Alain René Lesage
Gil Blas von Santillana
Alain René Lesage

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Zehntes Kapitel.

Scipio besucht den Gil Blas in seinem Kerker, und bringt viele Neuigkeiten mit.

Unsre Unterredung wurde durch Tordesillas unterbrochen, der in's Zimmer trat, und zu mir sagte: Sennor Gil Blas, ich habe eben einen jungen Menschen vor den Thoren dieses Castells gesprochen. Er fragte mich, ob Sie hier nicht gefangen säßen, und als ich's ihm abschlug, seine Neugier zu befriedigen, sagte er mit thränenden Augen:

Edler Castellan, weisen Sie meine allerunterthänigste Bitte nicht von der Hand, und 87 haben Sie die Güte, mir zu melden, ob sich Sennor de Santillana hier befindet. Ich bin der vertrauteste unter seinen Bedienten, und Sie verrichten ein Werk christlicher Liebe, wenn Sie mich zu ihm lassen. Ganz Segovia preis't Sie als einen Herrn voll Menschlichkeit; ich hoffe daher, daß Sie für mich die Gnade haben werden, und mich mit meinem Herrn sprechen lassen, der mehr unglücklich als strafbar ist.

Kurz, dieser Bursch, fuhr Don Andres fort, äußerte so vielen Drang, mit Ihnen zu reden, daß ich ihm versprochen habe, heute Abend sein Verlangen zu erfüllen. Ich versicherte Tordesillas, er könne mir kein größeres Vergnügen erzeigen, als wenn er diesen jungen Menschen zu mir liesse, weil er mir wahrscheinlicher Weise Sachen zu hinterbringen habe, an deren Wissenschaft mir äußerst viel läge. Ich erwartete mit höchster Ungeduld den Augenblick, da ich meinen treuen Scipio wieder sehen sollte; denn ich zweifelte nicht, daß er es sey, und ich irrte mich nicht.

Man ließ ihn gegen Abend in das Castell, und seine Freude, der nur die meinige glich, äußerte sich, als er mich gewahrte, durch ganz ungewöhnliche Ausbrüche. Ich, meines Orts, fühlte mich bey seinem Anblicke so voller Entzücken, daß ich ihm meine Arme entgegen streckte, und er schloß mich ohne Umstände in die seinigen. Der Rangunterschied zwischen Herr und 88 Secretär schmolz bey dieser Umarmung ganz weg, so froh waren sie, einander wieder zu sehen.

Nachdem wir uns ein wenig erhohlt hatten, fragte ich Scipio, wie es denn in meinem Hause aussähe? Das ist nicht mehr Ihre, gab er mir zur Antwort, und um Sie des vielen Fragens zu überheben, will ich Ihnen mit ein Paar Worten erzählen, was vorgegangen ist. Die Alguazils sowohl, als Ihre eigene Leute, haben Rips raps in Ihrem Sacke gespielt, alles rein weggeputzt. Letztere bildeten sich ein, der Garaus sey Ihnen gemacht worden, und nahmen auf Abschlag ihres Lohns alles weg, was sie nur fortschaffen konnten. Zum Glücke für Sie, hab' ich noch ein Paar große Beutel mit Doppelpistolen, die ich aus Ihrem Geldkasten gar säuberlich herauspractisirt, aus ihren Klauen gerettet, und in völlige Sicherheit gebracht. Salero, dem ich sie in Verwahrung gegeben habe, wird sie Ihnen zustellen, sobald Sie wieder aus dem Castelle sind. Lange werden Sie hier wohl nicht mehr des Königs Kostgänger seyn, weil Sie ohne des Herzogs von Lerma Genehmigung sind hingesetzt worden.

»Ohne des Herzogs von Lerma Genehmigung? Woher weißt Du das, lieber Scipio? Und ist's auch gewiß?«

O, zuverlässig! ich hab's aus sicherer Hand; von einem meiner Freunde, der beym 89 Herzoge von Uzeda Hahn im Korbe ist; der hat mir ganz umständlich erzählt, wie's mit Ihrer Gefangennehmung zugegangen ist.

Als Calderon, sagte er zu mir, durch den Canal seines Bedienten erfahren hatte, daß Sennora Sirena unter anderm Nahmen vom Kronprinzen nächtliche Besuche annähme, und daß der Graf Lemos und Sennor de Santillana die Triebräder dieses Liebeshandels wären, so beschloß er, sich an Ihnen und an seinem Schätzchen zu rächen. Zu dem Ende schlich er zum Herzoge von Uzeda, wie der Marder zum Hühnerstalle. Der Herzog erfreut, eine so schöne Gelegenheit in Händen zu haben, seinen Feind zu stürzen, ermangelte nicht, selbige zu nutzen, unterrichtete den König von diesen Vorfallenheiten, und stellte ihm die Gefahren, denen der Prinz ausgesetzt gewesen sey, auf's lebhafteste vor. Diese Nachricht jagte Seine Majestät dermaßen in Harnisch, daß Selbige die Sirena sogleich in's Zuchthaus bringen liessen, den Grafen Lemos vom Hofe verbannten, und Gil Blas zum ew'gen Gefängnisse verdammten.

Dieß, fuhr Scipio fort, sagte mir mein Freund. Also ist es klar, daß Sie Ihr Unglück dem Herzoge von Uzeda, oder besser zu sagen, Calderon'en, zu danken haben. Hieraus sehen Sie, daß Sie bald wieder auf freyem Fuße seyn werden. Derweile richten 90 Sie sich nach dem Weidspruche unserer lieben Alten:

Duck Dich, und laß vorüber gahn,
Das Wetter will seinen Willen ha'n.

Aus dieser Nachricht schloß ich, daß mit der Zeit meine Sache wohl noch wieder gut werden könnte, daß der Herzog von Lerma, erbittert über die Verbannung seines Neffen, alles anwenden würde, diesen Herrn wieder an den Hof zu bringen, und schmeichelte mir, daß alsdann Se. Exzellenz auch meiner nicht vergessen würden.

Keine größere Beruhigerinn hiernieden, als die Hoffnung! Sie tröstete mich mit Einem Mahle über den Verlust meines Hab' und Guts, und machte mich so fröhlich, als hätt' ich noch so große Ursache gehabt, es zu seyn. Ich sah nunmehr mein Gefängniß nicht mehr als eine Wohnung des Jammers an, worin ich vielleicht meine Tage beschliessen könnte, sondern mir schien es vielmehr ein Mittel, dessen sich das Glück bedienen wollt, mich in irgend einen hohen Posten zu setzen. Denn ich räsonirte so bey mir selbst:

Der Oberstaatsminister hat Don Fernando de Borgia, den Pater Hieronymo von Florenz, und zumahl den Bruder Luis von Aliaga, der die Stelle, 91 die er jetzt bey Ihro Majestät bekleidet, lediglich Sr. Excellenz zu danken hat, auf seiner Seite. Durch Hülfe dieser mächtigen Freunde wird der Minister all seine Feinde zu Staube treten; auch kann vielleicht der Staat eine andere Gestalt bekommen; Seine Majestät sind sehr kränklich. Sobald Selbige nicht mehr seyn werden, beruft der Prinz, sein Sohn, gleich nach dem Antritte seiner Regierung, den Grafen Lemos zurück, der mich sofort aus diesem Kerker ziehen wird, um mich dem neuen Monarchen vorzustellen. Und dieser wird mich mit Wohlthaten überhäufen, um mir das erlittene Ungemach zu vergüten.

Ganz berauscht von der Zukunft empfand ich fast die gegenwärtigen Leiden gar nicht mehr. Ich glaube wohl, daß die zwey Säcke mit Doppelpistolen, die, nach meines Secretärs Versicherung, bey dem Goldschmide in Verwahrung standen, zu der plötzlichen Veränderung, die in mir vorging, eben so viel beygetragen haben, als die ebenerwähnte Hoffnung.

Ich war mit meines Scipio's Diensteifer und Redlichkeit zu vergnügt, als daß ich es ihm nicht äußern sollen; ich both ihm die Hälfte des den Plünderern entrissenen Geldes an, er schlug es aber aus. Ich erwarte von Ihnen ein anderes Merkmahl Ihrer Erkenntlichkeit, versetzte er. Ueber seine Rede eben so 92 erstaunt, als über seine Weigerung, fragt' ich ihn: was ich für ihn thun könnte?

Scipio. Lassen Sie uns beysammen bleiben, Herr, Glück und Unglück mit einander theilen. So viel Liebe, als ich für Sie verspüre, hab' ich noch für keinen meiner Herren gehabt.

Ich. Und ich, mein Kind, kann Dir versichern, Du liebst keinen Undankbaren. Von dem ersten Augenblicke an, da Du mir Deine Dienste anbothest, gefielst Du mir. Wir müssen beyde unter der Wage oder unter den Zwillingen geboren seyn, denn das sind, wie man sagt, die Himmelszeichen, die Seelen mit Seelen vereinigen. Die angetragene Maßcopey nehm' ich mit dem größten Vergnügen an, und um selbiger desto eher geniessen zu können, werd' ich den Castellan bitten, Dich mit mir in den Thurm einzuschliessen.

Scipio. Das soll mir herzlich lieb seyn, das war eben die Gnade, die ich mir von Ihnen auszubitten auf der Zunge hatte, und die Sie mir nur vorweg genommen haben. Bey Ihnen zu seyn, ist mir weit lieber, als Freyheit. Ich werde bloß manchmahl nach Madrid hinhuschen, und sehen, aus welcher Ecke am Hofe der Wind bläs't, und ob die Sonne wieder für Sie scheinen will. Auf die Art haben Sie an mir einen Bothen und einen Spion in einer Person. 93

Diese Vortheile waren zu beträchtlich, um mich selbiger zu berauben. Sonach behielt ich ein so nützliches Geschöpf bey mir; der dienstfertige Castellan, der mir einen so süßen Trost nicht entziehen wollte, bewilligte mir dieß gar leicht.

 


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