Fanny Lewald
Diogena
Fanny Lewald

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Die Erinnerung an meine Pönitenzversuche, an Benoit, hatten etwas, das mir penibel war und das ich zu verscheuchen trachten mußte. Die Gesellschaft ersehnte mich so lange, daß ich mich ihr wirklich schuldig war. Ich machte noch denselben Abend meine erste Visitentournee, und nach wenig Tagen war ich auch hier der Mittelpunkt des geselligen Treibens.

Paris war in einem Zaubertraum. Meine Anwesenheit inspirierte die Poeten und Musiker, die Dichter benutzten die interessanten Episoden aus meinem Leben, welche allmählich publik geworden waren. Die Fabrikanten nannten ihre neuesten Produkte à la belle Comtesse oder à la Diogène, und unter den jungen Kavalieren war eine vollkommene Konkurrenz um den Besitz meiner Gunst eingetreten.

Ich wanderte, geschmückt mit allen Colifichets des raffiniertesten Luxus, unter diesem Treiben einher, so kalt, so nichtachtend, wie die himmlischen Gestirne über die Erde schreiten. Oftmals versuchte ich die Wünschelrute auszuwerfen, wenn aus den Herzen der Männer das Liebesmeer unter dem Strahl meiner Augen zu mächtiger Flut emporschäumte, aber während ich alle Herzen entzündete, blieb das meine kalt. Ich sagte mir selbst, dein Herz, wenn du eines hast, ist ein Diamant, blendend, strahlenwerfend, hart, von allen begehrt und kalt – aber auch der Diamant verbrennt, wenn nur das rechte, intensive Feuer ihn ergreift; dies Feuer muß existieren auch für mein Herz, und wenn es einst brennt, dann sind all meine Skrupel auf einmal gelöst, dann weiß ich, daß ich ein Herz habe, und dann habe ich den Rechten gefunden.

Diese Gedanken brachten mich auf die Gesetze der Schöpfung, auf Naturwissenschaften, Chemie und Anatomie. Die oberflächliche Konversation der Salons war mir insupportable geworden, ich wurde fast nervös, wenn die jungen Männer wieder mit den sich ewig gleichbleibenden banalen Liebesphrasen mir das matte Glühen ihrer usierten Herzen andeuteten, ich hatte keine Freude, keine Zerstreuung mehr von ihnen zu erwarten und ich war doch noch so jung, ich war Gräfin und schön, das heißt, zum Glück berechtigt. Um mich zu desennuyieren, fing ich an, mich in die Wissenschaften zu werfen. Ich besuchte einen Kursus um den andern; der Fürst, der sich dabei noch mehr als gewöhnlich langweilte, begleitete mich überall.

Ich ließ meine Zelle in ein Laboratorium verwandeln, ich verdampfte Quecksilber, experimentierte mit Jod und hatte es bald zu einer Erkenntnis in den tiefsten Tiefen der Wissenschaft gebracht, die Berzilius und Faraday, denen ich in elegantem Salonjargon die tiefsinnigsten Briefe schrieb, in Entzücken versetzten. Da brachte mir eines Tages, als ich ermüdet von einer anstrengenden mehrtägigen Beobachtung, erschöpft auf meine Chaiselongue gesunken, der junge Professor, welcher mir bei meinen Studien behilflich war, einen seiner Freunde mit, um ihn mir zu präsentieren.

Ich hatte mir ein Kostüm arrangiert, das vortrefflich für meine dermaligen Zwecke paßte. Ich trug eine Robe montante von graubraunem Wollenstoffe, oben mit einer schwarzen Spitze geziert, die nur mit einer Cordelière um die Taille befestigt war. Lose Ärmel ließen sich während der Arbeit leicht zurückschlagen und zeigten meine superben Arme mit schwarzen Steinkohlen, Brasseletts geschmückt. Um den Kohlenstaub für meine goldenen Locken zu vermeiden, hatte ich mir ein kleines schwarzes Käppchen von Velours anfertigen lassen, das in der Form den mittelalterlichen Coiffuren gleichkam. Schwarze Stiefelchen chaussierten meine Füßchen vortrefflich; das Ganze war ebenso graziös einfach als distinguiert.

Als die beiden jungen Männer bei mir eintraten, fanden sie mich mit dem neuesten Werke über den Elektro-Magnetismus beschäftigt. Es war von der belebenden Wirkung desselben auf die Nerven die Rede. Ich hatte darüber nachgedacht und mochte etwas zerstreut sein, als mir der Professor seinen Freund nannte. Der Diener präsentierte den Männern die Fauteuils, und es entstand eine wunderliche Pause, weil ich in Meditationen, der neue Gast in den Anblick meiner Schönheit versunken war.

Endlich raffte ich mich empor und sagte. »Verzeihen Sie, mein Herr, wenn ich Sie bitte, mir noch einmal Ihren Namen zu wiederholen. Ich kenne sämtliche Namen aller adeligen Geschlechter auswendig nebst ihren Wappen, ich habe ein immenses Gedächtnis, indessen für die Namen der Bürgerlichen ist es mirakulös schwach, und sie entschwinden mir sehr leicht wieder.

Der Angeredete sagte sehr ruhig: »Ich heiße Friedrich Wahl.«

»Ein Deutscher also?«

»Ja, gnädige Gräfin.«

»Und was führt Sie nach Paris?-

»Ich bin Professor an dem anatomischen Cabinet.«

Ein plötzlicher Gedanke durchzuckte mich. Ich fragte: »Sagen Sie mir, mein Herr, gibt es Menschen, die das Unglück haben, ohne Herz geboren zu sein?«

»Unmöglich, gnädigste Gräfin!« entgegnete Friedrich, »auch ist dies ein Mangel, über den sich, wie mich dünkt, noch niemand beklagt haben wird, am wenigsten in Ihrer Nähe.«

Ein glühendes Rot überflog sein Gesicht. Der milde Klang seiner Stimme frappierte mich angenehm. Ich zog mein Lorgnon hervor, ihn zu betrachten. Er machte mir einen lebhaften Eindruck. Groß, kräftig und regelmäßig gebaut, mit schönen, gradlinigen Gesichtsformen, großen blauen Augen, über die sich oft ein feucht verschwimmender Glanz ergoß, und mit reichem hellbraunem Lockenhaar, war er der Typus eines Deutschen, eine angenehme Diversion unter all den dunkeln Franzosen und fadblonden Engländern. Seine Tournure hatte nichts von der recherchierten Nachlässigkeit der eleganten Kavaliere, seine Toilette war die simpelste von der Welt, sein ganzes Maintien erinnerte mich an die Haltung Napoleons, wie er in sich selbst ruhend, mit übereinandergeschlagenen Armen dargestellt wird.

Er hielt meinen Blick ruhig aus und sagte, indem ein leises Lächeln über seine Züge glitt: »Sie scheinen kurzsichtig zu sein, Frau Gräfin! Befehlen Sie, daß ich Ihnen näher rücke?«

Diese Worte von einem Manne gesprochen, der noch wenig Augenblicke vorher ganz fasziniert gewesen war von dem Zauber meiner Schönheit, machten mir einen wunderbaren Effekt. Ich wollte diese Impertinenz mit einem wahrhaft aristokratischen Contrecoup vergelten und fragte: »Wollen Sie mir sagen, mein Herr Wahl, was Sie zu mir führt? Sie bedürfen wahrscheinlich einer Protektion, die Sie in mir zu finden hoffen und die ich gern gewähren will.«

Friedrich lächelte wieder und entgegnete: »Gnädige Gräfin! Ich bedarf keiner Protektion, denn ich bin ganz und gar unabhängig.«

»Sie sind reich?«

»Im Gegenteil. Ich würde Ihnen vermutlich arm erscheinen, hätten Sie Gedächtnis genug, die Einkünfte eines Bürgerlichen zu behalten; aber ich bin reich, weil ich früher ganz arm gewesen bin und mir also relativ sehr reich erscheine.«

»Und wem verdanken Sie diese Wandlung Ihrer Verhältnisse?«

»Mir selbst, und ich möchte auch sonst niemandem etwas verdanken.«

Friedrichs Selbstgefühl enchantierte mich, weil es mir in dieser Weise neu war. Ich hatte mich bis dahin in halbliegender Stellung, mit prächtiger aristokratischer Nachlässigkeit verhalten und mit der Kette meines Lorgnon gespielt. Jetzt fand ich, daß dieser Mann die Mühe verlohnte, sich für ihn aus den indolenten Allüren zu reißen. Ich richtete mich empor, kreuzte graziös meine Füßchen auf dem Tabouret und lehnte meine superbe, sammetweiche, fabelhaft kleine Hand auf das dunkle Sofakissen. Sie sah darauf aus wie eine rötliche, chinesische Primel, die im Frühjahr zum ersten Sonnenstrahl aus dem dunkeln Erdreich hervorguckt. Ich merkte, daß Friedrich, trotz seines Selbstgefühls, trotz seines forcierten Spottes, kein Auge von meinen Händchen verwenden konnte, und ich gönnte ihm generös die Freude des Anstaunens, indem ich sie in das rechte Licht brachte.

»Aber um alles in der Welt, lieber Professor!« sagte ich lachend zu dem Chemiker, der schweigend und ganz verwundert über diese originelle erste Entrevue dagesessen hatte, »was haben Sie mir da für einen wunderlichen Gast gebracht. Ich glaube, Sie wollen mich persuadieren, statt der chemischen Analysen einmal einen Charakter zu analysieren, wer weiß, ob ich dazu das Talent habe und ob die Elemente nicht so flüchtig sind, daß ich sie nicht zu fixieren verstehe.«

»Sie würden noch mehr erstaunen, verehrteste Gräfin«, sagte der Chemiker, »wenn Sie wüßten, was meinen Freund zu Ihnen geführt hat. Er ist ein begeisterter Anhänger der Jetztzeit, des Liberalismus, der Entwickelung der Humanität, wie sie sich jetzt unter uns offenbart, und war begierig, Sie, gnädige Gräfin, kennenzulernen, weil ich ihm erzählt hatte, daß all dieses für Sie gar nicht existiere.«

»In der Tat«, fiel ihm Friedrich, abermals flüchtig errötend, in das Wort, »in der Tat, ich war begierig, eine Frau kennenzulernen, die ganz Paris als das Wunder der Schöpfung anstaunt, deren Geist alle Welt anerkennt und die es dennoch möglich gemacht haben sollte, sich vor dem Einflusse der heiligsten und erhabensten Ideen zu bewahren, die die bewegende Kraft unsers Jahrhunderts sind.«

»Also auf eine Proselytin war es abgesehen!« rief ich aus. »Oh, mein Herr Wahl! Den Gedanken desavouieren Sie gewiß, wenn Sie mich kennen. Ich bin nun einmal von einer besondern Natur, ich bin wunderbar exklusiv, mein Geist hat seine eigentümlichen Allüren. Vielleicht, daß ich mich zu groß fühle, mich in Ihre heilige Allgemeinheit zu verlieren, vielleicht scheine ich mir eines besondern Loses würdig, ein être à part zu sein. Denken Sie, was Sie wollen. Geben Sie mir Seraphsschwingen, mich zum Äther zu tragen, oder die Fledermausflügel eines Dämons, mich hinabzusenken in die nächtlichen Tiefen der Existenz – nur vor den Allüren Ihrer staubgeborenen Menschen lassen Sie mich sicher sein. Ich mag nicht im Staube leben, ich mag nichts mit der Menge gemein haben, und mein Fatum ist mir gnädig gewesen: ich heiße Diogena, ein Name, den vielleicht niemand außer mir trägt auf Erden. Vielleicht hat mich dies für meine exklusiven Regungen prädestiniert.«

Indem ich diese Worte sprach, hörten wir in meinem Laboratorium das Platzen einer Retorte, und der Professor, auf den dieser Ton eine magnetische Attraktion übte, stand auf, um sich zu überzeugen, was geschehen sei. Ich blieb mit Friedrich allein und sagte: »Mir wäre es ganz recht, wenn das ganze Laboratorium in die Luft gesprengt würde, den Professor ausgenommen.«

»Und doch behauptet mein Freund, Sie wären mit dem Studium der Chemie leidenschaftlich beschäftigt«, meinte Friedrich.

»Ich war es, jetzt ist die Zeit vorüber. Ich kenne jetzt von der Chemie alles, was man bis auf diese Stunde entdeckt hat, ich bin zu neuen unerhörten Forschungen vorgedrungen; was ich suchte, fand ich nicht, und so hat ihr Reiz für mich aufgehört.«

»Und darf ich fragen, welches Problem Sie zu lösen begehrten?«

»Ich hoffte aus der Art, in der sich in der Natur die wahlverwandten Elemente ergreifen, um sich unauflöslich zu fassen und zu vereinen, eine Analogie zur Découverte des Wahlverwandten in den Menschennaturen zu finden. Während ich die Dinge in ihre Elemente auflöste, hoffte ich den Weg zu der mir verwandten, mir ewig eigenen Menschennatur zu finden, es reüssierte nicht, und so bin ich der toten Wissenschaft müde und um eine Illusion ärmer.«

»Das heißt um eine Wahrheit reicher!« sagte Friedrich.

»Das ist auch eine von den modernen Tendenzphrasen, die ich hasse. Ich suche die Wahrheit nicht, ich suche die Liebe und das Glück.«

»Sie suchen die Liebe? In andern oder in sich?«

»Ich fand sie weder in jenen noch in mir.«

»Sie, Sie, Gräfin! Sie suchten nach Liebe und vergebens? Aber das ist ja unmöglich, da jeder anbetend und verlangend vor Ihnen niederstürzen muß!«

»Was wollen Sie«, sagte ich indifferent, »es mag in einer fehlerhaften Organisation meines Herzens liegen, daß die Liebe nicht in demselben agieren und reagieren kann. Ich möchte das Herz in seiner physischen Struktur kennen, um es in seinen Empfindungen danach zu beurteilen. Ich möchte wissen, wie das Fluidum, das die Welt beseelt, das in dem einzelnen Menschen agiert und von ihm ausströmt, auf die ihm verwandte Natur influiert. Mit einem Worte, ich möchte Anthropologie studieren und Anatomie treiben. Wollen Sie mein Lehrer sein?«

»Haben Sie jemals eine Leiche gesehen, gnädige Gräfin?«

Ich dachte an Ermanby, und mir schauderte. Ein leichter Frison fuhr über meine Glieder, aber ich schämte mich seiner als einer unwürdigen Schwäche. Ich sagte Friedrich, daß ich vor den Schrecken einer Wissenschaft nicht zurückbebe; daß freilich mich die geringste Geschmacklosigkeit in der Ausdrucksweise eines Menschen au dernier degré degoutiere, daß mich ein unharmonisches Geräusch nervös mache, daß ich aber mehr ertragen könne als ein Mann, wenn es darauf ankäme, mich durch neue Sensationen aus meinem Ennui zu befreien.

»So haben Sie die Gnade, Frau Gräfin, Ihren Wagen zu befehlen, und erlauben Sie mir, Sie heute versuchsweise in die Morgue zu führen.«

Es geschah. Als wir in dem feuchten, nebligen Winterwetter durch die nassen, dampfenden Straßen von Paris fuhren, blickte Friedrich mehrmals seufzend zu den geschlossenen Fenstern hinaus. Ich fragte ihn, was ihm fehle.

»Oh«, sagte er, »in diesem Momente, Frau Gräfin, fehlt mir nichts, aber grade das erinnerte mich an eine Zeit, in der ich alles entbehrte, in der ich hungernd und frierend aus der Armenschule in meine elende Bodenkammer heimkehrte und meine kranke Mutter ohne Feuer fand, weil sie für diese Ersparnis das Licht kaufte, bei dem ich mich für meine Lektionen vorbereitete. Meine Mutter ist an der Armut gestorben, und ich genieße jetzt zu meinem Schmerze ohne sie ein Wohlleben, das ihr fürstlich scheinen würde und das ich so gern mit ihr geteilt hätte.«

»Und haben Sie keinen Bruder, keine Schwester, die jetzt an Ihrem Succès teilnehmen?«

»Ich habe niemand. Mein Vater starb vor meiner Geburt, ich bin ganz allein in der Welt; ich habe niemand, der meiner bedarf in besonderer Liebe; da wendet denn das Herz sich der Menschheit zu und sucht in ihr die Liebe seines Herzens.«

Bei diesen Worten legte sich wieder der feuchte Glanz über die Iris seines tiefblauen Auges. Die Rührung in dem Angesichte eines schönen Mannes hat eine aparte Grazie; ein Charakter ist so selten eine weiche, impressionable Natur. Ich fragte mich innerlich, was mich an diesem deutschen Professor interessierte, dessen Manieren, dessen Mokerie zu Anfang unserer Entrevue wirklich so sehr an das Beleidigende streiften, daß man es nur pardonieren konnte, wenn man annahm, er ignoriere den usage du monde. Endlich fiel es mir ein, es sei eben dies bürgerliche Element, das mir neu und darum reizend sei. Die ausgezeichnetsten Frauen unseres Hauses, Gräfin Ilda Schönholm, Gräfin Cornelie, meine Mutter Sibylle, Margarethe Thierstein, alle hatten einen bürgerlichen Liebhaber, eine Episode mit einem Bürgerlichen gehabt, und alle hatten einen passageren Reiz darin gefunden. Dies beruhigte mich über die unwillkürliche Sensation, die ich empfand; ich hatte gewähnt, mein adelig Blut revoltiere dagegen, daß ein gewöhnlicher Professor, ein Friedrich Wahl, es schneller fließen machte.


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