Hermann Löns
Mein grünes Buch
Hermann Löns

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Auf den Fuchs

Nordostwind, hurra! Mein Leib- und Lieblingswind, der pfeift mir den Kopf frei und die Augen blank, macht mir die Backen rot und die Muskeln stramm. Wer nicht in ihm aufgewachsen ist, dem klemmt er die Brust, den kneift er in die Stirne, dem versengt er die Ohren und dem ritzt er die Lippen auf. Aber wer ihn kannte von Kindesbeinen an, dem ist er der Lebenswind.

Der liebe, scharfe Wind, nicht nur frisch hat er mich gemacht, auch den Schnee hat er gebracht, die erste Neue des Jahres, und was für eine! Trocken, blendendweiß, pulverig, herrlich für die Augen, gut für die Wintersaat, unschädlich für das Wild. Nun regnet es Treibjagdeinladungen Tag für Tag! Und alle sage ich ab, eine nach der anderen. Allein will ich sein die paar freien Tage, ganz allein in der Trümmerwildnis des Kahnsteins, wo die Buchen ragen wie Säulen, wo aus dunklen Dickungen graue Felsen bollwerken wie die Burgruinen toter Geschlechter. Dort haust mancher Rotrock im Felsenbau, sicher vor Hund und Grabschute. Davon will ich mir einen langen. Wie langsam der Schnellzug fährt! Ich hauche mir ein Loch in die Scheiben und starre hinaus in die weiße Weite, meine Augen daran labend. Und dann eine halbe Stunde Aufenthalt auf der kleinen Station, eine Tasse Kaffee, eine Zigarre, dann noch eine kurze Fahrt Bummelzug, und dann mit langen Schritten durch den Flecken auf die Landstraße. Mit frohen Augen grüße ich die schwarzen Kuppen und weißen Hänge des Külf und lache den ernsten Kahnstein an, der da schwarz sich vor mir aufbaut.

Wagengerassel hinter mir. Platz? Der Knecht lacht: »Masse!« Er freut sich auf das Trinkgeld. Als er mir beim Dorfe Gewehrfutteral, Mantel und Rucksack reicht, steckt er danach die halbe Mark ein. »Na, veel Glück ook, Härr, bringet Sei ordntlich wat mie!« Ich nicke dankend; jetzt weiß ich, daß ich einen Roten kriege. Mir geht's immer gut, wenn mir Einfalt und Unverstand Glück wünschen.

Beim Gute spreche ich beim Forstaufseher vor. »Ist der Vatter inne?« Die Alte lacht, sie hat mich lange nicht gesehen. »Nä, hei is in Holze.« So stapfe ich über den Gutshof, den Koppelweg entlang, über dessen tiefe Wagentranen ein vierspänniger Mistwagen fährt. »Holt jue Päre dat Scheiten af?« frage ich den stämmigen Knecht. »Wisse!« Na, dann will ich ein paar Krähen mitnehmen für die Roten. Hinter dem Wagen gehend, haue ich mit dem rechten Lauf in das Galgenzeug, eine bleibt. Mit Angstgekrächz geht der Flug hoch; noch eine bringt der Würgelauf herab.

Bergan geht das Feld. Ich lese in dem weißen Blatt, das der Nordost auf die Roggenblaade legte: Fuchs, Hase, Fuchs, Hase, Hase, Marder, Großwiesel, Mäuse, Krähen, Rehe, Hund, Katze, überall. Und unter den hohen Buchen weist der weiße Leithund wieder Fährten und Spuren auf Schritt und Tritt. Überall lustiges Vogelleben; warnend flattert der Markwart ab, an dem plaudernden Bach hüpfen Norwegens Bergfinken, an der Quelle stochern die weit her gewanderten Nußhäher, in den Schlehen am Schälwald lockt der Dompfaff.

Axtschläge und Sägegekreisch. Da wird der Alte sein. Hoho! Da richtet er sich auf; er kennt mich nicht. Die Biedermannsmütze, der verschossene Mantel machen das. Dann aber lacht er, als ich dicht bei ihm bin, und stützt sich auf die Säge. Ich drücke die schwarzrissige Schwielenhand, eine Zigarre von meinen besten dampft, dann ein paar Fragen, und dann steige ich bergan in den Hochwald, der Buschzone zu.

Alles weiß rund umher. Darin die silbergrauen Buchensäulen, in den Einschnitten Bäche, an der Eiseinfassung klimpernd, eines Zaunkönigs Sang, eines Eichkaters Gefauche, vom sichern Ast, ein Häherruf. Da, ein Schweißtropfen im Schnee, feuerrot! Sollte jetzt schon ein Reh laufkrank sein? Nein, er liegt bei der Fuchsspur; Reineke hat eine Maus erwischt.

Zwischen Hochwald und Dickung, in den Trümmerlöchern, die vom Sturm gepflückte Riesenbuchen in den Hang rissen und vom Blitz gesprengte Felsblöcke, zwischen den silbergrauen Federkronen des hohen Baldgreises, den zitternden Rispen des Bergrohrs und den toten Stengeln der Tollkirsche äsen Rehe an den Himbeeren. Ich bin unter Wind und pirsche von Buche zu Buche auf dreißig Gänge mich an. Eine Ricke mit zwei Kitzen. Alle drei gut im Wildbret und ordentlich feist. Das macht die reiche Buchmast, die hält vor. Füttern tut noch nicht not. Sorglos gehe ich zurück, ein Dorflied pfeifend. Sie äugen mir vertraut nach. Nur der Bussard, der auf der wipfeldürren Buche hakte, traut mir nicht und streicht talab. Keine Angst, Mäusefresser, ich tu dir nichts.

Vor mir liegt der Hang. Unter Buchenjugenden im vollen roten Laubschmuck, der den Schnee festhält. Oben düsteres Stangenholz, schneehelle Blößen, graue, weißmützige Felsen, drei sturmzerfetzte Buchenüberhälter, des Wanderfalken Lugaus, und ganz oben, weiß vom Rauhfrost, der Hochwald des Kammes, vom Abendgold durchleuchtet.

Durch das rasselnde Rotlaub der Buchen, an der Fallbuche Krone vorbei, steige ich langsam bergan, auf verschneiten Wegen, deren Weiß noch kein Fuß unterbrach, bis dahin, wo im Stangenort der Hilsweg hangan führt, dieser Weg, ein Hauptwechsel für die Rehe, ein Hauptpaß für Has und Fuchs, Dachs und Marder. Ein Feldblock ist mein Sitz, den Füßen gibt der Wetterrock Wärme, dem Leib der lange, dicke Friesmantel, den Ohren die Mütze. Bald langsam, bald schnell flattert der Pfeifenrauch. Die Hände in den pelzgefütterten Mufftaschen, den Rücken an der jungen Zwillingsbuche, den gespannten Drilling auf den Knien, so sitze ich da. Tiefblaue Schatten werfen die Stangen auf den Schnee, ihre Zweige schlagen zusammen im Winde, erst leise, zart, dann roh und hart, wenn der Nordost auffrischt. Dann knistert der Rauhreif und fällt mit weichem Aufschlag in den Schnee.

Rechts, wo das dunkelgrüne Schaftheu wuchert, bricht es. Eine Ricke. Auf zehn Schritt zieht sie an mich heran. Der Felsblock kommt ihr nicht genau vor. Sie äugt kopfnickend, die feiste, gelbe Tante, die Lauscher spielen, der Windfang schnuppert hörbar, dann zieht sie vorbei, hier ein Gräschen pflückend, dort ein Blättchen rupfend. Ein Krummer folgt ihr. Auf mein Mäuseln macht er ein Männchen. Dann hoppelt er weiter.

Meine Augen gehen hangauf, hangab. Durch das Stangenholz, von der dunklen Stelle vor mir, wo der Fuchs gemaust hat, wo Fährten und Spuren dunkle Flecken im Schnee bilden, bis dahin, wo Felsklippen schwarz aus der weißen Bergwand drohen. Das ewige Hinstarren auf den Gegensatz von schwarzen Stangen und weißem Schnee überreizt die Augen; ich sehe auf einmal lauter weiße Bäume und schwarzen Schnee, darüber will ich gerade lachen, doch ich besinne mich noch.

Oben am Hange rührt sich etwas. Ein schwarzer Fleck schiebt sich hin. Kein kurzer, runder Fleck, ein langer, schmaler. Der Fuchs! Zirp, zirp, ganz leise durch den beeisten Schnurrbart. Der schwarze Fleck steht regungslos. Dann schiebt er sich nach links. Das Büchsenlicht ist weg, das wäre sonst ein guter Schuß. So muß ich denn warten. Aber Reineke traut dem Frieden nicht. Er schnürt weiter nach links, den Hang hinab, und jetzt ein Verhoffen und dann hangauf, daß die Standarte wippt. Der Krüselwind hat ihm Bescheid gesagt.

Pech, und nun kommt auch noch das zweite; die Füße werden kalt, mich schuddert. Eine neue Pfeife und dann hangab. Glutrot grinst der Mond durch den Schälwald. Langsam blaßt er ab und leuchtet über das weite weiße Feld. Da und dort ein schwarzer Fleck, Hasen, Rehe. Und da noch einer, beim Hagebuttstrauch. Das ist der Fuchs. Er will zu Feld. Ich ziehe den Handschuh aus, setze die hohle Faust an den Mundwinkel: »O weh, o weh!« so schallt jammervoll Lampes Todesklage. Aber zu laut pfeift der Wind, der Rotrock vernimmt das Lied nicht und schnürt am Bach entlang dem Dorfe zu. Meine Füße sind eisig, die Stirn bekommt Schmerzen; noch eine halbe Stunde gebe ich, dann geht's zum Gut.

Zwei Teller dicke Suppe, ein deftig Ende Speck, eine Zigarre beim Klönen mit den alten Leuten, und dann wieder hinaus. Hu, wie pfeift es draußen. Sechzehn Grad zeigt das Thermometer. Aber hinter dem Backhaus habe ich Überwind, und zwei Mäntel, Schlauchkappe und Häckselsack halten die Kälte vorerst ab.

Heute abend sollte ich in Hannover Tee trinken. Bei einer reizenden Frau, die so wunderbar schöne warme Augen und so allerliebste Backengrübchen hat und einen so hübschen Mund, der so entzückend plaudern kann. Warm und behaglich hätte ich da gesessen und gut gegessen, und nachher, bei einer Zigarre, vom bequemen Sessel aus die Mondscheinsonate angehört, die sie für mich spielte, und ein Volkslied, das sie mir sang, so, wie ich es liebe, vom halbdunklen Nebenzimmer hörend auf Ton und Weise.

Ich habe abgesagt, es ging wirklich nicht. Ich mußte hinaus in die eisige Januarnacht, wo der Nordoststurm mir die Mondscheinsonate spielt und der Mühlbach ein dunkles Lied mir sang, wo der Mond mir lacht vom sternhellen Himmel und der Schnee unzählige Diamanten funkeln läßt. Das klingt an beeisten Steinen, das braust in den hohen Eichen, das knistert im Dorn und klappert in den Pfannen des Backhauses; ruschelnd fegt der Sturm den Staubschnee und läutet im Flintenlauf.

Meine Augen lachen so froh, als sähen sie in liebe, schöne Frauenaugen; lachenden Auges sehe ich auf die weiße Fläche, auf die schwarzen, weiß bemützten Kohlstauden, auf die schwarzen Büsche und auf des schwarzen Kahnsteins ruhige Mauer. Zehn schlägt es, elf, und noch kommt nicht die Ungeduld zu mir. Ich sehe den Hasen zu, die am Kohl äsen, und warte auf den Fuchs, der Nacht für Nacht das Luder besucht, dreißig Schritt vor mir und höre dem Wind zu und dem Wasser.

Vom Gute schlägt es Mitternacht; noch immer kam der Fuchs nicht, gleich ist es ein Uhr. Da gebe ich es auf und lege mich in das breite Bett mit den rotkarierten Kissen und träume von weißem, mondbeschienenem Schnee und schwarzen Füchsen.

Um sechs Uhr klopft es; ich höre die Kaffeemühle rattern und den Ofen bullern im Nebenstübchen. Der Kaffee, das derbe Brot, die gute Butter, die harte Wurst, das gibt Wärme für den harten kalten Morgen. »Achtteihn Grad hebbet wie um fife hat, eet Sei man düftig«, meint die Mutter. Das tue ich denn auch eine halbe Stunde lang. Dann brauche ich keinen Kognak mit.

Dunnerschlag, der Nordost ist nicht ohne, der nimmt einem fast den Atem weg! Pfeif' du nur, das paßt mir gerade, da bleibt Reineke länger unterwegs. Aber auch ihm scheint es zu windig zu sein. Nirgendwo ein schwarzer Fleck im Feld, kein Fuchs, kein Reh, nicht mal ein elendiglicher Krummer. Sie haben sich möglichst schnell satt geäst an Kohl und Saat und sind längst zu Holze.

Eine halbe Stunde stehe ich am Hauptpaß, dann wird's mir zu dumm. Gar kein Einlauf heute, nur ein Eichkätzchen sucht neben mir Buch. So pirsche ich dann, so lautlos der harte Weg es erlaubt, zurück, am Holze entlang, in dem die Bergfinken quäken und die Ammern zippen, um unter Wind zu kommen, bis an die Grenze. Dann bergauf.

Du mein lieber Bergwald, wie schön bist du heut! Schöner fast noch, als wenn deine Kronen maigrün sind und überall die Goldhüllen herabhängen von den offenen Knospen, schöner fast, als wenn du alle Farben hast, goldgelb und brandrot, im Herbst. So feierlich bist du im Schneekleide, so still trotz des lauten Liedes deiner Kronen, die der Sturm aneinanderstößt mit grober Faust.

Und der Hang mit den rotlaubigen Jungbuchen, die weißkappigen Felsen, die hellen Blößen, der düstere Fichtenhorst, ebenso schön heute als wie im Frühsommer, wenn alles grünt, wenn das Bergvergißmeinnicht den Brink himmelblau färbt und der Hahnenfuß die Blößen goldgelb. Das Winterkleid, es läßt dich ebenso schön.

Fuß vor Fuß den Pirschsteig unterm Hange, zwischen Dickung und Hochwald, schiebe ich mich vorwärts. Alle dreißig Schritte Stand, die Augen bergan über die Blößen, talab den weißen Boden unter dem Altholz absuchend. Rehfährten überall, hier der Weidenbusch, den haben sie abgesproßt, dort nach Gras geplätzt. Da, der dunkle Fleck, ein Kitz, zehn Schritte vor mir; es äugt und zieht vertraut bergan.

Weiter den Steig entlang; von oben äugen drei Rehe und springen nicht ab. Ein Krummer fährt dicht bei mir aus dem Lager; seinen Weg zeigt der fallende Schnee der Buchenjugend an. Warnend stiebt ein Flug Häher ab, warnend ruft der Buntspecht.

Wenn es nicht so herrlich wäre hier am Hange, dann könnte ich ärgerlich sein. Fuchsspur auf Fuchsspur, überall Stellen, wo die Roten mausten, und keinen kriege ich zu Gesicht. Und ich muß doch einen haben. Hier ist eine ganz frische Spur, da wieder eine, immer unter Wind, neben der Hasenspur, und da wieder eine, die bergab führt, und – was ist denn das da unten im Holze? Da war doch eben was? Da, wo der Wurzelstrunk der Fallbuche liegt. Jetzt kommt es hervor; wahrhaftig, der Fuchs. Das war wohl eine hungrige Nacht, Roter, daß du jetzt noch maust? Wie gemütlich er da herumschnürt, als gebe es weder Kraut noch Lot. Na warte, ich will dir einen Neunmillimetergruß zu Neujahr schicken, daß du den Knall nicht vernimmst und den Dampf nicht äugst. Aber er nimmt immer Deckung; jetzt ist nur die Lunte zu sehen, jetzt nur der Kopf, jetzt steckt der ganze Kerl hinter der alten Samenbuche. Aber jetzt wird's gehen, es ist ein bißchen sehr weit, aber da sehe ich den Fuchs der Dickung zuschnüren. Schnell mäuseln: Zirp, zirp. So schön, mein Füchschen, so recht, Roterchen! Hast du Kleinmäuschen pfeifen gehört?

Jetzt hinter den Himbeeren, jetzt frei, Knall, im Feuer eine Flucht, eine wildschwenkende Lunte, eine verstörte Flucht nach links, dann was gibste was kannste nach rechts fünfzig Schritt. Schrot; Knall, im Feuer ein Rad und, ja, da poltert er durch die rasselnden Jungbuchen. Vorlaufen, laden, spannen, da neben mir klappern die roten Blätter, stäubt der lose Schnee herab, ein ordentlich Ende vorgehalten und krumm gemacht, und dann auf die Knie und unten durch die Buchen gespäht.

Da liegt er, feuerrot im Nacken, offen den schweißenden Fang, mit zuckender Lunte. Zur Vorsicht einen Stockhieb der alten Füchsin auf die Nase, und dann damit in den breiten Schneefleck. Das sieht schön aus neben dem grauen Fels, dem grünen Moos und dem roten Buchenlaub, ebenso schön wie ein roter Bock in grünem Gras und blauem Vergißmeinnicht.


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