Georg Christoph Lichtenberg
Ausführliche Erklärung der Hogarthischen Kupferstiche
Georg Christoph Lichtenberg

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Marriage à la Mode
Die Heirat nach der Mode

Erste Platte

Die Heirat nach der Mode. Erste Platte

Man hatte unserm großen Künstler öfters den Vorwurf gemacht: »Er könne bloß Winkel-Szenen des menschlichen Lebens darstellen; sein Genie, wenn er welches besitze, lebe immer nur in dem Troß der Gesellschaft und fände sich nur à son aise in dem Schmutz der Gesindel-Welt.« Dieses erweckte endlich seinen Stolz. Mit Mut stieg er in die so genannten höheren Regionen hinauf, zeichnete alsdann was er im Himmel gesehen hatte, und gab es uns in folgenden sechs Blättern. Diese Voyage pittoresque erhielt ganz ungeteilten Beifall; ja die höhere Welt selbst soll sich, wie man sagt, vielleicht aus Patriotismus, nicht ganz ungerne zwischen das aut, aut eingeklemmt gesehen haben: entweder zugeben zu müssen, Hogarth verstände sich auch auf Ihr dort Oben, oder das gerühmte Dortoben sei weiter nichts als ein ausgeputztes Dortunten und im Ganzen selbst eine Art von Gesindel-Welt. Daß man dieses Dilemma beim vordersten Horn faßte, versteht sich von selbst. Durch diese Wahl also wurde Hogarths Genie gerechtfertigt; durch die Verlegenheit dabei wurde es gerochen.

Er nannte seine Schilderung Marriage à la Mode. Das erste dieser Wörter ist in England naturalisiert und also englisch, das letzte noch zur Zeit (die Szene liegt im Jahr 1745) französisch: also die Aufschrift halb englisch und halb französisch, gerade so wie die Sitten der Provinz jener höheren Welt, die er hier zeichnet. Der gemeine Mann verheiratet sich dort nach dem Gebrauche seiner Väter, speist sein Rindfleisch darnach und betet sein Vater unser darnach; der Vornehmere hingegen hat nicht selten seine Marriage à la Mode so wie sein Boeuf à la Mode und seine Religion à la Mode. – Die moralische Tendenz dieser Blätter ist vortrefflich und die Justiz die strengste, die sich denken läßt. Die Missetäter sterben alle eines unnatürlichen Todes. Jammer Schade, daß diese Justiz eine bloß poetische ist! – Will denn aber auch die Natur gar niemals anfangen erkenntlich gegen die Dichter zu werden? Schon über die sechstehalb tausend Jahre ahmen sie nun, wie Batteux vortrefflich gezeigt hat, die schöne Natur nach. Ich dächte doch fürwahr es wäre billig, die Natur besänne sich endlich und ahmte nun auch einmal die schöne Poesie nach.

Wie richtig Hogarth übrigens gesehen und wie wahr er gezeichnet hat, sieht man schon allein daraus, daß, als diese Blätter erschienen, die christliche Liebe sich nicht wenig verlegen fand, auf wen sie sie deuten sollte. Sie paßten, nach geringen Einschränkungen, auf den Lord X so gut als auf die Lords Y und Z, schon als Geschichte, und als Prophezeiung beinah auf ein halbes Alphabet. Hogarth, der, wie die Sage geht, einen gewissen Lord W... hauptsächlich gemeint haben soll, befand sich also wirklich in dem Fall von jenem Eiferer, der in der Hitze des Vortrags die Postille nach einem Ehebrecher seiner Gemeinde werfen wollte, und mit Erstaunen sah, daß sich bei seinem Ausholen ein halbes Alphabet Köpfe verkroch.

Auf dem ersten Blatte sieht man, in einem reich und schwer möblierten Zimmer, an einem mit Silberblech überzogenen Tische, zwei ansehnliche Männer einander gegenüber sitzen; der eine etwas alt und etwas gichtbrüchig, der andere noch rüstig, wenigstens gesund. Jenes sind Sr. Hochgräfl. Gnaden der Herr Graf von Squanderfield,Zusammengesetzt aus to squander vertun, verprassen und field, Feld, liegende Güter. ein Mann von öffentlich attestiertem Blut und schwer besiegelter Ehre; der andere ein bloß Wohledler Kaufmann von Geld und Kredit, Alderman, und aus seiner goldenen Kette zu schließen, zeitiger Sheriff der Altstadt London (the City), also in so fern Wohlgeh. pro nunc. Sie sind beide beschäftigt entweder einen Kontrakt zu schließen oder einen geschlossenen zu vollziehen, wozu die Veranlassung und wechselseitigen Bedingungen ungefähr folgende sind. Se. Hochgräfl. Gnaden sind, was man denselben kaum ansehen sollte, eben so bankbrüchig als Sie gichtbrüchig sind, und Dero pekuniäres Vermögen fast noch geringer als Dero physisches. Hingegen ist der Wohlgeborne Herr eben so rangsüchtig als er reich ist, und doch sieht es in den Venen und Arterien seiner Familie eben so erbärmlich bürgerlich aus, als in seiner Kasse fürstlich. Jener sucht daher bürgerliches Geld für leere altadelige Beutel und dieser altadeliges Blut für bürgerliche Adern. Da nun das Bedürfnis von beiden Seiten dringend ist, so kömmt die Sache bald zu Stande, und zwar auf folgendem Wege: Der Herr Graf überlassen der Krämer-Familie einen Teil Ihres kostbaren Blutes in der Person Ihres Erstgebornen, des zugleich Hochgebornen Lord Viscounts Squanderfield: dafür öffnet diese Familie dem Herrn Grafen ihre Kasse und übergibt ihm die Tochter und einzige Erbin des ungeheuern Vermögens, unter der Bedingung, daß besagter Lord Viscount Squanderfield die Adels-Inokulation auf eine gesetzmäßige Weise mit besagtem Bürgermädchen vornehmen, vollstrecken und vollziehen soll. Alles dieses wird hier gegeben und besiegelt. Zur Besiegelung brennt das Licht auf dem Tische. Einige wollen einen so genannten Dieb an demselben bemerkt haben, das wäre ein übles Zeichen für diese Ehepakten. So viel ist aber auf alle Fälle gewiß, daß das Licht läuft, und alles Läufische taugt hierbei auch nicht viel.

Die Gruppe am silbernen Tischchen ist wohl einer näheren Beleuchtung wert. Der Alderman wie er da sitzt, durchaus gespannt, aufmerksam und geschäftig. Seine Füße scheinen es gar nicht einmal zu merken, daß er sitzt. Die Schienbeine etwas übersenkrecht, wie auf dem Sprung, die Füße parallel, die Schuhe firm mit einem Paar derben Börsen-Sohlen stehen fest, wie sein Kredit. Die Füße des Lords stehen auch fest, leider! leider! so wie sein Kredit. Der rechte, zwar noch nicht ganz im Grabe, doch tiefgebeugt im Sack und in der Asche, und der linke erbärmlich durch das Gitter seines Lazaretts blickend. Was diesem noch etwas Ansehen gibt, ist bloß der Kontrast mit dem leidenden Bruder.

Der Alderman liest die Aufschrift des Ehe-Kontrakts mit einer Aufmerksamkeit, deren der Lord wohl kaum den Inhalt gewürdigt hat. Diese Art von gespanntem Lesen, lernt sich nicht an Büchern und nicht aus Büchern, sondern bloß bei dem Genuß großer Gedanken – in Wechselbriefen. Vielleicht liegt aber auch in dieser Gespanntheit noch etwas mehr als bloße Sorgfalt. Es wäre wenigstens möglich. Man denke einmal an die herrliche Frakturschrift der englischen Schönschreiber, und mit dieser herrlichen Schrift geschrieben die goldenen Worte: The Right Honble Lord Viscount, und in diesem Viscount den künftigen Schwiegersohn und im Schwiegersohn den künftigen Grafen und im Grafen den unausbleiblichen Lord des Oberhauses mit allen seinen Rechten und Herrlichkeiten bis ans Ende der Welt. Wahrlich, wenn ein solcher Genuß den Blick eines hoffärtigen Aldermans nicht spannen kann, was in aller Welt will ihn spannen können? Gedacht hat er freilich alles das wohl oft genug, aber mit solcher diplomatischen Pracht und solcher moralisch unauslöschlichen Schrift geschrieben sieht er es hier zum ersten Mal.

Neben ihm steht, mit dem Hut unter dem Arm, sein alter, treuer im 60jährigen Comtoir-Dienst gedörrter Buchhalter. Er bringt die Traktaten in Erfüllung und übergibt im Namen seines Herrn, dem alten Grafen das, was man eigentlich in diesem Hause die Tochter des Aldermans nennt. Er verrichtet die Trauung. Es gehört fürwahr viel Philosophie dazu, ganz ohne geheime Regung auf den Tisch zu sehen worauf diese Trauung vorgeht. Banknoten, mit bedeutungsvollen Nullen-Reihen wie mit Perlenschnüren verbrämt, liegen da auf Guineen-Haufen, und ähnliche Stickereien folgen ihnen noch nach. Und dennoch sind dieses, so wie überhaupt die sichtbaren Reize bei solchen Gelegenheiten, nur Nebensachen. Nahe vor sich hat der Alte noch Beutel stehen, die schon deswegen mehr Achtung verdienen, weil man nicht wissen kann wie viel darin ist. Allein das geheimste, und daher vermutlich auch das wichtigste Stück bei dieser ganzen Ablieferung, ist wohl die Urkunde mit der Aufschrift Mortgage. Ich schließe dieses daraus, daß selbst der Buchhalter mit gutmütiger Neugierde den Eindruck beobachten zu wollen scheint, den ein solcher vor unsern Augen verborgener Segen auf den Grafen machen wird. Denn wahrscheinlich ist es die von dem Alderman selbst zurückgegebene oder doch eingelöste Schuldverschreibung, wodurch ein Teil der Besitztümer des Hochgräflichen Hauses bisher in Gefangenschaft gehalten worden war. »Hier, Mylord, erhalten Sie Dero Güter zurück« sagt der Alte. – Die Gabe ist stark, und in der Manier sie darzubringen etwas, das gar nicht kaufmännisch aussieht. Man fühlt dieses auch adeliger Seits sehr tief und greift daher ohne Zeitverlust augenblicklich nach der eigenen Mitgift, um durch die Pracht derselben das Bürger-Pack sogleich wieder in seine natürliche Grenzen zurückzuweisen. Wohlan, sagt der Graf, das bringt Uns euer Bürger-Mägdchen ins Haus, und das, was hierunter pocht, (indem er auf den fünften Westenknopf weist), mein Blut, und hier (auf den Stammbaum deutend) diese Zeder vom Libanon, meinen 700jährigen Adel, bringt euch Bürger-Leuten mein erstgebomer Sohn ins Haus. – Um die ungeheure Überwucht dieser Worte über jene Tat ganz zu fühlen, muß man noch den orientalischen Pomp bedenken, unter welchem sie hier gesprochen worden sind, wovon wir jetzt nur so viel anführen wollen, als unmittelbar für diese Gruppe gehört. Der alte Graf erscheint sitzend, nahe unter einem Staats- und Audienz-Himmel, mit der gräflichen Wappen-Krone (an Earl's Coronet) zwar nicht unmittelbar auf der Staats-Perücke, aber doch oben auf dem Staats-Himmel; angetan mit hoher, goldner Wappenpracht, und gleichsam selbst eine Art von Pracht-Wappen mit seinen Schildhaltern, den beiden Krücken. Jede Krücke ist mit der Krone gestempelt. Jetzt gebraucht er sie nicht. Die Sorge für seine Unterstützung hat, an einem andern Ende, einer der feinsten Cabinets-Thronen übernommen, den je die Gicht an einem Gala-Tage bestiegen hat. Den kranken Kredit-Fuß trägt ein Schemel, dessen selbst die zarteste Kränklichkeit sich nicht schämen würde als Stütze für ihre Schläfe oder Stirne anzunehmen, und dieser Schemel trägt für seinen Dienst ebenfalls die goldne Krone. Neben ihm liegt Wilhelm der Eroberer mit Panzer, Schild und Schwert und bewundert die nobeln Früchte seines 700jährigen Baumes, an deren jeder die goldne Zierde einer Krone hängt. – Armer Alderman, was ist nun alles dein zeitliches Börsen-Geklimper gegen diese Pracht und den Posaunen-Ton eines fast 1000jährigen Vorruhms? Sehr tröstlich ist dieser Stammbaum auch wirklich nicht für den Alderman. Mit seiner Brille wenigstens muß er ihm nicht nahe kommen. Denn, wenn ich recht sehe, so hat der stolze Normann mit seinem Schwert einen Zweig heruntergehauen, weil dieser Zweig ein Krönchen trug, das sich mit einem Non-Krönchen verehelicht hatte. Sitzen bleiben konnte das Ästchen mit seinem Mildtau nicht an dem Baume adeligen Erkenntnisses, der seine Wurzel hinunter bis in den Bauch Wilhelms des Eroberers schlug. Daß die schwarze Nulle, die wir da fallen sehen, ein unadeliges Nichts bedeutet, ist wohl gewiß, ob aber eine Krämers-Tochter oder einen Laufer oder Kammerdiener, kann hier nicht ausgemacht werden.

Hinter dem Alderman sitzen nun in einem ganz zierlichen Nestchen die beiden Verliebten und Verlobten selbst – in natura. Es ist nicht ganz leicht zu sagen wie sie da sitzen. Daß sie ihre Herzen nicht gegen einander wenden, ist wohl gewiß, oder die Herzen müßten bei ihnen anders liegen als bei andern Menschen. Es durch ein Gleichnis auszudrücken, ist auch nicht leicht, wenigstens durch irgend ein käufliches der Hochzeits-Sänger nicht. An Turteltäubchen und Schnäbeln z.B. ist gar nicht zu denken, denn wer in aller Welt schnäbelt sich so? Das Gleichnis, das hier vielleicht noch am weitesten reicht, wäre, zu sagen: der Bräutigam sitze neben der Braut, wie ein kranker Seidenhase neben einem raschen Igelweibchen. Er, mit bereits ausgelöschtem Licht und Feuer seiner Augen und mit einem sehr bedeutungsvollen bon ton-Pflaster unter dem Ohre, nimmt mit superfeiner Grazie eine Prise. Sein kaum merkliches Lächeln ist das Lächeln der gedankenlosesten Selbstapprobation bei der äußersten Erschlaffung des Leibes und der Seele. – Was ihn noch hält, ist vielleicht ein halbeifersüchtiges Lauschen auf ein kleines Geflüster, das wir sogleich selbst ein wenig behorchen wollen. – Er sitzt, – freilich wohl – aber er sitze, womit oder worauf er wolle, so ist wenigstens so viel gewiß, er sitzt miserabel. Auch bei ihm sprechen die Füße, wie bei seinem Vater über Kredit. Sie heben sich sogar im Sitzen auf die Zehen, vermutlich um irgendwo in einer höheren Gegend die Berührungspunkte zwischen Sitz und Sitzfleisch so viel als möglich zu vermindern. Sein Gesicht wendet er gegen den Spiegel, aber bloß weil der Spiegel an der Seite hängt, wo die Braut – nicht sitzt. Mit dem Spiegel selbst hat er nichts zu schaffen. Alles, was er da sehen könnte, wäre höchstens ein Bißchen Silberblick von seinem Pracht-Ärmel. Denn daß er sich selbst im Spiegel sehen könne, oder gar die Braut in demselben belauschen, wie Herr Ireland glaubt, ist eine katoptrische Unmöglichkeit. – Es erweckt eine ganz seltsame Empfindung, wenn man diese zerbrechliche Marzipan-Puppe mit dem eisernen Normanne dort vergleicht, von dem sie abzustammen wähnt. Wäre auch der tapfere, feurige, ehrgeizige und nichts weniger als sonderlich weichherzige Wilhelm mit seinem Hieber in Person hier, so möchte wohl das sicherste Plätzchen im Zimmer für Ihro Hochgebornen, wenn sie bessere Springfüße hätten, dort beim offenen Fenster sein. Nun die Braut! Gütiger Hymenäus, was hast du da vor, und wie war es möglich, nur so was zu denken! Sieh nur hin! Wenn man die Kleinigkeit abrechnet (das einzige, worin die beiden Leutchen noch ein wenig harmonieren), nämlich, daß sie sich beide, wie man sieht, einander hassen wie den Teufel, so sind sie denn doch fürwahr in allen übrigen Stücken gerade das Gegenteil. Es ist zu arg. Was bei dieser Handels-Spekulation dort, beim silbernen Tischchen mit Beuteln und Stammbäumen abgetan wird, läßt sich noch hören, aber – aber die Lieferung an Naturalien da auf dem Canapee, taugt nicht den Henker. Man bedenke nur. Er, mit dem geringen aber edeln Rest von Körper, den er noch aus dem Feuer gerettet hat, in die schönste Wellen-Linie Hogarths hingebogen; – Sie, noch ganz, aber in der völligen attitude à dos d'âneDa man sich bei Beschreibungen von Damen-Kleidern durchaus der französischen Sprache bedient, so ist es ja wohl verstattet bei Beschreibungen von Damen selbst ein Gleiches zu tun, zumal da der Unterschied zwischen beiden in unzähligen Fällen auf eine bloße Kleinigkeit hinausläuft. und in eine Sägebocks-Form gebrochen, die selbst das stoffene Kleid nicht verhüllen kann. Seine Arme, wie sanft gestützt! und die Hände, wie leicht gehalten! Antinous und Adonis, wenn sie je hätten schnupfen wollen, hätten nicht reizender können schnupfen wollen. – Die ihrigen in parallele Winkel geknickt, hängen da, wie die lahmen Haken an einem alten Futteral, wenn sie ihre Ösen verloren haben. Er spielt mit dem Döschen und dem Schnupftabak, und damit sind wenigstens drei Viertel der ganzen Bestimmung dieser Spielsachen wirklich erfüllt; – Sie hingegen spielt mit dem Trauring, durch den sie ihr weiches und feines Schnupftuch gezogen hat, woran sie ihn wirbelt und schleudert, und vermutlich verschleudern wird. Der Trauring ist für sie eine Prise, die sie diesen Morgen ehrenhalber genommen hat, und weil sie nicht nach ihrem Geschmack ist, bei der ersten Gelegenheit heimlich verzettelt. Manche Menschen wollen in den Spielsachen dieser Liebenden tiefere Bedeutungen finden. Das mag sein, mag aber auch so bleiben. Ich wenigstens mag aus tiefen Bedeutungen keine Spielsachen machen. Seine Miene, wie holdselig! Etwas matt freilich, aber doch sanft; zwar mit Spuren der Debauche, aber doch auch der Bildung. Aber die ihrige! – – Behüte und bewahre alle Menschen vor solchem Schnitzwerk am eigenen Köpfchen oder an dem der künftigen Haus-Ehre! Es ginge nicht einmal durch als Schnitzbild am Haus-Schlitten. Unweiblicher kann wohl kein weibliches Geschöpf gezeichnet werden als dieses; häßlicher vielleicht, aber mit so wenigen Strichen schwerlich boshafter, eigensinniger, halsstarriger und dabei duckmäuserischer, als dieses. Gezeichnet sage ich; so gezogen kann man seine Töchter in manchen Kostschulen (boarding schools) in London, gegen ein Paar hundert Pfund Sterling, haben, ohne alle Mühe, so gut als in den galantesten Familien von Deutschland. In der Tat, der Kontrast bei diesem Paare geht sehr weit; nicht bloß auf Kopf und Herz erstreckt er sich, er findet sich sogar in Teilen, die, zumal wenn der Mensch (wozu es nun bald wieder kommen wird) auf allen Vieren geht, so weit als möglich vom Kopf und Herzen abliegen. Ich meine die Leutchen sitzen, oder setzen sich nicht einmal eines wie das andere. Der Bräutigam, schwebt er nicht über dem Sitz, leicht wie der Frühlings-Gott über der Silberwolle eines Tauwölkchens? Die Braut hingegen, sitzt sie nicht völlig da in der Stellung eines Hausknechts, der den Deckel eines allzuvollen Koffers, noch durch einige derbe Final-Stöße mit dem Sitz-Ende, zum Schlusse bringen will? Jener sitzt oder scheint zu sitzen, als fürchtete er Nadeln in der Unterlage, diese, gerade umgekehrt, als merkte sie darin eine Leere zum Ausfüllen, und solche Sitze gibt es in der Welt.

Zur Rechten also sitzt ihr der Mann, dem sie auf die rechte Hand angetraut werden soll, und zur Linken steht ihr ein andrer, ein junger muskulöser Matrimonial-Rat, der wirklich im Begriff ist, ein Gleiches mit ihr für seine eigene Person auf die linke vorzunehmen. Der Fuchs merkte, daß dem Fräulein Braut alles auf der Rechten ein wenig links vorkam, und eröffnet daher auf der Linken sogleich die Traktaten; nicht die, wozu Er die Feder, aber die, wozu Sie die Ohren spitzt. Der junge Mann ist kein Geistlicher, wie mancher Deutsche vielleicht aus dem schwarzen Oberkleide und dem Krägelchen schließen sollte, sondern ein Rechtshändler, eine Art von Advokat und Prokurator. In England tragen nämlich die beiden oberen Fakultäten beständig Trauer, wenn sie im Dienst sind, die Justiz wie die Theologie. Hingegen kleidet sich die Medizin, welcher diese Farbe vielleicht noch am besten zu Gesicht stehen würde, mit allen Farben des Regenbogens, wie bei uns. Aus dem Titul einer Rede von ihm, die man hat drucken lassen, und von der wir unten reden werden, erfährt man, daß er Silvertongue,Aus silver, Silber und tongue, Zunge zusammengesetzt. Die Übersetzung ist nach Chrysostomus, Goldmund, formiert. Silbermund hieß. Und in der Tat, er muß da etwas sehr Silbernes hinflüstern, daß er diese Eule damit so tief in eine Aufmerksamkeit hineinzaubert, wovon man die Spannung durch die ganze Länge ihres Halses und Rückens bemerkt, und das alles so beim Federschneiden. Daß sie zu dieser Aufmerksamkeit, die ganz aus dem Innersten des verzogenen Geschöpfs stammt, dennoch die roheste Miene pöbelhaften Unwillens macht, ist, wie mich dünkt, ein herrlicher Zug von Hogarth; denn der charakterisiert nun nicht weiter die Dame und noch weniger das Geschöpf der bloßen Natur, sondern – das eigentliche Mensch, die Schuld falle nun auf wen sie will. Sollte der Vater sich vielleicht durch Fischhandel gehoben haben? Bei dem Justiz-Krägelchen des Herrn Prokurators merke ich noch an, daß er diese Zierde nicht durch das ganze Stück trägt, sondern kurz vor Ausgang der Geschichte von der Justiz mit einem andern unter großen Feierlichkeiten beschenkt wird.

Diese kleine Canapee-Szene enthält nun den Keim, aus dem der Künstler mit vieler Feinheit das Ganze entwickelt; hier glimmt der Funke der nun nach und nach zur Glut wird und endlich zu Flammen auflodert, durch welche das Ganze zusammenstürzt. Hogarth macht daher vorzüglich aufmerksam darauf und erklärt was noch undeutlich darin scheinen könnte, mit einem Paar vortrefflicher Züge aus dem unerschöpflichen Schatze seiner Zeichen-Sprache. Unmittelbar vor dem jungen Lord, an der Erde, spiegelt sich diese Canapee-Szene in der Geschichte zweier Leibeigenen ab, die beim Jagdwesen der Familie angesetzt sind. Es ist ein Hund und eine Hündin. Der Hund, durch eine Krone auf der Seite ein wenig nobilitiert, ist schon etwas ältlich, etwas abgejagt und etwas matt. Die Hündin, bloß bürgerlich aber rasch und munter, hat keine Neigung zu schlafen, am allerwenigsten wann der schläft, mit dem sie durch eine derbe Kette von Hals zu HalsAus der Kette von Hals zu Hals in dieser Spiegel-Szene sollte man fast schließen, daß der junge Lord und seine Dame auch schon an der Kette lägen. Wäre dieses, so würde freilich der Unwille im Gesicht der letztern und die Verlegenheit in den Mienen des ersteren eine leichtere Erklärung leiden. ver-lobt ist. Die kleine Bestie sieht sich ziemlich gierig nach etwas um, vermutlich nach einem – Prokurator. Der schwarze Fleck am Ohre des Hundes ist kein bon ton-Pflaster. Über dem Canapee an der Wand hat Hogarth einen Leuchter aufgehängt. Die beiden Arme desselben, die die Kerzen tragen, sind in einander geschlungen (auch ein Verlöbnis), aber die beiden Kerzen selbst brennen gerade so, wie die beiden Herzen unten darunter. Oder deuten etwa die Kerzen mehr auf den linken Flügel, wo der Prokurator kommandiert? Mir ist dieses wahrscheinlicher als jenes, weil beide noch frisch und unangebrannt sind, und weil wirklich der eine Leuchter-Arm ganz von der Seite kömmt, und sich, aller Symmetrie zuwider, um den Hauptarm schlingt. Hätte Hogarth auf den rechten Flügel hinweisen wollen, so wäre vermutlich ein abgebranntes Stümpfchen mit dabei gewesen. Noch brennen sie nicht, sind aber dazu fix und fertig; es fehlt zum Anzünden nur noch die Nacht, und die – wird kommen.

Vor dem aufgeschobenen Fenster steht noch ein anderer Leidtragender aus der zweiten Fakultät. Er scheint etwas mehr zu sein, als der dort auf dem linken Flügel, eines Teils weil er weniger tut und dann weil er wirklich bereits das goldne Vlies der englischen Themis um sein Haupt geschlagen trägt. Denn niemand trägt dieses Fell, der nicht schon Fett und Fleisch sicher in der Speisekammer hat. In seiner Linken hält er den Plan zu dem neuen Palast des alten Grafen und vergleicht den Entwurf mit der Ausführung. Dabei gerät er in ein solches bewunderndes Erstaunen, daß darüber Unterkinn und Nase, die sonst in seinem Gesichte nahe Nachbarn sind, und die fünf Finger der rechten Hand auseinander gehen. Wenn diese Bewunderung nicht gar eine geheuchelte ist, so ist wenigstens so viel gewiß, kunstkennerisch ist sie nicht, sondern bloß juristisch, denn das Gebäude ist abscheulich. Die obern Säulen treffen nicht auf die untern, die Säulen-Stühle sind runde kannelierte Blöcke, die Fenster zu den Souterrains dreieckig; neben der Hauptfaçade liegt die finstere Kutschen-Remise, die ihr bißchen Licht durch ein rundes Loch und einen Zirkel-Abschnitt erhält, der so tief liegt, daß es ohne Abschnitt vom Kutscher oder der Kutsche beim Einfahren kaum abgehen kann, und so geht es durchaus. Allein die Geschmacklosigkeit, Stupidität und tolle Verschwendung des alten Herrn zu zeigen, ist nicht die einzige Ursache, warum der Künstler das Fenster aufgeschoben hat. Es ist kein Geld da, will er uns sagen, ein Gerüste und keine Arbeiter, der Bau steht stille, ja, es scheint fast als hätte die Zeit schon hier und da angefangen am Gerüste selbst wieder abzubrechen. Was da im Hofe herumwimmelt sind keine Bauleute, sondern entweder Tagdiebe aus dem Hause selbst (überflüssige Dienerschaft), oder Bediente deren Herrschaften das Gebäude besehen und belachen, und das alles dem Nachkömmlinge Wilhelms des Eroberers zu Ehren. –

So eben, da der Erklärer dieser Blätter sich zu der Gemälde-Sammlung in diesem Zimmer wenden will, bemerkt er, daß es ihm mit der Guinee, die da im Bilde halb schon unter dem Kehricht, der Sportel-Kasse der Bedienten, liegt, beinahe ergangen wäre, wie den drei Kupplern am Tischchen mit dem klingenden Originale selbst. Er hätte sie fast über den andern Schätzen dieses Blattes, die noch aufzudecken sind, vergessen. Das Versehen war dieses Mal vorteilhaft; es selbst enthält die beste Erklärung, so wie diese wiederum, für den gütigen Leser wenigstens, die beste Entschuldigung.

An den Wänden umher hängen Gemälde, die der übrigen Mannigfaltigkeit unbeschadet alle auf grauenvolle Schilderungen zeitlichen Unheils hinauslaufen. Krieg, Mord, Marter, Überschwemmung, Pestilenz und teuere Zeit, Kanonen und Kometen überall, und das alles in einem Verlobungs-Zimmer. Wahrlich! hätte Heinrich IV. vor seiner Verlobung den Kaffee-Satz befragt und die Zigeunerin ihm eine solche Bilder-Galerie darin sehen lassen, die bekannte Mariage de St. Bartelemi wäre sicherlich nicht zu Stande gekommen. Hier hat man kein Arges daraus, daher geht auch diese Bluthochzeit ihren Gang ungestört fort. Man sehe nur einmal hin.

Gerade über dem Haupte des Bräutigams wird der heil. Laurentius auf sein Brautbett, den Brat-Rost, geschleppt. O! könntest du das bedenken, armer Lorenzo, mit deiner Dose da unten! Gegenüber warnen Kain und Abel Herrn Silbermund vor Bruder-Mord. Über dem heil. Laurentius deutet die Geschichte des bethlehemitischen Septembriseurs Herodes auf Kinder-Mord, und diesem gegenüber die des Feuerdiebes Prometheus, an dessen Leber der Geier nagt, auf Gewissens-Angst. An der andern Wand liegt ein ungeheuerer Goliath mit dem Rumpf an der östlichen und dem rechten Bein an der westlichen Seite eines Hügels, an dessen Abhang nun sogleich der Felsen-Block seines Kopfs herabrollen wird. Unter diesem rollt so eben auch ein Kopf, der Kopf Holofernis, in den Arbeitsbeutel seiner getreuen Judith, und neben diesem empfängt der arme St. Sebastian die Pfeile in die Brust. Also hier ist Blutes genug. Das Blut wird sich auch finden; auch Ähnlichkeiten mit den Geschichten selbst würden sich mit etwas Deutungs-Fertigkeit noch finden lassen, alles, nur – die Heiligen nicht. –

Nun müssen wir den Leser um ein klein wenig Platz für den Mann ansprechen, dessen Bild da an der Wand den Raum von vier Mordgeschichten einnimmt. Es ist ein Held aus der Familie. Wer Sausen, Sturm und Donner sehen will, ohne sie hören zu wollen, der trete vor dieses Bild. Der Held, in der Art von Perücke, die man, trotz der vielen neueren Fortschritte in der Meteorologie, noch immer und mit Recht unter die Donnerwolken zählt, befindet sich im Gewühle der Schlacht. Daß er an der Spitze seines Heeres steht, ist gewiß; wo aber diese Spitze selbst eigentlich liegt, vorne oder hinten oder auf der Seite, hat der Maler nach Zeitungsschreiber-Art, nicht deutlich angezeigt. Mit selbstgefälliger Miene übersieht er die reiche Ernte des Sieges, und wirft so eben einen Blick nach der Seite wo die besten Schnitter stehen. Den Blitz hat die rechte Hand gnädig und schonend der linken übergeben, wo er friedlich mit den Brüsseler Spitzen der Manschetten spielt. Die Rechte ruht waffenlos auf der eisernen Hüfte. Vierzig bis funfzig Ellen Gewand flattern um ihn her und dem Sturmwind, der aus drei Paar vollen Cherubs-Backen darauf zu bläst, gerade entgegen. Der Held hat also seinen eigenen Wind. Indessen ergreift ein Teil des äußeren Sturms den Hauptschweif der Perücke des Helden und hebt ihn fürchterlich auf. Er steht schrecklich da, und könnte selbst dem von einem Kometen, der über ihm schwebt, Trotz zu bieten scheinen, wenn man nicht wüßte, wie nahe solche Zeichen der Zeit einander verwandt sind. Unten geht eine Kanone selbst unter dem Mantel des Helden los, fast als käme der Schuß aus seiner Hosentasche. Seine Taschen-Puffer sind Kartaunen, wie seine Zöpfe Kometenschwänze. Wie groß! Die Kugel scheint von dem Künstler in einem günstigen Augenblick ad vivum kopiert. Daß sie etwas klein geraten ist, ist ihm wegen der Eile, worin solche Gegenstände gewöhnlich aufgefaßt werden müssen, zu verzeihen. Um das ganze Portrait geht ein Pracht-Rahmen von vergoldetem Zimmerwerk, der oben mit einem Fratzengesicht, einem Mittel-Dinge zwischen Tiger und Affen, ausgeziert ist. Also etwas zwischen Tiger und Affen sogar auch am Rahmen um das Bild.Bekanntlich hat Voltaire, der so etwas wohl wissen konnte, gesagt: Der Franzose habe im Charakter etwas vom Tiger und etwas vom Affen. – Alle Ausleger des Hogarth sind darin eins, daß die Satyre in diesem Bilde nicht sowohl auf Ludwig XIV. selbst, als auf die öfters mit den übertriebensten Attributen verzierten Portraite von demselben ginge.

Das Decken-Gemälde ist ein Seestück! Pharao mit seinem Heer, in dem Augenblicke gezeichnet, da seine Karriole, da oben über dem Herrn Prokurator, flott wird. Zum Gegenstück hätte sich hier das Ptolemäische Welt-System auf dem Fußteppich recht gut gefügt; auch wegen der verkehrten Haushaltung. Eigentlich also geht die ganze Verlobungs-Szene auf dem Boden des Roten Meeres vor, und so etwas hätte wohl hier werden können, wenn das an der Wand gemalte Blut hier wirklich geflossen wäre, oder gar das hierher zu strömen angefangen hätte, auf welches der Kometen-Schweif hindeutet.

Zum Beschluß noch eine kleine Rechnung: Das gräfliche Wappen ist hier neunmal gewiß, und wahrscheinlich eilfmal angebracht: einmal über dem Prachthimmel; zweimal an den Krücken; einmal am Fußschemel; einmal am Stuhle des Alderman; einmal über der Familien-Meduse am Wandleuchter; einmal über dem Spiegel; einmal unter dem Spiegel-Tischchen, und einmal an dem schläfrigen Jagdhunde. Die beiden wahrscheinlichen sind die, wovon das eine durch die Perücke des alten Grafen und das andere durch den Haarbeutel des jungen Viscounts an ihren Sitz-Lehnen verdeckt wird. Um das Dutzend durch ein drittes wahrscheinliches, an der Jagdhündin, voll zu machen, erlaubt unsere Kommentator-Ehre nicht, da wir uns einmal vorgenommen haben zu glauben, dieses muntere Tier sei bloß bürgerlich. Am Stammbaume findet sich das Wappen leicht noch vierzehnmal. So etwas läßt doch fast wie Allgegenwart.

Für die Besitzer der Original-Kupferstiche merken wir noch an, daß in unserer Kopie, durch die mit Fleiß unterlassene Umzeichnung, alles nun wieder so steht, wie auf dem eigentlichen Original-Gemälde. Der Prokurator schneidet seine Feder wieder mit der rechten Hand; der Held trägt sein Schwert wieder an der linken Seite und der alte Graf legt wieder die rechte Hand auf das Herz. Ich glaube, diese unsere Rückübersetzung des englischen Kupferstichs in die primitive Wohlanständigkeit des Gemäldes, ist hier nicht ganz ohne Verdienst. Welcher Mann von Geburt legt bei einer Versicherung die linke Hand auf das Herz? – Meint er es nicht redlich, so kann er freilich nicht verlangen, daß die Welt am Ende sagen soll, er habe es redlich gemeint: aber das, dünkt mich, kann ein Mann von Stand verlangen, daß, wenn er betriegt, die Welt wenigstens sagt, er habe mit Würde betrogen.


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