Fanny Lewald
Diogena
Fanny Lewald

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Ich konnte die Tränen nicht unterdrücken, Tränen des Zornes, der bittersten Enttäuschung. Cœur de Lion sah es. Er trank den Rest seines Arraks hinunter und sagte, sich zu mir wendend und seine Arme nach mir breitend: »Warum weint die weiße Frau? Der Häuptling will sie ja heiraten, und gleich jetzt sollen die Männer seines Volkes den Hochzeitsgesang für ihn anstimmen. Noch an diesem Tage, dessen Sonne emporsteigt, soll sie sein Weib werden.«

Mit tiefer Indignation über seine Insolenz stieß ich ihn von mir, er schien dies nicht zu achten und fragte mich verwundert: »Warum weigert sich das Blaßgesicht, mein Weib zu werden, da es zu mir kam in dieser Absicht?«

Ich war außer mir, ich empfand, daß er nicht eine Ahnung habe von den erhabenen Intentionen, welche mich in die Wälder geführt hatten, ich warf mich vor ihm nieder, umklammerte seine Knie und sagte ihm alles, was mein Herz mir eingab. Ich sprach von dem Leid verkannter Frauenherzen mit der Inspiration einer Prophetin, er verstand es nicht. Ich blickte nach der Türe und dachte an Flucht. Der Delaware beobachtete mich scharf, er schien meine Gedanken zu erraten.

»Cœur de Lion ist leichtfüßig wie der Hirsch und sein Auge scharf wie das Auge des Luchses. Wohin will das weiße Weib sich flüchten, ohne daß er sie entdeckte und einholte?« sagte er lächelnd.

Da faßte ich eine Resolution. Ich ergriff den Tomahawk, der in der Ecke lehnte, und rief, ich wolle mich töten. Und wieder lachte der Barbar höhnisch bei den Worten: »Die Hand der weißen Frau ist klein, und der Tomahawk ist schwer.«

Er nahm ihn mir spielend aus den Händchen und band mir diese auf dem Rücken zusammen. Dann sah er mich ruhig an und rief, indem er hinausging: »Die weiße Frau zieht morgen mit uns in das Innere der Wälder zu den Winterquartieren des Wolfes. Drei Tage wird der Häuptling warten, ob sie ihn bittet, sein Weib zu werden; am vierten Tage wird sie sterben, wenn sie es weigert, denn Cœur de Lion ist kein Blaßgesicht, das erzittert vor den Tränen eines Weibes.«

Die Angst, die Qualen dieser drei Tage waren über jede Schilderung groß, und nirgend eine Aussicht auf Rettung. Ich war meines Erfolges in der Männerwelt so gewiß gewesen, daß ich den Fürsten gebeten hatte, mich ruhig im Blockhause zu erwarten. Ich sah nur zwei Auswege, beide gleich entsetzlich. Ich konnte mich nicht entschließen, die Frau dieses Barbaren zu werden, dessen unsoignierte Hände mir ein Horreur waren, wie sein Branntweintrinken und sein Tabakrauchen; und ich wollte nicht sterben. Ich war ja noch jung und meine Mission noch nicht zu Ende, ich hatte ja den Rechten noch nicht gefunden, die Laterne des Diogenes durfte noch nicht erlöschen.

Die Nacht des vierten Tages war ihrem Ende nahe. Mit wunden Füßchen ruhte ich in dem Zelte des Häuptlings, umgeben von einigen Weibern des Stammes, deren wüstes Schnarchen mein Ohr beleidigte. Man hatte mich gezwungen, bei den Vorkehrungen zu den Mahlzeiten zu helfen, ich hatte kochen, Wasser tragen und Arbeiten verrichten sollen, von denen meine Händchen bluteten. Wie wenig glichen sie jetzt weißem Mousselin mit rosa Taffet gefüttert. Die forcierten Märsche, die widerwärtigen Nahrungsmittel, die ich, durch Hunger gezwungen, zu mir nehmen mußte, hatten meine Nervosität auf das Höchste gesteigert. Ich fieberte und drohte den Fatiguen und der Angst meiner immensen Seele zu unterliegen. Todesbang spähte ich nach der Türe, und ein Schrei der Verzweiflung rang sich aus meiner Brust, als die ersten Schimmer des Tages in das Zelt fielen und der Häuptling eintrat.

Die Körper- und Seelenleiden mochten meine Schönheit alteriert haben. Der Häuptling blickte mich prüfend an und wendete sich dann mit einem Blicke von mir ab, den ich mir nicht zu deuten wußte, während er befahl, die Zelte abzubrechen und sich zum Marsche zu rüsten. In wenig Momenten war dieser Befehl exekutiert. Die Weiber beluden sich mit dem Gepäcke und machten sich auf den Weg, die Krieger gingen teils voraus, teils zur Bedeckung hintennach.

Von mir nahm niemand Notiz; ich blieb allein zurück mit dem Häuptlinge, ahnend, daß er meinen Tod nun vollziehen werde, wenn ich länger seinen Wünschen Widerstand leistete.

Wie ein strenger Richter, wie ein junger Kriegsgott im Stolze seiner vollkräftigen Männlichkeit stand er vor mir. Ich mußte, so sehr ich ihn fürchtete, mir in diesem Momente gestehen, daß er von admirabler Schönheit und sein Maintien, soweit es bei einem Wilden möglich, vollkommen das eines Gentlemans sei. Weinend warf ich mich ihm zu Füßen – oh, das war ein schwerer Moment! Ich, die göttliche Gräfin Diogena, vor der die Elite der zivilisierten Nationen gekniet, kniend zu den Füßen eines hochmütigen, unbezähmbaren Sohnes der Wildnis. Der ganze prächtige Stolz des aristokratischen Weibes revoltierte sich dagegen, und doch mußte ich knien.

Er betrachtete mich und meine Tränen mit supremer Verachtung, dann sagte er: »Das weiße Weib ist in wenigen Tagen alt geworden und krank in der Freiheit der Wälder. Es ist die frische Luft des großen Geistes nicht wert, nicht mehr wert, das Weib des jungen Kriegers zu werden, der die kranke Frau nicht begehren kann. Sie kann nicht kochen und nicht die Waffen tragen, sie weint und würde elende, feige Memmen gebären. Sie mag heimgehen zu den Städten der elenden Blaßgesichter, für deren Männer sie gut genug ist, mit ihren zitternden Händen und ihren Tränen. Cœur de Lion wird sich ein gesundes, schönes Weib seines Stammes kaufen. Die schwache weiße Frau ist ihm ein Greuel!«

Stolz wendete er sich ab, rief einen alten Krieger seines Stammes herbei und befahl ihm, mich an das Blockhaus zurückzugeleiten. Fast sterbend erreichte ich es, der Fürst kannte mich kaum wieder. Tage und Wochen hindurch lag ich in einem Zustande, der es nicht gestattete, mich nach New York zurückzubringen. Meine Seele litt mehr noch als mein Körper.

Im Frühjahr war ich soweit genesen, daß ich New York verlassen konnte. Der Fürst führte mich nach Bagnères. Meine Nervosität war unglaublich, er blieb ewig voller Soins für mich, was ich natürlich in der Ordnung fand. Ich war sehr sauvage geworden, ich hatte eine Apprehension, meinen Bekannten zu begegnen, wegen des Changements, das infolge aller meiner Aventuren in meinem Äußern visibel geworden war. Mein Körper war sehr debil, und doch lebte die alte ungestillte Sehnsucht in meiner Seele noch in all ihrer Intensität.

Ich fing an, Astronomie zu studieren in der Einsamkeit, in der ich lebte. Ich strengte die ganze Kraft meines Geistes an, zu kombinieren, ob ich vielleicht auf andern Sternen das Ziel meines Strebens erreichen könne. Ich las alles, was über die Bewohner des Mondes geschrieben ist, und erkundigte mich nach der Konstruktion eines Luftballons, um zu wissen, ob man diesen mit Komfort für längere Reisen versehen könne.

Bisweilen war ich unglaublich maussade, der Fürst selbst impatientierte sich. Er war es müde, da er auch nicht mehr ganz jung war, den Cavaliere servente zu machen und ewig auf Reisen und an den Ruheorten für meinen Komfort zu sorgen, ohne selbst den geringsten zu genießen. Er hatte jetzt oft Momente, in denen er mir Vorwürfe machte, über Langeweile klagte und davon sprach, sich auf seine Güter in Steiermark zurückzuziehen, die er um meinetwillen negligiert hatte.

Ein solcher Tag war es, an dem wir beide moros dasaßen. Ich dachte über die Möglichkeit nach, den Rechten zu finden, und die ganze Trostlosigkeit des Alters dehnte sich vor mir aus, während ich mir es vergegenwärtigte, was aus mir werden solle, falls ich ihn nicht entdeckte. Ich war noch jung, aber durch Leidenschaft und Strapazen usiert, vollkommen passiert. Rosalindens Nachhilfe bei meiner Toilette wurde immer nötiger. Meine immense Seele war leerer denn je. Ich fing bisweilen an, zwischen meinen astronomischen Studien bei dem Scheine meiner ewig brennenden Laterne die Bibel und andere Erbauungsbücher zu lesen. Ich suchte mit Verzweiflung die Spur, die Andeutung des Rechten in der Apokalypse; ich dachte daran, ob vielleicht der Heiland der Rechte sei, den ich zu finden verlangte. Mitten in diesen Meditationen unterbrach mich der Fürst mit der Nachricht der Einnahme von Kanton, die er in einem Zeitungsblatte entdeckte. Ein Lichtstrahl fiel in meine Seele. »Nach Kanton!« rief ich aus.

Der Fürst sah mich an und sagte ruhig: »Dann gehe ich nach Steiermark.«

Ich war empört. »Mein Freund«, rief ich, »soll ich auch an der absoluten Treue verzweifeln, da ich schon so unglücklich war, die rechte Liebe nicht zu finden? Sehen Sie, Sie dürfen mich jetzt nicht abandonnieren, in China, jenseits der großen Mauer, muß ich ihn finden. Es ist incomprehensibel, daß ich darauf nicht lange gekommen bin. Die Chinesen sind die wahren Aristokraten. Sie haben die kleinsten Füßchen, die soigniertesten Nägel, die magnifiquesten Bärte und keine Spur von Liberalismus. Bei so viel ungemeinen Vorzügen muß auch die Liebe zu finden sein, die endlich meine Seele füllt. Oh, eine unaussprechliche Zuversicht kommt über mich, nur diese eine Reise noch, mein Freund, nur diesen Reiseversuch nach China und –«

»Und?« fragte der Fürst.

»Und wenn ich den Rechten dort nicht finde, so werde ich Ihre Frau bei meiner Rückkehr und begnüge mich, die Treue zu belohnen, da ich niemand finde, der mich lieben zu lehren verstand.«

»Ich hoffe, Sie finden die Liebe, meine Gräfin!« sagte er ruhig, »denn nach der Belohnung der Treue gelüstet mich nun nicht mehr.«

»Und Sie folgen mir dennoch? Und weshalb?« fragte ich. »Aber das ist sublim, lieber Fürst!«

»Bah, meine Gräfin!« entgegnete er, »was wollen Sie? Ich habe die Kaprize der Fügsamkeit, und da ich nichts zu tun habe, ist es ebensogut, sich in China zu langweilen als anderwärts. Lassen Sie uns reisen.«

Wir schifften uns in London mit der ersten Handelsexpedition ein, die nach China absegelte.

So weit gehen die Memoiren der unglücklichen Frau, die weiteren Nachrichten verdanken wir teils eigener Anschauung, teils den Mitteilungen eines Arztes, der in der Nähe von Paris Vorsteher eines Irrenhauses ist.

Wir hatten verschiedene Höfe und Zellen durchwandert, als wir an der Ringmauer der Anstalt ein kleines Häuschen mit einem äußerst sauber gehaltenen Gärtchen erblickten, das auf wunderliche Weise mit kleinen chinesischen Tempeln und anderen Spielereien der Art besetzt war. Es mochte etwa Mittag sein, die Sonne stand hoch am Himmel, dennoch ging die Bewohnerin des kleinen Besitzes, eine zusammengefallene, von Leiden gealterte Person, mit einer eigentümlich geformten, brennenden Laterne umher und schien unruhig etwas zu suchen. Ihr starrer Blick, ihre Rastlosigkeit hatten viel Trauriges für den Beschauer. Wir fragten, wer sie sei.

»Oh«, sagte der Doktor, ein geistreicher junger Mann, »dies ist die einst durch ihre Schönheit in den Sälen der Gesellschaft bewunderte Gräfin Diogena. Ihr Wahnsinn ist das Produkt einer Geistesrichtung unter den müßigen Frauen der vornehmen Welt, die kaum ein anderes Resultat zuläßt. Unkluge Nachbeter der geistreichen George Sand haben in glänzendem Mißverstehen dessen, was diese große Frau meinte und bezweckte, eine Theorie der weiblichen Selbstsucht geschaffen, deren Höhepunkte in der deutschen Frauenliteratur jetzt erreicht sind. Die Frauen bilden sich ein, Ausnahmewesen zu sein und unfähig, etwas anderes zu lieben als sich selbst. Sich für den Mittelpunkt der Welt haltend, fordern sie einerseits, wie die verderbten römischen Kaiser, göttliche Anbetung und klagen andererseits, daß sie keinen Mann fänden, den sie zu lieben vermöchten. Sie verstehen ihren Egoismus nicht und behaupten, nicht verstanden zu werden; sie sind unfähig zu lieben und jammern, daß niemand die Leere ihres Herzens und ihrer Seele fülle.

Diese Gräfin Diogena ist durch die ganze Welt gereist, den Mann zu suchen, der ihr Herz ausfüllen, ihre Seele befriedigen könne: natürlich vergebens. Krank und erschöpft, beschloß sie, noch einen Versuch in China zu machen, und gelangte glücklich dort an. Aber auch dort fand sie ihr Traumbild nicht, und dort entwickelte sich ein Fieberwahn zur fixen Idee, der sich schon auf der Reise mehrmals gezeigt hatte. Sie bildet sich ein, um der Sünden ihrer Voreltern oder um anderer Gründe willen verdammt zu sein, mit der Laterne des Diogenes den Rechten zu suchen, so nennt sie ihr Ideal, und meint, nicht eher sterben zu können, bis sie ihn gefunden haben wird.

Ein Fürst Callenberg, der sie begleitete, sah kaum eine Möglichkeit, sie in diesem trostlosen Zustande nach Europa zurückzubringen, als er in Kanton einem gelehrten Deutschen, einem Professor der Anatomie, dem berühmten Friedrich Wahl, begegnete. Dieser hielt sich seiner Studien wegen in jenen Gegenden auf, und die Gräfin war während ihrer Entdeckungsversuche auch eine Zeit hindurch seine Geliebte gewesen. Gut und gutmütig, wie er ist, jammerte ihn die traurige Lage der Frau, und mit seinem Beistande brachte der Fürst sie hierher, wo sie nun seit einigen Monaten lebt. Sie ist fast immer ruhig, nur bisweilen tobt sie und schreit, daß sie den Rechten nicht fände. Dann muß man sie mit Strenge behandeln, bis der Paroxysmus vorüber ist. Sonst bringt sie ihre Zeit mit unschuldigen Toilettenspielereien hin, kauft Schuhe von den vorzüglichsten Fabrikanten, wäscht und putzt abwechselnd ihre Hände und ihre Laterne und gefällt sich in allerhand verbrauchten Minaudrien und Koketterien, die uns eben nicht sehr gefährlich sind.«

»Und haben Sie Aussicht, sie herzustellen?« fragte einer von uns.

»Dasselbe wollte in diesen Tagen der Fürst Callenberg wissen, der nun auf seinen Gütern in Österreich lebt. Wir haben aber nicht die geringste Hoffnung dazu. Wahnsinn aus Hochmut und Egoismus pflegte immer unheilbar zu sein.«

Der Doktor führte uns weiter vorwärts; im Fortgehen wendete ich den Kopf nochmals nach der Wahnsinnigen zurück. Sie suchte noch immerfort und wird suchen, bis sie stirbt. Es war ein unangenehmer, unheimlicher Eindruck.


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