Hermann Löns
Mein grünes Buch
Hermann Löns

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Am Fuchsbau

Der Frühling ist auf der Höhe. Die Wiesen strahlen im Schmucke goldiger Blumenpracht, die Obstgärten prangen in schimmerndem Weiß, sattgelbe, lange Streifen zieht der blühende Raps durch die hellgrünen Fluren, fußhoch steht die junge Saat, Mauersegler und Pirol, Kuckuck und Spottvogel, die spätesten aller Zugvögel, sind wieder da.

Die Vormittagssonne sengt nur so auf die Heide nieder. Im braunen Heidekraut blüht hellgelb der Stachelginster, grünseitige Eidechsen rascheln in das Gestrüpp, silberflügelige Libellen schwirren über den Wegen, hellblaue Schmetterlinge tanzen über den Ginsterblüten, und goldgrüne Sandläufer fliegen schimmernd vor uns auf. In den hohen Fuhren ruft der Kuckuck, ab und zu piepst eine Meise in der Dickung, auf der Rodung rennt der Steinschmätzer eifrig umher, unzählige Fliegen und Käfer surren durch die Kusseln, und uns läuft der Schweiß unter den Lodenhüten hervor, und Nacken und Hände bräunen sich fast zusehends. Über dem Moore, auf dem weiße Wollgrasblüten wimpeln, zittert die kochende Luft, und am Horizonte quellen die dicken Rauchwolken der brennenden Moore empor, düstere Flecke am wolkenlosen, grellblauen Himmel bildend.

Aus dem graugrünen, mit hellkupferroten Schossen übersäten Fuhrenbestand leuchtet uns nach halbstündigem Wege blendendweißer Sand entgegen; wir sind am Bau. Schnell verteilen sich die Jäger an den vielen Röhren, Axt und Messer schaffen Fuhrenzweige herbei, und bald sind an zwanzig Röhren verlegt. Die Teckel jaulen und kläffen unterdessen vor Mordgier: Die starke Witterung des Baues regt die Krummbeine gewaltig auf; sie zerren an den Leinen und winseln vor Eifer. Ein Rehlauf, die Überreste von mehreren Hasen, die Federn von Birkhennen und einem Birkhahn, Enten-, Haushuhn- und Taubenfedern liegen herum. Bequeme Pässe haben die Füchse sich zu ihren Röhren geschnürt und hübsche, sandige Spielplätze angelegt. Die Vorarbeiten sind fertig; harzbeschmierte Hände wischen den blanken Schweiß von den Stirnen, und dann wird Waldmann losgekoppelt und vor die einzige offen gebliebene Röhre gesetzt. Zitternd vor Begier schlieft er ein, kommt aber nach einigen Sekunden wieder zutage: Die Röhre ist zu eng. Aber für Jenny, die schlanke Hündin, paßt sie, und gierig schlieft das zierliche Tierchen ein. Für Waldmann wird eine weitere Röhre geöffnet, und auch er verschwindet nun in der Erde. Eine Zeitlang hört man keinen Laut als das Fiepen der beiden gekoppelten Teckel, das Knistern des dürren Heidekrautes unter den schweren Stiefeln, fernen Kuckucksruf, das Girren der Ringeltaube, den Schmetterschlag des Baumpiepers und das Surren der unzähligen Fliegen. Plötzlich klingt dazwischen ein eigentümlicher Laut, so schwach, als käme er aus weiter, weiter Ferne. Huk, huk, huk, huk, dann ein zweiter Laut, stärker, mehr ein Baß, aber auch gedämpft: Houk, houk, houk: Die Hunde geben Hals, Jenny und Waldmann treiben die Füchse und suchen sie zu fassen. Aber das ist nicht so einfach: Der Bau ist weitverzweigt, die feinen Nasen sind das einzige, was die Hunde in den engen düsteren Röhren leitet. Schnell werfen sich die grünen Joppen auf die Erde, kein Wort wird gesprochen, die Ohren sind in das Heidkraut gedrückt. Ein Augenblick atemloser Spannung. Hier ist Jenny; sie liegt fest vor! schreit ein Jäger, aufspringend und auf einen Fleck zwischen zwei jungen Fuhren deutend. Hier schlagen Sie durch! Der Bauer setzt die Schaufel ein; es knackt das durchstochene Heidkraut, es knirscht der Sand unter dem Spaten, Heidplaggen und Sandschollen fliegen beiseite, ein Loch entsteht, und plötzlich stößt die Schaufel auf die Röhre. Scharfe Fuchswitterung strömt heraus, heller ist das Halsgeben der Hunde vernehmbar, eifrige Hände räumen den gelben Sand aus der Röhre; aber da erscheinen die Hunde schon wieder, bedeckt mit erdigem, gelbem Sande, schütteln sich, atmen keuchend die frische Luft und schliefen dann wieder ein. Doch nach wenigen Minuten schliefen sie wieder aus und zeigen durch ihr Benehmen an, daß sie in diesem Teile des weitverzweigten Baues keine Hoffnung auf Erfolg haben. Die Röhren werden verlegt, aus anderen die Fuhrenzweige gerissen und alle vier Teckel eingelassen. Wieder längeres Warten, wieder das dumpfe Lautwerden der Hunde unter der Erde. Hier ist es! Nein hier! Ich höre es ganz genau, sie liegen vor. Hier muß der Kessel sein! Man zweifelt, man schlägt wieder durch, aber ohne Erfolg: Die Hunde kommen auch aus diesem Einschlage wieder hervor.

Die Altsche wird die Jungen verklüftet haben, meint ein alter Jäger. Und dann wird noch an drei anderen Stellen durchgeschlagen, immer mit demselben Mißerfolge. Der Schweiß läuft uns in Strömen über das Gesicht, Mißmut greift um sich, einer nach dem anderen holt sich eine Flasche aus dem Korbe und stärkt sich mit tiefen Zügen. Wieder werden die Hunde eingelassen. Mit einem Male schreit ein Jäger, wie elektrisiert mit Händen und Füßen zappelnd und in die Röhre deutend: Hier war eben der Fuchs, von hier nach dort. Schnell den Hund her! Waldmann wird in den Einschlag gelassen, und nun geht das Anhetzen los. Hu faß, hu faß, faß, so ist's recht, Waldmann, kss, kss, faß den Fuchs, krieg ihn, den Halunken, kss, kss! Lauter Lärm füllt die stille Heide, die Gesichter röten sich vor Aufregung, Halsgeben der im Bau befindlichen Hunde klingt dumpf herauf. Jetzt erscheint Waldmanns Rute in der Röhre des Einschlages, dann auch die Hinterläufe. Er hat'n, er hat'n, schreit sein auf den Knien liegender Herr. Faß, Waldmännchen, kss, kss, kss, faß ihn! Und dann langt die braune Jägerhand hinunter, scharrt die gelbe Erde fort, erweitert den Eingang und packt die eifrig wedelnde Rute des Teckels, zieht ihn daran heraus und gleichzeitig auch den gewürgten Fuchs. Waldmann läßt nicht los: Fest hat er sich verbissen und schüttelt knurrend den Fuchs. Die übrigen Teckel schliefen aus den Röhren und stürzen sich alle auf den Fuchs, hängen sich fest daran, winseln vor Wut und lassen nicht ab, einige selbst dann nicht, als man den Fuchs in die Höhe hebt. Man läßt sie sich noch eine Weile an dem Fuchse abmühen, um sie scharf zu machen, und dann reißt man ihnen den ganz Zerzausten fort und hängt ihn in eine Fuhre.

Die Teckel springen fortwährend danach, bis man sie wieder vor die Röhren bringt. Wieder geht das Anhetzen los, wieder wird gegraben, aus den neueröffneten Röhren blickt dann wohl ein mordgieriger Teckelkopf hervor, dampft vor Erhitzung, schluckt frische Luft und verschwindet. Das unterirdische Geläut hört nicht auf und hält sich auf einer Stelle. Dort muß der Kessel sein. Wieder knirscht der Spaten, dumpf poltern die Schollen, und wieder öffnet sich eine Röhre. Alle vier Hunde erscheinen über der Erde, aus verschiedenen Röhren kommend, und wollen alle vier auf einmal in die neueröffnete Röhre: Vier Köpfe stecken in dem engen Eingange, vier Ruten wedeln unaufhörlich, acht krumme Vorderläufe scharren in dem gelben Sande.

Die Teckel hindern sich gegenseitig. Man nimmt drei der mutigen Teufelchen auf und hält sie zurück, bis der erste eingeschlieft ist; dann folgt einer nach dem andern. Unaufhörlich ruft man das anhetzende Hu faß – faß in die Röhre hinein. Zwei Teckelruten zeigen sich, man hört ein giftiges, keckerndes Äk – äk: Wieder einer! Der eine Teckel hat den Fuchs unter dem Halse, der andere hat ihn am Genick erfaßt, und bald ist das Keckern und das darauffolgende Quäken verstummt, und die Teckel lassen ihre Wut an ihm aus, bis man ihn den Grimmigen entreißt und ihn dann ebenfalls in den Baum hängt. Nach kurzer Zeit verschwinden die braven Hunde wieder in der Erde. Es dauert nicht lange, so fördern sie einen dritten zutage, bedeutend geringer als die beiden ersten; gleich darauf einen ebenso geringen, nach einer Viertelstunde noch einen, später einen sechsten, stärkeren, und zuletzt wieder einen geringeren. Sieben junge Füchse hängen an der Kiefer; vier geringe und drei stärkere. Zwei Füchsinnen haben hier zusammen einen Bau bezogen.

Die Hunde wollen nicht mehr einschliefen. – Waldmann legt sich unter die Kiefer und blinzelt nach den oben hängenden Füchsen, Peter hat sich einen heruntergelangt und knutscht ihn ab, Jenny ist längst wieder die liebe, gute bescheidene kleine Jenny und liegt auf dem Schoße ihres Herrn, und der vierte Teckel, auch ein Peter, ruht sich nach der schweren Arbeit im Sande aus. Ein Massengrab nimmt die sieben Füchse auf, und dann geht es durch den heißen Sand in sengender Sonnenglut zum Dorfe, um den knurrenden Magen und die ausgedörrte Kehle zu befriedigen und sich neu zu kräftigen für die Abendbalz des Birkhahns oder den Ansitz auf den Bock.


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