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14.

Der Winter kam nach und nach, und breitete sich über das Land aus wie ein großes Leintuch, das man langsam fallen läßt. Die Tage wurden düsterer – Yann kam aber nicht wieder, und die beiden Frauen führten ein recht verlassenes Leben.

Mit der Kälte wurde es überhaupt schwerer, und das Leben kostete mehr. Dazu wurde die Pflege der alten Yvonne schwieriger; ihre Geisteskräfte schwanden; sie konnte zuweilen ohne Ursache sehr böse werden, und es kam jetzt fast jede Woche ein paarmal vor, daß sie sich wie ein unartiges Kind gebärdete, böse Reden führte und schimpfte.

Die arme Alte! An besseren Tagen, bei größerer Klarheit in ihrem Kopf, war sie so lieb und sanft, daß sich weder Gauds Achtung noch Liebe verringerte. Welcher Widerspruch aber in dem Wesen, das ein ganzes langes Leben gut gewesen, um gegen sein Ende hin böse zu werden, Bosheit zu enthüllen, die ungeahnt da geschlummert hatte; mit einem Vorrat von häßlichen Worten ans Licht kommen, die ein Leben lang versteckt gewesen – welch trauriges und geheimnisvolles zu Grunde gehen der Seele!

Jetzt sang sie auch oft, und das war noch schrecklicher, als ihre Zornesausbrüche; sie sang, was ihr gerade in den Sinn kam, das »Oremus« aus der Messe ebenso gut, wie ein gemeines Trinklied, das sie von den Matrosen am Strand gehört. Sogar »Die Mägdelein von Paimpol« stimmte sie an, oder sie wiegte den Kopf hin und her, schlug mit dem Fuß den Takt und sang:

Mein Mann ist fortgefahren –
Nach Island fort ist mein Mann.
Er konnte vor Not mich bewahren,
Doch bin ich gar übel daran:
Er ließ mir zurück keinen Sou,
So verdien' ich mir was! Tralalou!

Dann brach sie kurz ab, und die weit geöffneten Augen starrten ins Leere; ohne jeden Ausdruck von Leben – einer erlöschenden Flamme gleich. Dann pflegte sie eine lange Weile in geduckter Stellung zu verharren, ließ den Kopf hängen, und der Unterkiefer sank herab, wie bei einer Toten. Ihre Reinlichkeit ließ auch nach, und das war eine neue Prüfung, auf die Gaud nicht gerechnet hatte.

Eines Tages wußte sie selbst nichts mehr von ihrem Enkel.

»Sylvester?« Sylvester?« fragte sie Gaud mit solch' suchendem Ausdruck, als hoffte sie noch darauf zu kommen, wer das wäre. »O du meine Güte, ich habe so viele Kinder gehabt, wie ich jung war: Jungen und Mädchen, und Mädchen und Jungen – und jetzt, siehst du Gaud. jetzt ...«

Damit fuhren die alten runzeligen Hände mit fast leichtfertig-sorgloser Bewegung in die Luft; hingegen am nächsten Tag erinnerte sie sich ihres Enkels wieder ganz gut, und erzählte manches, was er in seiner Kindheit gethan oder gesagt hatte. Das ging dann den ganzen Tag fort und sie weinte in einem fort dazu.

Die Winterabende waren schlimm, da es an Feuerung gebrach. Hatte Gaud den Tag über in Paimpol gearbeitet, so vermochte sie bei der Kälte oft nicht fertig zu bringen, was sie an Näharbeit noch mit heim genommen.

Die Großmutter saß dann ruhig in ihrer Ecke am Kamin, wärmte sich die Füße an der ersterbenden Glut und hielt die Hände unter der Schürze. In diesen ersten Abendstunden wollte sie aber auch stets unterhalten sein.

»Warum erzählst du mir gar nichts, meine gute Gaud?« fragte sie dann. »Zu meiner Zeit habe ich doch auch junge Mädchen gekannt, die wußten aber den Mund aufzuthun Wir würden alle zwei nicht so trübselig sein, wenn du nur etwas reden wolltest.«

Darauf erzählte ihr Gaud, was sie an Neuigkeiten in der Stadt vernommen, nannte ihr die Leute, die sie unterwegs getroffen hatte, und sprach von ihr völlig gleichgültigen Dingen. Übrigens konnte sie oft mitten in einer Geschichte aufhören, da die alte Yvonne dabei eingeschlafen war. Daß in der Einsamkeit dieses freudlosen und sorgenvollen Lebens der armen Gaud Schönheit verging, war begreiflich.

Der Seewind, der um das Haus pfiff, machte das Lämpchen flackern, und man hörte den Anprall der Wogen so nahe, als wäre man auf dem Schiff. Wenn Gaud das hörte, so gingen ihre Gedanken stets zu Yann, waren doch seine Berufsinteressen ihr allezeit gegenwärtig und schmerzlich zu den ihrigen geworden: War ein Sturm entfesselt und sein Toben ließ sie eine ganze Nacht nicht schlafen, so bangte sie angstvoll um ihn. Und allein, immer allein mit der schlafenden Großmutter! Gaud fürchtete sich manchmal und schaute in die dunklen Ecken, wenn sie an ihre Vorfahren dachte, deren Leben hier in diesen Schrankbetten begonnen, die draußen auf dem Meere umgekommen waren in solchen Sturmnächten, wie heute, und deren Seelen am Ende wiederkehren konnten; gegen Geisterbesuch fühlte sie sich aber durch die Gegenwart der alten Frau nicht genügend beschützt, die beinahe schon zu ihnen gehörte.

Plötzlich durchlief sie ein Schauer von Kopf bis zu Fuß, denn aus der Kaminecke tönte ein dünnes Stimmchen flötend und doch gebrochen, als käme es aus der Erde herauf. In leichtem Ton, der weh that zu hören, sang die Stimme:

Mein Mann ist fortgefahren –
Nach Island ist mein Mann ...

Und Gaud fühlte jene besondere Art von Grauen, das man in Gegenwart von Irren empfindet Draußen strömte der Regen unaufhörlich und die alte Dachrinne plätscherte wie ein Brünnlein ohne Unterbrechung ihre monotone Weise. Da das Moosdach schadhafte Stellen hatte, bildeten sich nach und nach Tropfstellen auf dem Fußboden. Dieser hatte zwar Fels zum Untergrund, aber einen Belag von gestampften Muscheln, Sand und Erde.

Man fühlte sich ganz von Wasser umgeben, dessen Gehalt die Luft durchsetzte, rauschte, plätscherte, zerstäubte; es vermehrte die Dunkelheit und hält die Bewohner der zerstreut liegenden Hütten von Ploubazlanec noch mehr voneinander entfernt.

Die Sonntagabende waren für Gaud die allerschrecklichsten von der ganzen Woche, einer gewissen Art von Fröhlichkeit wegen, die sie anderswo brachten. Selbst in diesen kleinen Weilern waren es lustige Abende, denn hie und da gab es eine fest zugemachte Hütte, aus welcher rauhes Singen durch Nacht und Regen scholl. Drinnen waren Tische für die Trinker aufgestellt, und naßgewordene Männer trockneten sich am räucherigen Kamin; die Alten begnügten sich mit Schnaps, während sich die Jungen mit Mädchen vergnügten; bei Alt und Jung ging es bis zur Berauschtheit, und um sich zu betäuben wurde gesungen. In ihrer Nähe brauste das Meer, welches morgen ihr Grab werden konnte, und das Meer sang auch sein Lied, das die Nacht mit seiner gewaltigen Stimme erfüllte.

An manchen Sonntagen kamen einzelne Trupps junger Leute an der Hütte der alten Yvonne vorüber, wenn sie aus den Schenken kamen oder von Paimpol heimkehrten. Es war meist sehr spät, bis sie sich von den Mädchen losgemacht und daran dachten, nach Ploubazlanec oder Pors-Even zurückzukehren; Nässe und Sturm waren sie gewohnt, der machte ihnen nichts aus. Gaud spannte das Gehör an, um aus dem Schreien und Gröhlen Yanns Stimme heraus zu finden, und zitterte, wenn sie diese erkannt zu haben glaubte.

Es war schlecht von Yann, daß er nicht wieder kam, und wie er sobald nach Sylvesters Tod ein so lustiges Leben führen konnte, war ihr unbegreiflich. Nein, das glich ihm nicht, und sie vermochte sich weder von ihrer Liebe los zu reißen, noch ihn für herzlos zu halten.

Thatsache war jedoch, daß Yann seit seiner Rückkehr ein sehr lockeres Leben geführt hatte.

Zuerst waren die Schiffe, wie alljährlich im Oktober, nach dem Golf von Biscaya gesegelt, und dort pflegen die Matrosen in Lustbarkeit zu schwelgen, haben auch etwas Geld im Beutel, was sie ohne Sorgen daraufgehen lassen dürfen, denn die Kapitäne geben ihnen gern einen kleinen Vorschuß auf ihren Anteil am Fang, der erst im Winter ausgezahlt wird.

Man hatte, wie jedes Jahr, Salz auf den Inseln eingenommen, und in Saint-Martin-de-Ré war Yanns Liebe zu dem braunen Mädchen, das er im vorigen Herbst zur Geliebten gehabt, wieder aufgelebt. Sie waren in den letzten warmen Herbsttagen zusammen in die Weinberge gegangen, die von Lerchengesang und dem Aroma reifer Trauben, dem Duft der Sandnelken und des Seetangs erfüllt war. Sie hatten zusammen gesungen, und an den Abenden, wo die Winzer ihre Gelage hatten, getanzt, süßen Most getrunken, und sich an Liebe und Most berauscht.

Danach war die »Marie« nach Bordeaux weitergefahren und dort hatte Yann in einem großen Kaffeehaus, dessen Räume von Goldverzierungen strotzten, die schöne Sängerin wiedergefunden, von welcher seine goldene Uhr herrührte, und er hatte gnädig gestattet, daß sie ihn noch einmal acht Tage lang anbetete.

Nach seiner Heimkehr im November galt es, bei mehreren Freunden die Hochzeit als Brautführer mitfeiern. Dazu trug er jedesmal seinen Festanzug, war nach Mitternacht manchmal betrunken, und blieb bis zuletzt. Jede Woche hatte er ein anderes Abenteuer, und die Mädchen beeilten sich, es Gaud in Übertreibungen wieder zu erzählen. Drei- oder viermal hatte sie ihn aus ihrem Weg von weitem daher kommen sehen, aber jedesmal Zeit gehabt, ihm auszuweichen. Und er machte es ebenso – erblickte er sie aus der Entfernung, so ging er querfeldein. Wie durch stillschweigendes Einverständnis flohen sie einander.


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