Georg Christoph Lichtenberg
Ausführliche Erklärung der Hogarthischen Kupferstiche
Georg Christoph Lichtenberg

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Vierte Platte

Der Weg des Liederlichen. Vierte Platte

Hier erscheint unser Held in seiner Sommerhöhe, im größten Glanze. Höher kömmt er nicht. Es ist das vierte Blatt, auf dem wir ihn erblicken, und zugleich tritt er in das vierte Zeichen seiner Bahn. Bei der Sonne heißt das der Krebs (Cancer), und das ist es auch hier bei unserm Meteore. Es geht von Stund an abwärts mit dem Helden, und wirklich hat selbst der Löwe (Leo) schon ein Auge auf ihn. Die Szene ist an einer Ecke der Straße, die nach der Haupteinfahrt von St. James führt, (St. James' street) dessen Tor man zwischen seinen beiden venerabeln Türmen im Hintergrunde erblickt. Vor demselben findet sich ein großes Kutschen-, Sänften- und Lakaien-Gedränge. Es ist ein Schwarm getreuer Untertanen, der sich hier um St. James verdichtet und drängt, wie der von Bienen um den Korb einer Königin. Auch gilt es hier wirklich einer Königin. Es ist heute hier der erste März, der Geburtstag der Königin Carolina,Gemahlin Georg II. geboren den 1ten März 1683. also ein polititischer Sonntag, den zu feiern man sich zum Tempel und dem praesens Numen drängt. Daß es kein andrer Tag, sondern wirklich dieser erste März sei, hat Hogarth, für seine Landsleute wenigstens, so deutlich gesagt, als er gesagt hat, daß es hier donnert. Rechter Hand schreitet nämlich eine ältliche Figur mit etwas exaltierter Gravität und gespanntem Selbstgefühl einher. Auf dem Hute trägt sie ein Feldzeichen von tiefer Bedeutung, es ist ein Lauchbüschel (a leek); der Tag hier ist der St. Davids-Tag (der erste März), und der Mann selbst ein Welscher (a Welshman). Er trägt den Busch zum Andenken an die Taten seiner Väter,An diesem Tage, den 1ten März 640, erfochten, wie die Sage geht, die Welschen unter Anführung ihres Königs Cadwallo, einen großen Sieg über die Sachsen, und weil sich gerade da ein Feld mit Lauch befand: so steckten die Sieger Blätter davon auf ihre Hüte. Noch jetzt werden an diesem Tage in London künstliche Sträußchen davon, oft mit Silber geziert, auf den Straßen verkauft, und von einer Menge Menschen diesem braven Volke zu Ehren getragen. Shakespear (Henry V. Act. IV. Sc. I.) spielt darauf an, wo von einem Welschen, Fluellen, die Rede ist.
    Pistol. Know'st thou Fluellen?
    K. Henry. Yes.
    Pist. Tell him I'll knock his leek about his pate upon St. Davids day.
Hierauf antwortet der König, der sich vorher selbst einen Welschen genannt hatte, sehr brav:
    Do not you wear your dagger in your cap that day, lest he knock that about Yours.
Wer wüßte, was unser Fluellen hier tun würde, wenn irgend ein Pistol sich unterstünde ihn in seinem Traume zu stören. An seiner linken Hüfte starrt so was!
dünkt sich selbst einer jener Helden der Vorzeit zu sein, und nimmt, wie man sieht, in ihrem Namen, die Bewunderung der Welt, und das Dicier Hic est mit großem Anstand ein, ob es ihm gleich, gerade jetzt, hier niemand zu bieten scheint. Was ein Feldzeichen und eine warme Vorstellung nicht vermögen! Mit offner Brust teilt er die junge Märzluft, die seine Finger bloß zu fürchten scheinen, aber nicht fürchten, denn wirklich gleicht seine Muffe eher einem Kühl-Gebläse, als einem Wärmesammler. – So bezeichnet Hogarth den Geburtstag seiner Königin. Diese vorläufige Erklärung dieses Schauplatzes war nötig, um zu verstehen, wie Rakewell mit so vieler Pracht hieherkömmt.

Die Schachtel, so wohl der Putzmacherin, als des Perüquiers, auf dem zweiten Blatte, hat sich aufgetan, und das Werk des Schneiders sich entfaltet, um das künstliche Produkt von Figg, Essex, Du Bois, Pontac und Co. für den Galatag zu behängen. Das Pürschchen will nach Hofe; sich in den Bienenschwarm mischen. – Die Wespe! – Equipage scheint es nicht zu haben (man erinnere sich an das Zeichen des Löwen), es wählte daher zum Transport seiner selbst das wohlfeilere vierbeinige Haustier, die Portchaise. In diesem versteckt, glaubte es, warm und sicher nach St. James zu kommen, und dort das Licht der großen Welt auf eine ganz natürliche Weise, wie hundert andere, durch bloßes Aussteigen zu erblicken. Allein man hat sich sehr verrechnet. Gewisse Umstände treten früher ein. Es ist eine schwere Geburt; das Stutzerchen wird auf der öffentlichen Straße mit der Zange geholt. In Prose: Man hat Schulden gemacht, die man nicht bezahlen kann, und man wird arretiert. Daß dieser Actus hier kein aktives, sondern ein sehr passives Aussteigen ist, sieht man daher, daß der vordere Träger noch die beiden Stangen hält, und nur bloß deswegen nicht weiter kann, weil sein hinterer Kollege (mit dem Lauch auf dem Hute) bereits damit beschäftigt ist, den obern Boden der Portchaise zu lüften, damit Rakewell – die Frisur nicht verdirbt. Herrlich! Ein Polizeidiener hält ihm ein Streifchen Papier entgegen, kaum einige Zolle lang, indessen verbunden mit einem Prügel, der etwas länger ist, und dieses Streifchen wirkt auf unsern Helden, als wäre es der Strahl des Himmels selbst, der uns dort so helle entgegenleuchtet, von seinem Donner begleitet. Es ist auch wirklich nichts ganz Verächtliches was hier einschlägt, nämlich eine von den foudres de poche der englischen Justiz, die immer ihren Mann sicher treffen, ein Arrestzettel; schon an sich immer ehrwürdig, und hier gar mit einem Donnerschlag vom Himmel eingeleitet, fürchterlich. Auch könnte Hamlet, wenn ihm der Geist beim Aussteigen aus der Portchaise erschiene, kaum anders erstarren, als Rakewell hier. Es läßt, als hätte ihn der Strahl des Himmels ganz unfigürlich getroffen. Elektrizitäts-Seher werden alles hier finden, was sie suchen. Der Haarbeutel hebt sich vom Rücken ab, die Finger gehen wie Büschel auseinander, und das Auge starrt, ohne zu sehen. Er ist wirklich getroffen und liegt, denn das Ungeziefer merkt es, und fällt über ihn her. Ein mutwilliger Laternen-Wärter übergießt die Lampe mit Fleiß, und der Überfluß strömt über das Galakleid. Daß er es mit Fleiß tut, dafür bürgt seine Unterlippe, und das Auge, das hinsieht, wo nicht so viel zu sehen ist, als unter ihm; übrigens schadet er wie ein ehrlicher Mann, ohne alles bare Interesse. Nicht ganz so ehrlich, wie dieser Satyriker auf der Leiter, scheint allerdings ein junges Mitglied eines kleinen Clubs, der hier auf öffentlicher Straße seine Sitzungen, ohne eigentliche Sitze, auf dem Steinpflaster hält.Er stiehlt dem armen Halbgefangenen das Schnupftuch aus der Tasche. So erklärt man diesen Auftritt gewöhnlich. Ich habe auch nichts dagegen; nur wollte ich unmaßgeblich raten, mit dem Gebrauch des Worts stehlen nicht so in den Tag hinein zu hausen, und jedes Erwerbmittel ohne Tausch gleich für Diebstahl zu erklären, und dadurch die Zahl der ehrlichen Leute in der Welt auf die Hälfte zu reduzieren. Die unendliche Feinfingerigkeit der englischen so genannten Taschendiebe verdient den Namen von Dieberei wahrlich nicht. Wirklich tut der Knabe hier nicht mehr als jeder Dornstrauch in einer Hecke am Wege; er raubt nicht durch ziehen, sondern durch gezogen werden, und eine Plünderung durch bloße Reaktion ist eo ipso keine Plünderung mehr. Im Grunde ist es der Gerichtsdiener, der dem Schnupftuche seinen Herrn raubt. Man weiß dieses in London auch recht gut. Wenn jemanden das kleinste Endchen seines Schnupftuchs aus der Tasche hängt, so sagt ihm der erste Mann, der ihmbegegnet: Sir, you'll lose your handkerchief, Sie werden Ihr Schnupftuch verlieren, und nicht, man wird Ihr Schnupftuch stehlen. Pfui wer wird so was sagen? In der Tat werden auch da keine Schnupftücher aus der Tasche gestohlen, sondern man verliert sie bloß an reagierende Finger am Wege. Es kömmt alles zusammen. Selbst der Trost, der ihm hier unvermutet erscheint, und ihn sonst wie ein Sonnenstrahl gewärmt haben würde, hat die Form des Wetterstrahls und der Demütigung für ihn. Es ist unmöglich, tiefer zu fallen; Rakewell fällt vor der Welt und – vor sich selbst. Das ist alles Mögliche. Sarah Young,Daß sie es ist, sieht man aus ihrem Namen Sarah Young auf der fallenden Schachtel, der in unserer Kopie aus einem zu spät bemerkten Versehen, nicht umgestochen worden ist, und also nur im Spiegel richtig erscheint. das Mägdchen, das er auf dem ersten Blatte so leichtsinnig verstieß, hat sich indessen mit Putzmachen genährt. Sie kömmt hier vorbei, sieht die Gefahr, worin ihr treuloser Verführer schwebt, und eilt mit ihrem geringen, aber ganzen Vermögen, die Freiheit des Schurken zu erkaufen, der mit dem tausendsten Teil seiner Einkünfte ihre Ehre und ihre Treue für zu teuer erkauft hielt. Sie reicht dem Gerichtsdiener ihre Börse mit einem Eifer hin, worüber sie alles vergißt, und so fällt ihr kleiner Kram unter dem Arme hervor. So etwas kann helfen. Kömmt auch der Stutzer nicht nach St. James, das nach der erlittenen Salbung nicht wohl gut angeht, so kann er doch wenigstens vielleicht seine Nägel wieder auf seinem eignen Sorgsessel kauen, bis bessere Zeiten kommen! Daß das Mägdchen gerade jetzt hier gehet, ist, wie mich deucht, ganz durch Natur gefügt und eingeleitet. Sie liebt ihn noch immer, sie begleitet ihn in der Ferne auf seinen Wegen, und wollte ihn vielleicht heute einmal im Galakleide sehen. Sehr verzeihlich ist diesem treuen Geschöpfe, die ihn auch, wie wir sehen werden, da noch aufsucht, wo nie ein Galakleid hinkömmt! – Überdas sind Tage, wie dieser, und in dieser Gegend der Stadt, für die Putzmacherinnen, was die Blütezeit für die Bienen ist. Sie schwärmen da von Hofblümchen zu Hofblümchen, die sich zu Hunderten an diesen Tagen drängen, um die reichen Beete von St. James mit ihren Farben zu schmücken. Ihr Auge schwebt von einem zum andern, und sammelt für die Phantasie, die dann nicht selten mit dem feinsten Ideenstoffe beladen nach der Arbeits-Zelle zurückkehrt. Also die Ursachen, warum Sarchen hier ist, sind dichterisch triftig und gut, und moralisch werden es gewiß die Gefühle sein, die unsere gutmütige Sammlerin, statt Ideen, dieses Mal von hier zurückbringen wird, so verächtlich auch das Nesselchen an sich gewesen sein mag, das den Stoff dazu hergegeben hat.

Rakewell ergibt sich ohne sichtbaren Widerstand, vielleicht ist noch außer dem Anblick der vollen Börse, die nur allzu sichtbare zweite Keule, die eine Art von Figg mit bereits geflicktem Gesichte dort in der Hand hält, Ursache an dieser friedlichen Übergabe. Der Prügel so wohl, als der Kerl der ihn führt, und der so gar, während er der Justiz pflegt, Tabak kaut, scheinen beide grobe, kalte Naturalisten zu sein, von ungefähr gleichem Gefühl. Gegen jenen läßt sich so wenig mit Putz-Handschuhen fechten, als gegen diesen mit akademischer Beredsamkeit. In dieser Lage ist das Vernünftigste, was man tun kann, alle sperrigen Extremitäten sorgfältig beizustecken, und sich in Worten und Werken so geschmeidig und rund zu halten, als möglich, damit nichts reiße oder breche, während man selbst beigesteckt wird.

Dieses wäre der Teil dieses Blattes, worin die eigentliche Geschichte fortgeht. Wir kommen nun zu den Seitenhieben. Man sollte sie kaum hier vermuten. Allein ein Blatt von Hogarth, worin diese fehlten, wäre fürwahr mehr als ein Wouwerman ohne Pferde, und daher auch eben so wenig wert. Hier fehlen sie auch nicht allein nicht, sondern er hat hier selbst mit ungewöhnlicher Stärke und bitterm Mutwillen darzwischen geschlagen, und Geißelhiebe ausgeteilt, die durch Staatsperücken, Ordensbänder und Sterne durchgefühlt werden.

Rechter Hand dort unten hängt ein weißes Schildchen an einem Hause, mit dem Namen White darauf. Dieses ist Whites (Herrn Weißens) berüchtigtes Kaffee-Haus, wovon jeder unsrer Leser, der nur etwas mit englischen Schriftstellern bekannt ist, gehört haben muß. Dieses ist gerade das Häuschen, dem zu Ehren der weiße Blitz dort oben ausgehängt ist. Daß euch das Wetter da drinnen, will Hogarth sagen, und wahrlich, die da drinnen verdienen so etwas wie das Wetter. Es ist nämlich das Haus, wo oft der Wert von Rittergütern auf einer Karte oder einem Paar Würfeln steht, und ist der fort, so folgen Häuser, nach diesen oft die goldnen Hemdknöpfe, wovon man vor einigen Jahren ein berühmtes Beispiel hatte, und dann – finis; es ist der Ort, wo Bettelei und Überfluß in einer Sekunde die Stellen wechseln; die Quelle tausendfachen Unheils und Jammers, der Duelle, der Verzweiflung, des unheilbaren Wahnsinns, der Raserei und des Selbstmords. Für dieses Nest hat Hogarth eigentlich den Blitz mit dem Basilisken-Schwanze berechnet. Warum er ihn nicht gerade in das Haus zum Fenster hinein, oder wissenschaftlicher auf den hohen Schornstein, oder den Blitz-Zuleiter,Der Herausgeber begeht hier keinen Anachronismus. Denn ob es gleich im Jahr 1735, da diese Kupferstiche erschienen sind, noch keine Blitz-Ableiter gab, so waren doch die Zuleiter schon längst im Gange., die herausgesteckte Stange, geführt hat? Jetzt hängt er, ganz wider Gewohnheit, und so unnatürlich da in der Luft, wie Sarah Youngs Manschetten-Schachtel. Er ist doch wohl nicht unentschlossen, wo er eigentlich hier hin soll? Einem sterblichen Schleuderer dieses Feuers wäre so was wahrlich kaum zu verdenken. Es liegt wegen ähnlicher Verbrechen so manches Londonsche Haus unter gleichem Urtel, daß die Wahl bei der Exekution oft schwer fallen könnte. Auch ist das Zickzack wirklich die Linie der Unentschlossenheit, und ich kann daher jene gute Frau nicht ganz tadeln, die glaubte, der Blitz sei deswegen gezackt und ändere seinen Weg so oft, weil er sich immer von Gegenden wieder wegwendete, wo sich die Leute in der Eile noch bekehrt hätten. – Es läßt fast, als schiene, während der Blitz in das Kaffeehaus fährt, auf St. James die Sonne. Eine solche Verteilung von Blitz und Sonnenschein zwischen Häusern in derselben Straße, ist nicht allein nicht unmöglich, sondern selbst nicht einmal sehr ungewöhnlich. Hätte Hogarth wirklich etwas damit gemeint, so hätte er, an diesem Freudentage der Nation, den Glückwunsch für seine Königin vielleicht in feinerer Form hinterbracht, als irgend einer von denen haben mag, die da unten noch erst ausgepackt werden sollen. Hat er aber nichts bei jener Lichtverteilung gedacht oder etwas anderes, so hofft dennoch der Erklärer dieser Blätter von seinen Lesern Vergebung, wenn er eine Mutmaßung, die dann freilich nicht mehr als sonderliche Probe seines Scharfsinnes hier stehen würde, wenigstens als Äußerung seiner Gesinnungen über St. James und Whites Kaffeehaus stehen läßt.

So schlägt also der Blitz in Whites Kaffeehaus. Nun wollen wir sehen, wie Hogarth in eben dasselbe Haus schlägt, eigentlich, wie er in demselben Hause dreinschlägt. – Es ist eine wahre Freude zuzusehen.

Herrn Weißens Spiel- und Kaffeehause schräg gegenüber etabliert er ein kleines Spiel- und Schnaps-Häuschen, äußerlich etwas von jenem verschieden, innerlich und wesentlich aber einerlei und auf völlig gleichen Fuß eingerichtet. Dieses ist Herrn Blacks (Herrn Schwarzens) Haus. Weil es weder Dach noch Fach hat, so kann der Herr Wirt auch kein Schild aushängen, am allerwenigsten ein so glänzendes, als Herr Weiß, er begnügt sich also, seinen Namen BlackDer Engländer bezeichnet überhaupt mit seinem: black alles niedrige Gesindel, das auch wirklich in einiger Entfernung etwas dunkel aussieht. Blackguard heißt ein niedriger, schmutziger Kerl, und beiwörtlich nennt er auch jede Äußerung gesindelhafter Denkungsart, vorzüglich den von niedrigem Eigennutz, blackguard. Der Ausdruck selbst ist keiner von den feinsten. auf einen Pfosten zu malen, der mit den Tischen, Stühlen, Bänken und Sorgsesseln des Hauses ein einziges Continuum ausmacht. Dieser großen Offenheit des Gebäudes hat man aber auch den Vorteil zu danken, daß man die Gäste sitzen sieht, und nunmehr, wegen der völligen Gleichheit der Sitten und Clubs-Gesetze, gleichsam in einem Verkleinerungs-Spiegel liest, was dort hinter den dicken Mauern bei Herrn Weißen vorgeht. Jedermann, der den kleinsten Anspruch auf Dichter-Gefühl macht, wird hier Hogarths Kunst bewundern müssen. Ich kenne auch wirklich in den Werken der Alten keinen Zug, der sich mit diesem vergleichen ließe, als etwa den beim Virgil, wo er den Äneas auf seinem Schilde die Streiche seiner Nachkommen, beinah bis auf Pabst Peter I., durch den dicken Nebel der Zukunft schauen läßt. – Es ist, mutatis mutandis, ganz dasselbe. Was White dort dunkel und vermaurert gibt, das gibt Black hier illuminiert, oder doch unter freiem Himmel. Also hier alles gerade weg zu lesen was dort vorgeht, erfordert nichts als Augen, und eine kleine Kenntnis von plus und minus und von Schwarz und Weiß, in welche sich alle Farben verlieren. Folgende unter den Rubriken Schwarz und Weiß geordnete kleine Fingerzeige werden jeden Leser sicherlich durch das Ganze führen. Was also hier unter Schwarz steht, wäre etwa so was wie der Schild des Äneas, und das unter Weiß, die Römische Geschichte dazu.

Schwarz.

Hier sitzt ein Schornsteinfeger-Junge, mit einer schwarzen Perücke; er hat einen ledernen Riemen über die Schulter, und spielt letzten Stich.

Weiß.

Dort werden es sein reinliche Herrn mit weißen Perücken. Sie haben mit dem Schornsteinfeger oft nichts gemein, als das Emporsteigen durch Kriechen, und das durch schmutzige Kanäle. Über den Schultern haben sie zuweilen breite, seidene Riemen, und spielen Pharao.

Schwarz.

Der schwarze Junge hat kein Hemd auf dem Leibe, und selbst sein Rock ist nur zum Teil da, aber der souveräne Herr des Teils, der noch da ist, ist der schwarze Junge selbst.

Weiß.

Dort wird man sehen die feinsten Hemden und die elegantesten Kleider, aber die, deren Körper darin stecken, sind nicht immer die souveränen Herren derselben, sondern häufig eine sublime Art von Livree-Bedienten ihrer Gläubiger, denen sie gehören.

Schwarz.

Hier würfelt ein Schuhputzer-Junge, und hat sich bereits bis an die Türe des Paradieses, in die erste Modetracht der Welt zurückgewürfelt. Seine ganze Bedeckung ist kaum der Rede wert. Dieser Wurf gilt seinem Besteck, dem einzigen Quell seiner kümmerlichen Nahrung. Ist dieses verloren, so ist sein Adel rein.

Weiß.

Völlig wie bei Schwarz, nur kein Metier, kein Besteck zum Erwerb, und daher viel reinerer Adel.

Schwarz.

Hier würfelt man bei Sternen auf der Brust, schwarzen freilich, aber dafür auch auf der Brust im strengsten Verstande festen, fixen. Sie wärmen nicht, aber sie adeln, und das Blut das sie adeln, wärmt sie. Zur Schau werden sie nie getragen, und zeigen sich bloß im Stande der Unschuld. Dafür daß sie kein Goldsticker gestickt hat, kann sie kein Dieb rauben und kein Jude ausbrennen.

Weiß.

Auch dort würfelt man bei Sternen auf der Brust; bei Sternschnuppen sollte man sagen, denn sie stehen so wenig auf der Brust, als jene am Himmel. Es ist noch viel Fremdes zwischen Ehrenzeichen und Ehre; sie gehen einander nichts an; sie können, jedes einzeln, abgelegt werden, und, um sich recht kommode zu machen, beide zugleich.

Nach diesem Wink über die Deutungs-Methode dürfen wir von dem übrigen nur die Worte selbst hersetzen; sie klingen ohnehin fast wie Deutung. Genug, man sieht, Hogarth wollte mit Blacks Kaffeehause eigentlich nichts sagen, als:

»Hier wird ok Seepe gesaden.«

Die beiden Würfelspieler setzen ihre Güter gegen einander, und schon hängen die Würfel da, wie Sarah-Youngs Manschetten-Schachtel und Herrn Weißens Blitz. Hogarth hat vieles auf dieses Blatt gebracht, was hängen könnte und – sollte. Der Schurke mit der weißen Perücke, der auf dem Punkt steht, ein Schuhputzer mit doppeltem Apparate zu werden, so wie er schon einer mit doppelter Garderobe ist, soll wirklich das Porträt eines französischen Jungens sein, der an der Ecke des Saugäßchens (Hog-lane),S. erste Lieferung S. 710. wo es vermutlich sehr nötig war, den Leuten die Schuhe putzte. Der schlaue Fuchs hatte die rechte Stelle gewählt, so wie hier seinen rechten Mann. Unter seinem rechten Knie liegen noch andere Würfel, vielleicht hat er gar dem benebelten Baron weisgemacht, er könne nur mit seinen eignen werfen. Der Riemen, den er auf dem Schoße hat, kann auf Riemenstechen gehen, vielleicht ist es aber auch bloß das verlorne Ordensband des Barons.

Hinter diesem sitzt ein Spieler mit einem Gesichte, von dem man an einem andern Orte glauben könnte, es hinge. Auf seinem Hute, dem er den Rand aus Gründen abgeschnitten hat, hat er ein Billet stecken, das diesen Verlust zehnfach ersetzt; eine wahre Perle an dieser Krone. Your vote and interest heißt: ich erbitte mir Ihre Stimme und was Sie sonst vermögen. Der Pursche ist ein Wahlherr. Eigentlich aber steckt doch das Haupt-Stimmorgan, das ihn nährt, an der Seite; ein Trompetchen; es ist ein Postjunge, der mit diesem Instrumente viel Trompeterei treibt, und (ins Weiße übersetzt) ein solches Votum kann nützen. An den Wahlherrn nahe von hinten angeschmiegt, sitzt ein Spion, der dem Manne mit dem Ordensbande anzeigt, wie viel Honneurs sein Gegner in der Hand hat. Diese Stelle wollen wir ja schwarz lassen.

Fast unmittelbar unter der Stange der Portchaise, sitzt neben seinem Schnaps-Gläschen der kleine Politiker, und studiert seinen Pfennigs-Moniteur bei einem Pfeifchen, durch dessen Glut die kleine Nachbarin, die Nase, zugleich gegen die Märzluft gesichert wird. Es ist unbeschreiblich viel Warmes und Häusliches in dem Staats-Männchen. Es hört nicht den Donner des Himmels, und sieht nicht den Blitz der Londonschen Polizei, der dicht bei Blacks Kaffeehaus einschlägt. Ist es möglich, mit größerm Wohlbehagen in die Politik seines Vaterlandes zu blicken? Es muß recht gut um England stehen, wenigstens um die Notabeln, zu denen das Figürchen gehört. Das übrige von Whites Kaffeehaus, das uns der Spiegel nicht zeigt, werden wir kennen lernen, wenn uns Hogarth selbst dahin führt, welches auf der sechsten Platte wirklich geschieht.

Das Hündchen, das entweder dem Welschen oder Sarah Young gehört (es wird etwas hierüber in der Folge gesagt werden), scheint so viel Unordnung da auf der Straße unter vernünftigen Geschöpfen sehr unvernünftig zu finden, und seinen Unwillen mit deutlichem Ausdruck von Befremden zu äußern. So etwas tun die Hunde; sie mißbilligen da, wo sie in die Gesellschaften gezogen werden, nicht selten manche Untugenden derselben, zumal die lärmenden, machen aber gemeiniglich durch ihre Einsprüche, weil es ihnen am Vortrage fehlt, die Sache nur schlimmer.

Hinter dem Laternen-Wärter steht eine Statua equestris ohne Reiter. Es wohnt da unten ein Sattler, der dieses Pferd dahin gestellt hat, um anschaulich zu machen, was für ein erbärmliches Geschöpf das Pferd ohne Sattel sei. So wählte sich bekanntlich eine berühmte Putzmacherin zu Paris zum Aushänge-Schild die Mediceische Venus, um recht anschaulich zu machen, was für verächtliche Geschöpfe die Frauenzimmer sind, wenn sie keine Kleider anhaben.

In dem Bienenschwarm vor dem Eingange in den Palast, steht hinten eine seltsame Figur; sie scheint fast so was wie einen Bienenkorb übergestürzt zu haben. Der Anonymus merkt an, sie habe eine wiewohl sehr entfernte Ähnlichkeit mit der kleinen Figur auf der Vorstellung des Mittags (Noon), die aus der Französischen Kapelle geht.S. die vierte Platte der ersten Lieferung. Sehr entfernt ist allerdings diese Ähnlichkeit; eigentlich ist gar keine da. Denn dort ist das Ding offenbar eine Perücke, gleichviel ob aus Menschen- oder Ziegen- oder Schaf-Haar, oder geschnitzt oder in Gips gegossen. Hier aber ist es offenbar ein Korb, den die etwas kurze weibliche Taille übergestürzt hat. Der Anonymus bedachte nicht, daß es hier etwas regnet, und auf den ersten Abdrücken sehr viel stärker geregnet haben soll, und da läßt sich ja wohl begreifen, daß ein Mägdchen unter ein reinliches Körbchen taucht. Wie man sagt, so soll das Donnerwetter auf diesem Blatte unserm Künstler sehr viel Mühe gemacht haben. Er besserte so lange daran, bis es so schlecht wurde, daß er ein anderes mußte aufsteigen lassen, dessen Direktion er einer ganz fremden Hand überließ.

Was bedeutet die 41 auf der Portchaise? Daß es eine Miet-Sänfte (hackney-chair)In der Übersetzung von Gilpins Abhandlung von Kupferstichen, Frankfurt u. Leipzig 1768, ist die Beschreibung dieses Blattes durch ein Versehen des Übersetzers an einer Stelle ganz unverständlich geworden. Es wird da von einem Kommissar gesprochen, dieses verwirrte mich anfangs, weil mir bloß die Übersetzung zur Hand war. Als ich endlich im Original nachsah, fand ich, daß man Chairman durch Kommissar übersetzt hatte. Chairman heißt wohl, wo von Versammlungen die Rede ist, zuweilen so viel als Präses, aber die Chairmen, die die Leute in die Versammlungen tragen, sind Portechaiseträger. bedeutet; daß unser Held nicht einmal einen eignen Tragsessel hält, und sich auch wohl nicht ganz bis an das Tor von St. James in diesem würde tragen lassen können, das ist alles klar. Aber warum gerade 41? Daß Hogarth diese Zahl ohne Ursache gewählt habe, ist nicht wahrscheinlich, ja ich glaube so gar, daß es unmöglich ist. Herr Ireland mutmaßt, aber doch mit dem Mißtrauen, ja selbst mit der Mißbilligung, den ein so gar sehr gewagter und gezwungener Einfall verdient, es könne wohl four to one (Vier gegen Eins) bedeuten, weil Rakewell hier von vieren angefallen wird, von zwei Gerichtsdienern, einem Dornstrauch, und einem Spottvogel mit der Ölkanne. Das ist etwas hart. Aber was kann es sein; Die Königin war geboren 1683; Hogarth 1698, diese Kupferstiche erschienen 1735, und die 41te seiner Arbeiten ist es auch nicht. Es könnte also sein, daß da dergleichen Tragsessel ihre gewisse Standplätze in der Stadt haben, Hogarth hier auf etwas gezielt hat, was nur einigen seiner Freunde verständlich war.


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