Alain René Lesage
Gil Blas von Santillana
Alain René Lesage

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Eilftes Kapitel.

Scipio verfolgt seine Geschichte.

Solang' ich Geld hatte, machte mein Wirth die freundlichste Miene von der Welt, und ließ es nicht an Kratzfüßen und guter Bedienung fehlen; von dem Augenblicke aber an, da er merkte, daß es mit meinen Batzen Mathäi am letzten war, klangen die Saiten ganz anders. Er ward nachlässig, that kühl gegen mich, ward dann grob, und brach endlich Ursachen zum Zank mit mir vom Zaun' ab. Eines Tages bath er mich nicht auf die höflichste Art, sein Haus zu verlassen, und mich nach einem andern Logis umzusehen. Ich that dieß mit einer hohen Miene, ging in eine Dominikanerkirche, und hörte darin die Messe. Während derselben wurd' ich von einem alten Bettler um ein Almosen angesprochen. Ich zog zwey oder drey Maravedis aus der Ficke, und sagte zu ihm: Bittet Gott, mein Freund, um meine baldige gute Versorgung; wenn Euer Gebeth erhört wird, soll's Euch nicht reuen, es gethan zu haben; Ihr könnt auf meine Erkenntlichkeit rechnen.

Bey diesen Worten faßte mich der Bettler sehr scharf in's Gesicht, und fragte mich mit einer ernsten Miene: Auf was Art möchten Sie gern versorgt seyn? Als Bedienter, 254 versetzt' ich, in einem Hause, wo ich's gut hätte. Brennt Sie's auf die Nägel, versetzte der Alte. Gar gewaltig, sagt' ich; und bin ich nicht bald so glücklich, wo unterzukommen, so muß ich entweder verhungern, oder einer von Euren Collegen werden.

Schlimm, wenn's so weit mit Ihnen käme, erwiederte er, Sie sind des Dinges gar nicht gewohnt. Wären Sie aber nur erst ein Bissel in der Schnurre, so würden Sie gewiß unsern Stand dem Herrendienste bey weitem vorziehn; denn der reicht jenem wahrhaftig nicht das Wasser. Weil Sie aber lieber ein QuäljostQuäljost, im Niedersächsischen und für die niedrigkomische Sprache der Deutschen gewiß nicht verwerflich: »ein beständiger Sclave der Arbeit. Es wird eigentlich auf einen vor dem Pfluge gehenden Stier gesehen, der in der Fabelsprache Joost heißt.« – A. d. Uebers. sein wollen, als so frank und frey leben, Ihr eigner Herr seyn, wie ich, so sollen Sie bald einen Herrn haben. Trotz der Lumpen da, kann ich Ihnen helfen. Ich will auch noch heut' alle Segel beysetzen. Stellen Sie Sich nur morgen um eben die Zeit wieder hier ein, da sollen Sie erfahren, was ich ausgerichtet habe.

Ich ermangelte nicht, mich des folgenden Tages pünktlich an dem nehmlichen Orte einzufinden. Nicht lange, so gewahrt' ich den 255 Bettler, der auf mich zukam, und mich bath, mich mit ihm zu bemühen. Er führte mich in einen Keller, nicht weit von der Kirche, worin er seine Residenz aufgeschlagen hatte. Wir setzten uns auf eine lange Bank, die allerwenigstens ihre hundert Jahr gedient haben mochte. Da sagte er zu mir: Eine gute That bleibt nie unbelohnt, Sie gaben mir gestern ein Almosen, und das ist Ursache, daß ich mich nach 'ner Condition für Sie umgesehen habe; und die sollen Sie bald haben, so Gott will.

Ich kenne einen alten Dominikaner, Nahmens Pater Alexis, einen Mann, der ganz unsträflich wandelt, und die Menge Beichtkinder hat. Er braucht mich manchmahl, eins und das andere für ihn auszurichten, und da ich mich dabey treu und verschwiegen beweise, schlägt er's mir nicht ab, wenn ich ihn unterweilen bitte, für mich oder meine Kameraden ein Vorwort einzulegen. Ich habe noch gestern Ihretwegen mit ihm gesprochen, und ihn so weit gebracht, daß er Ihnen helfen will. Wenn's Ihnen gelegen ist, wollen wir zu ihm gehen.

O sogleich, sogleich, Vater! sagte ich. Man muß mahlen wenn der Wind geht. Der arme Mann war's zufrieden, und führte mich sofort zum Pater Alexis. Wir fanden ihn in seiner Zelle, wo er an einer Erbauungsschrift fleissig arbeitete; 256 er ließ seine Arbeit liegen, um mit uns zu reden; sagte, er wolle sich für mich verwenden, weil der Alte ihn darum gebethen habe.

Gestern vernahm ich, fuhr er fort, daß Sennor Balthasar Velasquez einen Lakayen braucht, und so hab' ich heut früh Euretwegen an ihn geschrieben, und eben zur Antwort erhalten: auf meinen Empfehl woll' er Euch, ohn' alles weiters Bedenken, annehmen. Ihr könnt also noch heut zu ihm gehen, und ihm sagen, daß ich Euch zu ihm sende. Er ist mein Beichtkind und mein Freund. Hierauf ermahnte mich der Mönch ganze drey Viertelstunden lang, ja meine Pflichten redlich zu erfüllen. Vornehmlich breitete er sich über die Verbindlichkeiten aus, die ich hätte, dem Sennor Velasquez treu und redlich zu dienen, und versicherte mir darauf, er würde mein eifriger Rückenhalt seyn, solang' mein Herr nichts Erhebliches gegen mich einzuwenden hätte.

Ich bedankte mich bey dem Geistlichen für seine Gewogenheit gegen mich, und dann begab ich mich mit meinem Geleitsmann aus dem Kloster. Sennor Balthasar Velasquez, sagte dieser zu mir, ist ein reicher Tuchhändler, ein Mann schon in die Jahre, und eine recht ehrliche Haut. Sie sollen's recht sehr gut bey ihm haben, denk' ich; und wär' ich an Ihrer Stelle, so sollte mir der Dienst weit lieber seyn, als der bey 'nem vornehmen Herrn. Ich 257 erkundigte mich nach der Wohnung des Bürgers, und ging sofort zu ihm, nachdem ich dem Bettler versprochen, für seinen guten Dienst erkenntlich zu seyn, sobald ich mich nur beym Kaufmann erst recht eingeschustert hätte.

Ich kam in einen Laden, in dem ein paar junge, nettgekleidete Kaufmannsdiener, weil keine Kunden da waren, in die Kreuz und in die Quere herumspazierten, und sich kein kleines Air gaben. Ich fragte sie, ob der Herr da sey, und sagte, ich hätte ihm im Nahmen des Paters Alexis etwas zu sagen. Kaum hatt' ich diesen ehrwürdigen Nahmen genannt, so führte man mich in's Contor, woselbst der Kaufmann am Schreibepulte saß, und im Ladenbuche blätterte.

Ich machte ihm eine ehrerbiethige Verbeugung, und sagte zu ihm: Ich bin der junge Mensch, Sennor, den der ehrwürdige Pater Alexis Ihnen zum Bedienten vorgeschlagen hat. Ah! willkommen, liebes Kind, antwortete er. Es haben sich zwar schon zwey bis drey Bedienten bey mir gemeldet, die mir auch nicht übel anstehen, Du sollst aber doch den Vorzug haben, weil Du mir von einem so heiligen Manne zugeschickt wirst. Von heut an bist Du in meinen Diensten, und damit Ende vom Liede!

Ich durfte nicht lange bey diesem Tuchphilister seyn, um zu merken, daß er völlig so war, wie man mir ihn beschrieben hatte. 258 Er schien mir so ein gar treuherziger und schlichter Mann, daß ich mich nicht des Gedankens erwehren konnte: es wird Dir schwer ankommen, dem Manne nicht einen Streich zu spielen.

Velasquez war seit vier Jahren Witwer, und hatte zwey Kinder, einen Sohn von fünfundzwanzig Jahren, und eine Tochter, die in ihr funfzehntes ging. Die Tochter, die von einer strengen Duenna erzogen, und vom Pater Alexis beseelsorgt worden war, wandelte den Pfad der Tugend; allein Gaspar, ihr Bruder, an dem man nichts gespart, ihn zum wackern Kerl zu machen, war ein ausgemachter Wildfang. Unterweilen kam er in zwey, drey Tagen nicht wieder heim, und wenn ihm sein Vater bey seiner endlichen Zurückkunft darüber den Text zu lesen sich unterfing, hieb ihm Gaspar so über den Kamm, daß der Alte seine Pfeife gern einzog.

Scipio, sagte der Alte eines Tages, ich habe einen Sohn, der mir nicht wenig Herzeleid macht. Er ist in allen Arten von Wohllüsten ersoffen. Ich kann gar nicht begreifen, wie das kommt, da doch an seiner Erziehung nicht das geringste ist verabsäumt worden. Er hat die besten Meister gehabt, und mein Freund, der Pater Alexis, hat nicht Mühe, nicht Fleiß gespart, ihn auf den rechten Weg zu bringen; allein leider! alles vergebens. Gaspar ist in ein rechtes Luderleben gerathen. 259

Sie haben ihm zu sehr durch die Finger gesehen, ihn in seinen jüngern Jahren zu sehr gehätschelt, wirst Du mir vielleicht einwerfen, und daher ist er so verwildert; nichts weniger als das, ich hab' ihm den Daum auf's Auge gehalten, wenn ich's nöthig fand. Denn so gut ich auch bin, so scharf bin ich auch, wenn's Noth thut. Ich hab' ihn sogar auf's Zuchthaus setzen lassen, allein die Ranke ist nur noch ärger geworden. Mit Einem Wort, 's ist einer von denen, bey welchen weder Beyspiel, noch Ermahnung, noch Strafe etwas verfängt, die niemand anders bessern kann, als unser lieber himmlischer Vater durch irgend ein Wunderwerk.

Ob mir gleich die Betrübniß des Vaters nicht sehr zu Herzen ging, so hatte es doch den völligen Anschein. Liebster Sennor, sagt' ich, ich bedaure Sie recht sehr. Ein so braver und frommer Herr verdiente einen bessern Sohn!

Was zu machen? liebes Kind! versetzte er. Gott hat mir nun einmahl diesen Trost nicht gönnen wollen. Er verursacht mir manchen großen Kummer, der Schlingel! Nichts aber geht mir näher, als daß er, Dir im Vertrauen gesagt, auf weiter nichts dichtet und trachtet, als mich zu bestehlen, und daß er, trotz meiner Wachsamkeit, nur allzu oft dazu Mittel und Wege findet. Dein Vorgänger spielte mit ihm unter Einem Hütchen, und eben deßhalb kriegte er seinen Abschied. Was Dich anlangt, so hoff' ich, daß 260 Du Dich von meinem unartigen Buben nicht wirst verführen lassen, und immer auf mein Bestes sehen. Ich zweifle nicht, daß Pater Alexis Dir das wird auf die Seele gebunden haben.

Das hat er ehrlich und redlich, versetzt' ich. Mich wohl eine ganze Seigerstunde lang ermahnt, bloß auf Ihren Nutzen bedacht zu seyn. Ich kann Sie aber versichern, daß die Ermahnung gar nicht nöthig war. Ich bin schon von selbst geneigt, meinen Herren redlich zu dienen, und meine Treue ist probefest.

Wer nicht beyde Theile hört, hört so viel wie nichts. Der junge Velasquez, ein ganz verzweifelt feiner Fuchs, sah mir's an der Nase an, daß mit mir so leicht fertig zu werden sey, als mit meinem Vorfahr. Deßhalb zog er mich an einen abgelegenen Ort, und sagte zu mir:

Ich bin überzeugt, lieber Freund, daß mein Vater Dir den Auftrag gegeben hat, mich zu bespioniren. Allein steh' auf Deiner Hut! Dein Posten ist nicht der behäglichste. Sobald ich nur merke, daß Du auf mich Obacht giebst, so prügl' ich Dich, daß Du liegen bleibst. Hilfst Du mir aber meinen Vater betrügen, so hast Du von meiner Erkenntlichkeit alles zu erwarten. Soll ich deutlicher mit Dir reden, von jedem Fang, den wir machen werden, sollst Du Deinen Part abhaben. Erklär' Dich in diesem Augenblick entweder für den Vater oder für den Sohn. Einen HinkhankHinkhank. Ein sehr mahlerisches Wort, sagt Herr Campe, werth in's Hochdeutsche verpflanzt zu werden. Es bedeutet einen wankelmüthigen, der es bald mit dieser, bald mit jener Parthey hält. – D. Uebers. duld' ich durchaus nicht. 261

Sennor, sagt' ich, Sie greifen mir verteufelt scharf auf die Haube. Da ist kein andrer Rath, seh' ich wohl, ich werde mich zu Ihnen schlagen müssen, so sauer mir's auch ankommt, Ihrem Herrn Papa das Seil über die Hörner zu werfen.

Mach Dir darüber keinen Gewissensscrupel, erwiderte Gaspar. Mein Vater ist ein alter Geitzhals, der mich noch gern' am Gängelband führen möchte; ein Erzfilz, der mir das Nothwendige versagt, indem er mir nichts zu meinen Vergnügungen geben will, denn Vergnügungen sind im fünf und zwanzigsten Jahre Bedürfnisse. Aus dem Gesichtspuncte mußt Du meinen Vater betrachten.

Das Niederschlagpulver für mein Gewissen braucht' ich, gab ich zur Antwort, und dadurch sind mir auch die Schuppen vom Auge gefallen. Sie beschweren Sich mit Recht. Nun wohl, so erklär' ich mich für Sie, und erbiethe mich, Sie in Ihren lobenswürdigen Unternehmungen zu unterstützen; lassen Sie uns aber so verdeckt spielen, daß uns niemand in die Karte guckt, sonst möchte man Ihrem treuen 262 Gefährten die Schüppe geben. Es wird, däucht mich, nicht schaden, wenn Sie Sich stellen, als wären Sie bitterbös' auf mich; mit mir poltern und toben, wenn Leute da sind, mich aushunzen, daß es 'ne Art hat. Sogar etliche Ohrfeigen und einige A . . . tritte werden nichts verderben; vielmehr je bärbeissiger Sie gegen mich thun, je mehr Zutrauen wird Sennor Balthasar zu mir bekommen. Ich meiner Seits werde mich stellen, als ging ich Ihnen überall aus dem Wege; als käm' mir's noch so sauer an, Ihnen bey Tische aufzuwarten, und sprech' ich von Ihnen, so müssen Sie mir's nicht übel nehmen, daß ich Sie 'runterreisse, daß kein Hund ein Stück Brot von Ihnen möchte. Auf die Art machen wir allen im Hause einen blauen Dunst vor, und sie werden glauben, wir sind einander todspinnefeind.

Bey Gott! rief der junge Velasquez, ich bewundre Dich, Freund! Was für herrliche, erstaunliche Anlage zur Intrike Du hast! Ich verspreche mir davon den glücklichsten Erfolg. Durch Hülfe Deines Kopfs hoff' ich meinem Vater nicht eine Pistole übrig zu lassen.

Sie erzeigen mir zu viel Ehre, daß Sie so sehr auf die Behendigkeit meines Witzes rechnen. Ich will mein Möglichstes thun, Ihre gute Meinung von mir zu rechtfertigen; glückt mein Pfiff nicht, nun so ist's nicht meine Schuld. 263

Nicht lange, so zeigt' ich dem Gaspar, daß ich wirklich der Mensch sey, den er brauchte. Der erste Dienst, den ich ihm leistete, war folgender. Balthasar hatte seinen Geldkasten in seiner Schlafkammer zwischen Wand und Bette stehen; woselbst er täglich sein Morgen- und Abendopfer dem Mammon brachte. So oft ich diesen Kasten erblickte, lachte mir das Herz im Leibe, und ich sagte bey mir selbst: Lieber Geldkasten, wirst Du denn immer für mich verschlossen bleiben? Soll ich denn nie das Vergnügen haben, den Schatz zu beschauen, den du verbirgst?

Ich konnte in diese Kammer kommen, wenn ich wollte, so wie jeder im Hause, Gaspar'n ausgenommen. Eines Tages sah' ich unbemerkt, dessen Vater seinen Geldkasten auf und wieder zuschließen, und den Schlüssel hinter die Tapete legen. Ich merkte mir den Ort genau, und machte meinem jungen Herrn diese Entdeckung bekannt.

Ah! eine herrliche Entdeckung, lieber Scipio! sagte er, und drückte mich voller Freuden an seine Brust. Nun ist unser Glück gemacht. Kind! Heute geb' ich Dir noch Wachs, Du drückst den Schlüssel ab, und bringst mir den Abdruck. Einen dienstfertigen Schlösser will ich bald aufgetrieben haben; denn Cordua, mußt Du wissen, ist eben nicht die Stadt in Spanien, worin es die wenigsten Schelme gibt. 264

Weßhalb aber einen Nachschlüssel, lieber Sennor? sagt' ich, wir können ja den rechten brauchen. Wohl wahr! versetzte er, allein ich fürchte, der Alte möcht' aus Mißtrauen oder andern Ursachen ihn anderwärts hin verbergen, am sichersten also: wir haben unsern eignen.

Ich fand, daß er nicht Unrecht hatte, und stand seinem Verlangen gemäß auf dem Sprunge, den Abdruck vom Schlüssel zu nehmen. Dieß geschahe auch eines Morgens, derweil mein alter Patron den Pater Alexis besuchte, mit dem er gemeiniglich gar ein Langes und Breites zu schwatzen pflegte. Dabey ließ ich's aber nicht bewenden, ich schloß den Kasten auf, den ich voll großer und kleiner Geldsäcke fand. Ich war in der angenehmsten Verlegenheit von der Welt, wußte nicht, was ich wählen sollte, zu den großen fühlt' ich soviel Neigung wie zu den kleinen; doch körbaumenKörbaumen, »wählerisch seyn, sich in der Wahl nicht entschließen können: wie einer, der um den besten Raum auszusuchen, im Walde von einem Baume zum andern geht, und nicht weiß, welchen er wählen soll« Eine Niedersächsische Redensart, die meines Bedünkens in den niedrigkomischen Styl aufgenommen zu werden verdient. – A. d. Uebers. konnt' ich nicht lange, der alte Hamster hätte mich leicht 265 ertappen können; daher griff ich einen von den größten.

Nachdem ich den Kasten wieder verschlossen, und den Schlüssel hinter die Tapete hingelegt hatte, verließ ich mit meiner Beute die Kammer, und versteckte sie derweil an einem heimlichen Orte, bis ich sie dem jungen Velasquez zustellen konnte. Dieser erwartete mich an einem verabredeten Orte. Husch! war ich bey ihm, und meldete ihm meine Verrichtung. Er war mit mir so zufrieden, daß er mich mit Liebkosungen überhäufte, und mir großmüthig die Hälfte des weggekaperten Geldes anboth. Ich schlug's aber aus.

Nein, Sennor, sagt' ich, das geschieht nicht. Der erste Beutel ist ganz Ihre; bedienen Sie Sich dessen zu Ihren Bedürfnissen. Ich werde mich bald wieder an den Geldkasten machen, worin dem Himmel sey Dank, gelb' und weisse Batzen in Menge für uns sind. Drey Tage hernach hieß ich wirklich einen zweyten Beutel mit mir gehen, worin sich wie im ersten fünfhundert Thaler befanden. Ich nahm nur den vierten Theil davon an, so inständig mir Gaspar auch anlag, sie brüderlich mit ihm zu theilen.

Sobald dieser junge Mann sich so gut bey Casse, und folglich im Stande sah, seine Neigung zum Spiel und zu den Mädchen zu befriedigen, so überließ er sich selbiger ganz. 266

Zu allem Unglück vergaffte er sich in eine von jenen berüchtigten Buhlschwestern, die das größte Vermögen in Kurzem hinterzuschlingen pflegen; ihretwegen ließ er draufgehen hast Du nicht gesehen; dieß nöthigte mich, dem Geldkasten so häufige Besuche abzustatten, daß der alte Velasquez endlich Unrath merkte.

Scipio, sagte er eines Tages zu mir, ich muß frey von der Leber weg mit Dir reden. Ich habe einen Dieb im Hause, mein Freund, mein Geldkasten ist geöffnet, und viele Säcke mit Geld sind mir daraus entwandt worden. Wem soll ich diesen Diebstahl Schuld geben? oder vielmehr kann ihn wohl jemand anders begangen haben, als mein liederlicher Junge? Gaspar hat sich heimlicher Weise in meine Kammer geschlichen, oder Du hast ihn vielleicht selbst hereinpraktisirt; denn fast komm' ich auf die Gedanken, Du liegst mit ihm unter einer Decke, so übel und böse Ihr auch mit einander zu stallen scheint.

Doch, fuhr er fort, ich will diesem Argwohne noch kein Gehör geben, weil der Pater Alexis mir für Deine Treue gebürgt hat.

Gott Lob, versetzt' ich, mir hat noch nie nach meines Nächsten Geld und Gut gelüstet. Diese Lüge begleitete ich mit einer Tartüffmiene, die mir zur Schutzrede dienen mußte.

Der Alte sagte mir auch in der That hierüber weiter nichts, doch sein Verdacht gegen 267 mich blieb, und er suchte uns ein Que in den Weg zu legen; ließ ein neues Schloß an seinen Kasten machen, und trug den Schlüssel dazu von nun an immer in seiner Tasche. Dadurch war uns der Paß zu den Geldsäcken verrannt, und wir standen da mit der langen Nase.

Gaspar'n war das ein Donnerschlag. Weil er nicht mehr soviel drauf gehen lassen konnte, wie sonst, fürchtete er, seine Nymphe möcht' ihm die Thür weisen. Doch wußte er pfiffig genug Rath zu schaffen, und sich noch einige Zeit durchzuhelfen. Die sinnreiche Erfindung, wodurch er dieß in's Werk richtete, bestand darin, daß er all' das Geld, was von den reichlichen Aderlässen, die ich mit dem Kasten vorgenommen hatte, auf meinen Antheil gekommen war, sich unterm Prätext des Darlehns zueignete. Ich gab es ihm bey Heller und Pfennig; und so denk' ich, hab' ich mich mit dem Alten völlig abgefunden, indem ich seinem Erben vorauszahlte, was doch zuletzt an ihn fallen mußte.

Nachdem der junge Wildfang auch diese Hülfsquelle erschöpft, und keine weitere vorhanden sah, so verfiel er in tiefe, düstre Schwermuth, die allmählig seine Vernunft zerstörte. Er betrachtete seinen Vater als einen Mann, der das Unglück seines Lebens machte, und das stürzte ihn in die wildeste Verzweiflung. Taub gegen die Stimme des Bluts, faßte er den 268 entsetzlichen Vorsatz, ihn zu vergiften. Nicht zufrieden, mir diesen höllischen Anschlag entdeckt zu haben, that er mir den Antrag, das Werkzeug seiner Rache abzugeben.

Mir fuhr's kalt über'n Nacken, als er mir den Vorschlag that. Sennor, sagt' ich, sollten Sie wirklich tief genug gesunken, und so ganz von Gott verlassen seyn, um so einen abscheulichen Entschluß zu fassen? Sollte man in Spanien, im Schooße der Christenheit ein Verbrechen begehen, vor dessen bloßem Gedanken auch die allerbarbarischten Nationen schaudern würden? Nein, lieber Sennor, fuhr ich fort, und kniete vor ihm nieder, Sie werden diese That nicht thun, welche die ganze Welt gegen Sie aufbringen, und die schmähligste Strafe nach sich ziehen würde.

Durch dergleichen Reden sucht' ich Gaspar'n sein so sträfliches Vorhaben aus dem Sinne zu reden. Ich weiß nicht, woher ich all' die biedermännischen Gründe nahm, deren ich mich zur Bekämpfung seiner Verzweiflung bediente, soviel aber ist gewiß, daß ich ihm vorpredigte wie'n Doctor aus Salamanka so'n Guckindiewelt und so sehr ich auch Coscoline'ns Sohn war.

Indeß hatt' ich gut ihm vorzustellen, daß er in sich gehen, und kräftlich jenen satanischen Eingebungen widerstehen sollte, all' meine Beredsamkeit war vergebens. Er ward baumstille, 269 hing den Kopf auf die Brust, und sahe stier mit den Augen.

Ehe wäschest Du einen Mohren weiß, dacht' ich, als daß Du das Rabenkind auf bess're Gedanken bringst: da ist Hopfen und Malz verlohren. Mußt das Ding bey'nem andern Zipfel anfassen, und dem alten Herrn alles beichten. Ich sagte diesem, ich hätte ihm ein Paar Wort ganz insgeheim zu sagen. Er nahm mich in sein Cabinet, und schloß hinter uns ab.

Sennor, sagt' ich, erlauben Sie, daß ich mich zu Ihren Füßen werfen, und Sie um Mitleid anflehen darf. Mit Endigung dieser Worte warf ich mich äußerst gerührt vor ihm nieder, und Thränen schossen über meine Backen. Erstaunt über meine Handlung und meine Aengstlichkeit fragte der Kaufmann, was ich denn begangen habe.

»Einen Fehler, der mich reut, und den ich mir Zeit meines Lebens vorwerfen werde. Ich bin schwach genug gewesen, Ihrem Sohne Gehör zu geben, und Sie bestehlen zu helfen.« Zu gleicher Zeit gestand ich ihm alles, was wir vorgenommen hatten, ganz offenherzig, und legte ihm hierauf von der Unterredung Rechenschaft ab, die ich so eben mit Gaspar'n gehabt. Ich entdeckte ihm den ganzen Plan, ohne den mindesten Umstand wegzulassen.

So eine üble Meinung der alte Velasquez auch von seinem Sohne hatte, so konnt' er 270 dennoch dieser Rede kaum Glauben beymessen. Weil er an der Wahrheit meiner Nachricht zu zweifeln aber keine Ursache hatte, hob er mich auf, (denn ich lag noch immer vor ihm auf den Knieen,) und sagte zu mir: Ich verzeihe Dir, Scipio, Dein Vergehen, wegen der wichtigen Nachricht, die Du mir ertheilt hast.

Gaspar, fuhr er fort, und seine Stimme ward lauter, Gaspar trachtet mir nach dem Leben! Ah! undankbarer Sohn! Ungeheuer, das man lieber in der Geburt hätte ersticken sollen, als leben lassen, um ein Vatermörder zu werden! was für Ursache hast Du, mir nach dem Leben zu stehen? Ich gebe Dir jährlich eine ansehnliche Summe zu deinen Vergnügungen, und doch bist Du nicht zufrieden? Willst nicht eher ruhen, als bis ich Dir die Erlaubniß gegeben habe, Deine Schwester zu Grunde zu richten, und all' mein Hab und Gut durchzubringen!

Nach dieser bittern Apostrophe band er mir ein, reinen Mund zu halten, und befahl mir, ihn allein zu lassen, damit er überlegen könne, was bey einer so kitzlichen Sache zu thun sey.

Mir ging's sehr im Kopfe herum, wie der arme alte Mann sich aus der Patsche helfen würde. Er macht' es so: ließ noch desselbigen Tages Gaspar'n zu sich rufen, und ohne sich im geringsten merken zu lassen, was er im Schilde führte, sagte er zu ihm: 271

Ich habe Briefe aus Merida bekommen, mein Sohn, worin man mir meldet, wenn Du heirathen wolltest, hätte man dort eine gute Partie für Dich; ein bildschönes Mädel, erst funfzehn Jahre alt, und steinreich. Bist Du nun dem heiligen Ehestande nicht abgeneigt, so wollen wir morgen mit dem Frühsten nach Merida, und die vorgeschlagene Partie in hohen Augenschein nehmen. Steht sie Dir an, so kannst Du sie kriegen; wo aber nicht, den Schwamm drüber!

Als Gaspar von einer großen Aussteuer reden hörte, und selbige bey allen vier Zipfeln zu haben glaubte, antwortete er ohne Bedenken: Wir wollen hinreisen. Demnach ritten sie den folgenden Morgen mit grauendem Tage auf zwey tüchtigen Maulthieren von Cordua aus.

Wie sie sich in den Gebirgen von Fesira befanden, und zwar in einer Gegend, welche den Straßenräubern so lieb und werth, als den Reisenden furchtbar war, stieg Balthasar von seinem Thiere ab, und sagte seinem Sohne, er soll' es auch thun. Der junge Mensch gehorchte, fragte aber dabey: weßhalb aber just an diesem Orte?

Das sollst Du sogleich erfahren, gab ihm der Alte zur Antwort, und sah' ihn mit Augen an, worin sich sein Schmerz und sein Zorn mahlte. Wir reisen nicht nach Merida. Die Heirath, von der ich Dir gesagt, war bloß 272 Vorspiegeley, um dich hierher zu locken. Undankbarer und unnatürlicher Sohn! mir ist das Bubenstück nicht unbekannt, mit dem Du gegen mich schwanger gehst. Ich weiß, daß ein durch Deine Sorgfalt bereitetes Gift mein Leben endigen soll; konntest Du Dir aber wohl vorstellen, Wahnsinniger, daß Du auf die Art mich ungestraft würdest umbringen können? Dein Verbrechen würde nur allzubald offenbar werden, und Du müßtest durch des Henkers Hand sterben.

Ich will Dir einen sicherern Weg zu Befriedigung Deiner Raserey zeigen, ohne daß Du Dich einem schimpflichen Tode bloß stellest. Wir sind hier ohne Zeugen, und an einem Orte, wo täglich Mordthaten begangen werden. Da Du so nach meinem Blute lechzest, so stoß mich hier nieder, und der Mord fällt auf die Straßenräuber.

Mit diesen Worten riß Balthasar sich die Brust auf, und sagte zu seinem Sohne, indem er ihm das Herz entblößt zeigte: Hier, hier stoß her Junge, und bestraf mich, daß ich einen solchen Bösewicht gezeugt habe.

Diese Worte trafen wie ein Blitzstrahl den jungen Velasquez. Weit entfernt sich weiß brennen zu wollen, sank er plötzlich ohn' Empfindung zu den Füßen seines Vaters. Als der gute Alte ihn in diesem Zustande sahe, 273 der ihm ein deutliches Zeichen der Reue schien, so konnt' er sein Vatergefühl unmöglich unterdrücken, und sprang ihm auf's eifrigste bey. Kaum aber hatte Gaspar den Gebrauch seiner Sinne wieder, so strengt' er all' seine übrigen Kräfte an, sich aufzurichten, stieg schleunig wieder auf sein Maulthier, und entfernte sich ohn' ein Wort zu sagen. Denn er vermocht es nicht, die Gegenwart eines mit so gutem Fug erzürnten Vaters zu ertragen.

Balthasar ließ ihn ganz ruhig fortjagen, und kehrte nach Cordua zurück. Ein halb Jahr nachher vernahm er, sein Sohn, ein Raub der heftigsten Gewissensbisse, habe sich in's Carthäuserkloster zu Sevilla geworfen, um in selbigem den Rest seiner Tage zu verbüßen. 274

 


 << zurück weiter >>