Fanny Lewald
Diogena
Fanny Lewald

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Drittes Buch

Mein gewöhnliches Reiseleben nahm denn nun wieder seinen Anfang. Schon in Venedig traf ich den Fürsten, der in Paris durch meinen Kammerdiener erfahren hatte, daß ich mich von Friedrich getrennt habe und wieder reisen würde. Diesen Zeitpunkt hatte er abgewartet, um mir aufs neue seine Dienste anzubieten, die mir sehr willkommen waren. Ich liebte ihn nicht, aber ich war gewöhnt an ihn, ich hatte sogar eine Art von Vorliebe für ihn bekommen, und seine Zufriedenheit war mir nicht indifferent.

Ich klagte ihm, wie ich, wieder um eine Illusion ärmer geworden, jetzt reisen müsse ohne Unterbrechung, bis ich den Rechten entdeckte, und bat ihn, mir seine Begleitung zu gönnen, da ich vielleicht gezwungen sein könnte, meiner Recherchen wegen Europa zu verlassen. Er war bereitwillig dazu wie immer. Es lag etwas wahrhaft Chevalereskes in dieser Beharrlichkeit, das ich sehr estimierte.

Wir durchstreiften noch einmal Italien, Frankreich, Deutschland, damit vergingen einige Jahre; ich machte einen Reiseversuch nach Norden, aber vergebens! – Die Herzen der Skandinavier sind von einer impatientierenden Kälte, ich fühlte, dies sei kein Feld für meine Bestrebungen, und drehte bald wieder um. Wir gingen nach Rußland und England; aber Länder, in denen die Männer aus Zärtlichkeit ihre Frauen züchtigen und aus Überdruß mit einem Stricke um den Hals verkaufen, hatten keine Reize für mich, boten mir keine Hoffnung auf Succès. Ich war förmlich decouragiert. Ich sah bleich und leidend aus, meine Kräfte waren usiert, meine Nervosität nahm zu, und meine Lebensgeister waren dermaßen deprimiert, daß der Fürst, von diesem état de langueur das Ärgste befürchtend, mir einen dezidierten Wechsel von Klima und Zuständen proponierte, um mich neu zu animieren.

Wir gingen durch die Türkei und Griechenland nach dem Orient. Oh, welche Sympathie flößte er mir ein. Nie, niemals hatte ich zwischen Himmel und Erde etwas gefunden, das mir mit meiner Seele zu korrespondieren geschienen hätte, nie ein Emblem für meine Seele entdeckt. Jetzt lag es vor mir da.

Ja, die Wüste war das Bild meiner Seele! Immens, leer, von glühendem Sonnenbrande verdorrt, tödlich dem Pilger, der sie glaubensvoll betritt, und dessen Dasein spurlos verlöschend; ohne Blüte, ohne Erquickung für den Menschen, voll trügerischer Phantome, die ihn verlocken, um ihn zu vernichten. – Oh, die unabsehbare Wüste war das Bild meiner immens leeren Seele!

Ich warf mich auf den Boden nieder, ich küßte die glühende Erde, ich fühlte mich in meiner Heimat. Die Nomaden, die heute hier und morgen dort das luftige Lager etablieren, wie homogen waren sie meinen eignen Allüren, wie ähnlich ihr Leben dem zigeunerhaften Umherziehen der großen Welt, das so sehr bon genre ist. Der Orient entzückte, inspirierte mich, die wunderbaren urtypischen Männernaturen imponierten mir. Indes hier konnte ich nicht einmal zu suchen wagen, weil bei der mohammedanischen Unkultur der Geister auf jene Blüte des Seelenlebens gar nicht zu rechnen war, die ich als Resultat erstrebte.

Eines Abends hatten wir unser Lager bereits wieder etabliert, die Kamele waren abgezäumt und ruhten in der Nähe meines Zeltes, der Kawaß ging geräuschlos hin und her, die Zurüstungen für unser Souper zu machen. Ich lag auf meinen Polstern, der Fürst hielt an der Türe Wache. Rund um uns her waren die Feuer angezündet, in deren roter Beleuchtung die Burnus der Araber erglänzten, welche unsre Eskorte bildeten. Der Himmel mit seinen goldenen Sternen ruhte wie ein superber Baldachin über uns, und nichts unterbrach die sublime Stille als das Heulen der Schakals.

Der Ton drang mit terribler Gewalt in meine Seele. – So, gerade so rief es oft wild, klagend und furchtbar in der Wüste meiner Seele nach dem Rechten – und ich fand ihn nicht. All diese Reisen waren ja nur Versuche, ihn zu finden, mein Leben epanchierte sich in diesen Versuchen, ich hatte nur Distraktionen, nur temporäre Okkupationen gefunden und jetzt seit Jahren mich einer Art von Indolenz ergeben, die aus gänzlicher Verzweiflung entsprungen war. Hier in der Wüste, in der sublimen Stille der Nacht, ward mir urplötzlich wieder der Glaube an die intensive Macht meines Naturells und der Vorsatz rege, noch einmal das Werk zu beginnen. Das Andenken des edeln Robert Bruce schwebte vor meinem Geiste, der durch eine den zerrissenen Faden immer neu knüpfende Spinne zu perseverierender Tatkraft angespornt wurde, nachdem er schon förmlich decouragiert gewesen war.

Ich nahm die ganze Energie des Geistes zusammen und fragte mich, was bleibt mir jetzt zu tun? Die christlich europäische Zivilisation, die orientalische Polygamie sind es nicht, welche den Gottmenschen der Liebe hervorbringen, den ich finden muß. Europa entnervt durch Luxus und macht kalte Raisonneurs aus den Männern, die philosophieren, von Prinzipien schwatzen, Ansprüche machen, wo man nur das Nieendliche empfinden soll. Der Orient, der Mohammedanismus stehen auf dem tiefsten Punkte der Entsittlichung, denn das Weib, dieser Mittelpunkt der Kreation, ist Sklavin der männlichen Willkür, wie der Mann es sein sollte der weiblichen Kaprize. Es muß einen normalen Zustand geben, sagte ich mir, der, unberührt von der Zivilisation, eine naturgemäße Position der Geschlechter gegeneinander zeigt; in diesem normalen Zustande allein kann sich der Kulminationspunkt der Liebe präsentieren. Es lag in meinem Charakter neben aller Eleganz der Weltfrau ein gewisses sauvages je ne sais quoi, das mir immer die Cooperschen wohlgewachsenen, durch die Liebe dressierten, noblen Wilden interessant machte. Ich glaubte nicht daran, daß sie ausgestorben seien; ich hoffte noch einen Deszendenten dieser edlen Rasse zu entdecken, ich ahnte, in ihm könne ich den Rechten finden.

Wie ein Lichtstrahl fiel dieser Gedanke in meine Seele. Ich rayonnierte von der animierenden Hoffnung und rief den Fürsten, um ihm meine Ideen mitzuteilen. Als der Fürst aufstand und mich erblickte, sagte er, ganz bewildert von dem neuen Leben, das aus der sammetweichen Iris meines Auges strahlte: »Aber, meine Gräfin! Was haben Sie begonnen, Sie sehen aus, als hätten Sie aus dem Quell der Jugend getrunken, Sie sind wieder die blendende, faszinierende Diogena, die ich zuerst in Baden-Baden erblickte. Das sind nun doch fast zehn Jahre her.«

Das Entzücken des Fürsten freute mich, aber seine letzte Äußerung machte mich pensive. Zehn Jahre! Ein Decennium rastloser, vergeblicher Anstrengungen – oh, welch ein trauriges Los war mir geworden! Ich gestand mir, daß ich siebenundzwanzig Jahre alt, daß ich nicht fern von der äußersten Grenze der Jugend sei. Das dezidierte mich, um so schneller an die Realisierung meines Planes zu gehen.

Ich setzte ihn dem Fürsten auseinander, er hatte Kapazität genug, ihn zu begreifen, obgleich er ihm nicht vollkommen angenehm war. Indessen mir zu folgen, war seine Vokation, wir erkannten es beide dafür und ließen die Kamele am nächsten Morgen auf der Straße nach Kairo retournieren.

Wir durchflogen Meere und Länder, nichts reizte mich mehr, ich hatte ja schon alles gesehen, und oft kam mir Lord Ermanby's Ausspruch in den Sinn, »man kann ja nicht immer wieder von Neuem anfangen zu bewundern«. In kürzester Zeit erreichten wir Deutschland und den Rhein. Die Anwesenheit eines Monarchen hatte die ganze schöne Welt an seinen Ufern versammelt. Eines Tages saßen wir in Koblenz an der table d'hôte, der Fürst und ich. Plötzlich sehe ich den Erstern erbleichen und höre, wie er sich bei dem Kellner erkundigt, ob keine andern Plätze für uns zu haben wären.

»Und was mißfällt Ihnen hier an diesen, lieber Fürst?« frage ich graziös lächelnd.

»Oh, ich meine wegen des vis-à-vis!« entgegnete er verlegen.

Ich nahm mein Lorgnon und blickte hinüber, da saß Graf Bonaventura, mein Mann, mit Aurora Elsleben, die er geheiratet hatte, wie ich wußte. Bonaventura schien überrascht und bewegt; Aurora war in sichtlicher Unruhe, man sah beiden die Emotionen ihres Innern an. Mich ließ es ganz kalt. Ich dachte an das Begegnen von des Fürsten Mutter, Gräfin Cornelie, mit ihrem frühern Geliebten Lenor Brand, und richtete mein Lorgnon, als ob es gleichgültige Bekannte wären, freundlich grüßend fest auf die mir Gegenübersitzenden. Und in der Tat, was ist uns ein Mann, den wir nicht mehr lieben? Warum haftet man an Impressionen des Herzens mit so ridiküler Konsequenz? Männer sind für Frauen meines geistigen Ranges Mittel, sich durch die Langeweile des Lebens zu kämpfen. Wer aber ist töricht genug, ein Ding festhalten zu wollen in der Pietät des Andenkens, das ihm nichts mehr ist, weil er einmal glaubte, es könne ihm etwas sein? Dies sind Schwächen kleinlicher Naturen, die mir vollkommen fremd sind.

Das Ehepaar war nicht auf dieser Seelenhöhe. Sie hielten kaum die Hälfte des Diners aus und entfernten sich. Der Fürst atmete auf. »Meine Gräfin!« sagte er, »wie froh bin ich, daß der Graf sich entfernte, ich litt für Sie.«

»Zu gütig!« rief ich lachend, denn ich befand mich vortrefflich und hatte niemals bessern Appetit.

»So quälte Sie die Anwesenheit Ihres Mannes nicht?«

»Sie war mir lästig, als er noch mein Mann war, jetzt ist sie mir indifferent. Lernen Sie doch endlich die Göttlichkeit meiner Natur begreifen. Ich behalte alles, was mir schmeichelt, ich ignoriere alles, was mir unbequem ist. Ich lebe nur im Moment, und die Vergangenheit versinkt spurlos in die Eisschluchten meiner immensen Seele, wie die unglücklichen Bergsteiger in den Eisspalten der Gletscher. Das ist der Vorzug einer immensen Seele.«

»Und das wird auch mein Los sein?« fragte der Fürst.

»Oh, gewiß! Wenn ich Sie nicht mehr brauche, wenn ich einen Remplaçant für Sie habe, ohne Zweifel!« rief ich mit entzückender Naivetät.

Der Fürst schien nachdenklich, aber ein süßer Blick meiner sammetweichen Augen verscheuchte seine Launen, und er blieb wie immer befriedigt unter dem Lächeln meiner Huld.

Wir fuhren den Rhein hinab und schifften nach London über, wo wir einen längern Aufenthalt machen mußten, uns für die projektierte Exkursion nach Nordamerika zu arrangieren. Ich kaufte eine neue Equipage, auf deren Türe statt des Wappens mein Emblem, die trostlose Wüste, gemalt war. Oben über dem Wagen war von Gold die Laterne des Diogenes, meine Laterne, angebracht, die ich aus einer gewissen Superstition von jetzt an brennend zu erhalten beschloß. Ich ließ mir und dem Fürsten passende Kostüme machen, und dann schifften wir uns auf dem »Great-Western« ein.

Während der ganzen Reise verhielt ich mich absolut passiv, wie ein königlicher Tiger, der ruhig daliegt, bis die Zeit gekommen ist, in der er sein Opfer zu erreichen hoffen darf. Ich las alle Cooperschen und Sealsfieldschen Romane, um die Sitten der Wilden kennenzulernen, studierte die Sprache der Delawaren und lernte alle Reden auswendig, welche Parthenia in Halms mirakulösem »Sohn der Wildnis«, dem Tektosagen-Häuptling Ingomar, hält.

So vorbereitet landete ich in New York und trat meine Exkursion in das Innere an. Man muß jetzt in Amerika lange reisen, ehe man Wilden begegnet; die Welt ist terribel zivilisiert, nirgend mehr ein Zug lieblicher Sauvagerie. Als wir bis zu den Grenzen der von Europäern bewohnten Gegenden gekommen waren, ließ ich meine Equipage in einem der Blockhäuser und veränderte mein Kostüm in der Weise, daß es dem der Myrrha im unterbrochenen Opferfeste einigermaßen nahe kam. Der Fürst legte ein bequemes Jagdkleid an, nahm ein Paar Pistolen, eine Flinte und ein Seitengewehr mit sich, und so gingen wir, von einem Führer geleitet, den Urwäldern zu.

Als ich im Blockhause zum letzten Male in den Spiegel schaute, mußte ich mir selbst bekennen, daß ich unwiderstehlich sei. Ich sah vollkommen wie eine indianische Squaw aus, ins Deutsch-Aristokratische übersetzt. Denn selbst in der leichten Bemalung meines Körpers, die aus lauter kleinen, wunderlich verschlungenen Laternchen bestand, in dem Federschmuck meines Hauptes, in meinen Fuß- und Armspangen wie in den Mokassins, welche der erste Schuhmacher Londons gearbeitet hatte, lag die ganze reizende Nonchalance einer nobeln Gräfin. Ich trug einen Plaid, den ich für alle Fälle mitgenommen hatte, einige Bouillon-Tafeln und verschiedene Konfitüren in einem Körbchen an dem rechten Arme. In der Linken hielt ich die brennende Laterne.

Es war hoch am Tage, als das flache Land, die fetten Wiesengründe zwischen den Flüssen sich in Waldungen zu verwandeln anfingen. Die Erhabenheit dieser Urwälder wirkte gewaltig auf mich. Riesenbäume verschlangen liebend ihre Äste zu einem festen Dache, Blumen rankten sich daran empor und hingen wie Sterne von den höchsten Zweigen hernieder. Ein Teppich von weichem Moose bewegte sich elastisch unter meinem federleichten Tritt. Einzelne Vögel wiegten sich in ruhiger Sicherheit auf den Ästen, und ein wunderbarer Duft voll entzückender Frische wehte durch die Luft.

Niedergeworfen von dieser Erhabenheit, sank ich in das Knie; unwillkürlich falteten sich meine Händchen zum Gebete, und auf Delawarisch sagte ich: »O du mein Gott, der du jeder Kreatur das Glück der Existenz gewährst, der du jedem Tiere ein Genügen gönnst, du wirst ein Auge haben für eine Gräfin aus einem alten Hause, du wirst ihr geben, was sie bedarf, ein immenses, nie dagewesenes Glück für ihre immense Seele! – Oh! Es wäre unbarmherzig, es wäre ein immenses Unrecht an meiner Seele, könntest du es mir versagen.«

Ich erhob mich, neugestärkt durch die Konviktion der Erhörung. Ich war froh geworden und harmlos wie ein Kind. Ich fand die neue Position entzückend und sah mit klopfendem Herzen dem ersten Wilden entgegen. Unser Führer, der seit Jahren Handel trieb zwischen den letzten Blockhäusern und den ersten Wigwams, berichtete uns, daß wir uns einem solchen näherten.


 << zurück weiter >>