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17.

Yann begleitete die beiden Frauen entschieden, er beabsichtigte wohl, bis ans Haus mit ihnen zu gehen.

Wie zum Begräbnis der armen Katze schritten sie im Zug zusammen einher, was beinahe etwas komisch aussah, denn die Leute an den Hausthüren sahen ihnen lächelnd nach. In der Mitte ging die alte Frau, die immer noch das tote Tier trug; verwirrt und glücklich schritt Gaud an ihrer Rechten dahin, und der große Yann sehr nachdenklich, doch erhobenen Hauptes zur linken Seite der Großmutter.

Diese hatte sich auffallend schnell beruhigt, versuchte selbst ihre Kleidung noch besser in Ordnung zu bringen, und ohne ein Wort zu sprechen fing sie an, die zwei jungen Leute verstohlen zu beobachten; ihr Geist schien auf einmal wieder völlig klar zu sein.

Auch Gaud redete nicht, um Yann ja nicht etwa dadurch zum Abschiednehmen zu veranlassen... Nach dem lieben Blick, den sie von ihm erhalten, hätte sie nur immer so in seiner Nähe weitergehen mögen, anstatt bald an der Hütte anzulangen, wo der schöne Traum enden mußte.

An der Thür verging eine jener schrecklichen Minuten des Unschlüssigseins, während welcher das Herz aussetzt zu schlagen. Die Großmutter ging hinein ohne sich umzusehen, Gaud folgte ihr zögernd, und endlich auch Yann.

Er war also bei ihnen – zum erstenmal – jedenfalls nur dank der zufälligen Begegnung, denn was konnte er von ihnen wollen? Indem er die Schwelle überschritt, sah er Sylvesters Bild mit seinem bescheidenen Schmuck, unwillkürlich zog er den Hut und trat langsam herzu, wie zu einem Grabe.

Gaud blieb stehen; sie stützte beide Hände auf den Tisch und ihre Augen folgten ihm, wie er jetzt schweigend die Armseligkeit der Einrichtung musterte. Die Wohnung der beiden Verlassenen sah allerdings nach bitterer Armut aus, obwohl sie sehr sauber und ordentlich war. Vielleicht würde Yann jetzt wenigstens eine Regung des Mitleids für sie haben, da er sie so verarmt sah, daß diese Hütte ihre einzige Zuflucht auf Erden bildete. Von ihrem einstigen Reichtum war nichts mehr übrig als das weiße Fräuleinbett, auf welchem Yanns Blicke jetzt haften blieben.

Er sagte aber nichts... Warum ging er dann nicht lieber? ... Die alte Großmutter, die in ihren lichten Augenblicken ganz scharfsichtig war, that als ob sie gar nicht auf ihn achtete. So blieben sie stumm und mit Herzklopfen einander gegenüber stehen und schauten sich unverwandt an; die Augen thaten die große entscheidende Frage, welche der Mund in den nächsten Augenblicken aussprechen mußte.

Mit jeder Sekunde, die verfloß, schien aber das Schweigen ernster zu werden, und sie sahen einander immer tiefer in die Augen, in feierlicher Erwartung von etwas Großem, Unerhörten, das kommen sollte. – – –

»Gaud,« sagte Yann halblaut mit ernster Stimme, »wenn Sie immer noch wollen ...«

Was wollte er damit sagen? Man ahnte, daß er mit einer großen Entscheidung rang, ungestüm, wie das stets bei ihm zu gehen pflegte, ein Entschluß, den er so plötzlich gefaßt haben mußte, daß er ihn kaum in Worte zu kleiden wagte.

»Wenn Sie immer noch wollen ...« fing er zum zweitenmal an. »Unser Fang hat sich dies Jahr gut verkauft, und ich habe mir etwas Geld gespart.«

Wenn Sie immer wollen? was wollte er von ihr? hatte sie ihn recht verstanden? Gaud war wie niedergeschmettert von der Bedeutung seiner Worte, so wie sie dieselben verstand.

Die alte Yvonne in ihrer Ecke spitzte die Ohren, hörte sie doch den leichten Schritt des nahenden Glücks.

»Wir könnten Hochzeit halten, Fräulein Gaud, wann Sie immer wollen,« sagte Yann, indem er auf Antwort wartete.

Was hinderte sie, Ja zu sagen? Sie merkte wohl, wie Yanns Erstaunen in bange Furcht überging, vermochte aber keinen Laut über die Lippen zu bringen. Sie stand immer noch mit auf den Tisch gestützten Händen da, ihre Augen umschleierten sich, und sie war so bleich wie eine Sterbende.

»Aber Gaud, so antworte ihm doch!« sagte die alte Großmutter und erhob sich. »Sehen Sie, es ist ihr so unvermutet gekommen, Herr Yann, Sie müssen schon Geduld mit ihr haben; sie wird sich's gewiß überlegen und Ihnen gleich Antwort geben... Setzen Sie sich doch, Herr Yann, und trinken Sie ein Glas Apfelwein mit uns.«

Gaud vermochte jedoch immer noch nicht zu antworten, sie war wie verzückt. Also war es doch wahr, daß er von gutem Herzen, und jetzt fand sie den wirklichen Yann wieder, so wie sie trotz seiner Härte, seiner herzlosen Abweisung, nicht aufgehört hatte, sein Bild zu sehen!

Lange Zeit hindurch hatte er sie verachtet, heute erwählte er sie – jetzt, da sie arm war – er hatte es sich wohl so in den Kopf gesetzt, und den Grund davon würde sie später schon noch erfahren. In diesem Augenblick dachte sie aber weder daran, Rechenschaft hierüber zu verlangen, noch ihm den Kummer vorzuhalten, den sie seit zwei Jahren um ihn gehabt. ... Alles das versank ja vor dieser einzigen Minute des Glücks, die so gänzlich unverhofft in ihr Leben getreten war. Ihr Mund fand immer noch keine Worte, die Augen redeten jedoch eine hinreichend verständliche Sprache, und große Thränen liefen ihr jetzt über die Wangen.

»Nun, so gebe euch Gott seinen Segen, meine Kinder!« sprach die Großmutter. »Jetzt danke ich's dem Herrgott aber von Herzen, daß ich so alt habe werden müssen, da er mich diese Freude hat erleben lassen!«

Yann und Gaud hielten einander bei den Händen gefaßt und schauten sich wie unersättlich an; weder das eine noch das andere fand Worte, die ihm gut und würdig genug erschienen wären, um das wonnevolle Schweigen zu brechen.

»So umarmt euch doch nur zum wenigsten. ... Nein, da stehen sie und reden kein Wort! ... Mein Gott, was für sonderbare Enkelkinder habe ich doch! ... Gaud, meine Tochter, so sage ihm doch nur ein einziges Wörtchen! – Ich glaube, zu meiner Zeit küßten sich die Leute, wenn sie sich miteinander versprochen hatten!«

Yann nahm seinen Hut ab, ehe er sich niederbeugte, um Gaud zu küssen. Ein tiefer Respekt überkam ihn, wie vor etwas Heiligem, und der Brautkuß dünkte ihm der erste wirkliche Kuß, den er in seinem Leben gegeben.

Gaud küßte ihn wieder, und ihre frischen Lippen drückten sich fest auf Yanns schöngebräunte Wangen. Im Herd fing das Heimchen an das junge Glück in der Hütte zu besingen, und diesmal hatte es recht! Das Bild des guten Sylvester schien aus der Umrahmung seines Totenkranzes hervor ihnen zuzulächeln, und die arme Hütte wie durch einen Zauberschlag verwandelt. Jubelnde Stimmen in ihnen füllten das Schweigen aus und das hereinbrechende Dämmerlicht des Februarabends kam ihnen vor wie ein gar wundersames Licht, da es ihr Glück beschien.

»Also nach der Rückkehr von Island wollt ihr Ernst machen mit dem Heiraten, meine guten Kinder?« fragte die alte Yvonne.

Gaud senkte den Kopf. Island – die »Leopoldine« – sie hatte diese beiden Schrecknisse ganz vergessen, die sich auf einmal vor ihrem Glück auftürmten. »Nach der Rückkehr von Island« wie lang würde ihr die Zeit bis dahin werden, ein ganzer Sommer voll banger Tage! Yann bohrte die Fußspitzen in den Boden, während er rechnete; er hatte es auf einmal sehr eilig bekommen und rechnete aus, ob es nicht möglich sei, sich noch vor der Abreise zu verheiraten, wenn man sich tüchtig dazu hielte: so viel Tage braucht es, bis man die nötigen Papiere zusammen haben konnte, so viel Zeit für das kirchliche Aufgebot. Ja, bis zum zwanzigsten oder fünfundzwanzigsten Februar konnte es werden, und wenn nichts dazwischen kam, so blieb ihm noch eine ganze Woche glücklichen Beisammenseins mit seiner jungen Frau.

»Ich will nur gleich mit unsern Eltern reden,« begann er die notwendigen Schritte mit einer Eile, als ob ihm die einzelnen kostbaren Minuten des Glückes zugezählt wären.


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