man wohl,« fuhr sie fort, indem sie draußen Front machte gegen die Tür, als wollte sie sich mit dem Häuschen messen, »nun begreift man wohl, wer eigentlich derjenig' ist gewest, der dem andern aufgelauert hat. Freilich hat sie müssen lachen, wenn wir unschuldigen Lämmer haben gemeint, wir müssen sie warnen vor demjenigen, den sie selber hat verfolgt.«

»Ja,« sagte die Weberin, indem sie eilig bei der Heiterethei vorbeischlüpfend das Freie gewann, »ja, weil sie selber die ganz' Geschicht' hat erfunden, daß der Holders-Fritz ihr auf tät' lauern. Es weiß jeder, daß sie toll auf ihn ist gewest.«

Die Tüncherin war unterdes dem Beispiel der letzten Sprecherin gefolgt. Auch sie war im Sichern, als sie begann: »So was Schrecklich's ist noch nicht dagewest von einem ledigen Mädle.«

»Ja,« fuhr die Russen-Sattlerin fort, noch atemlos vom Sprung, »am Gründer Markt einem ledigen Bursch zu sagen, er soll sie frein! und sie könnt' einen Mann aus ihm machen!«

»Und wie er nicht will,« ergänzte die Schlosserin von drüben noch im Vorbeiwischen, »rennt sie ihm den Schiebkarrn an die Bein'.«

»Denn warum?« sagte die Tischlerin, als sie wieder Boden fand. »Weil wir nicht haben mitgetan, wie sie den armen Bursch hat wollen verhetzen.«

»O,« seufzte die befreite Baderin vor sich hin, »er sagt, er ist selber gefallen, und zum Lohn rennt sie ihn vom Steg.«

Die Angst der noch in der Stube Weilenden stieg natürlich bei jeder Rede, durch welche die bereits Befreiten den Zorn der Heiterethei noch reizten. Als die Schmiedin, an die jetzt die Reihe kam, weil sie der Tür zunächst stand, ihren Sprung fassen wollte, hängte sich die Nächstfolgende an sie an, und an diese wieder eine andere. Das Gewicht der ganzen Kette mit sich fortzureißen, war die Schmiedin denn doch zu schwach. So kam's, daß sie in der Tür zu fallen kam, und die übrigen im wilden Knäuel über die Schmiedin hin! Mit Mühe wirrten sie sich auseinander; übereinander rollend und krabbelnd kamen sie um so langsamer aus dem Bereiche der Heiterethei, als sie das überschnell ins Werk zu setzen sich bemühten.

Die Heiterethei mußte im bittersten Zorne lachen. Als die letzte aus der Tür war, warf sie diese zu. Sie fühlte, daß ihr Zorn im Lachen schmolz.

Die Weiber draußen, hörte sie, gingen noch nicht.

»Drum soll sie doch ja nicht meinen,« sagte die Tischlerin noch, »es möcht eine noch dableiben, wo einer der Kaffee wie vergiftet müßt vorkommen. Und wer weiß? Denn warum? Es gibt Leut', denen auch das ist zuzutraun.«

»Aber nu soll die ganze Stadt wissen, wie die Sach' eigentlich ist gewest,« sagte die Weberin.

Eine schrie dazwischen auf: »Man holt sich da nix als Unrat und Geschmeiß.«

Der alte Holunderbusch wirtschaftete wie toll. Er warf Raupen, Schnecken und dürre Blätter den Gehenden auf die Köpfe.

»Und wenn sie's dahin will lassen kommen,« scholl die Stimme der Schmiedin bereits von den Weiden herauf, »die Gericht' werden ihr's schon zeigen, Verleumder gehören ins Trillerhaus.«

Von der halben Höhe des Schloßberges erklang es: »Ja, hier steh' ich und sag', so ein Hochtzig, wie sie hat wollen zunichte machen, soll noch nicht in Luckenbach sein gewest.«

»Und nun wird sich's zeigen,« rief noch entfernter die Beutlerin, »ob das ihrer Schwester Kind ist oder ihr's.«

Ganz zuletzt kam noch, halb verhallend, vom Gipfel des Schloßberges herab: »Und obschon mein Vater selig . . .«

Und nun war nichts mehr zu vernehmen, als das Rütteln des Holunderbaums am Häuschen und das Sausen der Weiden im Winde.


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