Otto Ludwig
Die Heiterethei und ihr Widerspiel
Otto Ludwig

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Schon war sie fast an dem Hohlwege, der die Scheunen von dem eigentlichen Städtchen trennt, als sie aus der Ferne ein wildes Durcheinander von Männerstimmen auf sich zukommen hörte. Erst war's ihr unmöglich, mehr als »der Fritz, der Holders-Fritz! ja, der Holders-Fritz! na, der Holders-Fritz!« herauszuverstehen. Das Geschrei kam näher und wurde zu einer Art Gespräch. Die Stimmen waren ihr bekannt.

»Der Frankendorfer-Wirt,« schrie der Adams-Lieb, »das ist auch einer, aber gegen den Holders-Fritz ist er doch nix.«

»Wenn ich dran denk',« lachte ein anderer, »wie der Fritz da letzt in Windig wieder den Tanzboden rein hat gefegt, und hernach hat er uns alle frei gehalten wie ein Fürst. Teixel, war das eine Lust!«

»Aber,« jubelte ein Dritter, »wie er das Pfortentor aus hat gehoben und 'runter geworfen in des Steuereinnehmers Garten und sechs Mann haben's beinah nicht wieder 'raufgebracht!«

»Muß da grad das Gewitter kommen,« schrie der Adams-Lieb wieder, »wie ich schon den Rock angezogen hab' zum Gründer Markt. Es ist nur gut, daß der Fritz auch Abhaltung hat gehabt, sonst hätt' mich's doch geärgert.«

»Mit dein'm Gründer Markt!« eiferte ein Vierter; »wo das Bier sauer ist und die Bratwurst wie die Schwefelhölzle und die Hammerschmied' tun, als wären sie Herrn auf dem Tanzboden.«

»Oho,« schrie der Adams-Lieb wie beleidigt. »Nur net, wenn der Fritz dabei ist. Du, Fritz, zur Kirbe (Kirchweihe) gehste mit im Grund. Auf die Hammerschmied' hab' ich's lang gemünzt. Den'n mußt's einmal weisen!«

Und nun schrien sie wieder zusammen, daß man nichts als das »der Fritz! ja, der Holders-Fritz! na, der Holders-Fritz!« aus dem Geschrei heraus verstehen konnte.

Es waren etwa zehn Burschen zwischen siebzehn bis zwanzig Jahren, die solchergestalt das Lob des Holders-Fritz preisend daherkamen, der in ihrer Mitte einherschritt, schweigend, wie ein mächtiger Fleischerhund, umhüpft von kläffenden Möpsen. Sie gestikulierten mit Pfeifen, Stöcken und Händen, sichtlich bemüht, durch Wichtigkeit und Gewaltsamkeit des Gebarens zu ersetzen, was ihnen an Männlichkeit noch abging. Man sah, das wilde Wesen des Holders-Fritz war ihr Muster. Und das war freilich das einzige, in welchem sie ihm ähnlich zu sein vermochten. Denn so sehr sie sich auch streckten und die Schultern zusammennahmen, der Holders-Fritz ragte doch um Kopfeslänge über sie hinaus, und aus zwei ihrer Brustkasten war' noch nicht einer geworden, wie ihn der Holders-Fritz zwischen den Schultern trug. Er war freilich fast doppelt so alt, als der Jüngste unter ihnen; aber man sah, er tat auch von seiner Seite das Mögliche, das Mißverhältnis des Alters zwischen ihm und seinen Gefährten wenigstens äußerlich auszugleichen. Er trug keine Weste unter dem Rock und den Hemdkragen über das keineswegs elegant geschlungene Halstuch herausgelegt. Wer ihn so mit dem ungeheuren weichselnen Pfeifenrohr sah, an dem große bunte Quasten herumbaumelten, hätt' ihn eher für einen verwilderten Studenten angesprochen, als für einen ehrsamen Handwerksmeister.

Jetzt sah einer von den lärmenden Gesellen das Mädchen in den Hohlweg einbiegen.

»Dort kommt die Heiterethei,« schrie er. »Macht, daß wir in den Hohlweg kommen, eh' sie wieder heraus ist. Du, Fritz, mußt ihren Schiebkarren aufhalten,« sagte der Adams-Lieb. »Das gibt einen Spaß, wie er auf dem Gründer Markt nicht gewesen wär'!«

Das kam dem Fritz eben recht. Mit zwei Sprüngen waren sie in dem Hohlwege und der Fritz stellte sich unter dem Jubel der Gefährten in der Mitte des engen Weges dem Mädchen entgegen.

Die Heiterethei merkte wohl, worauf's damit abgesehen war, aber sie hielt nicht an.

»Ausweichen,« dachte sie, »tät ich nicht, wenn's auch möglich wär'. Aber die sollen auch nicht denken, daß ich stillhalt' oder zurückfahr' ihretwegen. Ist mir nicht bang', er wird schon beiseit springen, wenn ihm der Karren an seine Beine kommt. Mag er's haben! Warum läßt er mich nicht gehen!«

Aber bis an seine Beine kam der Karren nicht. Einen Schritt davon hielt ihn der Fritz an mit vorgestreckter Hand.

Einen Augenblick standen sich die beiden hohen Gestalten schweigend gegenüber. Sie sahen sich herausfordernd an über dem angehaltenen Karren.

Die Heiterethei schob aus allen Kräften, der Holders-Fritz stemmte sich ebenso dagegen. Die Anstrengung trieb ihnen das Blut ins Gesicht und beschleunigte die Eile, mit welcher der Ausdruck ihrer Züge die ganze Tonleiter durchlief vom neckenden Mutwillen durch Spott und Hohn bis zum aufflammenden Zorn. Die Heiterethei ließ die Handhaben des Karrens auf den Boden nieder, daß die geladenen Eisenstäbe klirrend zusammenschlugen. Wieder aufschnellend wie eine Stahlklinge, bog sie sich drohend über das Fuhrwerk und sagte, Gesicht fast an Gesicht: »Willst du was?«

Der Jubel der Gesellen gab dem Fritz seine Ruhe wieder. Er nahm sich vor, dem Mädel seine ganze Überlegenheit zu zeigen. Bei jeder der Reden, die nun Schlag auf Schlag einander folgten, wuchs der Jubel der Zuhörer und die Beeiferung der Redner.

»Hast du denn, was ich will?«

»Nein; denn was Gescheit's ist's nicht, was du willst.«

»Freilich; eine Frau, und das ist nichts Gescheit's.«

»Glaub's wohl, daß du eine Frau willst; aber daß dich eine will, schon lange nicht.«

»Und hätt'st mich selber gern, wenn ich dich nur möcht'. Aber ich will eine andere, eine Schöne und Reiche. Weißt du keine? Kommst doch weit herum.«

»Nicht so weit, wo sie dich nicht kennten.«

»So brauchst mich nicht erst zu loben.«

»Ja doch, und auch nicht mich auslachen zu lassen. Du bist der Einzig', der nicht lacht, wenn eins dich lobt. Dafür lachen die selber hinter dein'm Rücken, die dich loben, daß du's hörst. Frag' nur die da. Und so ist's, und nu ist's fertig, und du läßt mich gutwillig vorbei, oder du kannst noch zu hören kriegen, was die da nicht sagen, wenn du dabei bist.«

»Ja, so hat allemal der gesagt, der nichts hat gewußt. Wenn du was weißt, so sag' mir's doch. Weil ich keine Frau hab', die mir predigt. Tu 'mal zum Spaß, als wärst du meine Frau; du wärst's halt doch zu gern.«

»Du denkst, weil ich arm bin, kannst du über mich spotten? Wenn du mich doch zur Frau hätt'st, du könnt'st vielleicht noch einer werden und liefst nicht mit solcher Brut herum, die noch die Eischalen am Schnabel hangen hat. Du denkst, dich möcht' ich? dich? Und wenn du einen Rock anhätt'st aus lauter Talern, und an jed's Haar war ein Dukaten gespießt, dich möcht' ich nicht. Der ärmst' Bettelmann wär' mir lieber als du, wenn ich einen möcht. Aber ich mag gar keinen. Und was bist denn du? Allen Gelbschnäbeln ihr Schulmeister, wo sie lernen, was nix taugt! Ja, wenn du das noch wärst. Aber ihr Geckelmann bist du, der Faxen macht, wenn sie am Faden ziehn, wie sie wollen. Und denkst noch Wunder, was du bist mit deinen Krägelen und deinen Bummelquasten da. Du denkst, dem Herrenmüller sein Spitz, das ist nur ein Hund. O, der ist noch ein ganzer Kerl gegen dich, wenn er auch keine Krägele hat und keine Quasten. Der macht auch, was sein Herr will, aber er hat doch nur einen. Aber du hast so viele Herren, als Nixtauger sind im Städtle. Wenn einer sagt: Schön, Holders-Fritz, apport! gib mir dein' Kappen, so gibst du sie; bezahl' mir mein Bier, so bezahltet du's; das ist ein starker Holders-Fritz! so machst du größre Sprüng', wie der Spitz, wenn's heißt: das ist ein geschickter Hund! Und denkst den ganzen Tag nix, als was für eine Dummheit du wieder machen sollst, damit die da dich loben. Denn um was Gescheit's loben dich die da nicht, und von vernünftigen Menschen willst du nicht gelobt sein. Du denkst: wär' das ein Unglück, wenn's hieß: Was der Holder für ein ansehnlicher Mann ist! er ist der ordentlichst' Mann und der tüchtigst' Meister in der Stadt: wer was gescheit anfangen will, muß den Meister Holder fragen. Ja, das wär' doch ein Unglück, wenn die da keinen mehr hätten, der ihnen tät', was sie sich schämten, wenn sie's selber sollten tun. Pass' nur auf, wenn ich fort bin, wie's heißen wird: Allo faß, Holders-Fritz! Mach' du nur Augen, wie du willst, ich fürcht' mich schon lang nicht vor denen ihrem Spitz. Und nun läßte los! Ich hab's wie mit Löffeln! Du weißt nun, was für ein Kerl du bist, und so ist's, und nu ist's fertig!«

Und aufgehoben war der Schiebkarren, und vorwärts ging's durch den Knäuel der Bursche hindurch, die fluchend beiseit sprangen, wenn die Wucht des Schiebkarrens ihre Beine traf.

Alle fielen über den Holders-Fritz her und begriffen nicht, daß er dem »Lügenmaul« nicht eins versetzte, woran sie lebenslang zu denken hätt'. Er selbst begriff's am wenigsten.

Noch aus der Ferne rief die Heiterethei: »Hetz, Holders-Fritz, hetz!«

Der Holders-Fritz war rot bis unter seine wilden Haare; er schickte dem Mädchen einen Blick nach, vor dem die Bursche erschraken. Der Jubel nahm ein plötzliches Ende. Keiner wagte zu mucken, um nicht etwa das Gewitter, das in dem Holders-Fritz aufgestiegen war, auf sich abzuleiten. Der Holders-Fritz zerbiß die Worte zwischen den Zähnen: »Du Mädle du! Wart', du Mädle du!« Einen Augenblick stand er schweigend, dann fuhr er wie im Trotze auf und schrie mit wilder Lustigkeit: »Heut geh' ich nicht heim und morgen auch nicht. Nun soll's erst recht heißen: der wilde Fritz. Heut haben die Zimmerleut' ihren Tanz in der Schwan'. Will sehn, wer mich hinausweist.«

»Nun bist du wieder einer!« schrie der Adams-Lieb, und, ein wildes Lied brüllend, zog der ganze Haufe der »Schwane« zu.

Der alte Benediktus – nur Diktes genannt – blieb vor einem Häuschen stehen, nahm das Nachtwächterhorn an die Lippen und blies gerade nach dem Häuschen zu den schönsten Ton, der darin war.

Ob ihm das Häuschen so gefiel, daß er beim Tuten und Stundenrufen allemal nach ihm hinsah?

Hübsch genug sah es aus, zumal, wenn, wie eben heute, der Mond darauf schien, – am hübschesten aber, wenn der große Holunderbusch, der das Häuschen unter seinem Arm hatte wie einen Hut, oder unter seinem Flügel wie ein Küchlein, zugleich in voller Blüte stand. Und den Grasmücken und Finken ging es bei Tage wie dem alten Diktes bei Nacht. Der alte Holunder hatte keinen geraden Wipfel mehr, so oft hatten die kleinen Tagediebe singend sich darauf geschaukelt. Das schmale Weglein, das vom Schloßberge jäh genug herabkommt, tut auf der kleinen Wiese dabei, als müßt' es vor jedem Büschchen wieder ein Stückchen umkehren. Man sieht, ihm ist's nur darum, nicht zu schnell vorbeizukommen, und kaum zwei Schritte unter dem Häuschen, da wird's gar aus mit ihm vor Vergnügen, da hört's ganz auf.

Und just da ist's, wo am Zehntbach hin die herrlichsten Tuten und Pfeifen wachsen in der ganzen Gegend, so viel Weiden auch dem Bache entgegengehen oder ihm das Geleite geben von hier hinauf und hinab in das weite Tal. Da hat der Türmer noch das Glockenseil vom Dreibrotläuten in der Hand, und schon füllt Kindergejubel das ganze Weidengebüsch. Da wird das blaue Bächlein ganz rosig vom Widerschein der badenden Kinderleiber vom Häuschen an bis zur Lücke im Busch, wo man, wenn heiterer Himmel ist, den Reicker Kirchturm sehen kann. Jetzt im Mondenschein sieht man kaum die Walkmühle und das Drescherhäuschen. Und zu hören ist nichts, als des alten Diktes Nachtwächterhorn und Stundenruf und ein leises Lüftchen talherauf, kaum ein fernes Hundegebell und, wenn die Luft etwas stärker weht, vorübergehend das Rauschen vom Walkmüllerwehr. Und jetzt, indem wir davon reden, ein rascher Schritt, der näher komme und näher, begleitet vom Schleifen eines Schiebkarrenrades im feuchten Gras.

Die Heiterethei hat ihre Last beim Nagelschmied abgeladen und eilt nun ihrem Häuschen zu. Denn hier hat sie das Kind ihrer Schwester unter der Obhut der alten Annemarie zurückgelassen, der für diese Dienstleistung die Oberstube des Häuschens eingeräumt ist. »Und,« sagte die Heiterethei im Eilen vor sich hin: »die Annemarie kann's nicht besser meinen, und das Liesle mag sie auch; aber sie wird jeden Tag tappichter, und was kann in so ein sechzehn Stunden nicht alles geschehen!«

Je näher sie kommt, desto leiser wird ihr Tritt. Sie läßt den Schiebkarren vor dem Häuschen nieder, tritt an das kleine Fenster und pocht leise, leise. Das Kind muß nunmehr schlafen, und die Annemarie hört besser, als manches Junge. Und so ist's auch. Die Alte erscheint.

»Schläft's? Ist alles gut gegangen?« fragt das Mädchen.

»Alles, nehmt aber das Strümpfle mit 'rein, Dorle, von den roten eins, draußen am Staket. Die alte Sannel da, nieden vom Kellerweg, hat's auch gesagt, es muß Stiefmütterlestee krieg', sonst wächst's noch zu.«

Annedorle nahm das Strümpfchen vom Staket, hob leise den Schiebkarren auf den leeren Schweinestall am Häuschen; dann trat sie durch die Haustür, welche die Alte unterdessen aufgeriegelt, unmittelbar in ein Gemach herein, das Wohnstube und Küche zugleich war. Ehe sie noch ein Wort sprach, nahm sie die Lampe vom Ofensims und leuchtete, mit der Hand vorsichtig schirmend, damit kein Lichtstrahl wecke, in die Kammer hinaus über ihr Bett hin, in dessen Mitte die Kleine lag wie ein Rosenknöspchen, auf einen weißen Teller gemalt. Dann setzte sie sich der Alten gegenüber, die den Sitz auf der Ofenbank eingenommen, auf den einzigen Stuhl.

Die Alte tat Bericht, wie es mit dem Kinde gegangen; es seien wieder zwei vordere Backenzähne im Begriffe, bei ihr hervorzubrechen.

»Dacht's wohl,« sagte die Heiterethei, »es hat nächtens wieder so gehust't. Aber sonst ist's doch recht?«

»Na, ich weiß net, was für eins das is. Kriegt die Zähn' wie auf einmal und lernt auch noch laufen dabei; andere schmeißt's immerfort zurück. Aber der Diktes hat schon Zehne getüt't. Die Hölzle stehn hinterm Ofen. Gute Nacht, Bas' Dorle, schlaft wohl.«

Das Dorle leuchtet ihr die enge Treppe hinauf, oben scheint der Mond zu dem kleinen Fenster herein. Unten wirft er helle Flecken auf den Boden und an Treppe und Wand. Dorle sieht, die Löcher in der Lehmwand, durch die der Mond so ungeniert hereinschaut, sind wieder größer geworden. War auch ein Regen das! sagte sie, geht in ihr Stübchen zurück und sitzt wohl noch eine Viertelstunde in Gedanken, darunter schweren Hauswirtssorgen, auf dem Stuhle. Das Häuschen, so schön es aussah, war schrecklich baufällig; vielleicht sah es eben deshalb so schön aus.

Das Strohdach erschien an einigen Stellen fast durchsichtig, während es an anderen große Höcker zeigte. Die große Reinlichkeit am Häuschen und darum herum stellte die Mängel derselben nur in helleres Licht. Es war ungewiß, ob der große Holunderstrauch das Häuschen mit allen seinen Armen umschlang, um dessen Mängel zu verdecken, oder um seine auseinanderstrebenden Teile zusammenzuhalten. Was davon auch seine Absicht war, er erreichte sie trotz alles Mühens nur unvollkommen. Und das kleine Liesle! und seine Mutter, die Schwester der Heiterethei, im fernen Dienste! Oh, es war Stoff genug zu sorgenden Gedanken.

Eine kleine Grille akkompagnierte unter dem Kachelofen hervor seine Kollegen im sinnenden Kopfe der Heiterethei. Die Lampe konnte kaum die Augen offen halten vor Schläfrigkeit und kämpfte immer schwächer zwischen Einnicken und gewaltsamem Emporraffen. Zum Glück ist die Sorge kein dauernder Gast bei der Heiterethei, und langes Sitzen ist auch ihre Gewohnheit nicht.

Sich straff aufrichtend, strich sie die Schürze glatt und sagte: »Wenn's nur am Leben bleibt und brav wird! Lehm gibt's genug am Bach, die Löcher zu verstopfen. Und wenn's keinen mehr gäb'! Ich bin gesund und stark, und sie sollen mich nicht umsonst die Heiterethei heißen in der Stadt. Mag heiraten, wer will, und sich krank sorgen, wer will, ich nicht. Und so ist's, und nu ist's fertig!«

Der Gringel, an einem anderen Orte hätte man ihn den Gasthof zum goldenen Ring genannt, hatte ein anderes Gesicht, als das Häuschen der Heiterethei. In seine derben Züge war es Wetter, Wind und Alter noch nicht gelungen, etwas von dem interessanten Wesen hineinzuschreiben, welches das Häuschen unter den Weiden auszeichnete. Dazu thronte er breit und gewaltig auf dem höchsten Punkte des Städtchens im vollen Lichte wie eine Sonnenblume, während jenes sich veilchenhaft unter ihm in grüne Schatten verkroch. Eigentlich war der Gringel nur mit seiner Besitzerin zu vergleichen, der Gringelwirts Valtinessin, so genannt, nicht weil sie selber, sondern weil ihr verstorbener Ehegatte mit seinem Rufnamen Valtines geheißen.

Der Zufall, der die Valtinessin eben der Morzenschmiedin gegenüber sitzen heißt, scheint dies in seiner lustigsten Laune zu tun; denn beide Genannte stellen die Pole weiblicher Beleibtheit vor. Die Valtinessin macht den Eindruck eines über seine Ufer getretenen Stromes. Es ist ein Glück für die Morzenschmiedin, daß jene nicht auf dem Ledersofa neben ihr Platz genommen, sie wäre rettungslos unter Fleisch gesetzt worden. Die Valtinessin ist eine Gestalt von solcher Unbescheidenheit der Ausdehnung, daß der Gast, welcher hereintretend, seine Sehkraft nach ihrem Maße ausgedehnt hat, Gefahr läuft, die Schmiedin ihr gegenüber gar nicht gewahr zu werden.

Es sind ungefähr vier Wochen vorübergegangen seit dem Tage des Gründer Marktes. Daher mag es kommen, daß von all den Gästen, die neben den genannten Frauen in der Wirtsstube des Gringels sich befinden, keiner mehr sein gedenkt. Diese macht einen bei weitem gemütlicheren Eindruck, als die Außenseite des Hauses. Besonders ist dabei das braune Holzgetäfel an den Wänden tätig. Die langen Tische haben sich ihm so nahe gemacht als möglich, und das Beispiel der eben vorhandenen Gäste, wie die glänzenden Flecken über den leeren Bänken, durch die Bemühung der Rücken von ganzen Geschlechtern poliert, bestärken uns in der Meinung: an dem Getäfel lehnend zu sitzen, müsse ein schöner Gedanke sein; besonders, wenn man dabei die Füße auf den Latten ruhen läßt, die zu diesem Dienste etwa vier Zoll über den Dielen unermüdlich von Tischfuß zu Tischfuß im Hin- und Zurücklaufen begriffen sind.

Der leere Raum in der Mitte des Zimmers scheint in seiner Größe für die Formenverhältnisse der Valtinessin absichtlich berechnet. Hier schreitet sie in der massiven Grazie, in der etwa der Gringel selbst oder die ganze Reihe Häuser, deren Stolz und Krone er ist, sich bewegen würde, von Gast zu Gast. Denn, obschon eine große, sie ist auch eine herablassende Frau, wenigstens gegen ihre Stammgäste und deren Angehörige. Von allen anderen freilich spricht ihre Gebärde: ich kenne sie nicht. Aber deren sind eben deshalb auch nur wenige.

Ihr Töchterlein, die Gringelwirts-Valtinessin-Ev', ist bei weitem so leutselig nicht. Und sie verdenkt es in ihrem Herzen der Mutter, daß diese nicht so stolz ist, als sie in Betracht ihres Ansehens sein könnte und der Meinung der Ev' nach sein sollte. Sie kommt selten in die Wirtsstube und wäre auch jetzt nicht da, befände sich unter den Gästen nicht der Adams-Lieb, den wir schon kennen. Nicht daß sie ihm besonders zugetan wäre, aber er ist's ihr, und ihr erscheint's nicht unangenehm, angebetet zu werden. Vielleicht auch, weil der Adams-Lieb vom wilden Fritz wissen muß. Und von diesem ist eben die Rede.

»Ihr seid ja auch die Tag bei ihm gewest,« sagte der Morzenschmied, der in einer Ecke duckte, zu dem Meister Schramm.

Dieser verwunderte sich oder schien das wenigstens zu tun. Er hatte von einem Schlaganfall ein fortwährendes leises Kopfschütteln übrig behalten; das gab ihm ein Ansehen, als verwundere er sich über alles, selbst über sich und seine eigenen Reden.

»Ja,« entgegnete der Meister in einem Tone, dem man anhörte, daß er neben andern städtischen, Würde verlangenden Funktionen auch die Stelle eines Leichenbitters und Anordners versah. »Ja, aber einen desgleichen Menschen hab' ich mein Lebtag' nicht gesehn.«

»Ihr red't vom Holder?« fragte der Adams-Lieb und tat dabei so männlich, als ihm möglich war.

»Euch sollt' man eigentlich nach ihm fragen,« meinte der Schmied. »Ihr seid ja das ander Pferd am selben Wagen mit ihm.«

»Kann sein,« lachte der Bursche, »daß das einmal ist gewest. Aber im Kalender heißt jeder Tag anders.«

»Ja,« sagte der Schmied, »Ihr habt jetzt was auf den Holders-Fritz. Er läßt Euch nicht mehr in sein Haus.«

»Er läßt?« tat der Adams-Lieb höhnisch, aber höhnisch wie ein Mann. »Ja, sie sind sauer, hat der Fuchs gemeint, wie die Träubel zu hoch haben gehängt. Es gibt mehr solche, wo die Leut' nicht hereinlassen, die von selber außen bleiben.«

»Seit der Geschieht in der Schwane,« begann der Schmied duchsig wieder. »Aber so sind die Leut'. Sie sagen, er hätt' Euch 'raus geräumt. Am End' ist's umgekehrt gewesen.«

Der Adams-Lieb spuckte wichtig aus. »Ja, die Leut' hören immer läuten, aber nicht zusammenschlagen.«

»Und ich meint',« versetzte der Schmied, »es müßt' ein tüchtig Zusammenschlagen gewesen sein. Die Zimmerleut' sind tüchtige Glockenknöppel. Wer da seinen Kopf zur Glocke muß hergeben!«

»Ich hab ihn wollen abwehren,« sagte der Adams-Lieb; »da hat er auch über mich wollen kommen. Ich hab's ihm aber gewiesen. Das ist die ganze Sach'.«

»Hab ich's doch gedacht!« meinte der Schmied, indem eine unsichtbare Hand ihm einen Ruck gab, daß man, wär sein Gesicht nicht so ernst, glauben konnte, es komme von innerlichem Lachen. »Ja, die Leut'! Da haben sie gesagt, Ihr hättet an dem Fritz gehetzt, und Ihr habt ihn doch wollen abhalten. Und der Fritz wäre so in der Rage gewesen, daß er hätt' gemeint, Ihr wärt auch Zimmerleut', und hätt' nicht geruht, bis er ganz allein im Saal wär gewest. Und da hätt' ihm das Alleinsein so gefallen, und er hätt's auch daheim eingeführt.«

»Da seht Ihr's doch gleich,« sagte der Adams-Lieb überlegen. »Wenn's so wär gewest, so will ich einmal annehmen, er tät' uns nicht hereinlassen. Aber er läßt gar keinen Menschen herein. Ich hab's nicht probiert. Es ist schon lang keine Ehr' mehr gewest, mit dem zu gehn. Ich hab nur immer noch gedacht, ich wollt' ihn zurecht bringen. Zuletzt hab' ich gesehn, es ist umsonst. Und jeder ist am End' sich selber der Nächst'. Haben die Leut' doch schon angefangen zu reden, als macht ich die Kügele und der Holders-Fritz tät sie nur verschießen.«

Der alte Meister Schramm verwunderte sich, daß er von der Sache nur reden wollte. »Ja,« zitterte er, »er läßt gar keinen zu sich, und wär' ich nicht sein Lehrmeister gewest – aber angekommen bin ich schlecht genug. Ich hab' gemeint, als sein alter Lehrmeister müßt' ich eine Vermahnung tun. Aber er hat gemeint, eben weil's mir und den Leuten nicht recht wär', wollt er's noch wilder treiben, und wir sollten die Hand' über den Kopf zusammenschlagen, was er nun noch angeben wollt'. Dabei hat er so mit dem Beil in die Reif hinein gehauen, daß mir die Stücken um den Kopf geflogen sind, und ich hab' gemacht, daß ich noch mit gesunden Gliedern bin herausgekommen, eh' er über mich selber geraten ist. Mir ist's recht just gerad so vorgekommen, als wär's mit ihm nicht richtig.«

Jetzt ließ sich eine Stimme hinter dem Ofen hervor vernehmen, die auch im Klange der eines Heimchen ähnlich war. »Hm! Und weiß man denn nicht, was ihn so hat erbittert? Ein Ding will doch eine Ursach' haben.«

Der Adams-Lieb räusperte sich. Neben der Bemühung, dies so männlich zu tun als möglich, klang darin ein: »Wenn ich nur sagen wollt'!«

»Ihr wißt's,« sagte der Schmied zu ihm.

»Ich?« meinte der Adams-Lieb wegwerfend. »Was soll ich wissen? Ich weiß nix.«

Die Valtinessin aber setzte sich ihm gegenüber. Dann schlug sie mit beiden Händen zugleich auf ihre Knie und sagte: »So red't Ihr. Aber wer am Gründonnerstag Sechzig ist gewest, der läßt sich nichts vormachen. So red't Ihr, aber hier sitz' ich und sag': Ihr wißt's.«

Auch die Morzenschmiedin erhob sich. Wie sie daher kam, glich sie einer rückwärts wandelnden Schwarzwälder Uhr, an der das Haubenfleckchen das Zifferblatt, die lang von der zuckerhutförmigen schwarzen Haube in den Rücken hinabfallenden Bandschleifen die Gewichte und die lange, schmale Person der Schmiedin selbst das Gehäuse darstellte. Der kurze, spitz ausgezackte Kragen des in Luckenbach unentrinnbaren engen, ärmellosen, blauen Tuchmantels konnte für ein altmodisch verziertes Gesimse gelten.

Man sah, der Adams-Lieb fühlte sich durch die Frage der Valtinessin in seinem notreifen Mannesherzen geschmeichelt. Er blickte sich um, ob auch alle hersähen, zugleich, ob die Ev' auch die männliche Haltung gewahre, die er annahm.

Aber ein neidisches Schicksal gönnte ihm nicht, seine Redekunst zu zeigen. Man hörte die Haustür des Gringels mit Gewalt zufallen, fast zugleich öffnete sich die Stubentür, und der Hereintretende zeigte ein Gesicht, über dessen Anblick man etwas noch Ausgesuchteres vergessen hätte.

Er warf sich klappernd auf eine Bank und gab auf den allgemeinen Frageblick nur ein lang andauerndes, pfeifendes Husten zur Antwort.

Die Valtinessin erhob sich und schleuderte ihre Haube, die jetzt auf dem linken Ohr in der Schwebe geruht, mit einer eigentümlichen Bewegung des Hauptes auf das rechte. Diese Bewegung, die man öfter an ihr wahrnehmen konnte, war aber keineswegs die Folge einer Angewöhnung. Wer sie genauer beobachtete, fand bald, daß sie dieselbe nie zwecklos veranstaltete, sondern stets nur da, wo sie etwas damit sagen wollte. Und sie wußte unendlich viel damit zu sagen, was der Zunge unaussprechlich war.

Als diese Bewegung sich als ein wirkungsloses Mittel erwiesen hatte, griff sie zu einem anderen, den Mann von seinem Husten zu befreien. Sie wandelte zu dem Hustenden und versetzte ihm mit ihrer wohlgenährten Rechten einige sanfte Schläge in den Rücken. Und das half.

Denn obschon der Mann immer noch hustete, so kam doch Verstand hinein, und es hatte Ähnlichkeit mit der menschlichen Rede, als er weiter hustete: »Da unter den Weiden, gleich bei der Heiterethei ihrem Häusle, hat er gelauert.«

»Er?« sagte die Valtinessin und schwenkte unwillig die Haube. »Er ist niemand. Ein Dieb will der Meister Weber sagen.«

Aber das nahm der Weber übel. »Ich bin wohl einer,« hustete er, »der vor einem Dieb erschrickt? Das ist dem Dieb sein Handwerk, und über einen, der in seinem Handwerk ärbet, erschreck' ich nicht. Freilich hab ich erst gemeint, es ist einer, und das geht dich nix an. Denn ein Dieb muß auch sehn, wie er ehrlich fortkommen will auf der Welt. Aber wie mir's vorgekommen ist, als müßt's der Holders-Fritz sein der Statur nach, und in seinen Händen hat er ein Beil gehabt, da bin ich auf ihn zugegangen. Und da bin ich erschrocken, daß derjenig' über mich erschrocken ist, und hat sich wild umgesehn, hat seine Hand vor dem Gesicht gehalten und fort – ist er gewest. Ich mein', er ist in den Bach gesprungen, damit ich ihn nur nicht erkennen sollt'.«

So hustete der Weber und gab noch einiges zu, was wirkliches Husten vorstellen sollte.

Das unsichtbare Heimchen zirpte hinter dem Ofen hervor: »Hm, hm, hm!«

Die Valtinessin aber schlug auf ihre Knie und sagte: »Obschon mein Vater ein Weber ist gewest, hier sitz' ich und sag': das ist kurios!«

»Aber ich hab' gedacht,« meinte die Schmiedin, »der Holders-Fritz geht gar nicht aus. Und wenn er lauert, so müßt' doch was sein, worauf er lauern tät'.«

»Ja,« sagte die Valtinessin, »es ist finster, und der Meister Weber hat nur gemeint, es könnt' der Holders-Fritz gewest sein.«

Der Weber wollte antworten, aber es wurde ihm dasmal schwer, Verstand in sein Husten zu bringen.

»Und er geht nicht aus?« rief eine Stimme, die so schnell redete, daß man meinte, sie habe die fünf Worte zugleich gesprochen. Als sie fortfuhr, bemerkte man, es hatte mit ihren Reden eine eigene Bewandtnis. Das erste Wort jedes Absatzes stellte einen hemmenden Pfropfen dar, der erst durch ein gewaltsames Rütteln aller Gesichtsmuskeln zum Springen gebracht werden mußte. Dann aber schäumten die anderen ihm in desto sprudelnderer Eile nach. Der Besitzer dieser Stimme, der, so oft er sprechen wollte, hinter dem Tisch hervorsprang, als wollte er diesen vor der Gefahr seines Ergusses sichern, ähnelte auch in seiner einschnittlosen Gestalt, auf der ein kleiner Kopf saß, einer Seltersflasche. Sein Antlitz war von einer Röte, der man eine Nachhilfe mit geistigem Getränk ansah, und ein schwarzer Schnauzbart teilte es in zwei fast gleiche Teile.

»E–r geht nicht aus? Mit Vergunst von der Frau Valtinessin, aber das ist nicht wahr gered't.«

Da die Valtinessin sich anschickte, ihm etwas zu erwidern, setzte sich der junge Mann einstweilen nieder.

»Man muß glauben, was ein Mensch sagt,« entgegnete sie. »Der Meister Schramm ist hier ein Luckenbacher, und der sitzt hier und sagt, er geht nicht aus.«

Sie bewegte die Haube dabei wiederum auf ihr linkes Ohr, um anzudeuten, daß der Redner kein Luckenbacher und daher gewissermaßen kein Mensch sei und keinen Glauben verdiene.

Das verdroß den Saalfelder, er sprang wiederum hinter dem Tische hervor, rüttelte an seinem Pfropfen und sprudelte: »M–i–i–it Vergunst von der Frau Valtinessin, ich bin Mensch und Böttchergeselle. Aa–a–als ein solcher hab' ich zwei Jahre lang bei dem Meister Holder gearbeit't, und zwar als einer, der weiter drin ist gewest, als bloß in Luckenbach, wo nur ein kleines Nest im Vergleich mit großen, allwo ich gearbeit't mit Vergunst von der Frau Valtinessin.«

»Ein Mensch will Er sein und ein Büttnergesell? Ein Saalfelder ist Er,« sagte die Valtinessin entschieden.

Der Meister Schramm schien die scharfsinnige Einteilung vernunftbegabter Wesen in Menschen, Büttnergesellen und Saalfelder anzustaunen. Und die Sache war damit eigentlich abgetan.

Der Saalfelder war zwar anderer Meinung. Er kam wieder hervorgerannt. »Ddddd–das kann ich dem Meister Schramm bezeugen, wie der Meister Holder ist gewest. Dddd–denn der Meister Holder ist auch auf mich zugekommen mit unvorsichtigen Griffen wie ein Rohalist, das er immer ist gewest. Mmmm–meister Holder hab' ich gesagt, ich bitt' ihn inständig, sich nicht zu vergreifen. Wwww–wenn ich meint', einen rechtschaffenen Menschen in dir anzugreifen, da ve–vergriff ich mich freilich, hat er gesagt. Iiii–ich hätt' ihm noch mehr gesagt, wä–wär ich nicht zufällig schon draußen gewest. Unnnd der Spandauer, mein Nebensgesell', ist von selber gegangen vor Zorn über mich, daß der Mei–eister einen rechtlichen Kunstgesellen so behandelt hat. Dddden–denn es ist eine Kunst und kein Handwerk nicht; da–as Buch ko–stet mich sechzehn Groschen: das Gg–ganze der Böttcherkunst mit Vergunst von der Frau Valtinessin.«

Für diese war der gute Saalfelder gar nicht mehr vorhanden: sie strich sein Gedächtnis in Gestalt einer Falte von ihrer Schürze weg. Aber das Heimchen zirpte hinter dem Ofen hervor: »Die Red' ist davon, ob der Holders-Fritz ausgeht oder nicht!«

»Fffreilich geht er,« sprudelte der Saalfelder. »Mmmüüßt mir's der Lehrer (Lehrling) nicht gesagt haben, wo ganz allein bei ihm geblieben ist, wei–weil er ein Schurk ist seines Namens, uund das ka–ann man ihm nicht verdenken tun von wweger er ist erst sechzehn gewest. Dddder muß nun die Bestellungen annehmen und mit den Kunden verakkomodieren von weger weil der Meister mit niemand reden will. Dddda sitzt der Meister auf der Schnitzbank und sagt: Ttu ich's oder ttu ich's nicht? Ich tu's, und eh's herauskommt, ggeh ich nach Amerika. Unnd ddabei hat er Augen gemacht wie glühig Pech und den Schnnnitzer vor sich in die Schnnnitzbank gestochen wie ein Ttyrann. Und wwie er den Lehrer hat gesehn, daß der ist in der Wewerkstatt gewest, dda ist er erschrocken kkäseweiß, dddaß dem Lehrer 's hat gegruselt den ganzen Rücken hinunter mit Vergggunst von der Frau Valtinessin. Unnnd hernach hat sich der Mei–ster angezogen, ddder Lehrer hat's durch's Schlüsselloch gesehn, aber nicht wie ein Chchchristenmensch, sondern wie ein italjänischer Banditer; so hhhat er das Ffutter außenhin gehabt und dddas Tuch inwendig. Es ist schschon dämmerig gewest, aber er hat noch gewart't, bis es Nnnnacht worden, und hat dem Lllehrer erst nnnoch gute Nacht gesagt und gettan, als wenn er sich niederlegt, eh' er ist gggegangen nach den Wwweiden zu mit Vergunst von der Frau Vvvaltinessin.«

»Nach den Weiden,« zirpte das Heimchen, »hm, hm, hm!«

Die Valtinessin war eben im Begriff, das ganze Zeugnis des Saalfelders auf ihren Knien heimzuschlagen, als sich die Stimme des Uhrmachermeisters Zerrer erhob. Der Mann schien bei seinen Gehwerken das Sprechen gelernt zu haben. Aus seinem Knarren und Schnarren schien hervorzugehen, daß auch er den Holders-Fritz in der Dämmerung lauernd getroffen.

»Wo denn?« fragte das Heimchen. »Auch bei der Heiterethei ihrem Häusle?«

»Es war am Weidenweg,« schnarrte der Uhrmacher. »Ja, wenn ich mich recht besinn', so ist mir die Heiterethei nicht lang zuvor den Weidenweg her begegnet gewest. Ich hab' ihn ganz genau erkannt. Die Frau Valtinessin kann's glauben, so gewiß ich ein Luckenbacher bin.«

»Hm,« sagte die Valtinessin und schwang die Haube. »Ich kann mich nur nicht gleich besinnen, wo sein Großvater selig wohnhaft ist gewest in Luckenbach.«

»Der liegt auf dem Schwarzwald begraben, in Tuttlingen,« entgegnete der Uhrmacher. »Mein Vater ist erst hergezogen nach Luckenbach.«

»So, auf dem – Schwarzwald,« sagte die Valtinessin und dehnte den Schwarzwald, daß seine letzten Bäume weit nach Frankreich hinein zu stehen kamen: »Das ist, wo die Katholiken sein, und da heißt einer Florian und der ander' Fabian und machen Mäusfallen.«

»Das ist mir nicht bekannt,« sagte der Uhrmacher. »Aber von den Schwarzwälderuhren weiß die ganze Welt.''

»Die ganz' Welt?« sagte die Valtinessin und schob sie mit der linken Hand geringschätzig beiseite. »Das kann sein. Aber von Luckenbach weiß sie nix. Und obschon mein Vater ein Weber ist gewest, Gott sei Dank! es ist noch kein Luckenbacher gewest, der Uhren hätt' gemacht!«

Die Ev' lachte eben nicht ehrerbietig. »Nun, so wird Sie mir's doch glauben, wenn ich's sag. Der Holders-Fritz hat mich dahinten an der Mauer beinah' über den Haufen gerennt, wie er den Leuten ist ausgewichen. Und gelauert hat er vorher, das hab' ich selber geseh'n.«

»Und die Heiterethei?« schob das Heimchen, hinter dem Ofen hervor, ein. »Die ist erst vorbei gewest?«

»Nein,« sagte die Ev'. »Aber weit war sie nicht; das ist schon wahr. Und den Weg ist sie hernach auch gekommen. Und nun wird Sie's doch glauben, wenn's eine bessere Luckenbacherin sagt, als Sie selber ist. Ich hab doch einen Luckenbacher Heerle (Großvater) mehr wie Sie.«

»Ja, was das für ein Mordmädle ist,« lachte die Valtinessin voll Mutterstolz, »die Ev'! und obschon mein Vater ein Weber ist gewest, mein Heerle selig ist Burgemeister von Luckenbach gewest, und alle Leut' haben gesagt, ich bin ihm wie aus den Augen geschnitten.«

Das war eigentlich der Nachsatz, zu welchem jenes Obschon ursprünglich gehörte. Wenn sie dies ohne den Nachsatz brachte, so war das jedenfalls Bescheidenheit und sie rechnete darauf, daß der Hörer diesen in seinem Kopfe ergänzen würde.

Der Meister Schramm wunderte sich diesmal mit Recht. Denn was mußten das für Augen gewesen sein, aus denen man eine Gestalt wie die Valtinessin schneiden konnte! Von einem Bürgermeister, der solche Augen hatte, da war freilich Luckenbach wohl gehütet.

»Ja,« sagte der Meister Schramm, »in Luckenbach ist dafür auch die Frau Valtinessin der Hanswurst in der Komödie.«

Der Meister hatte in diese Äußerung nichts Unehrerbietiges legen wollen, und keiner der Anwesenden fand etwas dergleichen darin. Es wußte jeder, daß der Hanswurst die Hauptperson in der Komödie ist, und die Valtinessin nahm das Kompliment mit gütiger Herablassung auf. Dann erklärte sie, da eine Luckenbacherin es gesehen, so müsse man nun wohl glauben, der Holders-Fritz lauere jemand auf.

Das Heimchen aber hatte nicht vergessen, daß der Adams-Lieb noch sein Wissen um die Sache schuldig war.

»Ihr wißt noch was,« zirpte es, »Ihr, Adams-Lieb!«

Der Adams-Lieb sah sich wichtig um und schwieg, bis die Valtinessin die Haube warf und damit erklärte, sie halte den Adams-Lieb weder für einen Schwarzwälder noch für einen Saalfelder, und da er meinte, in den Augen der Ev' ihr Wohlgefallen an seiner männlichen Haltung zu lesen, begann er:

»Es ist nix weiter. Am Gründer Marktabend sind wir der Heiterethei im Reicker Hohlweg begegnet. Ich hab' ihn abhalten wollen, aber er hat ihr den Schiebkarrn aufgehalten, und da hat sie ihm gesagt, was er für einer ist. So ist's ihm noch nicht gesagt worden!«

»Ja, so ein gemeines Ding ist die,« sagte die Ev'.

»Und,« meinte der Schmied, »da fabeln die Leut' wieder, Ihr hättet ihn auf die Heiterethei gehetzt, und sie hätt' ihm auch gesagt, was Ihr für einer wär't. Ja, kein Wort soll man den Leuten glauben.«

»Was die Leut' sagen!« erwiderte der Adams-Lieb großartig. »Die Frau Valtinessin weiß, wie ich bin, und weiter frag ich den Leuten nichts nach. Der Heiterethei ihr Schiebkarrn, kann wohl sein, der weiß auch Geschichten. Aber ich kümmre mich nur um mich.«

Der Schmied sagte vor der Hand nichts weiter; er mußte die Pfeife anzünden, die ihm ausgegangen war.

Dafür nahm das Heimchen wieder das Wort: »Hm! Und er war wohl sehr in der Wut auf die Heiterethei?«

»So hab' ich ihn noch nicht geseh'n gehabt,« entgegnete der Adams-Lieb. »Er hat nicht können sprechen, und hat nur mit den Zähnen geknirscht und die Faust' nach ihr geballt! Und von Stund' an ist er so wunderlich geworden, wie man hört, daß er noch ist.«

»Hm! hm hm!« zirpte das Heimchen. »Wer einen Verstand hat, womit er denken kann, der mag sein Teil denken, wenn er auch nicht red't. Da will einer was tun, daß die Leut' die Händ' sollen über den Kopf zusammenschlagen. Da will einer was tun und sticht mit dem Schnitzmesser vor Wut in die Schnitzbank und will nach Amerika, eh's raus kommt. Da sagt einer erst gut Nacht, als wollt er zu Bett gehn, und geht doch heimlich weg und hat den Rock verkehrt an, wie ein italjänischer Bandit, damit ihn niemand soll erkennen und alle Leut' sollen glauben, wenn was draußen passiert, er ist nicht herauskommen aus seiner Werkstatt. Und er lauert nachts, wo er meint, daß eine vorbei muß gehn. Und wer ist die eine? Das ist eine, die ihn hat beleidigt, daß er nicht hat können sprechen und hat nur die Faust' geballt und mit den Zähnen geknirscht. Und da merkt er nicht bei seinem Lauern, daß die Leut' dahinter müssen kommen. So ganz toll und blind ist er in seiner Wut, und verbeißt sich nur immer tiefer in seinen boshaften Gedanken. Die göttlich' Vorsehung läßt von Zeit zu Zeit was Schlimmes zu, daß die Leut' zu reden haben und sich ein Beispiel daran nehmen. Und wenn so was in den nächsten acht oder vierzehn Tagen passiert, hernachen denkt an mich!«

»Ja,« sagte die Valtinessin und schlug auf ihre Knie. »Ev', gib mir den Regenschirm und die Latern. Eh' so was geschehn, da ist erst die Valtinessin noch da. Und was Warnung und guten Rat betrifft, da soll nix geschont werden.«

Der Schmied bekam wieder seine unsichtbaren Stöße, welche die Schmiedin für einen Schluchzenanfall zu nehmen pflegte. Die Valtinessin dachte anders davon.

Sie sah ihn mit Mißbilligung an und sagte: »In solchen Zeiten lernt man seine Leut' kennen. Der Holders-Fritz ist nicht der einzig', den das arm' Mädle zum Feind hat. Mögen sie innerlich jubilieren, hier sitz' ich und sag': –«

Und wer weiß, was die Valtinessin gesagt hätte, war' ihr nicht das Mordmädle, die Ev', in das Wort gefallen.

»Was wollt Ihr mit der? Mit einem armen Mädle und wo nix hat? und wo sich mit allen Mannsbildern auf der Gassen zankt? Die dächt Wunder, was sie wär'. Das fehlt' mir noch! Und so spät geht man nicht mehr zu den Leuten. Der Diktes hat lang' Zehn getüt't. Laßt die, wofür sie gut ist, und Ihr bleibt, wo Ihr hingehört!«

»Nu,« besänftigte die Valtinessin, »sei nur gut, du Mordmädle du. Heut ist's freilich zu spät. Aber morgen ist auch noch ein Tag, wo im Kalender steht.«

»Wenn sie hingeht,« sagte die Schmiedin noch zur Valtinessin: »ich bin auch dabei.«

Der dicke Semmelbeck hatte zu allem kein Wort gesagt. »Hm,« dachte er, als er sich erhob. »Wenn das wild' Ding in die Angst kommt, wird sie mich am End' schon nehmen. Und wenn's gut geht, krieg' ich sie zu mir ohne den Supperdent.«

Da tütete draußen der Diktes elf Uhr und eine Viertelstunde darauf schlief der ganze Gringel.


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