Fanny Lewald
Diogena
Fanny Lewald

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Ach, es liegt ein eigentümlicher Charme in der Fülle unentweihter Liebe. Friedrichs Ekstase enchantierte mich, und während ich ihm immer und immer wiederholen mußte, daß ich noch nie geliebt, daß ich immer unbefriedigt, immer kalt gewesen sei, schwor er mit höchster Konviktion, jetzt würde ich lieben lernen, denn seine Liebe müsse mich erwärmen.

»Sieh, Diogena!« sagte er, »die Liebe ist ein ewig bindendes Gefühl, du mußt mein werden durch den Segen der Kirche, mein Weib, meine Hausfrau! Du mußt da sein, wenn ich müde bin von der Arbeit, mir zulächelnd, mich belebend; die Hebe, welche dem Hercules den Trank ewiger Jugend bietet. O Süße, willst du mein Weib sein?«

Ich war wie anéantiert. Von Ehe, von Heirat zu sprechen mir, der Gräfin Diogena, mir, der Nichte Faustinens, das war doch wirklich zu bürgerlich. Aber das ist der Fehler der Roturiers, sie sind materiell in ihren Begriffen, sie verlangen solide Possession, wohlhypothekiert ins Kirchenbuch geschrieben. Sie verstehen nichts von der Aisance unserer Liaisons, die wir binden und lösen nach unserm Ermessen. Was uns idealste Poesie scheint, ist ihnen profunde Depravation. Das ist ein großes Übel mit der Bourgeoisie. Ich bedachte mich einen Moment, was ich tun solle. Sagte ich ein dezidiertes Nein, so riskierte ich, Friedrich, mit seinen sogenannten moralischen Idealen, auf ewig von mir zu entfernen; und das wollte ich nicht, denn er gefiel mir, ich liebte ihn sogar auf meine Façon. Da fiel mir ein, wie sich Gräfin Ilda Schönholm, auch eine nahe Verwandte meiner Mutter, klug aus dem Embarras gezogen hatte, und als Friedrich mich noch einmal fragte: »Diogena! Willst du mein Weib sein? Mein treues, liebendes Weib?« antwortete ich wie jene:

»Ich will es versuchen! –

»Und wirst du glücklich sein? Wirst du mich lieben?«

»Ich will es versuchen!« antwortete ich wieder.

Friedrich ließ mich los und sah mich forschend an. »Diogena!« rief er, »mein Engel! Mein Kopf verwirrt sich, ich verstehe dich nicht. Was will es sagen, dies wunderbare: Ich will es versuchen? Und wie versucht man die Ehe? – O mein Engel, das ist ein häßliches, böses Wort – das sprach die kalte herzlose Gräfin, nicht du, nicht meine süße, schöne Geliebte!«

Friedrich war so ganz Glück, so ganz zum frohen Jüngling umgewandelt, daß er mich mit sich fortriß. Er schilderte mir die Seligkeit der Ehe, wie er sie sich bisweilen in seinen einsamen Reverien ausgemalt hatte, dies Du und du engsten Beisammenseins, paisibler Begrenzung, mit einer Liebe, mit einer Innigkeit, daß ich anfing, ein Penchant dafür zu fühlen und mich selbst danach zu sehnen.

»Oh«, rief ich, »mein Friedrich! Das, was du mir da schilderst, ist wohl schön, aber unerreichbar für die Gräfin Diogena, so sehr deine süße Geliebte sich danach sehnt. Sieh, mein Friedrich! An die Gräfin hat die Welt Ansprüche, ich habe die Gesellschaft zu menagieren, ich habe Egards zu nehmen für meine Position, die ich durch meine wissenschaftlichen Kaprizen wohl ein wenig kompromittiert habe, die Gesellschaft –«

»Ach, mein Engel! Wirf sie von dir, diese Sklaverei der Gesellschaft. Ich liebe nicht die Gräfin, ich liebe dich, du Geliebte! Komm, meine süße Diogena! Laß uns Paris verlassen, laß uns fortgehen von hier nach irgendeinem stillen Fleck der Erde, an dem niemand uns kennt, niemand unsere traute Einsamkeit stört. Willst du das, Liebe?«

»Mit tausend Freuden!« rief ich aus. Die Proposition war so originell bei unsern beiderseitigen Verhältnissen, daß sie mich um ihrer Originalität willen reizte. Friedrich verließ mich, um sich einen Urlaub zu erbitten, ich expedierte meine Visitenkarten mit dem offiziellen p. p. c. an alle meine Bekannten, ließ eine simple Toilette packen, befahl nur Rosalinden, sich zu meiner Begleitung parat zu halten, und verbot den Domestiken, den Fürsten, auch wenn er danach frage, über meine Abreise zu avertieren. Das anatomische Kabinett wurde geschlossen, die Studien in den toten Herzen der Kadaver fürs erste suspendiert, denn ich war entschlossen, noch einmal mit einem lebenden, liebenden Herzen zu experimentieren.

In den Emotionen des unerwarteten Glückes, der ersten Liebe, unter den Präparationen für unsere Abreise dachte Friedrich nicht mehr an das bürgerliche Amusement einer solennen Kopulation. Ich war sein, dies satisfaisierte ihn und machte ihn indifferent gegen die ganze übrige Welt.

Nach wenig Tagen saßen wir in meiner höchst komfortablen Kalesche, ohne Domestiken, nur Rosalinde mit uns. Dies gab ein wunderliches Dilemma; denn während ich mich über die bürgerliche Simplizität dieser improvisierten Reise divertierte, war Friedrich enchantiert von dem ungekannten Komfort, den er in einer eigenen Reiseequipage genoß. Ihn machte es glücklich, tausend kleine Dienste zu übernehmen, die sonst mein Kammerdiener mir leistete, und ich fand es süß, von seiner adorierenden Liebe bedient zu werden; so waren wir beide sehr heiter und animiert. Es war die angenehmste Zeit, deren ich mich erinnere.

Wir gingen von Paris nach Marseille, schifften uns für Neapel ein und durchwanderten die Inseln und Italien nach allen Distanzen. Friedrichs profunde Gelehrsamkeit bot ihm überall Stoff zu neuen Entdeckungen, die er vor meinem immensen Geiste niederlegte, wie ein anderer den duftenden Strauß an den Busen der Geliebten drückt. Meine divinatorischen Aperçus inspirierten ihn, und unter seinen heißen Liebesküssen diktierte er mir ganze Volumen voll tiefsinniger Forschungen, die seinen Namen auf die späteste Nachwelt tragen werden.

Dies Reisen, geteilt zwischen Liebe und Wissenschaft, hatte etwas wunderbar Ausfüllendes.

Ich ennuyierte mich nie, ich gewann Geschmack an einem laborieusen Leben bei rastlosem Reisen, die Existenz eines gelehrten Touristen kontentierte mich so sehr, Friedrichs Liebe war so ungeheuchelt frisch und warm, daß ich in der Tat nicht daran dachte, ob ich ihn liebe oder nicht. Ich fragte mich nicht, was empfindest du? Ich ließ mich in diesem passiven bien-être gehen.

Indes Friedrich fand, nachdem, mir selbst ein Mirakel, dies Touristenleben mehr als ein Jahr gedauert hatte, ohne mich zu ennuyieren, diese Art der Existenz unbefriedigend. Er verlangte nach einem festen Domizil, er wollte wieder ein bürgerliches Glück und häusliche Ruhe. Mich in Paris in bürgerlicher Glückseligkeit als Frau Professor zu etablieren, wäre ein Heroismus gewesen, dessen ich mich nicht kapabel fühlte. Mir bangte davor, Personen meines Kreises während dieses bürgerlichen Idylls zu begegnen, obschon es mich noch immer merveilleusement kontentierte. So schlug ich Friedrich vor, nach Pisa zu gehen und sich dort um die vakante Professur der Anatomie bei der Universität zu bewerben.

Friedrich fand die Idee zusagend, meldete sich zu dem Amte und erhielt es, da sein Ruf bereits ein europäischer war. Nach wenig Wochen war ein stilles Haus an dem Katharinenplatze gemietet, und ich hauste darin mit Rosalindens Beistand, unter dem Titel der Frau Professorin. Aber nach dem Eintritte in dies Haus ging ein veritables Changement mit Friedrich vor.

Er zeigte Collegia an, es meldeten sich Zuhörer, sein Auditorium ward das frequentierteste. Das spornte seine Ambition, er fing an, rastlos zu studieren, er operierte und sezierte den ganzen Tag. Ich fand es horribel, es langweilte mich tödlich, und ich konnte nicht umhin, mich darüber zu beklagen.

Wenn ich in dem stillen, toten Pisa die langen Tage allein zugebracht hatte, so erschien Friedrich am Abende, strahlend vor Satisfaktion über irgendein Problem, das er in Bezug auf die Blutkügelchen oder die Nervenphysik decouvriert hatte. – Mit komischer Konsequenz wollte er mich bereden, ich müsse ein Interesse dafür haben, weil ich einst selbst hätte Anatomie studieren wollen. Er begriff nicht, daß man aus bloßer Kaprize sich für eine Wissenschaft portieren könne, daß man sie kultiviere, um sich zu desennuyieren, und sie abandonniere, wenn sie diesem Zwecke nicht mehr entspreche.

Es tat ihm leid, mich dafür indifferent zu sehen, und er bot die ganze Gewalt seiner Liebe auf, die Wolken der Unzufriedenheit, der Ermüdung zu bannen, die anfingen, sich über meine immense Seele zu lagern. Aber auch dies gelang nur temporär. Ich hatte seine Liebe nun durch mehr als fünfzehn Monate genossen, sie war immer dieselbe, immer ernst und mild, bisweilen feurig und überwältigend, aber das alles kannte ich nun à fond.

Ich regrettierte, diese herannahende Ermüdung nicht kaschieren zu können, ich wollte es ernstlich, es mißlang. Naturen wie die meine können nicht heucheln, es gibt einen Grad des Egoismus, der die Heuchelei unmöglich macht, weil er in wahnsinniger Verblendung sich ein despotisches Recht der Selbstbefriedigung zugesteht und nicht einmal die Milde hat, das Unrecht mit möglicher Schonung zu tun.

Eines Abends saß ich auf dem Balkon unsers Hauses und sah hinaus durch das Laub der dichten Bäume vor unserm Fenster, auf den Platz. Einige Kinder spielten daselbst, es war sehr still. Friedrich kam von der Anatomie nach Hause, er war müde und lehnte seinen Kopf an meine Schulter, um zu ruhen, während sein Arm mich umschlang. Es war ein heißer, sciroccoschwüler Abend, und nach wenig Minuten fühlte ich, daß Friedrichs Haupt schwer und schwerer auf meiner Schulter wurde. Er war eingeschlafen.

Eine Träne trat mir in die Augen, ich fühlte mich tief degradiert. So weit war ich gesunken, daß ein bürgerlicher Professor es wagte, einzuschlafen in meinen Armen, in den Armen der Gräfin Diogena. Mit prächtiger Indignation sprang ich empor. Friedrich fuhr auf wie elektrisiert. »Was gibt es, Diogena!« fragte er erschrocken.

»Oh, nichts, eine Kleinigkeit!« sagte ich kalt, »die Gräfin Diogena wird es müde, dem Professor Friedrich Wahl in Sklavendiensten zu huldigen.«

Friedrich sah mich ganz bewildert an und sagte: »Ich verstehe dich nicht, meine Diogena!«

»Du wirst es begreifen, wenn ich dir sage, daß du an meiner Seite eingeschlafen bist.«

»Dann war ich sicher sehr müde.«

»Nicht müder, als ich es bin, dergleichen zu ertragen.«

»Aber mein holdes Leben!« rief Friedrich, der jetzt erst zu bemerken schien, daß ich wirklich irritiert sei, »wie oft hast du an meinem Herzen geschlummert, und welch ein Glück ist mir das gewesen. Mit welch andächtiger Liebe habe ich dein Köpfchen an meine Brust gedrückt und die sanften Atemzüge deiner Lippen belauscht; wie kannst du zürnen, wenn ich einmal ausruhe an dem Herzen meines Weibes! Du törichtes, liebes Kind!«

Friedrich wollte mich umarmen, aber ich ließ es nicht zu. »Ich mag wohl unverständig sein, lieber Friedrich!« antwortete ich, »aber ich will dir bekennen, daß mir unsere ganze Lebensweise anfängt, au suprême degré zu mißfallen. Wir kommen ganz in die bequemen Allüren der Ehe hinein, das ist ein Horreur. Du tust, als hättest du positive Rechte an mich –«

»Diogena!« rief Friedrich, »und habe ich die nicht?«

»Und wodurch?«

»Du redest irre, Diogena!« rief Friedrich und faßte meine Hand. »Wodurch? Und bist du nicht mein Weib? Hast du nicht liebend dich mir zu eigen gegeben mit heißen, flammenden Worten? Bist du nicht mein geworden seit fast zwei Jahren, mein ganz und gar, so daß ich des Kirchenbundes nicht mehr begehrte, weil ich es empfand, es konnte dessen nicht mehr bedürfen? Ich liebe dich, ich bin dir eigen mit Seele und Leib in treuester Hingebung, und du kannst fragen, wodurch ich ein Recht habe an dich? Du kannst das fragen, das liebende Weib?«

»Friedrich!« sagte ich – und zum ersten Mal im Leben empfand ich einen tödlichen Schmerz bei diesen Worten, denn ich wußte, daß ich ein vergiftetes Stilett drücke in sein Herz – »Friedrich! Ich mag dich nicht täuschen, ich liebe dich nicht mehr!«

Er erblaßte, trat einige Schritte von mir zurück und stand da in starrer Versteinerung. »Kann man denn aufhören zu lieben?« sagte er, wie jemand im wüsten Traume nach dem Unmöglichen fragt –, »kann man denn aufhören zu lieben, was man geliebt hat, wie ich dich?«

»Oh«, rief ich, »ich glaube, ich habe dich niemals geliebt. Vergib mir, mein Friedrich! Du weißt es, ich kann wohl nicht lieben. Du kennst das Herz, das anatomische Herz in seinen geheimsten Verzweigungen, mein Herz ist dir ein Mysterium geblieben, es ist eben unergründlich, dir, mir selbst ein Rätsel. Du hast gewähnt, deine Liebe, eheliches Glück könne mir genügen, aber – mein Friedrich, ich bin ja kein gewöhnliches Weib, keine gewöhnliche Frauennatur. Oh! Ich wußte es wohl, als ich es dir sagte: Ich will es versuchen, dein Weib zu sein; ich wußte, ich könne die tödliche Dauer der Ehe nicht ertragen, die vehemente Impetuosität meines Wesens revoltiert gegen die Dauer, gegen die unwandelbare Treue.«

Friedrich sah mich an, als sei die Welt im Versinken begriffen, und sagte tonlos: »Diogena! Ein Weib, das sich einem Manne zu eigen gibt ohne den Vorsatz wandelloser Treue, ist elend.«

»Oh!« rief ich mit allem prächtigen Stolze meines aristokratischen Bewußtseins, »so urteilst du, befangen in blödsichtiger Bürgerlichkeit. Die Treue ist Borniertheit, ich bin unbegrenzt, meine Untreue ist sublim, ist göttlich. Was du Wankelmut nennst, ist die erhabene Forschungslust des Adepten, der rücksichtslos das letzte Geldstück, welches die Seinen vor dem Hungertode retten sollte, seinem Schmelztiegel übergibt, um den Stein der Weisen zu finden, den er so wenig kennt, als ich das Herz, die Liebe, den Mann, den ich suche. Wir glauben beide an die Existenz eines Unmöglichen, eines Mirakels, und wir müssen es suchen, bis wir es finden.«

»Diogena! Ich glaubte an dich, ich liebte dich, du brichst mir das Herz!«

»Ich darf die Opfer nicht achten, die es mich kostet«, sagte ich, »denn auch ich leide in diesem Momente. Oh, ich leide sehr!« rief ich und fing zu weinen an.

Als Friedrich meine Tränen sah, stürzten auch die seinen unaufhaltsam hervor. »Diogena!« sagte er, »meine ganze Liebe war dein, ist dein, und das genügt dir nicht?«

Ich war gerührt, nahm mild seine Hand und sagte.»Mein Friedrich! Du bist der erste Mann, den ich beklage, weil er mir nicht genügte. Aber sieh, ich kann nicht anders! Deine Liebe bleibt sich ewig gleich, ist immer dieselbe, gewährt ein ruhig Glück. Das habe ich nicht gewollt. Ich verlange eine göttliche Anbetung in täglich neuer Form, ich verlange täglich neue, gesteigerte Glut, ich verlange vielleicht Unmögliches – aber das Mögliche widert mich an. Ich weiß, ich bin eine Titanennatur, ein weiblicher Faust, was kann ich dafür, daß ihr nur Männer, nur Menschen seid. Schaffe mir einen Halbgott, ich will ihn lieben und treu sein – wenn ich es kann.«

»Diogena, um Himmels willen! Ein Fieberwahnsinn umnebelt deine Seele, so kann kein Weib reden zu dem Manne, dessen Herz ihr Bild in sich schließt, dessen Gattin sie geworden. Du bist krank, meine Diogena!«

Ich hielt ihm ruhig meine Hand hin und sagte: »Fühle die gleichmäßigen Pulsschläge meines Blutes, ich bin nie ruhiger gewesen als in dieser Stunde.«

»Dann sei Gott dir gnädig in deiner wahnsinnigen, kalten Verblendung«, rief Friedrich und stürzte hinaus.

Ich blieb allein zurück, grandios in meinem Bewußtsein, mich von diesem bürgerlichen Despotismus befreit zu haben. Friedrich kehrte am Abende nicht zurück. Ich befahl Rosalinden, meinem Kammerdiener nach Paris zu schreiben, daß er mein in Florenz warten solle, ließ packen und verließ Pisa noch in der Nacht, entschlossen, mich durch neue Reisen von der Fatigue dieses Stillebens zu erholen.


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