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2.

Das Schiff hieß »Marie.« Kapitän Guermeur und zog alljährlich auf den gefahrvollen Fischfang in den nördlichen Meeren aus, wo die Sommer keine Nächte haben. Es war ein sehr altes Schiff – so alt wie seine Schutzpatronin, die Muttergottes in Steingut. Seine dicken Flanken mit den starken Eichenholzrippen zeigten Risse und waren von Nässe und Salzlake ganz durchsetzt, das Holz war aber noch gesund und strömte kräftigen Teergeruch aus. Bei Windstille sah es in seiner massiven Gliederung plump aus, wenn aber ein starker Westwind blies, so segelte es mit einer Leichtigkeit wie die Möwen vor dem Wind. Alsdann hatte es eine ganz eigene Art sich zu heben und auf den Wellen zu schaukeln, weit leichter als manches neue Schiff, das nach den Regeln moderner Schiffsbaukunst gebaut ist.

Die Mannschaft der »Marie« gehörte vom Kapitän bis zum Schiffsjungen den Islandfischern an, jenem tapferen Geschlecht von Seeleuten, das hauptsächlich in der Gegend vom Paimpol und Tréguier seinen Sitz hat, und sich vom Vater auf den Sohn forterbend, diesen gefahrvollen Berufszweig wählt.

Kaum einer der sechs Männer hatte je einen Sommer in Frankreich verlebt. Ging der Winter zu Ende, so rüsteten sich die Fischer zur Ausfahrt und empfingen im Hafen von Paimpol den Abschiedssegen. Zu dieser Feier wurde alljährlich derselbe Altar auf dem Quai errichtet; er stellte eine Felsgrotte dar, in deren Mitte thronte von Ankern, Rudern und Netzen umgeben, die heilige Jungfrau, die Schutzpatronin der Seeleute. Um dieser ihrer Schutzbefohlenen willen verließ sie alle Jahre einmal ihre Kirche, und ihre leblosen Augen schauten von einer Generation zur andern auf die Männer, welche zu einem Teil mit reichem Fang wiederkommen, zum andern Teil nicht heimkehren sollten.

Das heilige Sakrament, dem ein langer Zug von Ehefrauen und Müttern, Bräuten und Schwestern folgte, wurde in langsamer Prozession um den Hafen getragen, wo die Schiffe der Islandfischer zur Ausfahrt bereit lagen. Der Priester hielt bei jedem einzelnen an und sprach unter den üblichen Ceremonien den Segen, worauf ein Schiff nach dem andern grüßend die Wimpel hißte. Nach beendeter Feier liefen sie aus wie eine Flotte; und Ehemänner, Söhne oder Geliebte gab es fast in der ganzen Gegend nicht mehr. Von den Schiffen erscholl aus starken Kehlen der Abschiedsgesang: »Heilige Maria, Stern des Meeres;« und diese Feier wiederholte sich jedes Jahr.

Von da an begann das einförmige Leben auf hoher See, wo drei oder vier rauhe Kameraden aufeinander angewiesen waren, auf schwankenden Planken inmitten der kalten Gewässer nördlicher Meere.

Bisher war man stets glücklich heimgekehrt – die heilige Jungfrau hatte das Fahrzeug beschützt, das ihren Namen trug!

Ende August war die Zeit der Rückkehr; die »Marie« folgte aber dem Gebrauch vieler Islandfahrer, welche den Hafen von Paimpol nur anlaufen, um nach dem Golf von Biscaya weiter zu fahren. Dort setzen sie ihren Fang gut ab, und handeln auf den sandigen Inseln mit salzreichen Buchten gleich ihren Salzvorrat für das nächste Jahr ein.

In diesen südlichen Häfen, wo es noch sommerlich ist, bleiben die Schiffe meist ein paar Tage liegen, deren Mannschaft nach den langentbehrten Vergnügungen des Festlands lechzt; dann schwelgen sie in warmer Luft und Sonne, berauschen sich in Lustbarkeiten – und an Weibern.

Mit den ersten Herbstnebeln kehren die Fischer dann heim zu den Ihrigen nach Paimpol oder in die zerstreut liegenden Hütten der Landschaft von Goëlo, um sich für ein paar Monate mit ihren Familien und der Liebe zu beschäftigen, mit Heiraten und Geburten. Die Heimkehrenden finden in der Regel Neugeborene vor, welche entweder auf die Taufe oder auf Paten warten, und es ist gut, daß die Fischersleute so kinderreich sind, denn die isländischen Meere verschlingen ihrer gar viele!


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