Georg Christoph Lichtenberg
Ausführliche Erklärung der Hogarthischen Kupferstiche
Georg Christoph Lichtenberg

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Industry and Idleness
Fleiß und Faulheit

Erste Platte

Fleiß und Faulheit. Erste Platte

Obgleich die hier gewählte Überschrift: Fleiß und Faulheit, das englische Industry and Idleness nicht ganz ausdrückt, das vielleicht etwas richtiger durch Emsigkeit und Müßiggang gegeben worden wäre: so haben wir dennoch jene Worte gewählt, weil sie gerade derjenigen Klasse von Menschen, welcher diese Blätter nicht bloß zur Unterhaltung, sondern vorzüglich auch zur Lehre gewidmet sind, die verständlichsten sein, und ihr auf dem kürzesten Wege die Absicht des Künstlers anschaulich machen möchten. Der übrige Teil unserer Leser, der, gerade umgekehrt, alles dieses nicht zur Belehrung, sondern zur Unterhaltung ansieht, kann sich leichter zu einer schicklicheren Deutung einer nicht ganz passenden Überschrift bei höherer Einsicht herablassen, als jene sich zum Verständnisse einer schicklicheren erheben, wovon ihm die Sprache noch nicht ganz geläufig ist. – Es wird nun so gerade recht sein für beide Parteien. Wo man das Wort Industrie nur so eben kennt, kennt man auch den Chevalier d'Industrie vielleicht mehr als so eben, und bei uns weiß der gemeinste Mann, daß der nicht emsige Spitzbube sicherlich ein erbärmlicher Spitzbube ist.

Sir Horace Walpole (der vor einiger Zeit verstorbene Lord Oxford) urteilt in der Schrift, wovon wir in der Vorrede zur ersten Lieferung eine Anzeige gegeben haben, von diesen Blättern: sie hätten mehr Verdienstliches in der Absicht als in der Ausführung. Dieses ist allerdings wahr, man mag nun unter Ausführung die dichterische verstehen oder die mechanische. In beiden bleiben sie hinter den meisten Werken unseres Künstlers etwas zurück. Wegen des letzteren hat sich Hogarth, wie Nichols anführt, gut entschuldigt: Es sei deswegen geschehen, um sie durch einen geringeren Preis derjenigen Menschenklasse leichter in die Hände zu bringen, für welche sie hauptsächlich bestimmt seien, Handwerksleuten und Fabrikanten. Es kostet auch wirklich das Blatt nur einen Schilling (7 Ggr.), obgleich die beiden letzten eine sehr große Menge von Figuren enthalten, da sein Paulus vor dem Felix, in Rembrandts Manier, wie er es selbst nennt, (eigentlich ein Pasquill auf Paulus, Felix und Rembrandt, und so nach auf sich selbst), ein schlecht gearbeitetes Blatt, deren fünfe kostet. Was die dichterische Ausführung betrifft, so vermißt man freilich hier den Verfasser der herumstreichenden Komödianten, des Marsches nach Finchley, der Parlaments-Wahl-Szenen und des Bartholomäus-Markts.Die drei hier zuletzt genannten Darstellungen werden den Inhalt der nächsten Lieferungen ausmachen. Allein das seltsame Genie dieses ungewöhnlichen Mannes ist auch hier nicht zu verkennen, und diese Blätter lassen noch immer alles, was mir in diesem Fache von andern vorgekommen ist, sehr weit hinter sich. Das Genie ist auch in seinen Fehlern zu erkennen, so wie der Mangel desselben auch bei der stärksten Anstrengung, bald im Gesuchten, bald im mühsam Gesammelten, bald im Übertriebenen sichtbar bleibt. Überhaupt ist alles, was Hogarth hier hat, gut, nur hätte man dessen vielleicht hier und da mehr gewünscht. Das Korn der Münze ist rein, nur dem Schrot fehlt es, wie es scheint, zuweilen hier und da. Doch gewinnt auch Hogarth selbst an dieser Seite wieder, wenn man bedenkt, daß, so wie er wohlfeiler zeichnen wollte, er auch wohlfeiler sprechen mußte, und also gleichsam eine Art von Platt reden, das der höhern Klasse von oben herab auf alle Fälle verständlicher erscheint, als die höhere Sprache der tieferen Weltkenntnis dem andern Teile, für den doch eigentlich hier geredet wird, in seiner Tiefe; so wie wir Gegenstände deutlicher sehen, wenn wir die Sonne hinter uns, oder gar unser eignes Licht haben, als der, dem die Sonne selbst mit ihrem unparteiischen Glanz oder wir mit schriftstellerischer oft parteiischer Gnade in die Augen leuchten.

Die Folgen des Fleißes und der Faulheit einem sehr wichtigen Teile seiner großen Nation zu versinnlichen, hat der Künstler das Leben zweier Kameraden gewählt, die beide bei einem Zeugfabrikanten in Spittalfields arbeiten, wo Weber aller Art beisammen wohnen. Daß die Szene in Spittalfields liegt, ersieht man aus dem zinnernen Porterkruge, der linker Hand auf dem Webstuhle steht. Spittle steht hier, ohne weitere Absicht für Spital, so wie dieses für Hospital, gerade wie bei uns. Da dieses Getränke in London überall in der Nähe zu haben ist, so hat sich Hogarth nicht selten dieser Krüge bedient, Gegenden der Stadt zu bezeichnen, weil diese Krüge mit den Namen der Straßen und Gegenden bezeichnet sind. Sie liegen oft, wie der Pflug in Deutschland, selbst in der Dämmerung ohne Hüter, sicher und wie heilig da, und vor Häusern, worin viel gepflügt wird, sogar in Haufen. Diese Gefäße mit ihren Inschriften können zu Wegweisern durch die Straßen zu London allenfalls jedem dienen, der sich bloß auf die Inschrift einläßt. Nähere Bekanntschaft mit dem Inhalt selbst ist allerdings mit Vorsicht zu machen. Er hat oft seine eignen Wege, die er den Frager führt. Die Geschichte beider Kameraden beginnt in derselben Werkstätte am Webstuhle. Allein die Züge derselben fangen bald an stark zu divergieren, und endigen sich beide mit gewissen Prozessionen, die den Helden zur Ehre angestellt werden. Der Faule nämlich entsagt der Welt, unter großem Auflauf, und begibt sich am Ende seiner Taten in den bekannten Luft-Bad-Orden zur Ruhe, in welchem, nach einem sehr alten Gebrauch, nicht der Ritter das Band, sondern das Band den Ritter trägt. Er wird gehenkt. Der Fleißige wird Lord-Mayor von London, und hält seinen prachtvollen Einzug, unter dem Jubel eines glücklichen Volks, in das Mansion-Haus, einer Residenz, deren Bedeutung und Bauart sich von Seiten der Ehre sowohl als der Solidität, von jener ein-, zwei- und drei-säuligen, jota-gamma-piJota, Gamma, Pi, drei griechische Buchstaben, Ι, Γ, Π, sind als Pfahl und als Galgen-Formen auch denen bekannt, die sich sonst wenig um griechische Literatur bekümmern. Der Dreifuß bedarf als allgemein bekanntes Justiz- und Küchen-Geräte keiner Erklärung. – Im Vorbeigehen anzumerken, so scheint mir aus diesem Tasten nach der besten Galgenform deutlich hervor zu gehen, daß man noch keine eigentliche Theorie dafür hat. Da nun, wie ich höre, selbst nach dem Zeugnis einiger unsrer ersten Schriftsteller, nicht einmal ein gutes Gedicht ohne vorläufige Kenntnis der Theorie verfertigt werden kann: so hat man Ursache zu glauben, daß es mit der besten Galgenform nicht besser aussehe. Ohne hier alle Gründe anzugeben, wozu der Raum fehlt, glaube ich, daß der menschlichen Natur so wohl als der Antike, die eigentlich eine Versteinerung derselben ist, am besten Genüge geschähe, wenn der Galgen eine Justitia vorstellte, mit ausgestrecktem linken Arm, worin sie, statt der Waage, an ihren Ordensbändern die Krammetsvögel schüttelte, die sie gefangen hat. und dreifußförmigen, luftigen Ordens-Anstalt gar sehr auszeichnet. – Den zweifachen Gang der beiden Kameraden, und das Ziel ihrer Wege hat Hogarth auf den zehn ersten Blättern sogar bei der Verzierung der Rahmen um seine Bilder zu versinnlichen gesucht. Auf der einen Seite immer der Strang, an welchem der Mann, und an der andern die goldne Kette, die an den Mann gehängt wird; die Beinschelle steht dem Zepter und die Geißel dem Schwert der Gerechtigkeit gegenüber.

Also die Folgen des Fleißes und der Faulheit darzustellen, hat unser Künstler das Leben zweier Zeugweber gewählt. Freilich mit deutschen Webergesellen ließe sich so etwas nicht so durchsetzen, wenigstens nicht mit so vieler Symmetrie. Wer in Deutschland ein Handwerk erlernt, kann wohl einmal, wenn er es gehörig anfängt, am Ende mit Eklat gehenkt werden. Dem Galgen gegenüber aber gibt es für seinen Fleiß keinen Lohn von ganz symmetrischem Eklat: Tugend und Rechtschaffenheit haben ihn auch, gottlob! nicht nötig. Allein freilich Darstellung geräuschloser, häuslicher Glückseligkeit, wiewohl sicherlich der größten, vielleicht auch der einzigen wahren dieser Welt, kann der Mann nicht zum Vehikulum seines Unterrichts wählen, der vorzüglich auf die Klasse von Menschen, die man gewöhnlich die niedern nennt, mit dem Grabstichel wirken will. Eine Kutsche mit sechsen voran und mit zweien hinten auf, ist leichter gezeichnet, wenigstens gewiß leichter verstanden, als das Kinderstübchen mit seinen sechsen um den Tisch, oder auch, wenn sichs fügt, halb dran und halb drunter, mit seinen zweien glücklichen Senioren obenan. O es müßte ein erbärmlicher Stümper von einem Künstler sein, der die Herrlichkeit nicht treffen könnte, in die sich der Mensch bloß anderer wegen kleidet; allein die ungleich größere, häusliche, innere auszudrücken, dazu waren die Maler zu allen Zeiten selten, und da, wo sie gemalt wurde, die Augen sie zu erkennen, oft eben so selten. Hogarth wählte also, aus mehr als einer Ursache weislich, dem Galgen gegenüber, äußere Herrlichkeit, die freilich sehr gut mit jener inneren, gottlob! bestehen kann. Denn in seinem Vaterlande ist es nicht selten, daß der Sohn des Zeugwebers oder des Bierbrauers im Unterhause, und der Enkel oder Urenkel im Oberhause glänzt. O! was für ein Land, in welchem kein Schuhflicker sicher ist, ob nicht dereinst Königreiche und Kaisertümer sich um die Gunst seines Urenkels bewerben müssen! Und dennoch klagt man! Vermutlich, weil Klagen unter allen Regierungen, bei manchen Menschen wenigstens, mit zur Leibes-Nahrung und Notdurft gehören. –

Nicht aller, sondern nur gewisser Leser wegen, halte ich es für nötig, zwischen diese Einleitung und die Erklärung der Kupferstiche selbst, eine Kleinigkeit einzuschieben. Sie kann füglich, wie man's nimmt, zu jeder einzelnen oder zu beiden gerechnet werden. Ich verstehe darunter die unmaßgebliche Erinnerung an das güldne: de Te fabula narratur; Du, Du bist gemeint. – »Ich, höre ich fragen, Ich soll von diesen Weber-Purschen lernen?« – Warum das nicht? Lernst du doch, unbefiedertes, zweibeiniges Geschöpf, vom Hunde, vom Storch, vom Fuchs, vom Pferde und dessen berüchtigtem Cousin, den ich nicht nennen will, in der Fabel? Bedenkst du auch wohl, was diese Menschen da auf der ersten Platte machen? Gut; sie weben oder wollen weben. Freilich wohl, aber auch Du webst, oder willst weben. Alles was lebt und webt, steht in einem klassischen Buche, und alles was lebt, webt, könnte wenigstens darin stehen. Ihr Theorien-Weber, und Ihr Journal-Romanen- und Republiken-Weber, seid Ihr nicht allzumal Weber? Wie? – Die Antwort erlasse ich Euch gerne, gegen die Erlaubnis, noch ein Paar Worte hinzufügen zu dürfen.

Vor mehr als fünf und zwanzig Jahren habe ich einmal von einem Gemälde in Paris gelesen, das den Apoll mit den neun Musen vorstellte. Es war, wo ich nicht irre, von Vanloo gemalt. Zu diesem Gemälde hatte ein parisischer Künstler ein Glas geschliffen (oder eigentlich hatten sich Vanloo und der Künstler einander in die Hände gearbeitet), das dem Gemälde gegenüber befestigt war. Wenn man nun den Apoll und die neun Musen durch dasselbe beschaute, so sah man weder den Apoll, noch die neun Musen, sondern bloß den Mann der damals dort mehr als beides galt, Ludwig den XV. vollkommen ähnlich. Die Schmeichelei war wenigstens nicht schlecht ausgedacht, und der Cours der Schmeicheleien möchte überhaupt gewinnen, wenn sie immer mit so vieler Kunst und Anstrengung geprägt würden. – Wozu nun alles dieses? Ich meine, es würde nicht viel Kunst erfordern, ein Glas zu schleifen, wodurch die beiden Webstühle des ersten Blattes in Thronen oder Katheder anamorphosiert werden könnten. An Untertanen sowohl als Auditoribus könnte es nicht fehlen, da der Möbeln und Striche hier so viele sind, aus denen sich alles machen läßt.Ich kann nicht leugnen, daß es mich bei den jetzigen ungeheuren Fortschritten in den optischen Wissenschaften, wodurch selbst die gewöhnlichsten Menschen in den Stand gesetzt worden sind, Entdeckungen zu machen, oder am Himmel zu messen, so wie Damen etwa oval drechseln, nicht wenig befremdet hat, daß noch niemand auf den Einfall gekommen ist, diesen großen Wink der Natur, ich meine die polyedrischen Gläser aller Art, politisch und statistisch zu nutzen. Denn, da sich offenbar durch diese Gläser nicht allein einzelne Hirsche und wilde Schweine zu ganzen Herden, sondern auch einzelne Soldaten zu ganzen Bataillons, mit sehr geringem Aufwand und ohne allen Schaden für das Land, vervielfältigen lassen, so könnte manchem Monarchen der zwölften Größe, der alles dieses nur zum Staat oder Zeitvertreib hält, ein großer Dienst damit geschehen, und ein noch größerer den Untertanen. Ja es ist und bleibt in dieser Rücksicht eine Frage, ob nicht gerade dieser Gebrauch vom geschliffenen Glase dem menschlichen Geschlechte mehr wahren Nutzen gewährte, als alles, was es uns bis jetzt über Sternen-Nebel und Infusions-Tierchen gelehrt hat. Man hat über der Vergrößerung der Gegenstände die Vervielfältigung derselben vergessen, die ungleich mehr wert ist.

Hier sitzen sie nun, auf der ersten Platte, die beiden Zeugweber und Nebengesellen an ihren Stühlen (The fellow Prentices at their Looms). Dem Fleißigen von beiden hat Hogarth den Namen Gutkind (Goodchild), dem andern den von Thomas Faulhans (Thomas Idle) gegeben. Welcher hier welcher ist, bedarf wohl keiner weiteren Hinweisung, die beiden Gesichter verhalten sich offenbar wie Empfehlungsschreiben und Steckbrief. Obgleich Gutkind in tätiger Wachsamkeit ist, so ist dennoch der Ausdruck seines Gesichts Ruhe, und der des andern wilde Unruhe, ob er gleich schläft. Faulhansens Gesicht hat sich vor dem Schlafe, wie man sieht, kommode gemacht, und die biegsame Hülle abgelegt, die sich Arglist, Betrügerei und schlaue Kriecherei im Wachen zu einiger Empfehlung bei der Welt immer zuweilen noch zusammen zu stümpern weiß. Es ist nur der zähere Stoff mit den früher eingedrückten und zum Teil verhärteten Spuren wilder Leidenschaften sitzen geblieben, wovon die einzig mögliche Korrektur allein der Verwesung überlassen bleibt. Die Kräfte, die diesen Klotz so gebildet haben, werden wir im Folgenden bei einigen wiederholten Ausbrüchen derselben näher kennen lernen. Gutkinds schuldloses Haupt würde durch pathognomische Entkleidung im Schlafe so gut gewinnen, als hier durch den sittsamen Überzug, den ihm wachender Respekt angelegt hat.

Ehe wir weiter gehen, verdient wohl Faulhansens gefährliche Physiognomie eine kleine Erläuterung aus der Geschichte. Die berühmte Madam Piozzi, die unsere Leser aus ihren Reisen, oder auch vielleicht aus Boswells Leben des D. Johnson kennen werden, worin sie als damalige Madam Thrale und Freundin des Doktors, eine nicht unbedeutende Rolle spielt, sagt in jenen Reisen: der Kaiser Caracalla sehe auf allen Denkmälern, die man von ihm habe, dem Thomas Idle beim Hogarth, das ist, unserem Faulhans, vollkommen ähnlich, und fügt die Frage hinzu: warum sollte sich auch nicht der Pöbel in allen Ständen ähnlich sehen? Es verlohnt sich also wohl der Mühe, hier mit wenigen Worten die Data anzugeben, die nötig sind, in der Folge den Taugenichts auf dem Throne mit dem in der Werkstätte zu vergleichen, und so die Natur und Madam Piozzis Urteil zu rechtfertigen. Es ist unglaublich, was für ein Licht sich die Geschichte dieser beiden Patronen einander zuwerfen. Für den redlichen Gutkind irgend einen TitusA la Titus und à la Caracalla, nennt man jetzt in Paris, und also nächstens in der ganzen Welt, zwei Arten von Frisuren. Nach dem Urteile eines Kenners, den ich befragt habe, sind es gerade die, womit unser Künstler hier seine beiden Helden geziert hat. Caracalla selbst hatte zu Rom eine Art Kleider eingeführt, die man Caracallen nannte. S. Tillemont, Hist. des Empereurs. Paris 1720. 4to. T. III. S. 105. in der Geschichte aufzusuchen, wäre wohl ganz unnötig. Diese finden die Leser zu Dutzenden in jedem Jahrhundert.

Caracalla ward im Jahr 188 nach unserer Zeitrechnung, zwar von blinden Heiden geboren, hatte aber, nach Tertullians Bericht, das Glück, sehr früh christliche Ammen-Milch zu erhalten. Diese soll, wie glaubwürdige Zeugen versichern, ganz ungemein auf die Natur des Kindes gewirkt haben.Ebendaselbst S. 89. Das Knäbchen wurde liebreich, gesprächig, mitleidig, und machte der Milch Ehre. Dieses dauerte aber leider nur so lange, bis es den Spirituosen Geistes-Leckereien, die ihm von einigen besoldeten Prinzen-Verderbern, ich meine den Schmeichlern am Hofe, in vollem Maße gereicht wurden, Geschmack abgewann. Von Stund an ging alles anders. Es war als wenn alles, was die Christen-Milch in ihm zum Keimen und selbst zu einer Art von Schuß gebracht hatte, auf einmal in Brand und Fäulnis übergegangen wäre. Er wurde einer der nichtswürdigsten Galgenvögel, die sich je auf einen Thron niedergesetzt haben; stolz, treulos, abergläubig, Verächter aller Gelehrsamkeit und aller Gelehrten, grausam, Brudermörder, Vatermörder und Volksmörder; verabscheut von dem Senat, und doch von eben diesem Senat auf Verlangen der Armee zum Gott erklärt, und nach der Vergötterung wiederum von eben diesem Senat mit Lästerung und Schimpf belegt. Er wurde schon in den ersten Tagen seines dreißigsten Lebensjahres und des siebenten seiner so genannten Regierung ermordet. – Wir kehren nun vom Caracalla auf dem Throne, zu dem auf dem Weberstuhle zurück.

Faulhans hat, wie man sieht, die Zettelwalze seines Stuhls mit dem Bierkruge gesperrt. Dieses ist völlig die Spinnenwebe über der Armenbüchse in der Kirche zu Marybone.S. die dritte Lieferung S. 878. Der Krug steht da fürs erste sehr sicher, obgleich auf einer Drehwalze. Soll ja Fortuna selbst auf ihrer Kugel dem Schlafenden gegenüber öfters gnädigst verweilen. Außer dieser hydrostatischen Sperrung der Zettelwalze werden die Leser noch eine mechanische bemerken, nämlich einen Haken, der durch seinen Eingriff den Rückgang der Walze hemmt, und diese mechanische Sperrung ist noch einmal durch ein Favorit-Pfeifchen gesperrt, so daß also der Haupt- und Erz-Sperrbengel, Faulhans, wenn er wieder erwacht, eine Menge von Dingen zu lösen finden wird, bloß um seine Tätigkeit, als Weber, nur erst wieder rein auf Null zu bringen. Das Pfeifchen ist hier sehr bedeutend, nicht bloß als höchst unnützes Streubüchschen für Schmutz und Feuerfunken bei diesem Gewerbe, sondern auch in jenem Lande, wo ich nicht irre, für den Charakter des Rauchers selbst. Ich meine: das menschliche Fahrzeug, das sich, mit einem solchen bleibenden Signal am Haupt-Mast, dort in den Strom der Betriebsamkeit hineinwagt, wird von der Flagge der bedachtsamen Emsigkeit nie anders salutiert werden, als etwa bei uns die dreifarbige Nase, die ein Paar Finger breit höher wehet. – Auch der Bierkrug auf dem Zettel des Gewebes, zeugt von dem Reinlichkeits-Sinn des schönen Schläfers. Hätte überdies die mechanische Sperrung, wie es fast scheint, nicht ganz fest gefaßt: so wäre es leicht möglich, daß beim Auffahren dieses Glückskindes aus einem süßen Traume, die Fortuna von Spittle-Fields ihren noch übrigen Biersegen über das noch werdende und zum Teil schon gewordene Gewebe ausschüttete.

Auf der Erde liegt bei jedem Webstuhle ein Exemplar von The Prentice's Guide (dem Wegweiser für Lehrbursche). Es ist doch sonderbar, daß diese Wegweiser wirklich etwas aussehen, wie die Wanderer, die sich ihnen anvertraut haben, zumal wie ihre Röcke. Faulhansens Exemplar zeigt Meditations-Risse und Fetzen, gerade wie seine Caracalle Betriebssamkeits-Löcher an Ellbogen und Schultern. Hingegen ist Gutkinds Lesebuch rein und ganz, wie sein Kleid, und dennoch gewiß zu heilsamem Zweck eben so weislich genützt wie dieses. Indes ist denn doch nicht zu leugnen, daß der letztere, ein so gutes Kind er auch immer sein mag, und wirklich ist, doch wohl leicht eine bessere Stelle für sein Handbuch hätte finden können, als da auf der Erde und an dem Haspel, so viel Recht auch dieser haben mag, sich jetzt nicht zu drehen, oder so wenig er dem Buche oder das Buch ihm schaden könnte, wenn er sich drehte. Gibt es ja doch bei den wichtigsten Maschinen, von deren stätem Fortgange so vieles in der Welt abhängt, bei den Mehl-Papier- und Kaffeemühlen, den Staatsmaschinen und Bratenwendern, ja bei dem Perpetuum mobile selbst, und zwar in seinen besten Zeiten, ich meine, wenn es wirklich im Gange ist, immer ein Winkelchen oder ein Plätzchen, das ex officio stille steht. Auf einem solchen ruht, was ruhen soll und kann, immer sicherer, als auf dem Fußboden des Zimmers, der immer eine Art von Gemein-Trift für allerlei Füße und Zufälle, und obendrein die Werkstätte des Kehrichts ist. Diese Betrachtung ist wirklich jedes Defensor-Herz dem ohnehin unglücklichen und nicht zu rettenden Faulhans als Almosen schuldig. Es waren nicht so wohl Faulhansens Finger, die das Werkchen so zerfaulenzt, als die spielerische Emsigkeit des Kätzchens, die es vel quasi so zerrezensiert haben. Wie leicht hätte nicht eben diese Kritik auch das andere Opusculum treffen können. Freilich wenn man die beiden Webstühle mit Kathedern und die beiden Lehrbursche mit Respondenten vergleicht, so möchte wohl nächst der Wachsamkeit des Respondenten rechter Hand, auch der Decisions-Prügel seines Präsidis, der da zur Türe hereinsieht, Ursache sein, daß die kleine, mutwillige Opponentin sich nicht nach dieser Seite gewagt hat. – Mit Faulhansens Büchelchen selbst ist sie bereits fertig, sie schreitet also, wie sichs gehört, zu Personalitäten, und pfötelt an seinem Weberschiffchen. Der Gedanke Hogarths, einem faulen Weber-Purschen, der sein Schiffchen ruhen läßt, ein Kätzchen gegenüber zu stellen, das ihn den Gebrauch desselben, wie durch mimischen Spott, wieder beibringen will, hat etwas sehr Drolliges. Es kann helfen, wenn Faulhans etwa durch das nahe Geklapper geweckt werden und hinter sich sehen sollte, wo sich Augen befinden, denen diese kleine drollige Zuchtmeisterin Vergnügen macht. Ein kaum merkliches Lächeln in Gutkinds Gesicht, scheint wirklich auf dieses Spiel zu gehen. Der Prinzipal der zur Türe hereinsieht, verhält sich ruhig. Vermutlich soll dieses die Definitiv-Ertappung sein, um nun sogleich beim Erwachen den Taugenichts ohne fernern Beweis weiter promovieren zu können.

An der Wand, hinter Gutkinds Stuhle, sind verschiedene Blätter angenagelt, vermutlich Haustafeln; blinde Fenster geistliches Licht in die Zimmer zu lassen, die daran Mangel leiden, oder eine Art moralischer Ventilatoren, stockende Grundsätze wieder in Zug zu bringen. Sie wirken wenigstens anfangs, als Qu' est ce que c'est,So hieß man in Frankreich eine von D. Franklin oben an den Fenstern angebrachte Vorrichtung, rauchenden Kaminen Zug zu verschaffen, weil gewöhnlich von Personen, die dergleichen noch nicht gesehen hatten, gefragt wurde: was das wäre? etwas. Zunächst an der Türe hängt indessen ein Blatt, das etwas anderes ist. Es hat die Überschrift: Whittington Ld Mayor (Whittington Lord-Mayor), und ist eigentlich das Gegenstück zu dem Moll Flanders', das über dem Haupt des Schläfers angeheftet ist. Dieses bedarf für den deutschen Leser einer Erläuterung. Dem Engländer sind diese Zettel für die Schicksale der beiden Helden eben so prophetisch, als ihre Namen für jedermann charakteristisch sind. Whittington und seine Katze sind ein so bekanntes Volks-Märchen in England, daß ich mich keines einzigen entsinnen kann, das in Deutschland eben so epidemisch wäre, es müßte denn das von D. Faust und der höllischen Katze sein, das aber einen ganz von jenem verschiedenen Ausgang nimmt. Der tätige Whittington wurde durch seine Katze glücklich; der tätige D. Faust aber bekanntlich von der seinigen in die Luft geführt. Der deutschen Mißmütigkeit, die hieraus einen Stoff zu neuen Gram und Klagen über deutschen Lohn des Verdienstes ziehen wollte, können wir hier zum Trost melden, daß vermutlich die eine Geschichte so wenig wahr ist, als die andere. Indes haben beide das mit einander gemein, daß es so gewiß einen Whittington gegeben hat, als einen D. Faust, und daß in beide, zu verschiedenem Zweck, Fabeln eingemischt worden sind, die nun bei der ersten die gesunde Vernunft nicht mehr so leicht zu scheiden weiß, als von der letztern. Hier ist sie, ein Paar Erläuterungen abgerechnet, in möglichster Kürze:

Richard Whittington, ein armer Knabe, aus Sommersetshire, der seine Eltern nicht einmal gekannt haben soll, wuchs im größten Elend endlich so weit heran, daß er sich nach London betteln konnte. Nach allerlei Ungemach wurde er ums liebe Brot Küchen-Junge in dem Hause eines Kaufmanns, wo er den Tag über von einer zänkischen Köchin und des Nachts in dem erbärmlichsten Winkel des Hauses von Ratzen und Mäusen tyrannisiert wurde. Gegen die erstere (die Köchin) waffnete er sich mit Geduld, worin er einige Stärke besaß, und gegen die letztern mit einer Katze, die er auf der Straße für den einzigen Groschen gekauft hatte, der sein Vermögen ausmachte. Nun hatte der Herr vom Hause, ein guter Mann, die Gewohnheit, so oft er ein Schiff nach fremden Ländern schickte, seinem Gesinde zu erlauben, einiges Geld in Waren darin anzulegen, wovon sie alsdann bei der glücklichen Retour des Schiffs den verhältnismäßigen Profit ohne allen Abzug zogen. Hierbei war aber eine Bedingung; das Geld mußte notwendig wahres Eigentum sein, nicht geborgt, und dieses mußte unwidersprechlich dargetan werden. Als nun der Tag kam, an welchem die Beträge abgeliefert werden sollten, erschien alles Gesinde vor dem Hausherrn, nur der arme Whittington nicht. Der Herr bemerkte dieses sogleich, und fragte, wo der Küchenjunge wäre? Er mußte gerufen werden. Hier erklärte der arme Teufel mit zitternder Stimme: er habe gar kein Eigentum, als eine Katze, und diese würde man wohl nicht annehmen. Warum nicht? hieß es. Sie wurde angenommen, weil dem Kapitän der große Diensteifer und die Fertigkeit derselben gerühmt worden war, und man solche Subjekte auf Schiffen gar wohl brauchen kann. Der ehrliche Kapitän dachte diesen Vorteil zu berechnen, und zu seiner Zeit den Ertrag dem armen, treuherzigen Küchenjungen zufließen zu lassen. Die Katze wurde an Bord gebracht, und segelte mit dem Einhorn, so hieß das Schiff, nach der Küste der Barbarei ab. Kaum aber hatte Whittington seine tätige Mit-Regentin in dem ihm beschiedenen Winkel unter dem Dache verloren, so fielen Ratzen und Mäuse wieder über den Alleinherrscher her. Endlich verlor er auch seine einzige Schutzwehr gegen die Köchin, die Geduld, und eine Katze, wie die deportierte, gab es für den, für welchen es keinen Groschen gab, in der Welt nicht mehr. Er beschloß also, das Haus zu verlassen und wieder das Weite zu suchen. Es war an einem schönen Sommer-Morgen, frühe, da er die Haustüre, um niemanden zu wecken, sanft auf und ebenso sanft nicht ganz wieder zu, sondern bloß beimachte, und emigrierte. Als er, über sein Schicksal nachdenkend, über Moorfields ging, fing man gerade an die Glocken auf einer berühmten Kirche der Altstad (Bow-church) zu läuten. Nun werden in England die Glocken auf eine bei uns ganz ungewöhnliche Weise geläutet. Nämlich bei uns überläßt man den Schwung der Glocken ganz der Natur und der Lage des Mittelpunkts ihres Schwungs; daher die großen Glocken langsamer schwingen, als die kleinen, und manche kleinen, wie die Vorderräder an einer Kutsche dreimal und drüber herumkommen, während die großen eine einzige Revolution machen. Hingegen nötigt man in England durch einen eignen Kunstgriff die Glocken, groß und klein, gleich lange dauernde Schwingungen hinter einander zu machen, so daß also ein ungleiches Geläute von sechs Glocken ungefähr gerade so klingt, als wenn jemand auf einem Klavier die Tasten ut, re, mi, fa, sol, la nach einem gewissen Takt nach einander anschlüge, und wenn er damit durch ist, wieder von vornen anfinge: ut, re, mi usw. Nur fängt man mit den höhern Tönen an, und steigt so zu den tiefern herab.Da man in England die Glocken des Kirchspiels läuten lassen kann, so oft man will, wenn man dafür bezahlt, so hört man sie, zumal in den östlichen Gegenden der Stadt und in den Provinzial-Städten, sehr häufig, bei allerlei Veranlassungen. Zu meiner Zeit ließ sie zu Richmond, als ich eben da war, ein gewisser Herr Gardner läuten, weil er die englischen Astronomen nunmehr überzeugt zu haben glaubte, der Mond drehe sich nicht um seine Axe, und bei der Gelegenheit eine große Summe Geldes unter die Armen austeilen ließ. Ich kann nicht leugnen, daß mir dieses Geklimper öfters unerträglich gewesen ist. Ich weiß in Deutschland nichts damit zu vergleichen, als ein altes Studentenlied, das sich mit All mein Leben lang anfängt, mit All mein Leben lang fortfährt, und endlich, wenn es sich schließt, auch mit All mein Leben lang schließt. Doch geht diese Ähnlichkeit mit jenen Glocken nur auf den Text, nicht auf die Melodie des Liedes, die wirklich drei Variationen hat. Bei dem deutschen Geläute, wo die Glocken ihren natürlichen Schwung behalten, entstehen freilich öfters und meistens harsche Dissonanzen. Aber, da sie sich gewiß nicht selten auch in gefällige Akkorde auflösen, so ist es oft angenehm zu bemerken, wie sich die akkordierenden Töne einander, wie die Teilungs-Striche an einem Vernier den Strichen der Hauptteilung, immer näher und näher rücken, bis sie endlich zusammen fallen. So entsteht wenigstens Mannigfaltigkeit. Bei dem englischen Geläute ist nichts dergleichen. Wer die erste Ton-Folge gehört hat, wird All sein Leben lang nichts andres hören. In diesem Geläute, glaubte unser guter Richard Whittington, der die Haustüre nur sanft beigemacht hatte, die Worte zu hören, die bei dem dortigen Volke, zumal der gesprächigen Klasse, die, neben der eigentlichen Geschichte her, noch immer einen kleinen Schleichhandel mit Traditionen treibt, sehr berühmt sind:

Turn again, Whittington,
Thrice Lord Mayor of London!
»Kehre um, Whittington,
Dreimal Mair' von London!«Einiger Leser wegen, die noch immer Mayor wie das militärische Major aussprechen, wird erinnert, daß dieses Wort, so wie das Wort thrice, in der Aussprache einsilbig ist, und völlig, wie das französische Maire in der Prose, ausgesprochen wird. Ich habe daher auch das französische Wort in der Übersetzung gewählt, und einsilbig gebraucht, weil Versen, wie diese, niemand leicht die Ehre der Prose versagen wird. Übrigens ist es gut, beim Lesen dieser Zeilen, zumal der zweiten, nicht an Daktylen zu denken, sondern die Silben einzeln, wie in ut, re, mi etc. alle gleichlang abzustechen. So kömmt auf jede Silbe ein Glockenschlag und mit jeder Zeile das Geläute einmal ganz herum.

Dieses Geläute weckte in Whittington endlich den Entschluß, umzukehren, der vermutlich vorher schon, zwischen Schlaf und Wachen, halb sicher, halb unsicher, bei ihm geschlummert haben mag, völlig. Er kehrte zu seinem Herrn zurück, und fand nun die bloß beigezogene Türe, die er wahrscheinlich auch in jenem Schlummer von Entschluß nur beigezogen hatte, sehr vorteilhaft. Er immigrierte nun wieder, so wie er emigriert war, ohne daß man eines von beiden oder die Zwischenzeit bemerkt hätte. Der Erklärer dieser Blätter kann nicht leugnen, daß ihm dieser Zug, es sei nun Wahrheit oder Erdichtung, sehr gefallen, und zuerst bewogen hat, in der Geschichte weiter zu lesen. Er ist ganz aus menschlicher Natur geschöpft. Wer lebt wohl, der nicht in seinem Leben irgend einmal einer regelmäßig wiederholten Folge von Tönen, oder anderer Schall-Arten, Bedeutung und Sprache untergeschoben hätte? Und wer in der Welt weiß sich so frei von allem kleinen Aberglauben, daß er nicht gewisse Ereignisse, sie haben auch Namen wie sie wollen, eine kurze Zeit als Vorbedeutung angesehen, oder sich wohl gar selbst solche Ereignisse geschaffen hätte? Es sind dieses kleine unschuldige Spiele, die Herz und Phantasie mit einander treiben, und denen die herrschende Vernunft gerne und lächelnd vom Thron herab zusieht, die aber, wo diese Zuchtmeisterin fehlt, leicht, wie es mit mehreren Kindern geht, die man ungezäumt fortwachsen läßt, zu einer gefährlichen Bengelhaftigkeit hinan gedeihen können. Genug, dieses Geläute stieß bei unserem Whittington auf ein Paar Ohren, deren innere Gänge zu einem Kopf und einem Herzen führten, worin Keime von Kräften lagen, die durch die geringste Wärme, selbst die des Aberglaubens nicht ausgenommen, den ersten beseelenden Anstoß erhielten, und nun frei zu wirken anfingen. Ein armer Küchenjunge freilich, der ohne äußere Vorbereitung durch Zigeuner und Kaffee-Satz, die Glocken verkündigen hört, daß er dereinst Lord-Mayor werden würde, der ist es schon, möchte ich sagen, über die Hälfte.

Die Leser werden diese kleine Ausschweifung verzeihen, und gütigst als ein bloßes Geläute ebenfalls dulden, das, so viele es auch, wie ich das englische, für Geklimper halten mögen, doch immer hier oder da vielleicht seinen Whittington antrifft, der es gehörig aufnimmt. – Dafür kann ich Ihnen aber auch jetzt sogleich die angenehme offizielle Nachricht erteilen, daß während der Zeit das Schiff Einhorn von der Küste der Barbarei glücklich angekommen ist. Es lief mit reicher Ladung in die Themse ein. Alles kam gesund und froh zurück; nur Whittingtons Rips nicht, den hatte man zurück gelassen, wiewohl ebenfalls gesund und froh, wie wir sogleich hören werden. Der Kapitän berichtete seinem Patron: daß sie glücklich in einem den Engländern bisher ganz unbekannten maurischen Staate gelandet wären, wo sie der König sowohl als die Königin mit ganz besonderer Gnade und Distinktion aufgenommen hätten. Bald nach ihrer Ankunft wurden sie zur Tafel geladen.Damals war es also dort anders als jetzt. Dieses ist nicht zu verwundern. Die Jahrbücher sagen, daß dieser Whittington im 17ten Jahr der Regierung Richards II. Sheriff von London gewesen sei, also im Jahr 1393, und folglich vor 400 Jahren. Es lassen sich also die heutigen Gebräuche auf jener Küste sehr gut aus den Fortschritten erklären, die das menschliche Geschlecht mit jedem Jahrhundert der Reife näher bringen. Die Speisen wurden, der dortigen Gewohnheit nach, auf dem Boden des Zimmers serviert. Kaum aber waren sie aufgetragen, als eine Menge von Ratzen und Mäusen hervorkam, und über die Schüsseln herfiel. Weil der König und seine Gemahlin dieses mit ziemlicher Gleichgültigkeit ansahen: so fragte der Kapitän den König, ob dieses mit Sr. Majestät gnädigster Bewilligung geschähe? Nein! versetzten Sr. Majestät, aber wir können nicht anders; wir müssen es wohl dulden; es ist mit diesen Schranzen gar kein Auskommen mehr. O! die will ich wohl wegschaffen, erwiderte der Kapitän. Ich habe ein Tier am Bord, das soll in wenigen Minuten dieser Impertinenz ein Ende machen. Rips wurde alsbald gelandet und gebracht. Die Geschichte sagt, daß die Freude und das Erstaunen beider Majestäten ganz unglaublich gewesen wäre (es ist aber wirklich das Glaublichste bei dieser ganzen Geschichte), als sie den kleinen Tiger, nicht über die Speisen, sondern bloß über diese ungebetenen Gäste hätten herfallen sehen, wovon er einige fraß, andere tödete und die übrigen verjagte. Der Tag wurde sogleich in den Jahrbüchern der sonst langen und glücklichen Regierung, als der erste angemerkt, an welchem man bei Hofe ruhig zu Mittag gespeiset habe. – Und wo ist denn nun Rips? fragte der Kaufmann – den habe ich dem König schenken müssen. – Müssen? Er wird doch wohl etwas dargegen geschenkt haben. – Das hat er, aber bloß einige maurische Kleinigkeiten. – Nun die muß der arme Whittington haben. Laß sehen. Nun wurden erst die sehr beträchtlichen Gewinne der übrigen Bedienten gebracht, die schon über den armen Küchenjungen und seinen promovierten Kammer-Jäger zu lächeln anfingen; als es auf einmal ein Gepolter und Gefluche auf der Treppe setzte. Das trage der Henker weiter, ich wahrlich nicht, wetterte ein Kerl. Als die Last dann endlich doch von demselben weiter getragen wurde, fand sichs, daß es eine Kiste mit Gold war; dieser folgten noch andere, und endlich brachte der Kapitän selbst ein Kästchen mit Juwelen von so ungeheurem Wert, daß Whittington alle Kirchen von London mit allen Glocken dafür hätte kaufen können. Sieh, sagte er, Whittington, das bringe ich dir für deine Katze, für deine Redlichkeit, für dein Leiden, indem er nach der Köchin blickte, und für dein gescheites Gesicht. Noch verdient bemerkt zu werden, daß der König doch vielleicht nicht so äußerst liberal gewesen sein würde, wenn sich nicht zur Freude des Hofes und des ganzen Landes der glückliche Zufall ereignet hätte, daß die Katze, bald nach ihrer Promotion, von sechs Jungen entbunden worden wäre, die durch ihre Treue im Dienst, endlich nicht bloß den Hof von Ratzen und Mäusen reinigten, sondern überhaupt diese schwarzen Legionen im ganzen Lande nötigten, einen gewissen Grad von Subordination anzuerkennen. Daß dieses Gold und diese Edelsteine auch die geheimen Wege zu Whittingtons Kopf und Herzen wieder gefunden haben, die das Geläute durch das Ohr fand, ist gewiß. Er ward freigebig, sogar gegen die Köchin, trat mit seinem Herrn in Compagnie, heiratete dessen Tochter, und wurde unter drei Königen, nämlich im 20ten Regierungsjahr von Richard II, in dem 8ten von Heinrich IV, und im 7ten von Heinrich V. Lord Mayor und ein großer Mann.Es hat seine völlige Richtigkeit, daß es in jenen Zeiten einen Mann dieses Namens gegeben habe, der dreimal Lord Mayor gewesen ist. Von seinem Reichtum machte er den weisesten Gebrauch, und mehrere öffentliche Gebäude, die er aufführen ließ und einige milde Stiftungen werden seinen Namen weiter auf die Nachwelt bringen. Er stiftete unter andern ein eigenes Bethaus mit einem Directeur, Collegiaten, Chorsängern etc. und eine Anstalt für 13 arme Männer, welches Whittingtons Collegium hieß; der größere Teil des Bartholemäus-Hospitals in West-Smithfield, das schöne Bibliotheks-Gebäude in Grey-Friars, jetzt Christus-Hospital genannt, ein Teil von Guildhall, wie auch das ehemalige Newgate sind sein Werk. Dem letzten der oben genannten Könige schoß er große Summen zum Kriege gegen Frankreich vor, und verbrannte nachher, wie man sagt, die Obligation bei einem Gastmahle, das er dem Könige gab. Die historische Muse fügt hinzu, es sei dieses in dem Kamin geschehen, worin Zimt und andere wohlriechende Hölzer gebrannt habe. In einer handschriftlichen Nachricht, die mir über diesen Mann zugekommen ist und die seine Geschichte mit Ernst behandelt, wird am Ende gesagt, daß wenn man dem Testamente, das man von ihm habe, Glauben beimessen könne, so sei er der Sohn eines Baronets gewesen, und habe seinen Reichtum nicht so wohl einer maurischen Majestät, als vielmehr einem englischen Könige zu danken gehabt. Indes findet sich die Geschichte mit der Katze auch sogar auf den Kupferstichen, die man von diesem würdigen Manne hat, angedeutet. Er wird auf denselben in dem reichen Ornat eines Lord Mayor vorgestellt mit der Katze neben sich. Die Geschichte nennt ihn Sir Richard Whittington, weil er unter Richard II. zum Ritter geschlagen worden ist. Diese Geschichte erzählt eine Ballade von 32 Strophen, wovon ich eine Abschrift besitze. Sie fängt sich sehr tröstlich so an:

Here must I tell the praise
Of worthy Whittington,
Known to he in his days
Thrice Lord Mayor of London.

Deutsch und ebenfalls tröstlich:

»Das Lob will ich erheben
Des wackern Whittington,
Der war in seinen Leben
Dreimal Mair' von London.«

Mehr wird wohl nicht nötig sein, von der Ballade anzuführen, um den Rest für entbehrlich zu halten. Vermutlich ist es nun dieses Lied, was hinter Gutkinds Sitz angenagelt ist, und in dieser Rücksicht würde die Geschichte, die dessen Inhalt ausmacht, schon hierher gehören, wenn auch die öftere Erscheinung der Katze in diesen Blättern nicht schon so etwas ratsam gemacht hätte. Die Katze kömmt wirklich in diesen Blättern dreimal vor, vielleicht nicht ohne geheime Rücksicht des Künstlers auf die erzählte Geschichte. – Über Faulhansens Haupte ist ebenfalls eine Ballade, Moll Flanders, angenagelt, die ich nicht kenne, die man aber auch nicht zu kennen braucht, wenn man den jungen Menschen kennt, dessen Lieblingsgesang sie ist. Wirklich ist sein Kopf auch so erklärend für alles, was ihm auf irgend eine Weise zusteht, daß man bei einem flüchtigen Blick auf das Stuhlgebälke jener Gegend, fast Gefahr läuft, es für Galgen-Boiserie zu halten. Einer Moll Flanders ist übrigens in der vierten Lieferung, S. 971, gedacht worden. Man hat eine Lebensbeschreibung von ihr in einem mäßigen Oktav-Bändchen, das ich flüchtig durchgesehen habe. Ist die hier angeheftete Ballade ebenfalls ein gereimter Auszug daraus, wie es die whittingtonsche aus Whittingtons Leben ist, so läßt sich ihr Gehalt auch ohne den beigedruckten Kopf finden. Denn das Buch ist, vorzüglich in dessen letzter Hälfte, ein wahrer Gradus ad patibulum, und übertrifft den Gradus ad Parnassum an zweckmäßiger Behandlung seines Gegenstandes bei weitem.

Unter jedem dieser Blätter finden sich passende Stellen aus der Bibel angeführt, die ein gewisser Geistlicher, Herr Arnold King, unserem Künstler, dessen Freund er war, angegeben haben soll. Bei gegenwärtigem Blatte sind beide aus den Sprüchen Salomons genommen. Unter dem Fleißigen:

Lässige Hand macht arm,
aber der Fleißigen Hand machet reich.

Unter dem Faulen:

Die Säufer und Schlemmer verarmen,
und ein Schläger muß zerrissene Kleider tragen.

Dieses Verfahren verdient Nachahmung, und kann dem, der zu zeichnen versteht und die Welt kennt, ein unerschöpflicher Quell von Erfindung lehrreicher Unterhaltung für allerlei Stände werden. Die weisesten Sprüche verlieren bei unzähligen Menschen, so wie die Arzneien, ihre relative Kraft durch öftere Wiederholung in derselben Form. Sie werden noch gehört, auch wohl noch verstanden aber nicht eigentlich mehr mit der Anschaulichkeit, ohne die kein fester Entschluß gegründet werden kann. In diesen Fällen übernehmen oft die schönen Künste, redende und bildende, die Bestellungen der Sittenlehre an die Behörde. Sie stärken durch schickliches dem Stande und den Kenntnissen des Lehrlings angemessenes Detail den Flüchtigsten wieder mit Empfänglichkeit für die Lehre. Was er überhört hatte, als es für alle gesprochen wurde, vernimmt er nun deutlich, wenn es ihm in sein Cabinet und in seine Werkstätte zugerufen, oder nach Befinden der Umstände zugeflüstert wird. Gegenwärtiges Werk unseres Künstlers ist eigentlich ein solcher gezeichneter Kommentar über jene beiden Sprüche der Bibel, für den Horizont einer Gattung des dritten Standes berechnet. Die Sprüche unter den übrigen Blättern, sind alle jenen ersten untergeordnet. Sie erklären und unterrichten, aber der Unterricht ist bloß Entwicklung des Hauptsatzes. So betrachtet, gewinnt dieses Werk angenehme Einheit. Das Dutzend Blätter, woraus es besteht, erinnert an zwölf Monatskupfer. Sollte Deutschland keine Künstler haben, die eben diese Sprüche einmal für einen andern Gesichtskreis, oder ein Paar andere auf eben die Weise behandeln könnten, um irgend einen unserer unzähligen Almanache damit auszusteuern? Was für ein Beitrag zu einer Bilder-Bibel! – Ehre und Honorarium dem der es unternimmt.


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