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11.

Eines Morgens gegen drei Uhr, während sie unter dem feuchten Niederschlag hindämmerten und fischten, vernahmen sie etwas, das menschlichen Stimmen glich, deren Klang ihnen jedoch fremd war und entschieden nicht den Leuten ihrer Mannschaft angehörte. Die zwei, welche nebeneinander fischten, sahen sich mit einem Blick an, der die Frage ausdrückte: »Wer hat denn da gesprochen?«

Niemand; nein, niemand hatte etwas gesagt; es klang ja auch, als wären die Stimmen aus der Leere gekommen.

Der Matrose aber, welchem die Pflicht oblag, von Zeit zu Zeit ins Nebelhorn zu stoßen, was er seit vorigem Abend vernachlässigt hatte, stürzte auf sein Horn zu und blies mit aller Kraft seiner Lungen hinein, um den Alarmruf hervorzubringen.

Dieser genügte, um in der furchtbaren Einsamkeit den Menschen einen Schauer über den Leib zu jagen. Jetzt aber war es, als ob das fürchterliche Tuten ein Gespenst heraufbeschworen hätte, denn ein großes, sehr hohes Ding richtete sich drohend vor ihren erschrockenen Augen auf: Mäste, Segelstangen und Tauwerk; das grauscheinende Abbild eines Schiffes, welches ganz plötzlich vor ihnen aus der See aufstieg, eines jener Schreckbilder, wie sie ein einziger Lichtstrahl auf die gespannten Segel zu zaubern vermag. Und auf diesem Schiff erschienen Männer, so in der Nähe, daß man sie hätte erreichen können, sich über die Brüstung beugten, und sie mit weit offenen Augen voll Furcht und Erstaunen anblickten ...

Yann und seine Kameraden stürzten zu den Rudern, die übrigen kamen die Leiter herauf und ergriffen Bootshaken oder was sonst sich Langes finden ließ, und stießen damit hinaus, um sich das Ding vom Leibe zu halten. Die erschrockenen Gäste thaten jedoch das Gleiche und stießen mit langen Stangen nach ihrem Schiff.

In Mast und Segelstangen über ihnen ward ein leichtes Krachen hörbar, und das für einen Augenblick zusammengestoßene Takelwerk löste sich ohne jedwede Beschädigung. Der bei völlig ruhiger See nur unbedeutende Anprall war so schwach gewesen, daß es schien, als wäre das fremde Schiff gar nicht aus festem Stoff, sondern nur eine weiche Masse, fast ohne Gewicht.

Nachdem der erste Schrecken vorüber war, fingen die Männer an zu lachen und erkannten einander.

»O hee! es ist die ›Marie!‹ Jawohl! Gaos, Laumec, Guermeur!«

Das vermeintliche Geisterschiff war die »Königin Bertha«, Kapitän Larvoër, ebenfalls aus Paimpol, und seine Matrosen stammten sämtlich aus Dörfern der Umgegend. Der Große dort mit dem schwarzen Bart, dessen Zähne man sah wenn er lachte, Kerjégou, war aus Paimpol, die anderen aus Plounès oder Plounérin.

»Warum habt ihr auch nicht das Nebelhorn geblasen, ihr wilden Kerle?« fragte Kapitän Larvoër von der »Königin Bertha.«

»Und warum habt ihr es denn nicht gethan, ihr Räuberbande und Schaumspritzer, die ihr seid, ihr faulen Fische?«

»Ach, wir... das ist etwas anderes: uns ist verboten Lärm zu machen,« antwortete der Kapitän geheimnisvoll und mit einem so schlauen Lächeln, daß es den anderen zu denken gab, und sie erinnerten sich später oft daran. Und als hatte er schon zuviel gesagt, deutete er lachend auf einen und erklärte: »Der Mensch da hat mir ja mein Nebelhorn ruiniert – hat so arg geblasen, daß es geplatzt ist!«

An dem Bezeichneten schien alles Oberkörper zu sein, die Beine waren aber zu kurz, und es lag etwas Groteskes und Beunruhigendes in dieser gewaltigen Mißgestalt.

Währendem darauf gewartet wurde, daß eine Brise sich aufmachen, oder eine Unterströmung die Schiffe auseinander treiben würde, thaten sich die Mannschaften am Erzählen gütlich. Indem sie mit Ruderstangen einander noch in gebührender Entfernung hielten, wie Belagerte mit ihren vorgestreckten Piken, redeten sie von der Heimat, erzählten von den letztempfangenen Briefen, von ihren Frauen und alten Eltern.

»Und meine hat geschrieben,« sagte Kerjégou, »daß sie den Kleinen jetzt gekriegt hat, den wir erwarteten – er hat das Dutzend bei uns vollgemacht!«

Einem anderen waren Zwillinge geboren worden, ein dritter wußte zu erzählen, daß die schöne Jeannie Caroff, die gar wohlbekannt bei den »Isländern« war, einen reichen, alten Mann in Plourivo geheiratet habe, der schon ganz gebrechlich sei.

Die Leute sahen einander wie durch Gazeschleier; der Nebel schien auch den Klang der Stimmen zu verändern und gab ihnen etwas Gedämpftes, wie aus der Ferne kommend.

Yann konnte die Augen von einem der Fischer nicht abwenden, einem kleinen und schon älteren Mann, den er noch nie und nirgends gesehen, obgleich er ihn eben wie einen alten Bekannten mit den Worten begrüßt hatte: »Guten Tag, mein großer Yann!« Der Mann war so häßlich wie ein Affe, und seine durchdringenden Augen zwinkerten boshaft.

»Und mir haben sie von zu Haus geschrieben, daß der Enkelsohn der alten Yvonne Moan von Ploubazlanec ums Leben gekommen ist,« erzählte Kapitän Larvoër. »Ihr wißt ja, daß er jetzt diente und mit nach China geschickt worden ist. Schade um den prächtigen Burschen!«

Die von der »Marie« drehten sich alle miteinander nach Yann um, um zu sehen, ob er schon von diesem Unglück wüßte.

»Ja,« bemühte sich Yann mit gleichgültiger Stimme zu sagen, »das hat mir mein Vater in seinem letzten Brief geschrieben.« Es reizte ihn, daß ihn alle so anguckten, darum steckte er ein so hochmütiges Gesicht auf.

In dem bleichen Nebel flogen die Reden hin und her, sollten doch die flüchtigen Minuten dieser seltsamen Zusammenkunft ausgenutzt werden! Daher erzählte der Kapitän der »Königin Bertha« weiter: »Ich habe auch noch von meiner Frau erfahren, daß Herrn Mévels Tochter nicht mehr in Paimpol ist. Sie ist nach Ploubazlanec zu ihrer Großmutter gezogen, Pflegt die alte Frau und arbeitet bei den Leuten auf Tagelohn, um sich ihr Brot zu verdienen. Ich hab's schon lang gedacht, daß sie ein mutiges und tapferes Mädchen ist, wenn sie auch Falbelkleider trägt und wie ein Fräulein aussieht.«

Und wieder richteten sich aller Augen auf Yann, was ihn so verdroß, daß die Zornesröte in seine gebräunten Wangen stieg.

Mit diesen anerkennenden Worten über Gaud schloß die Unterhaltung mit den Leuten von der »Königin Bertha,« die kein lebendes Wesen je wieder erblicken sollte. Seit einem Augenblick schienen die nahen Gesichter wie verwischt, denn das Schiff begann sich zu entfernen; die von der »Marie« fühlten keinen Halt mehr für ihre Stangen, die schwer ins Wasser niedersanken. Also wurden die unnötig gewordenen Verteidigungswerkzeuge eingezogen, und eben so plötzlich, wie die »Königin Bertha« vor ihren Augen aufgetaucht war, verschwand sie jetzt wieder im Nebel, wie ein Transparent, hinter welchem das Lämpchen gelöscht wurde. Sie schrieen den Kameraden noch Scheidegrüße nach, nichts aber antwortete ihren Rufen als der höhnende Schall ihrer eigenen verworrenen Stimmen, die in einem klagenden Laut erstarben. Die Männer blickten bei dieser unheimlichen Erscheinung einander bedeutungsvoll an.

Und die »Königin Bertha« kehrte nie zum heimischen Strand zurück; man hörte auch auf, auf sie zu warten, seit die Bemannung des »Samuel Azénide« in einem Fjord ein Wrack angetroffen hatte, das zweifellos das vermißte Schiff war.

Zum Winter wurden dann die Namen der Verschollenen auf schwarzen Tafeln in der Totenkapelle angebracht.

Die Leute auf der »Marie« hatten sich den Tag wohlgemerkt, an welchem sie so unvermutet mit der »Königin Bertha« zusammengetroffen waren. Merkwürdigerweise war von da an bis zu ihrer Heimkehr kein einziger Tag bösen Wetters, wahrend drei Wochen zuvor auf den isländischen Meeren ein Sturm gewütet hatte, bei welchem zwei Schiffe gescheitert waren. Alsdann wurde bei den Leuten jenes drolligen Lächelns des Kapitäns Larvoër oft gedacht, und sie kamen auf seltsame Gedanken, indem sie sich dies und das zusammen reimten. Yann sah das Augenzwinkern des Matrosen mit dem Affengesicht mehr als einmal im Traum, und einige seiner Kameraden fragten sich in abergläubischer Furcht, ob sie an jenem Morgen nicht mit den Abgeschiedenen geredet hätten?


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