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13.

Auf der Reede von d'Há-Long, am anderen Ende der Welt, wurde die französische Post an Bord der »Kirke« ausgeteilt. Unter einer dichtgedrängten Gruppe von Matrosen stand der Wiegemeister und rief die Namen der Glücklichen auf, die Briefe erhielten. Dies aufregende Ereignis spielte sich am Abend in der Batterie ab, wo sich die Leute um die Schiffslaterne drängten.

»Sylvester Moan!« hieß es. Also ein Brief aus Paimpol, aber nicht von Gauds Hand geschrieben. Was hatte das zu bedeuten und von wem kam er? Sylvester drehte ihn hin und her und öffnete ihn endlich mit bangem Herzen.

»Ploubazlanec, am 5. Mai 1884.

Mein lieber Enkel!«

Also war der Brief doch von der guten alten Großmutter! Sylvester atmete erleichtert auf. Und da stand ja auch ihre Unterschrift; er kannte die Federstriche der zitternden, schülerhaften Schrift auswendig: »Witwe Moan.«

Witwe Moan! Er führte das Papier an die Lippen und küßte den lieben Namen wie ein heiliges Amulett. Kam doch der Brief zu einer großen entscheidenden Stunde seines Lebens: morgen in aller Frühe kam er ins Feuer.

Es war Mitte April; Bac-Ninh und Hong-Hoa waren eben genommen. Eine größere Operation in Tongking stand zwar nicht bevor; die eintreffenden Verstärkungen genügten aber gleichwohl nicht, daher nahm man von Bord der Schiffe alles was sie nur hergeben konnten, um die Compagnien der Seesoldaten zu vervollständigen, die bereits ausgeschifft waren. Sylvester, der sich bei Kreuzfahrten und Blockade arg gelangweilt, war nebst mehreren Kameraden dazu kommandiert, die Lücken in diesen Compagnien auszufüllen.

Im Augenblick waren zwar Friedensgerüchte im Umlauf, die Matrosen sagten sich jedoch, daß sie wohl gerade noch zurecht kommen würden, um ein bißchen mit drein zu schlagen.

Nachdem sie ihre Tornister gepackt und die kleinen Vorbereitungen vollendet, spazierten sie den ganzen Abend auf Deck umher und fühlten sich stolz und gehoben gegen die Zurückbleibenden. Jeder gab auf seine Weise die Gefühle kund, die ihn am letzten Abend bewegten: die einen waren ernst und gesammelt, die andern machten sich mit übervielem Reden wichtig.

Sylvester war ziemlich schweigsam und verschloß seine Ungeduld zum Ausmarsch in sich; nur wenn ihn jemand anblickte, schien ein leises Lächeln auszudrücken: »Ja, ja, es hat seine Richtigkeit; ich bin dabei, und zwar auf morgen früh!« Seine Vorstellung vom Krieg und Kampf war etwas unvollständig, übte aber einen großen Zauber auf ihn aus, denn er entstammte einem tapferen Geschlecht.

Er beunruhigte sich über Gaud, weil der Brief von fremder Hand geschrieben war, und drängte sich an die Laterne heran, um ihn endlich zu lesen; damit hatte es aber seine Schwierigkeit inmitten der halbnackten Gestalten, welche in dieser erstickenden Atmosphäre die Laterne bereits mit ihren Briefen umdrängten. Nun erhielt Sylvester auch die Aufklärung, warum die Großmutter Ivonne diesmal eine alte Nachbarin um den Schreibedienst gebeten.

»Mein lieber Junge,« las er, »diesmal lasse ich dir nicht von deiner Cousine schreiben, denn es geht ihr traurig. Ihr Vater ist vor zwei Tagen plötzlich gestorben, und es scheint, daß sein ganzes Vermögen vorigen Winter in schlechten Geschäften in Paris draufgegangen ist. Nun wird wohl Haus und Einrichtung verkauft werden müssen. Kein Mensch hat geahnt, daß es schlecht mit dem Mann stände, und ich glaube gewiß, mein liebes Kind, daß es dich so sehr betrübt wie mich.

»Der junge Gaos läßt dich schön grüßen, er hat sich auch dies Jahr wieder auf die ›Marie‹ zum Kapitän Guermeur verdungen, und sie sind diesmal recht zeitig nach Island aufgebrochen. Am Tag darauf starb Herr Mével, und so wissen sie noch gar nicht, welches Unglück über die arme Gaud gekommen ist.

»Aber du wirst dir wohl denken, mein lieber Sohn, daß es jetzt aus ist, und wir sie nicht verheiraten werden, denn sie wird nun wohl um ihr Brot arbeiten müssen.«

Sylvester stand wie vom Donner gerührt; die schlimme Botschaft hatte ihm auf einmal die ganze Kampfesfreude verdorben!


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