Georg Christoph Lichtenberg
Ausführliche Erklärung der Hogarthischen Kupferstiche
Georg Christoph Lichtenberg

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Dritte Platte

Die Heirat nach der Mode. Dritte Platte

Lord OxfordS. die Vorrede zur ersten Lieferung Seite 666.sagt in dem IVten Teile seiner Anecdotes of Painting in England, wo von unserem Künstler die Rede ist, von demselben: Er sei in seinen Werken, was die Hauptsache betreffe, immer verständlich. So wahr dieses von bei weitem dem größten Teile seiner Blätter wirklich ist, so wenig gilt es von dem gegenwärtigen. Man hat nun, wo ich nicht irre, fünf verschiedene Erklärungen dieser Szene. Dieser Umstand allein wäre schon Zeugnisses genug für die Unverständlichkeit derselben, indessen ist eine Anekdote, die Herr Ireland noch zu gleicher Absicht anführt, zu merkwürdig, um hier übergangen zu werden. Als der berühmte Dichter Churchill einst über die Bedeutung dieses Blattes befragt wurde, gestand er: »sie habe ihm ebenfalls immer so schwankend geschienen, daß er eines Tages den Künstler selbst um eine Erklärung gebeten hätte, er habe aber, so wie mancher andere Kommentator, die Sache eben so dunkel gelassen, als sie war, und ich bin daher, fuhr der Dichter fort, völlig überzeugt, daß Hogarth sein Geschichtchen bloß nach irgend einer Idee Hoadleys, Garricks, Townleys oder sonst eines Freundes formiert und niemals selbst recht verstanden hat, was es sagen will.« Hier erkennt man den erbitterten Spötter. Herr Ireland merkt auch ausdrücklich dabei an, daß zu der Zeit, als Churchill so urteilte, der unglückliche Zwist zwischen ihm und Hogarth schon ausgebrochen gewesen wäre.Unglücklich verdient dieser Zwist auf alle Weise genannt zu werden, denn Hogarths Tod wurde dadurch beschleunigt. Der berüchtigte Wilkes, dessen Busenfreund Churchill, und er, waren gute Freunde, bis Hogarth den Einfall hatte, sich in Politik zu mischen, und mit seinem Grabstichel die Partei seiner Freunde anzugreifen. Wäre es mit dem Witz und dem Geiste geschehen, der in seinen übrigen Werken herrscht, so hätte er ihr sehr gefährlich werden können. Allein sein Kupferstich, die Zeiten, ist eine höchst mittelmäßige Allegorie. Wilkes fiel deswegen in einem Blatte seines North-Britons (Nr. 17) über ihn her, und als H. eine Karikatur von seinem Gegner herausgab, zog er sich von Churchill die bekannte Epistle to Hogarth zu. Er stach nun auch diesen Freund in Kupfer, unter der Figur eines Bären mit einem Kruge Porter und einer Keule. Allein alles dieses heilte die Wunden nicht, die ihm waren geschlagen worden. Seine Gegner waren ihm hier überlegen, und sein Witz hatte dieses Mal die Stimme des Publikums wider sich, obgleich Churchills Satyre keine der besten dieses Dichters ist. Lord Oxford urteilte vortrefflich über dieses Gefecht: never did, sagt er, two angry men of their abilities throw mud with less dexterity.Es kann zwar dem honettesten Manne begegnen, daß er in einem Anfalle von philosophischem Tiefsinn oder dichterischer Begeisterung, zumal kurz vor der Messe, etwas schreibt, was er selbst nicht mehr versteht, wenn die Messe vorüber ist. Das sind Blitze des Genies und Blitze zielen nicht, auch lassen die Blitze des Genies, so wie die der gemeinen Donnerwetter, zumal die kalten Schläge, keine Spur zurück, weder in dem Elemente aus dem sie stammten, noch in dem, in welches sie fuhren. Allein ein solches Werk der bildenden Kunst wird nicht durch einen coup de main auf die Leinwand hingeblitzt. Jeder Zug muß bezielt und bevisiert werden, ehe er getan wird, und sich nachher noch tage-, ja wochenlang bezielen und bevisieren lassen, und da müßte es doch fürwahr nicht mit rechten Dingen zugehen, wenn der Belagerer selbst das Werk nicht sehen sollte, das er erobern will. Hogarth hat es gewiß sehr deutlich gesehen. Wir wollen nun versuchen, ob wir nicht die eigentliche Richtung seines mannigfaltigen Geschützes und folglich die Lage des Hauptpunktes, durch ein Paar langsam konvergierende gerade Linien andeuten können. Ganz bis zum Vereinigungspunkte werden wir diese Linien nicht ausziehen; dazu ist unser Papier zu klein. Wir bitten daher den gütigen Leser, sie, so wie sie hier sind, auf einen etwas großen Tisch zu applizieren und dann das eigene Haus-Lineal an dieselben anzulegen, so wird sich alles übrige von selbst geben. Ich glaube wir können nach dieser Reduktion der Auflösung des Problems auf einen bloßen Lineal-Anschlag, kurz sein.

Es ist schon einigemal ziemlich laut davon gesprochen worden, daß der junge Herr Graf weder ganz gesund, noch auch sonst ganz ordentlich wären. Es waren aber alles bloße Gerüchte. Man sprach von einem Pflaster unter dem linken Ohre und von etwas Linon und Band in der Tasche usw. Hier aber erhalten wir nun die zuverlässige, offizielle Nachricht, daß sich alles wirklich so verhalte, und, so zu reden, aus des Herrn Grafen eignem Munde. – Er befindet sich hier in dem Sanitäts-Cabinet eines gewissen Monsieur de la Pillule,Jetzt la Pillule. eines französischen Arztes, der sich vorzüglich mit der Art von Krankheit beschäftigt, die der Sprachgebrauch fast aller Nationen zu einer Landsmännin des Herrn Doktors macht, und die vermutlich von ihm auch auf diesen Fuß als Landsmännin mit einträglicher Vorsicht und Schonung behandelt wird. Seinen Namen erfährt man aus einem Exemplar seines prachtvollen Werkes, das da rechter Hand aufgeschlagen liegt, und das Glück seiner Praxis aus der ganzen Lage des eleganten Zimmers mit seinem Bogen-Fenster, das eine ganze Straße enfiliert, und aus dem Schreien nicht bloß der Steine, sondern aller Reiche der Natur und der Kunst an den Wänden. Vermutlich ist dieses auch die Offizin, worin unser Held unter dem Ohre gestempelt worden ist. Er ist so eben mit dem armen, unreifen Geschöpfe, das ihm zur Linken steht, bei Monsieur de la Pillule angekommen, zu welchem er die überreife Hexe zur Rechten ebenfalls entweder bestellt, oder auch jetzt zugleich mitgebracht hat. Hier entspinnt sich nun ein Streit, wovon die Ursache folgende ist: Der Lord hat das kleine Geschöpf, aus dem Erziehungs-Institut der Alten, für seine Haushaltung außer dem Hause, auf eine unbestimmte Zeit zu einem hohen Preise zur Gesellschafterin gemietet. Dafür garantierte die Priorin des Klosters in ihrem Zögling unreife Jugend, Unschuld, gänzliche Unbekanntschaft mit Gallizismen jeder Art und folglich vollkommene Sicherheit. Der letzte Umstand war wegen der Haushaltung im Hause sehr nötig und wirklich hatte man die Unreifheit, zwar hauptsächlich aus Mode, zum Teil aber auch der größern Sicherheit wegen, ausdrücklich mitbedungen. Hierin fand sich nun leider! der Herr Graf gar erbärmlich und weit, weit ultra dimidium lädiert. Er hat wohl sicherlich Recht, weil die Alte statt aller Widerlegung sogleich das Klappmesser gegen den Schänder ihres Instituts zieht. In der Tat ist er aber auch gerade im Vortrag eines Arguments begriffen, gegen welches die bloße Zungendrescherei der Kupplerin nichts mehr vermag. Das junge, wirklich treuherzige Geschöpf hat ihm nämlich selbst gestanden, daß sie die Pillen des Herrn Doktors bisher gebraucht habe und noch gebrauche. Man hat daher den ganzen Vorrat mit hierher vor das Tribunal geschleppt. Ein Büchschen hat der Lord geöffnet in der Hand, zeigt es dem Quacksalber, der vielleicht das Mädchen mit assekuriert hatte, hin, wahrscheinlich mit den Worten: Sieht er, Monsieur, sind das nicht dieselben Pillen, die ich schon über hundertmal genommen habe? Er könnte sie auch der Priorin hinweisen: Sind das die Brustküchelchen, die du deinen Nonnen zusteckst? Ich glaube, daß dieses die simpelste Auflösung des Rätsels ist, weil sie auch zugleich die Miene des armen Schlachtopfers mit erklärt, in welcher offenbar Furcht vor der Alten und der Klosterzüchtigung, wegen des Verrats, herrscht. Der Pillen-Vorrat ist nicht klein gewesen, denn ein Büchschen hat das Kind noch in der Hand, wenn es nicht der Deckel zu dem geöffneten ist, und eines steht vor dem Lord auf dem Stuhle, von dem es gewiß herunter fallen würde, wenn sich nicht gerade in dem Winkel, den die hochgräflichen Schenkel mit einander machen, ein schickliches Plätzchen für dasselbe zeigte. Daß der Lord sich des armen Geschöpfs wegen setzt, um sich ihm gleich zu machen, und es sogar zwischen seine Beine stellt, ist ein sehr schöner und merkwürdiger Zug von unserem Künstler. Er zeigt, wie gering, kindisch und hülfsbedürftig das kleine Ding selbst in den Augen des Nichtswürdigen erscheint. Einem aufrichtigen Verteidiger oder Rächer der Unschuld hätte gewiß diese Stellung allein schon die Liebe des Zuschauers gesichert; hier vermehrt sie nun noch dessen Abscheu vor dem ekelhaften, viehischen Wollüstling. Zum wirklichen Dreinschlagen ist wohl das spanische Rohr nicht aufgehoben, es wird bloß ein wenig geschüttelt, um der ironischen Freundlichkeit des Gesichts und dem zu leichten Spott der Worte, die gehörige knüppelhafte Solidität zu geben, durch die allein man sich einer Gesellschaft wie diese verständlich machen kann. Die Verantwortung der Priorin mit dem Messer, muß nicht von sonderlichen Folgen gewesen sein. Man hört nichts weiter davon. Vermutlich hat sich Herr de la Pillule ins Mittel geschlagen, mit der Beredsamkeit seiner Nation sowohl als seines Standes. Das konnte er auch wohl. Ein Hauptingredienz zu Pillen, wie die seinigen, war seit jeher die oratorische Vergoldung; es konnte also ihm, der so manchen schwereren Frieden zwischen Ich und Nicht-Ich geschlossen hatte, wobei diese Vergoldung schon ein Hauptingredienz war, unmöglich schwer fallen, einen so leichten, als der zwischen Stock und Klappmesser, vermittelst der Vergoldung allein zu schließen. Dem sei, wie ihm wolle, so hält jetzt die Betschwester ihr halbgeöffnetes Klappmesser, so wie ihr Gegner den halb aufgehobenen Stock, wenigstens als weisenden Akzent für diejenigen, die in den Mienen noch Zweideutigkeit finden möchten. Auf ihrer Brust sieht man die Buchstaben F. C. vermutlich mit Schießpulver eingeätzt. Wenn die englische Polizei für gut befunden hätte, die leichten Truppen, worunter dieses Husarenstück vor 40 Jahren gedient hat, und vielleicht in der Dämmerung zuweilen noch Dienste tut, in Compagnien abzuteilen, so könnte es wohl First Company (erste Compagnie) heißen; auch Free-Corps (Freicorps) oder Filia Carissima im Kloster nämlich, oder wenn das Halstuch den Namen des Stifters, Besitzers oder des Lehnsherrn verdeckte, könnte es auch das bekannte Fieri Curavit oder Faciundum Curavit N. N. sein. Nach Herrn Nichols soll es Fanny Cock heißen, und die Tochter eines Auktionators, namens Cock, bezeichnen, mit welchem Hogarth Händel hatte. Ob er auch welche mit der Tochter gehabt hat, wird nicht gesagt, wahrscheinlich hatte sie selbst einige mit dem Publikum. Die Buchstaben mögen aber noch sonst bedeuten was sie wollen, so sind sie selbst schon als Buchstaben hier charakteristisch genug, denn unter allen Londonschen Betschwestern, Äbtissinnen und Priorinnen sind gewiß die, mit eingebrannten oder geätzten Devisen, die verworfensten.

Nun einen Blick auf Herrn de la Pillule selbst. Hoffentlich wird der Leser dadurch wegen des Ekels, den die übrige Gesellschaft in ihm erweckt hat, reichlich entschädigt werden. Es ist unmöglich, diesen Vergolder und Vergelder alles dessen, was er berührt, anzusehen, ohne sich um ein Paar Jahre jünger zu fühlen. Man sehe nur allein den Goldmund an! Was für eine Trostquelle, zumal wenn er gebrochenes Englisch speit! Und das unter einer solchen Nase hervor, sicherlich dem vollkommensten Sattel, der wohl je von einer Brille ist geritten worden. Erinnern sich unsere Leser wohl einer Schilderung, die Fabre d'Eglantine von dem sel. Marat gemacht hat?Die Schilderung findet sich in des Hrn. von Archenholz Minerva, April 1794. S. 12 etc. Die hier vorgestrichenen Worte sind aus der Schilderung genommen. Oh! c'est Marat tout craché. Sollte auch hier und da etwas fehlen, so wird doch niemand leicht »das von Natur sanfte, sogar gracieuse, und doch scharfspähende Auge, die kurzen Lenden und die krummen Beine« des Marat darin verkennen. Säße die Perücke noch etwas schiefer, als sie sitzt, so würde ich glauben, es wäre Marat unmittelbar nach der Ohrfeige gezeichnet, durch die er auf seine Theorie des Lichts geführt wurde.Marat, der bekanntlich, ehe er sich in die Politik warf, in der Medizin und Physik stümperte, las eines Tages in einer gelehrten Gesellschaft eine physische Abhandlung vor, wogegen einer der Anwesenden einige Einwürfe machte. Dieses nahm Marat so übel, daß er beim Weggehen seinen unbewaffneten Opponenten auf der Straße mit dem Degen anfiel. (Hier zeigte sich also schon der künftige Staatsmann.) Dieser aber, der ein eben so beherzter Respondent als gelehrter Opponent gewesen sein muß, faßte mit der einen Faust den Degen des Marat und versetzte ihm mit der andern einen so derben Schlag an den Kopf, daß er taumelte, und da, sagt man, habe er seine Theorie des Lichts erfunden. Er wischt die Brille zur Inspektion des Corporis delicti, ohne die es hier schwerlich abgehen wird. Auf seinem Tische liegt ein Buch, das gleichsam wie unter dem Beschluß eines etwas kariösen, vermutlich im Leben von der Frau Landsmännin etwas angenagten Todenkopfes steht. Wenn man aus einem solchen Vorlegschlößchen auf den Inhalt des Schatzkästchens schließen darf, so muß notwendig so etwas von memento mori darin sein. In diesem Falle könnte es entweder die Mysterien der Giftkochkünste des Herrn Doktors enthalten, oder das Buch des Lebens sein, in welches er die Namen und die Schulden der selig Kurierten einzutragen pflegt. Diesem zugemachten Buche liegt an der andern Seite dieser Offizin ein aufgeschlagenes gegenüber. So etwas könnte fast an deutsche Doktor-Promotion erinnern, bei der man bekanntlich dem Kandidaten väterlich, wiewohl ernstlich, das Aufmachen der Bücher, aber auch das gehörige Zumachen empfiehlt. In Frankreich ist aber dieser Gebrauch, so viel ich weiß, nicht Mode, wenigstens steht in einem gedruckten Protokoll des D. Molière über diese Handlung nichts davon. Überdas ist auch das aufgeschlagene Buch unsers Herrn Doktors ein eignes Werk, und diese schlagen sich in jeder gelehrten Haushaltung wohl von selbst auf. Der vollständige Titul des Werks, das aus zwei mäßigen Folianten besteht, ist: Explication de deux machines superbes, l'une pour remettre les épaules, l'autre pour servir de Tirebouchon, inventées par Mr. de la Pillule. Vûes et approuvées par l'academie Royale des Sciences à Paris. Also eine Beschreibung von zwei Maschinen, wovon die eine dient, verrenkte Schulterknochen einzurichten, die andere, Korkstöpsel aus Bouteillen zu ziehen, beide von der Königl. Akademie der Wissenschaften zu Paris bloß gesehen (vûes) und sogleich approbiert. Das will was sagen. Diese Ehre erzeigen die Akademien der Wissenschaften nur Leuten, deren Wert sie schon kennen. Bei jedem unbekannten armen Teufel wird entweder strenge geprüft, oder, wenn keine Zeit da ist, gesehen und verworfen. Hogarth gibt uns hier beide Maschinen in einem perspektivischen Aufrisse, wodurch das Urteil der Akademie völlig gerechtfertigt wird. Man darf nur hinsehen um zu approbieren. Im ersten Bande des Werks zeigt der Verfasser, wie wir so eben in einer alten Rezension lesen, den Nutzen der Maschine bei verrenkten Schultern; lehrt, wie der Patient gehörig gebunden, ausgesteift und angeschraubt wird. Durch eine der Federn, die man hier sieht, wird ihm der geballte Zipfel einer Serviette in den Mund gedrückt, und so wie die Spannung, und folglich der Schmerz zunimmt, schiebt sich immer mehr Leinwand von selbst nach, so daß das Schreien völlig verhindert wird. An der großen gezähnten Stange hinten sind, auf eine höchst sinnreiche Weise, gewisse Teilungspunkte angebracht, die er points de démembrement nennt. Ist nämlich die Maschine auf dem gehörigen Punkt, der sich nach den Jahren und der Stärke des Patienten richtet, gestellt, so kann man getrost fortleiern ohne zu befürchten, daß der Kranke zerrissen wird, denn ehe dieses geschehen kann, fällt der große Haken (eine Art von Sperrung) in das dritte Stirn-Rad, hemmt die Maschine und der Patient bleibt ganz. Wird nur um einen Zahn weiter gedreht, so folgt die Zerstückelung (démembrement), daher haben die Punkte den Namen. Im zweiten Bande zeigt der Verfasser, wie die Maschine leicht gebraucht werden könne, alte Stöcke von Eichbäumen auszuziehen und macht sogar Hoffnung, sie noch zur Reposition schief gewordener Kirchtürme anzuwenden, er verlangt hierbei sehr bescheiden, fast wie Archimedes, weiter nichts, als ein Fleckchen, wo er fußen kann. So heftig und stark sie aber von der einen Seite wirkt, so gelinde schwach, gütig möchte man fast sagen, ist sie auch wieder von der andern. Er hat nämlich, wie er sagt, selbst hohen Standespersonen die Zähne, ja selbst an ihren Tafeln die Korkstöpsel damit ausgezogen. – Den Teil, der zum Korkausziehen dient, hat er nachher besonders bearbeitet, so, daß man ihn allein haben und auch allein gebrauchen kann, und dieses ist die herrliche Idee, die wir da auf dem Boden ausgeführt sehen.

So offenbar nun Hogarth alles dieses zum Lobe der edeln Einfalt der Arzneikunst überhaupt sowohl, als der französischen insbesondere, hier beigebracht hat, die, wie er zu verstehen gibt, Krankheiten aller Art ohne viele Anstalten hebt, sie mögen sitzen wie Eichbäume oder wie Korkstöpselchen: so kann doch der lose Vogel sein Spötteln über den verehrungswürdigen de la Pillule nicht lassen. Dieses geht nun so weit, daß man, bei dem besten Willen das Gegenteil zu wünschen, geneigt wird zu glauben, Hogarth habe mit der ganzen Maschinerie nichts weiter sagen wollen, als Monsieur de la Pillule sei ein geldschneiderischer Windbeutel, der zum Nägelabschneiden Anstalten wie zu einer Schenkelamputation macht; und sie hernach im Buche des Lebens auch als solche berechnet. Man sehe nur einmal dort den Schrank mit den Glastüren an. So etwas kann unmöglich Lob sein. Oben auf demselben erblickt man einen ganz merkwürdigen Dreifuß. Der Dreifuß der Pythia ist es schwerlich, ob es gleich sonst da oben ziemlich antiquarisch aussieht. Es scheint vielmehr ein anderer zu sein, von dem herab zwar nicht so viel Unbekanntes verkündigt, aber dafür desto mehr Bekanntes eingeschärft worden ist, als von dem zu Delphi. Ja es ist wohl ganz gewiß der Dreifuß, dessen Anblick so manchen armen Wanderer in Deutschland, dem ein Gastwirt die eine Hälfte seiner Börse wegdekretiert hat, wiederum tröstet, wenn er sieht, daß er wenigstens auf der Heerstraße, wegen der andern so ziemlich unbesorgt sein kann. – Es ist der bekannte Justiz-Dreifuß – der Galgen. Dieser Galgen nun schwebt da wie eine Glorie oder ein Wappen-Krönchen (Coronet), über drei Figuren, die den Menschen und vorzüglich die Werkstätte seiner Gedanken, nach den drei Hauptschichten ihrer Zwiebelförmigkeit darstellen, in den Knochen, in der Haut und in der Perücke. Unglückseliger Weise ist aber hier die edelste Schicht, die Perücke, gerade die von unserm Herrn Doktor. Daß sie da auf einem etwas schöneren Schnitzbilde sitzt, macht keinen Unterschied. Von außen konnte er in jüngeren Jahren wirklich so ausgesehen haben, und von innen gleichen sie sich wohl noch jetzt. Die Gruppe verträgt ebenfalls mehr als eine Erklärung, aber unter dem Galgen weg erklären läßt sich unser Herr Doktor durch keine. Der Nackende, glaubt man, könnte ein Patient sein, und die beiden andern, zwei in einer Konsultation begriffene Ärzte; der eine also unser Doktor und der andere etwa der berühmte Medicinae practicus, von dessen menschenfreundlichem Betragen Horaz so wahr als schön singt:

Aequo pulsat pede pauperum tabernas
Regumque turres.

Der letzte tut zwar, als wäre er gegen den ersten aufgebracht, aber bloß weil der Patient zuhört; im Grunde kurieren beide unter Einer Decke. – Oder: der eine wäre ein bereits Seliger, der dem andern, der noch nicht ganz so weit ist, zu Hülfe käme: »willst du den auch zu einem Gerippe kurieren, wie du mich zu einem kuriert hast, Schurke?« oder es könnten beide zwei Gehenkte sein, wovon der eine honett in Ketten getrocknet, der andere aber schimpflich anatomiert worden wäre, weswegen er denn auch der Fakultät die bittersten Vorwürfe macht: »es ist noch eine Frage, sagt er, wer von uns beiden der Pendabelste ist, Ich oder Du?«Wie es noch jetzt mit diesen graduierten Pendablen in London steht, ersieht man aus den neuesten Zeitungen. In einem Blatte des Hamburgischen Correspondenten vom April dieses Jahrs (1797) wird von London aus gemeldet, gleichviel ob als Satyre oder im Ernst: eine der beiden englischen Universitäten habe die Preisfrage aufgegeben: ob nicht in England eben so viele Menschen durch die Quacksalber umkämen (in gleichen Zeiten versteht sich), als in Frankreich vor einigen Jahren durch die Guillotine umgekommen wären? oder endlich überhaupt ein Concilium medicum. Mit einem Wort, man sieht, das Kleeblättchen da im Schrank ist ein Galgen-Berlöckchen und unser Doktor im eigentlichen Sinn des Worts der Pendant zu dem Gerippe, und das von Rechts wegen.

Das Laboratorium dahinten scheint eine bloße chemische Schau-Küche zu sein, in welcher nie gekocht wird.In der Verzierung gemeiner Schau-Küchen ist man in einer der berühmtesten Städte Deutschlands ehemals so weit gegangen, daß das darin aufgehäufte Brennholz nicht bloß aus schön behobelten und bunt gebeizten Stücken bestand, sondern auch an beiden Enden mit Messing beschlagen war, das jedesmal vor den hohen Festtagen sorgfältig poliert wurde. Der Glas-Apparat in demselben ist vermutlich für des Herrn Doktors Pillen, was der Eichbaum-Zieher für seine Korkstöpsel ist. Er selbst zieht seine Korke nicht so und macht seine Pillen nicht so. Es ist hier alles nicht sowohl auf Wesen und Nutzen berechnet, als auf Glanz und Majestät, verbunden mit etwas Territion. Das verstehen die Quacksalber. Sie wissen, ohne Schau-Gerichte lassen sich unzählige Menschen gar nicht traktieren, weder mit leiblichen noch geistlichen Speisen, noch mit denen aus der Apotheke, die ein Mittelding zwischen beiden sind.

Über dem Schranke an der Wand hängt noch eine ganze Enzyklopädie von Schau-Gerichten aller Art, vermutlich zur Respekterweckung bei den Patienten oder auch zur präliminären Unterhaltung derselben, bis der Herr Doktor mit dem Plan zum eigentlichen Definitiv-Geschwätz ins Reine ist. Es ist eine sehr bekannte Bemerkung, daß viele Menschen, wo nicht sehr gut, doch wenigstens sehr erträglich über Dinge sprechen können, von denen sie nichts verstehen, wenn man ihnen nur erlaubt zur Stärkung innerer Fiduz sowohl als Erhöhung der Schwungkräfte ihres Maulwerks einige Zeit bei Gegenständen zu verweilen, die ihnen geläufig sind und wovon der Zuhörer nichts versteht. Für einen solchen Zulauf zum Hauptgegenstand ist die Sammlung da oben nicht übel eingerichtet. Denn nicht leicht wird sich jemand noch außer dem Besitzer finden, der die Geschichtchen alle kennte, die da aufgehängt sind. Für das Schöne ist wenig gesorgt, aber destomehr für das Große und das Erhabene. Den Anfang zur Linken macht ein ungeheurer Narwals-Zahn, der, als Horn der Kupplerin angesehen, den Sturm in ihrem Gesichte nicht wenig erhöht. Dieses ist aber die Bedeutung nicht, wenigstens nicht allein. Diese kömmt noch erst. Hierauf folgen einige Backsteine, vermutlich vor 2000 Jahren gebrannt; ein Barbierbecken, vermutlich Mambrins Helm, und ein Uringlas, vermutlich zur Aufnahme irgend einer Aquae regiae der Vorzeit; Riesenknochen, Riesenkindsköpfe mit Pfeifchen oder Röhrchen zum Rauch- und Feuerspeien, ungeheure Riesenkämme gegen Riesen-Plagen und zwischen diesen ungeheuren Vergrößerungen des Kleinen, steht nun die ungeheure Verkleinerung eines der erhabensten Gegenstände der kultivierten Welt. Darneben hängt, damals Antiquität, und jetzt wieder neuestes Modestück, der hohe Hut; eigentlich der Hieb- und Prügel-Ableiter aus Filz. Man läßt ihn zu dem Ende zum Teil leer. Diese Leere erstreckt sich bei den besten Köpfen, die darinne stecken können, wenigstens auf die Hälfte des Raums, bei andern auf Zweidritteile und darüber, und zuweilen, nachdem die Köpfe sind, auf das Ganze. Hierauf folgen die Insignien der Ritterschaft, der Sporn, der Schild und die Lanze ihrer Jugend und die Socken ihres Alters; zwei Krokodile, eines mit amputierten Beinen, und einem Ei vom Vogel Strauß, weil kein besseres bei der Hand war, und ein anderes mit einer Kette am Unterkiefer; eine Mißgeburt und ein Insekt fast zu groß und zu vielbeinig für den Riesenkamm. Ob Hogarth eine Absicht dabei hatte gerade diese Reliquien hier aufzuhängen, ist nun wohl schwer auszumachen. Aber möglich wäre es allerdings, daß er sie gehabt hätte, selbst dann, wann man dieses Cabinet als allgemeine Satyre auf gewisse Allsammler des Natur- und Kunst-Kehrichts betrachtet, schon vollkommen fände. Denn niemand verstund sich wohl mehr als er auf die Kunst seinem Allgemeinen, mit unnachahmlicher Schalkheit immer noch einige Ingredienzien beizumischen, die nur auf diejenigen Individuen mit voller Kraft wirkten, die irgend ein geheimer Schaden dafür besonders empfänglich machte. Ein Zug dieser Art findet sich auch hier und trifft die gelehrte Abkunft unsers Mr. de la Pillule. Dieser hatte nämlich den unglücklichen Einfall seinen Narwals-Zahn in der geneigten Richtung aufzustecken, daß dadurch das in London allgemein verständliche Aushänge-ZeichenIn England bezeichnen die Barbier überhaupt ihre Wohnungen durch solche schräg in die Luft hinaus gesteckte Stangen oder Lanzen. In der ersten Lieferung dieser Erklärungen ist auf der sechsten Platte (Night) eine Barbierstube mit einer solchen Stange abgebildet. So wie der deutsche Barbier die Kunden mit der Bartschüssel lockt, so lockt sie der englische mit der Lanzette. der Bartputzer wird (a Barbers pole), und nun wußte sein widriges Schicksal noch Mambrins Helm, die Bartschüssel, und das Uringlas so nahe an die Stange zu führen, daß durch diese Hieroglyphe das reiche Zimmer des Mr. de la Pillule zur Barbierstube und er selbst zu einem harnweisen Bartputzer wird, der bloß etwas medizinisch parlieren kann. So ließe sich vielleicht die Sammlung des Herrn Doktors, teils historisch, teils prophetisch auf sein Leben deutend, etwa so herlesen: Als Bartputzer fing er an; wurde hierauf Harnseher; erschlich sich bald nachher durch seine Kuren hart am Galgen vorbei, den Doktor-Hut, und rechnet nun noch auf den Ritter-Titul oder hat ihn schon.Man weiß, daß in England bloß wahres Verdienst aller Art zu diesem Titul und so zu dem Recht führt, seinem Vornamen noch die Silbe Sir vorsetzen zu dürfen, z.B. Sir Isaac Newton, Sir John Fielding, Sir John Pringle. Mir ist nicht bekannt, daß je einem Unwürdigen diese Ehre zu Teil geworden wäre, ursprünglich versteht sich. Es ist kaum möglich. Die Achtung, wo nicht der ganzen, doch eines beträchtlichen Teils der Nation, ist immer die Vorläuferin dieses Ehrenzeichens. Der etwas windige, wiewohl nicht ungeschickte Okulist Taylor, den Hogarth bereits im Jahre 1738 in seiner consultation of physicians mitgenommen hatte, (gegenwärtige Blätter sind von 1745), hieß in Deutschland zwar Ritter Taylor: ich fürchte aber der Titul war entweder seine eigene Erfindung, bloß zu häuslichem Gebrauch auf dem festen Lande, oder ein Übersetzungsfehler seiner deutschen Posauner, die das Wort Esqr. hinter seinem Namen dahin deuteten, wovon man auch sonst Beispiele in Übersetzungen hat. Wie aber diesem auch sein mag, so könnte Hogarth immer etwas von der Ritterschaft seines Taylors gehört haben; sie könnte das Gespräch des Tages gewesen sein. – Wäre aber auch alles dieses nicht, so vergibt man ja einem gutmütigen Spötter, wie Er war, gerne den kleinen Mutwillen, einen glücklichen epidemischen Quacksalber zum Ritter geschlagen zu haben; zumal da die Satyriker nie, so viel ich weiß, für sonderliche Fontes Nobilitatis gehalten worden sind. – Ich bitte die Leser wegen dieser Ausschweifung über eine Ausschweifung um Vergebung. Ich bin völlig mit ihnen einverstanden, daß das, was ich in dem Text gesagt habe, vielleicht eben so wenig zu einer Erklärung von Hogarths Werken gerechnet werden kann, als ein Traum über die Figuren in der Baumannshöhle zur Geologie. Ich habe bloß geglaubt, es verlohne sich der Mühe einmal zu versuchen, wie sich eine Lebenslinie ausnähme, die durch vier gegebene Punkte: ein Barbierbecken, einen Galgen, einen Hut und die Insignien der Ritterschaft mit stätem Zug gezogen würde.

Die beiden Gemälde, die dort an der linken Wand des Zimmers hängen, stellen zwei Mißgeburten vor. Der einen sind die beiden Arme aus dem Kopfe gewachsen. Vielleicht, wie Herr Ireland will, ist es eine von Sir John Mandevilles Menschenfressern

»whose heads do grow beneath their shoulders.«

Ihre Arme hängen wie die Prachtflügel der edelsten Perücken-Gattung vom Scheitel herab; die andere hat, ohne irgend eine Spur von fernerer Verdoppelung, bloß zwei Köpfe. Haben diese Geschöpfe wirklich existiert, woran ich nicht zweifle, so kann man sie für nichts anderes halten, als für ein Paar wohlgemeinte Versuche der Natur, das Schriftsteller-Wesen endlich einmal auf einen besseren Fuß zubringen. Dieser Zweck konnte nun freilich am schnellsten dadurch erreicht werden, entweder, daß jeder Schriftsteller zwei Köpfe erhielte, einen zur Alltags-Haushaltung, zum Rauchen, Schnupfen, Kompilieren und Benebeln, und einen zum festlichen Denken und ununterbrochenen Fortlernen und dem eigentlichen Schreiben, oder daß, wenn, wie bisher, mit einem einzigen Kopf alles abgetan werden sollte, wenigstens ein solches Hauptinstrument beim Bücherschreiben, wie der Arm mit seiner Hand, nicht, wie bisher, von der Schulter, sondern mehr vom Kopfe selbst abhängig gemacht würde. Warum das schöne Projekt nicht durchgegangen ist, weiß ich nicht. Vielleicht sind die Buchhändler darwider eingekommen.

Rechts über der Küchentüre hängt noch ein Bild; auch eine Mißgeburt. Sie ist nicht sehr deutlich dargestellt. Indessen ließ sich aus der Zudringlichkeit, die in ihrer Art sich zu präsentieren herrscht, nämlich aus den ausgespreizten Beinen und ausgebreiteten Armen, schließen, daß sie etwas Sonderbares zu weisen haben müsse. Nach vieler angewandten Mühe glaube ich gefunden zu haben, daß sie eine besondere Varietät von einem Janus bifrons vorstellt, nämlich einen, bei dem die positive und die negative Fronte, ich meine Gesicht und Sitz-Anstalt auf einer und derselben Seite liegen, und der also, wo er auch hinsieht, in Vergangenheit oder Zukunft, nicht bloß die Leute ansieht, sondern ihnen auch noch etwas weist. Denn offenbar steht bei diesem Geschöpfe der Nabel nicht auf der Seite des Gesichts; woraus denn natürlich folgt, daß, was sonst nicht auf der Seite des Gesichts steht, hier auf dieselbe zu liegen kommen müsse. Daß im alten Rom Janus, ehe er sich beim Frieden einschloß, das Volk nie so angeblickt habe, ist wohl gewiß. Was er aber in dem neuen, ehe er dort jüngst die Tempeltüre zumachte, noch getan hat, oder hätte tun können oder sollen, läßt sich nicht bestimmen.

Wollte jemand die Lebens-Linie des Mr. de la Pillule auch noch durch diesen fünften Punkt ziehen, so gebe ich zu überlegen, ob das Bild nicht auf das hündische Kriechen und Schmeicheln dieser Menschenklasse gedeutet werden könne. Denn die Leser wissen, daß manche Hündchen ihren Herren kein größeres Kompliment zu machen wissen, als daß sie sich wie Schlangen krümmen und ihnen wie jenes Bild beim Friedensschluß, beide Fronten zugleich weisen.

Über dem ganz ansehnlichen Medikamenten-Apparat linker Hand, droht ein fürchterlicher Hyänenkopf, oder was es ist, jedem, der ihm nahe kömmt, den Untergang. Ein allerdings sehr sprechendes Rebus für den Giftschrank, über welchem es angebracht ist; ein eigentliches Noli me tangere. Bleibt mir vom Leibe oder es setzt Menschenfresserei. In dieser Rücksicht schließt sich dieser Kopf gut an Sir John Mandevills Menschenfresser an. Freilich werden der Herr Doktor die Sache vermutlich anders, und auf die Krankheiten deuten, die in seinen Töpfen und Büchsen unvermeidlichen Tod finden.

Neben den Giftschrank hat Hogarth, wie mich dünkt, vortrefflich, zwei Mumien hingestellt. Sie sehen offenbar mit stolz-verächtlichem Blick auf alles Quacksalber-Gewühl und allen Arzneien-Wust dieser Welt, aus ihrer unendlichen Sicherheit, und nach ihrem tausendjährigen Frieden mit der heilenden Fakultät, herab; und das kann man auch, wenn man – eine Mumie ist.

Der auf die Erde hingeworfene Überrock und Hut des Herrn Doktors, zeugt von Geschäftigkeit, Eile zu retten und großer Praxi.


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