Hermann Löns
Mein grünes Buch
Hermann Löns

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Ein Pirschtag am Kahnstein

König ist, wer frei ist. Und frei bin ich seit Wochen, wie Zaunkönig im Busch. Kein Mensch fragt nach mir, keinem frage ich nach, Wald und Wild allein ist's, dem mein Sinnen gehört. Im Walde bin ich beim ersten Drosselschlag, beim letzten Rotkehlchenliede noch im Berge, Eulenruf und Unkenton geleiten mich heim. Das Lied, das Zaunköniglein mich lehrte, das lustige Lied, ich singe es jeden Tag.

Sau lüttj eck bün,
Sau lüttj eck bün,
Sau bün eck doch,
Sau bün eck doch,
Schnideriderrit,
De Küning!

Im Nebelbette lag noch der Junitag, als ich das Dorf verließ. Ein Nachtgewitter war niedergegangen, weich war der Weg und naß das Gras. Im Korn sang der Rohrsänger, Laubfrösche und Unken plärrten und läuteten in den Flachs-Röstekuhlen am Kirchhofe, Frühwind ruschelte in der Feldpappel und wehte des runden Weißdornbusches Bittermandelduft mir zu. Und vom Schälwald her rief der Waldkauz dem Weibchen zu:

Ahou hu hu hu.
Wo büst du, min Fru?
Ahu hu huit,
Kumm mit, kumm mit!

De Sunne wad wach,
Dann wast du blind,
Kumm schnell, min Kind,
Din Dod is de Dag!

Zärtlich gurrte und maute auf dem schlafenden Rittergute der schwarze Kater. Im Arbeiterhause ist ein weißbuntes Kätzchen, an die hat er sein Herz verloren. Er zieht unter dem Fenster her und lockt sie:

Kumm' heriut, kumm' heriut,
In Busch un in Kriut:
Ut'n Hius, ut'n Hius,
Eck heff 'ne prick Mius!
Eck heg' se för di,
För di ganz allein,
Min leiwste Kathrrrein!

In der Eichenallee am Schälwalde surren und burren die Maikäfer, und ein unaufhörliches Rispeln und Wispeln herrscht im Walde. Dort ziehen die Schnecken durch das alte Laub, dort jagen Raubkäfer den Regenwurm, dort huscht die Spitzmaus, hüpft der Frosch, watscheln Kröte und Salamander, raschelt der Igel. Das gibt mit dem verstohlenen Flüstern der Buchenblätter, mit dem Tröpfeln des Taues eine große, seltsame Nachtsinfonie, aus der manchmal wilde Disharmonien hervorklingen: das plötzliche Geklapper eines dürren Astes in der Frühbrise, der gellende Pfiff eines Zweiges, den der Wind gegen die Rinde reibt. Und seltsame Gestalten beleben den Wald, schwarze Männer mit langen Armen, die nach mir langen, Untiere am Boden kauernd, zum Raubsprunge sich duckend, mit grünlichen Augen mich anstarrend. Und vom Ellernsood, dem hellen, wallt es heran, bleich und blaß, winkt mit weißen Fingern, weht mit lichten Schleiern, der Waldfrauen tote, stumme Schar. Mit Zittern und Beben ängsten die Leute, die nicht an Nix und Neck glauben, nachts durch den Wald; der Waldschrat wirft ihnen Steine in den Weg, die Wichtelmännchen fangen ihre Füße mit Wurzelschlingen und Rankenschleifen, die Waldfrauen schlagen sie mit nassen Zweigen über die Stirn, der Helljäger erschreckt sie mit hellem Pfiff und gellem Peitschenschlag. Und die klugen Leute mit den kalten Herzen stürzen und straucheln durch den schwarzen Wald, alles Böse, was sie taten, würgt ihre Kehle, hämmert ihr Herz, bis sie Licht sehen, Licht aus Menschenfenstern. Doch wer sein Kinderherz sich bewahrte, der geht lächelnd durch Dunkel und Nacht: Er nickt dem Waldschrat zu, er winkt dem Neck, er flüstert den Wichteln Glück auf! zu, wirft den Waldfrauen eine Kußhand und wünscht dem Helljäger, der mit Troß und Meute über die Wipfel reitet, frohes Gejaid und Weidmannsheil. Froh und fromm geht er durch Dunkel und Nacht.

 

Der erste Drosselschlag. Wer ihn noch nicht gehört hat, um die Zeit, wenn die Sonne erwacht und der Tag die Nacht in die Dickungen jagt, der sage nicht, daß er die Natur kennt. Und wer ihn einmal vernommen hat, den lauten, lustigen, frohen Schlag, der will ihn immer wieder hören. Das klingt so hell, das klingt so froh, daß es einen lüstet, mit einzustimmen. Und wenn sie dann alle einfallen, Fink und Zaunkönig, Meise und Blauspecht, Hänfling und Bülow, Grasmücke und Ammer, und der Täuber gurrt und der Specht trommelt, der Häher zetert und die Krähe quarrt und die Sonne über den Berg lacht und aus allen Tautropfen Diamanten macht, dann hüpft dem Weidmann das Herz im Leibe, und es singt und klingt darin:

Halli, hallo,
Gar lustig ist die Jägerei!

Aber die Frühpirsch verträgt nicht Sang und Klang. Katzentritte, Marderschritte, Habichtsaugen, Falkenblick, so muß der Weidmann sein im nassen Gras, im kühlen Tau. Die Augen am Boden, daß kein Ast knackt, kein Dürrlaub raschelt, kein Stengel bricht, kein Stein rollt, die Augen am Berg, wo die Rehe hinwechseln, die Augen zum Tal, von wo die Rehe herwechseln, der ganze Mann in jedem Augenblick Spannung, Aufmerksamkeit, Geräuschlosigkeit, Ruhe. Alles nehmen seine Augen wahr: das abgeäste breite Gras am Wegrande, die Fährten im modrigen Laube, die Schrammen am Stamme des Holderbusches, die der Bock im Übermute schlug, die Stellen, die sein Vorderlauf plätzte. Hier wechselt sicher ein Bock. Aber wann? Pirsch' vor Tau und Tag, pirsch' in Mittagsglut, pirsch' zur Sonnensinke, einmal triffst du ihn schon an!

 

Eine Strafe für die meisten Menschen würde eine Frühpirsch hier unter dem Hange her sein, eine Wonne ist es für mich. Das kniehohe Gras, die Himbeeren und der Buchenausschlag, der mir bis über die Lenden reicht, alles ist naß, wie aus dem Wasser gezogen, alles biegt sich tief unter der Wucht des Taues über den schmalen, mit der kurzen Wehr mühsam gehauenen Steig. Gamaschen und Hosen färben sich schwarz, bald klatscht das Zeug vor den Knien durch; schadet nichts! Und der Weg ist vom Gewitterregen aufgeweicht, grundlos. Jeder Schritt muß überlegt werden auf dem schlüpfrigen, zähen Kleiboden; nicht auf die Sohlen, auf den Absatz allein ist hier Verlaß. Und dann sind tückische Steine da, die vermieden werden müssen, und dicke Weinbergschnecken, die unter der Sohle laut genug krachen, um den Bock zu vergrämen. Und hier und da hängen im Bogen Buchenzweige herab, die den Nacken mit Güssen versehen. Bald geht es durch eine Dickung, bald durch ein Gestrüpp von Nesseln und Tollkirsche, jetzt einen Schotterabhang hinab, dann hinauf durch ein Gewirre von Bingelkraut, das übersät ist mit glitzernden Perlen; jeder Tritt Mühe, jeder Schritt Anstrengung. Bald dampft das Wollhemd, trieft die Stirn vom rieselnden Schweiß, und jeder Stoß des Morgenwindes jagt einen Schauer über den Rücken bei den vielen Pausen, die ein Pirschgang mit sich bringt. Ein Schmalreh, schlank und fuchsrot, steht äsend auf dem Graswege, der vom Hange her zum Tal läuft. Da muß gewartet werden, ob der Bock sich nicht zeigt. Ich kenne ihn, den kapitalen Burschen. Ich habe ihn den Geheimrat vom Vergißmeinnichtbrink getauft. Ein einziges Mal sah ich ihn, zehn Schritt vor mir steckte er den Kopf mit dem schwarzbraunen, stark geperlten, krummen Gehörn aus der Buchendickung, aber ehe ich angebackt hatte, war er wieder weg. Und dann sah ich ihn abends wieder, aber außer Schußweite. Das Gehörn muß an deine Wand, sagte ich mir. Ja, Fleitjepiepen! Sechs Abende, sechs Morgen habe ich hinter dem Wurzelballen der Fallbuche da gesessen, aber wer nicht kam, das war mein Bock. Geschwitzt und gefroren habe ich, bin um ein Uhr nachts aus dem Bette gesprungen nach zweistündigem Schlaf, aber wenn ich hierhin kam, dann polterte er schon vor mir her und lachte mich aus. Und eine Stimme hat der alte Bengel, der ganze Hang dröhnt, wenn er loslegt. Wo bleibt er? Das Schmalreh äugt doch immer bergab. Da kann er doch nicht weit sein. Jetzt stehe ich schon mindestens eine geschlagene Viertelstunde und friere in meinem nassen Zeuge. Längst ist das Schmalreh in der Dickung, der Liebste kommt aber nicht, nur eine Ricke. Doch da oben, mitten in dem Vergißmeinnichtbrink unter dem grauen Felsen, steht ein starkes graues Stück. Langsam wandert das Glas an die Augen. Alle Wetter! Es ist der Bock! Jetzt wirft er auf. Ach, dieses Gehörn! Na, denn ein andermal!

 

Naß wie eine Katze, außen vom Tau, darunter vom Schweiß, beende ich den Pirschgang. Acht Uhr ist es. Die Sonne brennt schon tüchtig; das ist mir lieb. Hier am Schotterhange will ich frühstücken, unter den grauen Felsen, die von wunderbaren Moosen umsponnen, von zierlichen Farnen umgrünt sind, gerade dort, wo kein bißchen Schatten ist, gerade in der dicksten Sonne. Aber erst die Stiefel aus und dann die klatschnassen Strümpfe und, ich habe ja den Mantel hier, die Buxen auch, denn das nasse Zeug an den Beinen ist nichts Schönes. Bis auf Mantel, Joppe und Hemd baumelt die ganze Herrlichkeit auf den Wurzeln der Fallbuche. Wind und Sonne lüften und trocknen sie. Und nun wird abgekocht. Im Rucksack steckt eine Büchse Jagdkonserven mit Kochapparat. In zehn Minuten ist das Mahl fertig. Dahinter ein Stück Schinken, zwei Hände groß. Landbrot, drei Äpfel, welk, aber doch noch schön, und zum Schluß ein gefährlicher Hieb aus der mächtigen Flasche. So, das war Frühstück und Mittag zugleich, und nun das Pfeifchen. Ich bin seelenvergnügt, trotzdem daß ich nicht zum Schuß kam. Ist es hier nicht wunderbar schön? Ich liege mitten in Vergißmeinnichts, die wie der Schatten des blauen Himmels den Hang überziehen. Dazwischen leuchten die roten Blüten des Ruprechtskrautes, nicken zarte Gräser, sprießen zierliche Farne, und unter mir ist ein Himbeerdickicht, in dem es summt und brummt von Fliegen, Hummeln und Bienen. Und links, in dem Buchenanflug, surren und burren die Maikäfer, langhörnige schwarze Bockkäfer fliegen über mich fort und scharlachrote Feuerkäfer, Fitis und Meise, Mönch und Grasmücke, Zaunkönig und Ammer, Pieper und Fink, Drossel und Goldfink trillern und schlagen, pfeifen und piepen, schmettern und flöten, locken und warnen über mir im hohen Holz, unter mir in den Büschen, neben mir im Gestrüpp, die Eidechsen rascheln über sonnenbeschienene, graue Steine, der Eichelhäher rätscht, die Tauben gurren, hoch im Blauen kreist der Bussard mit gellendem Katzenschrei, von Marienhagen und Hemmendorf knallen lustig wie Böllerschüsse an festlichen Tagen die Sprengschüsse in den Steinbrüchen und über mir im Königlichen die Schüsse der Forstarbeiter, die dort Buchenklötze sprengen. Unter mir, im grünen Wald, dem ich auf die Locken sehe, klingen die Axtschläge des alten Forstaufsehers, hinter dem Wald ziehen sich bunte Matten hin, und noch weiter recken Osterwald und Külf, Ith und die Siebenberge, die Berge von Nordstemmen und der Hildesheimer Wald ihre grünen Köpfe. Aber allmählich fallen mir die Augen zu. Der Sandmann kommt. Adjüs, Welt!

 

In der Mittagsstunde hat der Bock seinen dummen Gang. Diese Waldweisheit des alten Forstaufsehers fiel mir ein, als ich nach dreistündigem Schlafe erwachte. Schnell angezogen und los, bergab, den Schotterhang hinab. Das ist Knechtsarbeit. Jeder Tritt faßt loses Geröll, fortwährend steinelt es. Jeder Grashalm, jede kleine Buche, jede Himbeerstaude ist als Halt willkommen. Überflüssig erscheinen mir bei der Hitze Hut und Rucksack, Mantel, Joppe und Gamaschen, in Hemd und Hosen geht es weiter, nur die Feldflasche wird mitgenommen, erst geleert in den durstigen Hals, und dann mit Quellwasser gefüllt. Halt, da ist schon etwas! Es rappelt und ramentert dort ja ganz gewaltig. Da plätzt und fegt ein Bock. Aber von oben kann ich nichts sehen, von unten auch nichts. Doch da schimmert es rot; weg ist es wieder. Und es ist unmöglich, da hineinzukriechen. Langsam zieht sich der Spektakel bergauf. Dort oben bummelt eine rote Ricke herum, ohne sich um mich zu kümmern. Wie die Sonne brennt; wundervoll! Ich kremple die Hemdsärmel auf und öffne das Wollhemd auf der Brust. Von der Sonne kann ich nicht genug bekommen. Und dort oben schwebt der Wanderfalk, noch höher der Bussard. Hier Eleganz, da Plumpheit. Und in herrlichen Schwingungen umstreicht der Turmfalk die Klippen, und hier unten äst ein Schmalreh; ist das nicht Freude genug für ein weidmännisch Herz? Und hier die braunen Tollkirschenblüten, die blaue Märchenblume der Akelei, die Blätter, glitzernd im Sonnenbrand, der bunte Specht, der goldgelbe Pirol, das Herz lacht mir im Leibe. Und jetzt erst hier im Stangenholz diese Waldheimlichkeit, diese blauen Lichtreflexe auf den feuchten braunen Buchenblättern am Boden, die schwanken, weißblütigen Simsen, der goldgelb und schwarze Salamander, wie ein König der Wichtelwelt auf wunderbar gewebtem Moosteppich thronend, der seinen steinernen Königsstuhl verhüllt. Überall große, weiße, gelbmäulige Orchideen mit fetten, grünen Blättern, überall die Urwaldblume, die geheimnisvolle Schattenorchidee, die Vogelnestwurz, die du nur erblickst, wenn die Sonne sie erleuchtet. Dann strahlt die unheimliche Blume, als wäre sie aus goldfarbigem Glase von Zauberhand gemacht. Und überall Rehfährten, starke und geringe. Hier wechselt der Bock von der hölzernen Kammer, der mir heute Morgen fortkam. Er steht an heißer Ecke. Dort ist feindliches Gebiet, Privatjagd, oben königliche Forst. Drei Büchsen lauern auf ihn seit zwei Jahren, aber dafür hat er auch mehr Verstand als alle Böcke, die am Kahnstein stehen. Und diese Trümmerwildnis, dieses Waldmärchenparadies, dieser Zaubergarten, das ist die hölzerne Kammer. Felsen, versteckt hinter Moosgobelins, Trümmer, Höhlen, Klüfte, überwuchert von Buchen und Ahorn, Tannen und Eschen, Bergholder und Hasel, am Boden fußhoher Fallaubteppich, tote Stämme, faule Stümpfe, ein Ort, wo abends die Waldfrau weint und die Buschwichter tanzen, Glühwurmfackeln in den Spinnenfingern. Und am Tage jammert der Ringeltauber am Eschenast: Rucke di kuh, Rucke di kuh, Blut ist im Schuh.

 

Jagdtag ist heute, nicht Traumtag, Lauschtag, Sinnetag. Aus des Trümmerversteckes Märchenheimlichkeit breche ich hervor in die steinerne Renne und klettere hangauf. Es kocht der Berg in Mittagsglut. Meine Hände sind dornzerkratzt, nesselverbrannt, sonnengebräunt, Stirn, Brust und Nacken glühen. Der Wind kühlt sie, der über den Berg pfeift und die stolzen Buchen Höflichkeit lehrt. Alles, was Sonne liebt, lebt diesen Tag. Das surrt und burrt und fliegt und kriecht, krispelt und rispelt, krimmelt und wimmelt, singt und springt, das ist ein Tag, wie ich ihn mag. Fährten überall, und da ein Reh, ein schlechter Gabler, und dort, im Königlichen, hart an der Grenze, ein guter Bock. Er hat Wind gekriegt, weg ist er.

 

Beim alten Forstaufseher vertrödle ich den Nachmittag. Er rodet Stuken, und ich sehe zu. Davon werde ich so müde, daß ich bis sieben unter dem Tannenmantel am Waldsaum schlafen muß. Ich träume lauter Duffsinn, von Böcken, mit Gehörnen, zehnendig und geperlt wie Stacheldraht, und die so laut schmälten, als ich sie vorbeischoß, daß es dröhnte von Salzhemmendorf bis Elze. Als ich aufwachte, hörte ich das Schmälen noch. Der Donner dröhnte, knatterte und ratterte, Blitze zuckten gelb und rot, Platzregen durchrasselte den Hochwald, Sturm peitschte die Wipfel. Ich lag trocken. Eine Pfeife lang währte das Wetter, und noch eine. Langeweile hatte ich nicht. Amseln suchten Schutz in den Fichten, dann eine Ricke, die erschrocken absprang, als ihr der Wind den Rauch in den Windfang blies, Salamander, Kröten und Frösche führten ein komisches Ballett vor mir auf, und schließlich kam Kleinzaunkönig. Er hatte sich ein neues Lied ausgedacht, ein Gelegenheitsgedicht, das sang er mir vor:

Dat mieselt, dat fieselt
Dat klöppelt, dat dröppelt,
Dat is schün,
Dat is schün,
Dat is schün,
Da kümmt de Spinn riut,
Spinn riut,
Spinn riut,
Schnickerdicke Spinn riut,
Schnickerdicke Spinn mag eck girn.

Und als der Regen aufhörte, stieg ich bergauf. Der Bock vom Vergißmeinnichtbrink mit dem krummen Gehörn hatte es mir angetan, auf den wollte ich mich ansetzen. Kaum aber hatte ich es mir hinter der Fallbuche mollig gemacht, da kam es wieder über den Berg, schwarz und schwer, donnernd und blitzend, prasselnd und rasselnd, mit Mulden gießend, und der Sturm legte los, bog die Buchen, daß sie schrien und jammerten, und schleunigst kroch ich in die Dickung. Kaum war ich dort, da krachte es und leuchtete es, und es heulte und goß, und dann ging ein Todesschrei durch den Wald und ein Todeston: Rack krackerak, und die herrliche Buche, an der ich so oft saß, war verschwunden, abgepflückt vom Sturm. Stundenlang saß ich in der Dickung auf meinem Stuhl; Hut und Mantel rieselten, durch den Beschlag der Pfeife preschten die Tropfen und zischten im brennenden Tabak. Gegen neun Uhr endlich zog ein Wetter nach dem andern ab. Noch ein Viertelstündchen weilte ich, aber zu schwarz zogen Wolken herauf, Büchsenlicht gab es hier zwischen Dickung und Altholz nicht mehr. Also hinab in die große Kleebreite unter dem Forst. Gerade will ich aufstehen, da huscht etwas Weißliches den Hang hinunter, ein heller, starker Fuchs. Du kommst mir gerade recht, Junge! Krcht, kcht, kcht, weiter sagt er nichts mehr, noch einmal zuckt die Lunte. Er ist drüben in den ewigen Jagdgründen.

 

Vivat, es lebe der Jagdneid! Die Nachbarn sind schon wieder am Schrecken. Die schießen sich noch bankrott. Sowie sie wissen, daß ich im Revier bin, legen sie für Ehrensalven zusammen und ballern den ganzen Abend. Und dabei treten, das wissen die Herrschaften nicht, von ihrer Seite Rehe fast nie nach uns aus, wohl aber von uns nach ihnen. Um so besser! Da liegt das mächtige Kleestück vor mir. Und Besuch ist auch schon da. Unten am Wege zwei Ricken, an der feindlichen Grenze ein Schmalreh, hier oben bei mir noch eins. Aber kein Bock. Da geht die Kanonade wieder los. Die müssen die Patronen wohl aus der Armenkasse bekommen? Das reine Infanterieschnellfeuer! Das halbe Dorf ist aufgeboten. Zu viel Ehre! Es fehlten nur noch weißgekleidete Jungfrauen. Aber die sind rarer als Patronen. Boms! Noch ein Schuß. Und hoppla, mit dem Schuß bricht aus dem feindlichen Busch ein rotes Stück, überfällt den Grenzweg, jetzt steht es im Klee. Ein Bock, ein guter sogar. Danke sehr, meine Herren, danke sehr! Das ist keiner von unsern. Langsam äst er sich weiter, ab und zu verhoffend den Grind hebend. Und jetzt äugt er scharf nach dem roten Schmalreh. Stürmisch kommt er angefegt, der Heißblütige; Zähneknirschen und Schnauben, das ist die Liebeserklärung des Bockes. Aber die Kleine hat Angst, der ungestüme Freier erschreckt sie. In wilden Flüchten flüchtet sie, hinterher der Bock. Wie ängstlich klingt ihr Piüh, piüh, piüh. Fort ist sie, sechzig Schritte links von mir, im Walde. Aber hinterher poltert atemlos, schnaubend, prustend der Bock. Langsam, Wilder, nur einen Augenblick! Es ist schlecht Korn finden in der Dämmerung! Aber halt, auch ich kann ja blatten. Schnell die Oberlippe aufgeblasen: Piüh. Er verhofft und äugt nach mir hin: Ist das die Liebste? Nein, der Tod! Eine hohe Flucht, dann zieht er langsam zurück in den Klee, macht den Rücken krumm und bricht im tauigen Klee zusammen, keinen Lauf mehr rührend. An der Nachbargrenze schimmert es hell: ein neugierig Gesicht. An beiden Vorderläufen hebe ich den Bock hoch, recht hoch, schleife ihn dann auf den Weg, und rufe dann, den Filz nach der Nachbargrenze schwenkend: Danke schön! Vivat, es lebe der Jagdneid!


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