Hermann Löns
Mein grünes Buch
Hermann Löns

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In der Krähenhütte

Sonnenschein, blauer Himmel und stille Luft, das richtige Wetter für den Hüttker! Ein Tag, an dem das Federraubzeug zieht, auf Raub streichend und Horstplätze suchend. Heute muß es uns glücken; gestern aber, bei windigem Wetter und bewölktem Himmel, da war es eine langweilige Sitzerei in dem Erdloche auf der Kuppe des braunen heidwüchsigen Hügels, der vor dem Dorfe sich erhebt. Und doch wieder nicht langweilig, wenn auch nur vier von dem schwarzen Gesindel fielen und kein edler Räuber sich blicken ließ. Wer die Schrift zu deuten weiß in dem großen Buche der Natur, der langweilt sich nie, nicht bei erfolgloser Balz, bei zwecklosem Ansitz, bei ergebnislosem Enteneinfall, bei ohne Knall verstrichenem Schnepfenstrich.

Zu dreien ziehen wir zu dem Bauernhause, in dem Hans, der Uhu, auf der Bodenkammer haust. Die Reste von Krähen und Hähern bedecken den Fußboden, Gewölle liegen in den Ecken, und schön weiß getüncht hat unser Hans die Dielen.

Fauchend und schnabelknappend plustert er sich zu einem dicken Klumpen auf; ein geschickter Griff, und die Hand umspannt die furchtbar bewehrten Fänge. Bald sitzt er in dem Kasten, der mit Tragriemen versehen ist; und dann geht es zum Dorfe hinaus, in dessen Bäumen die Stare und Finken singen.

Bald stehen wir auf dem Kamme des Hügels. Noch ein Rundblick auf Moor und Heide, auf des Steinhuder Meeres blitzenden, blauen Spiegel, ein Hinhorchen nach der Gegend, von wo Hahnenbalzen erklingt, nach dem Himmel, von dem Heidelerche und Feldlerche herabsingen, und dann wird Hans aus dem Kasten geholt mit schnellem Griff, und schnell schlingt sich die weiche Lederfessel der Leitung um seinen rechten Fang, ein Zuruf Auf! und der kluge Vogel hakt auf der mannshohen derben Jule auf, die fest in die Erde gerammt ist, schüttelt sich und macht es sich bequem. Eilig wird noch ein Porzellanring unten an die Krücke gebunden, durch den die Führung läuft, das aufgerollte Ende der letzteren in die Schießscharte geworfen, und dann geht es hinab in das geräumige, überdachte Erdloch.

In der Hütte ist es recht behaglich. Über uns die dichte Heidplaggendecke, neben uns die weißen, glattgestochenen Sandwände, aus denen gelbe und blaue Feuersteinsplitter und weiße Kiesel hervorlugen, und vor uns die Schießscharten, mit Machangel verblendet. Bequem können wir von der Rasenbank den Uhu beobachten. Bald legt er die Federohren an, bald sträubt er sie; dann putzt er sein Gefieder, spreizt die mächtigen Schwingen, schüttelt sich und äugt umher. Jetzt reckt er den Dickkopf nach Westen und äugt scharf dorthin: er markiert. Da kommt es auch schon heran, das schwarze und graue Gesindel. Wütendes Krächzen ertönt, Schatten fallen auf den weißen Sand, ärgerlich knappt der Uhu und wackelt auf der Krücke hin und her. Arr, arr, errr, örrr, ertönt es heiser, und dicht an dem Nachtvogel vorbei stoßen die schwarzen Gesellen, einer, zwei, drei, wohl über zwanzig. Zwei Schüsse, noch zwei, einen Augenblick Schreckenspause, dann geht das Angstgekrächze los; Krah, krah. Vier Krähen liegen im Heidekraut, einige blocken auf dem kahlen, arg zerschossenen Fallbaum. Sie äugen verdutzt nach ihren verendeten Raubgenossen und denken, der Uhu auf der Stellung sei der Mörder gewesen. Noch ein Doppelschuß, das halbe Dutzend ist voll, und nun streicht die ganze Bande ab! Aber wo ist Hans? Auf der Krücke hakt er nicht mehr. Sehen wir nach. Da steht er am Boden und frühstückt; er hat sich eine Krähe gelangt und kröpft sie. Ein Ruck an der Führung, und, die Krähe in einem Fang, hakt er wieder auf.

Fünf glänzend schwarze Räuber liegen zu unseren Füßen auf dem weißen Sande. Die scharfen Schnäbel mögen manchen Junghasen, manches Feldhuhn zerpflückt haben. Nun aber haben sie ihren Lohn. Doch deswegen sind wir nicht hierher gezogen; nach edleren Räubern gelüstet uns. Geduldig raucht jeder seine Pfeife. Jagdgeschichten werden erzählt. Doch aufgepaßt! Der Uhu markiert wieder scharf. Aarr, aarr, Nebelkrähen. Das sind die tollsten auf der Krähenhütte. Unaufhörlich lassen sie ihre schwarzen Schwingen sausen, hell leuchtet in der Sonne der graue Rumpf. Bumm, bumm, zwei liegen da, bumm, die dritte, und jetzt die vierte, bumm, vom Fallbaum herab. Aber nun heißt es Geduld haben, so bald werden jetzt wohl keine Krähen mehr kommen.

Auch Hans scheint das zu glauben. Er legt die Federohren an, schließt die Augen und duselt. Doch ein Ruck an der Führung macht ihn wieder munter; schlafen kann er zu Hause genug! Um das Gleichgewicht nicht zu verlieren, spreizt er die Flügel, markiert ein wenig, wenn ängstlich pfeifend die Pieper über ihn fortstreichen, schärfer, wenn von fern ein Krähenschrei ertönt, und duselt wieder ein. Die Krähen wagen sich heute nicht mehr an den unheimlichen Ort.

Noch eine Stunde wird verplaudert, aber nichts kommt mehr zum Schuß. Zwar belästigt ein Turmfalk, heftig hin und her stoßend, den Uhu ganz gewaltig, aber das nützliche Räuberchen hat von uns nichts zu befürchten. Auch ein Sperberweibchen streicht vorüber, nimmt aber von Hans gar keine Notiz. Wir warten noch eine halbe Stunde, doch vergeblich rucken wir den Uhu an, für heute morgen ist es aus.

 

Am Spätnachmittage geht es dann mit Hans hinaus ins Moor. Das Wetter hat sich gehalten; es ist recht warm. Unten im Moore haben wir Birkwild, Bekassinen, Enten und Kiebitze; hier raubt täglich gegen Abend der Hühnerhabicht, dicht über der Erde hinstreichend, um Büsche und Torfhaufen schwenkend und wie der Blitz die ahnungslose Ente, die furchtsame Birkhenne, den lustigen Kiebitz schlagend. Hier treiben sich auch Weihen herum, ja mitunter streicht sogar der Fischadler am Schwarzwasser, um laichende Hechte zu schlagen; auch der Schreiadler kommt hier ab und zu vor, und sogar der gewaltige Seeadler hat sich hier blicken lassen.

Weit und breit dehnt sich das düstere Moor aus, durchzogen von nassen Torfdämmen, durchlöchert von Torfstichen, zerschnitten von Gräben, in denen schleimiger Froschlaich in Klumpen liegt und Wasserspitzmäuse tauchend jagen. Aus den fahlen Bülten schauen die gelben Kätzchen des Wollgrases hervor, die sich später in weißseidene Fähnchen verwandeln, hier und da sprießt junges Gras; sonst liegt das Moor noch tot und öde da. Aber über uns dudeln die Heidelerchen, überall schmettert der Pieper, singt die Ammer, und vom Forste klingt das Gelächter des Schwarzspechtes und des Markwarts Nachäfferei. Bei einer großen Torfkuhle, in der gern Enten liegen, steht die Hütte, aus Fuhrenstangen gezimmert, mit Wacholder verblendet, versehen mit einer schmalen Bank. Ringsumher ist der Boden besät mit Patronenhülsen; manch Krummschnabel ist hier im Dampf auf den braunen Torf gefallen. Daran scheint auch Hans sich zu erinnern. Aufmerksam äugt er in die Runde.

Die Sonne ist im Sinken. Einzeln erschallt schon das Meckern und Locken der Bekassinen, von den Wiesen her das Balzen zweier Hähne. Mit der Habichtslocke wird gereizt; ein katzenähnlicher Laut ertönt. Jäh fährt der Uhu empor, den vermeintlichen Feind erwartend. Aber es kommt keiner. Nur ein Häher flattert vorbei, rätscht laut und verschwindet. Er kann leben, wir warten ja auf den Habicht. Die Sonne sinkt tiefer. Schon melden sich die Bekassinen häufiger, auch ein Kiebitzruf klingt von den Wiesen her. Wir reizen wieder; wieder nichts. Plötzlich duckt sich der Uhu tief, trippelt hin und her, spreizt die Flügel, breitet den Stoß aus, knappt heftig und stößt sein dumpfes Uhu aus. Und ehe wir uns versehen, steht keckernd ein breitklafternder Räuber über dem Uhu, kaum zwei Fuß über ihm. Der Uhu springt ihm entgegen, faucht und knappt. Der Habicht schwenkt ein wenig zur Seite, stößt noch einmal und rüttelt wieder über dem Uhu. An Schießen darf nicht gedacht werden, sonst liegt die Eule auch im Dampfe. Der Habicht mit den knallgelben Augen und der quergestreiften Brust, dem langen Stoß und den kurzen breiten Schwingen, und unter ihm die braun, gelb und schwarz geflammte, kugelrund aufgeblasene rotäugige Großeule, famos! Noch einmal keckert der Habicht erbost, dann macht er eine Schwenkung und will sich empfehlen. Doch kaum ist er fünf Schritt seitwärts, da dröhnt der Schuß, und er schlägt im Heidekraut noch ein paarmal mit den Flügeln. Hoch auf reckt sich der Uhu und äugt nach dem Verendeten.

Aber nun wollen wir doch noch ein wenig warten; vielleicht bekommen wir das Männchen auch noch. Und bekommen wir auch nichts, so entschädigt uns das Konzert von Kiebitz und Bekassine. Überall meckert und lockt es, überall rufen die Kiebitze, immer noch balzen die beiden Hähne. Die Sonne ist untergegangen. Enten ziehen mit klingendem Flügelschlage über uns hin, und mit lautem, melodischem Geflöte und Getriller lockt der große Brachvogel sein Weibchen. Heute gibt es nichts mehr: Es wird bald dunkel. Da duckt sich der Uhu, als erwarte er einen zweiten Feind. Wir lachen über seine Angst. Aber unser Lachen weicht großer Aufregung, als Hans sich zur Kugel aufbläht, knappt und faucht. Das Männchen! Da steht es über dem Uhu, ein Stoß, und es will fort, doch zu spät, der Hagel holt es beim Abstreichen ein. Geflügelt liegt nun auch dieser Habicht in der langen Heide, grimmig reckt er uns, auf dem Rücken liegend, die gelben, mit acht Dolchen bewahrten Fänge entgegen. Schnell aber fliegt der Wettermantel über ihn, ein Schlag mit einem Wacholderstrunk, und auch dieser Räuber ist für den Ausstopfer reif.


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