Alain René Lesage
Gil Blas von Santillana
Alain René Lesage

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Dreyzehntes Kapitel.

Was sie nach ihrer Ankunft in der Hauptstadt zuerst vornahmen. Wem Gil Blas auf der Straße begegnete, und was sich darauf zutrug.

Als wir zu Madrid angekommen waren, stiegen wir in einem kleinen Gasthofe ab, in welchem Scipio auf seinen Reisen logirt 107 hatte. Das erste was wir thaten, war, daß wir uns zum Salero begaben, um meine Dublonen zurückzunehmen. Er empfing uns auf's beste, und äusserte ungemeine Freude, mich in Freyheit zu sehen.

Ich schwör' es Ihnen zu, fuhr er fort. Ihr Sturz ist mir so nahe gegangen, daß ich mich nicht weiter mit den Hofschranzen bemengen wollte. Hohe Steiger fallen tief! hab' ich an Ihnen gemerkt, und meine Gabriele an einen reichen Kaufmann verheirathet. Recht wohl gemacht! gab ich ihm zur Antwort. Besser unter der Bank mit Ruhe, als oben darauf mit Unruhe! überdieß ist ein Bürger, der Schwiegervater von einem Manne von Stande wird, mit seinem Herrn Eidam nicht immer zufrieden.

Hierauf lenkt' ich das Gespräch auf die Hauptsache: Sennor Gabriel, fuhr ich fort, wollten Sie wohl die Güte haben, und uns die zweytausend Pistolen zustellen, die . . .

Ihr Geld steht immer parat, fiel der Goldschmid ein, und führte uns in sein Cabinet, woselbst er uns zwey Goldsäcke zeigte, an denen ein Papier befestigt war, mit der Aufschrift: Diese Säcke mit Dublonen gehören dem Sennor Gil Blas von Santillana. Hier haben Sie Ihr Geld wieder, so wie ich's bekommen. 108

Ich dankte Salero'n für die mir erwiesene Gefälligkeit, und höchst getröstet über den Verlust seiner Tochter, trugen wir die Säcke in unsern Gasthof, woselbst wir unsre Doppelpistolen nachzählten. Die Summe war richtig bis auf funfzig Stück, die für meine Befreyung verwandt waren. Jetzt dachten wir auf weiter nichts, als auf Anstalten zu unserer Abreise nach Arragonien. Mein Secretär nahm den Einkauf einer Kalesche und eines Paars Maulesel über sich; ich meiner Seits sorgte für Wäsch' und Kleider. Indem ich nun dieserhalb auf den Straßen hin und wieder lief, begegnet' ich dem Baron von Steinbach, dem Officier von der Deutschen Leibwacht, der Don Alphonso'n erzogen hatte.

Ich macht' ihm meine Verbeugung, und der redliche Deutsche, sobald er mich erkannte, kam auf mich zu, und umarmte mich. Ich freue mich höchlich, Ihro Gnaden so wohlauf zu sehen, sagt' ich, und zu gleicher Zeit von Ihnen erfahren zu können, wie's meinem sehr werthen alten Herrn, dem Don Cäsar, und dem Don Alphonso von Leyva geht. Das kann ich Ihnen ganz zuverläßig sagen, gab er mir zur Antwort, denn sie sind jetzt Beyde zu Madrid, ja was noch mehr, logiren in meinem Hause. Es ist beynah' ein Vierteljahr, daß sie hierher kamen, um sich bey dem Könige für die Gnade zu bedanken, womit er die von 109 Alphonso's Ahnen dem Staat erwiesenen Dienste zu vergelten geruhet hat, er ist zum Gouverneur von Valencia ernannt worden, ohne daß er entweder selbst oder durch jemand anders um diesen Posten angehalten hat. Welche huldreiche Gesinnungen! Ein deutlicher Beweis, wie gern unser Monarch Tapferkeit zu belohnen pflegt.

Ob ich gleich besser als Steinbach wußte, was ich hiervon denken sollte, so stellt' ich mich dennoch, als wär' mir dieser Vorfall ganz neu. Ich äusserte eine so lebhafte Ungeduld, meinen alten Herren die Aufwartung zu machen, daß er mich, um selbige zu stillen, augenblicklich zu ihnen hinführte.

Ich war begierig, den Don Alphonso zu proben, und aus seinem Empfange zu schliessen, ob noch einige Funken Zuneigung in seiner Brust gegen mich glimmten. Ich fand ihn mit der Baroninn von Steinbach Schach ziehen. Sobald er mich gewahrte, sprang er von seinem Spiel auf, rannte voller Entzücken auf mich zu, und drückte mich herzlich an seine Brust.

Santillana, sagte er zu mir mit der Miene ungehäuchelter Freude, so hab' ich Euch denn endlich wieder! Das erfreut mich höchlich. An mir lag's nicht, daß wir nicht immer beysammen waren. Ich bath Euch, wofern Ihr Euch's noch erinnert, das Schloß zu Leyva 110 nicht zu verlassen; Ihr achtetet meine Bitte nicht. Gleichwohl hab' ich Euch dieß nicht verdacht, sondern sogar die Bewegursache Eurer Entfernung gebilligt. Doch hättet Ihr seit der Zeit wohl etwas von Euch hören lassen, und mir die Mühe vergeblicher Nachforschungen in Granada ersparen können, wo Ihr Euch, nach meines Schwagers Don Fernando Bericht, aufhalten solltet.

Nach diesem kleinen Vorwurfe, fuhr er fort: Sagt mir doch was Ihr zu Madrid macht? Vermuthlich habt Ihr hier eine Bedienung? Seyd versichert, daß ich an all' dem, was Euch betrifft, mehr Antheil nehme, als je.

Sennor, gab ich ihm zur Antwort, vor vier Monathen bekleidete ich bey Hofe noch einen ziemlich ansehnlichen Posten. Ich hatte die Ehre des Herzogs von Lerma Secretär und Vertrauter zu seyn. Ist es möglich. rief Don Alphonso, mit ausserordentlichem Erstaunen. Ihr besaßt die Gunst dieses Ministers? Ich erhielt sie, und verlor sie, auf folgende Art. Hier erzählt' ich ihm den ganzen Vorgang, und hängte dieser Erzählung meinen festgenommenen Entschluß an, mir für das von meinem ehmahligen Wohlstande übriggebliebene wenige Geld eine Bauerhütte zu kaufen, und daselbst ein stilles, einsames Leben zu führen.

Nachdem mich Don Cäsar's Sohn mit vieler Aufmerksamkeit angehört hatte, hob er an: 111 Du weißt, mein werther Gil Blas, wie sehr ich Dich stets geliebt habe, und Du bist mir jetzt noch theurer als je. Ich muß Dir hiervon einen Beweis geben, da die Vorsicht mich in den Stand gesetzt hat, etwas für Dich tu thun. Du sollst nicht mehr ein Spielball des Glücks seyn; ich will Dich vor seiner Macht sichern, indem ich Dir etwas zum Geschenke mache, das es Dir nicht wird rauben können. Du bist gesonnen, auf dem Lande zu leben, und so geb' ich Dir das Gütchen, das wir bey Lirias, vier Meilen von Valencia, haben. Du kennst es. Wir können dieß Geschenk machen, ohn' daß es uns im mindesten lästig fällt. Ich steh' Dir dafür, mein Vater heißt es gut, und Seraphinen wird's ein wahres Vergnügen seyn.

Ich warf mich dem Don Alphonso zu Füßen, der mich den Augenblick aufhob; küßte ihm die Hand, und gerührter durch sein gutes Herz, als durch sein Geschenk, sagt' ich zu ihm: Sie handeln groß, Sennor! Ihr Geschenk ist mir um so angenehmer, da Sie mir's machen, noch eh' Sie wissen, was ich Ihnen für einen Dienst geleistet habe, und ich will es lieber Ihrem Edelmuth als Ihrer Erkenntlichkeit verdanken.

Mein Gouverneur war über diese Rede ein wenig erstaunt, und ermangelte nicht, mich zu fragen, was denn dieß für ein Dienst sey. Ich erzählte ihm umständlich, wie's damit 112 zusammenhing, und sein Erstaunen verdoppelte sich. Er so wenig als Baron von Steinbach hätten es sich zu Sinne kommen lassen, daß er das Gouvernement von Valencia meinem Fürworte zu verdanken habe. Da er aber nun nicht mehr daran zweifeln konnte, sagte er zu mir:

Weil ich Euch meinen Posten zu verdanken habe, Gil Blas, bin ich nicht gesonnen, es bey dem kleinen Gütchen bey Lirias bewenden zu lassen. Ich bieth' Euch noch überdieß zweytausend Ducaten jährliches Gehalt an.

Halten Sie ein, Sennor Don Alphonso, unterbrach ich ihn. Wecken Sie nicht wieder meinen Geitz auf. Großes Vermögen macht mich nur zum schlechten Kerl; ich habe leider Proben davon. Ihr Landgut Lirias nehm' ich gern an; ich werde daselbst mit meinem sonstigen Vermögen gemächlich leben, recht gut auskommen. Mehr verlang' ich gar nicht, ja ich möchte sogar lieber von meiner Habe alles einbüßen, was man nur Ueberfluß nennen könnte. Reichthümer sind in einem Aufenthalte, wo man nichts als Ruhe sucht, eine lästige Bürde.

Während dieses Gesprächs kam der alte Don Cäsar. Als er mich sah, bezeigte er eben so viele Freude, als sein Sohn, und da er die Verbindlichkeit vernommen, die seine Familie mir hatte, drang er in mich, das Jahrgehalt anzunehmen. Ich schlug es von neuem aus. 113 Sofort nahm Vater und Sohn mich zu einem Notar hin, wo sie die Schenkung aufsetzen liessen, die sie mit größerer Freude unterzeichneten, als wär' es ein Instrument gewesen, das ihnen sehr zum Vortheil gereichte. Wie der Contract gefertigt war, händigten sie mir ihn ein, und sagten: Nunmehr wäre Lirias nicht mehr Ihre, und ich könnt' es in Besitz nehmen, wann ich wollte.

Hierauf kehrten sie wieder zum Baron von Steinbach zurück, und ich flog in meinen Gasthof. Ich setzte meinen Secretär in die freudigste Verwunderung, als ich ihm meldete: wir besäßen im Königreiche Valencia ein Landgut, und ihm die Art und Weise erzählte, wie ich zu selbigem gekommen sey.

Scipio. Wie viel mag's wohl jährlich abwerfen?

Ich. Fünfhundert Ducaten; und ich kann Dir versichern, es ist eine anmuthige Einsiedeley. Ich kenne sie; als Intendant der Herren von Leyva bin ich öfters dort gewesen. Es ist ein kleines Häuschen an dem Ufer des Guadalquivir's, in einem Weiler von fünf oder sechs Feuerstätten, und in einer reitzenden Gegend.

Scipio. Was mir aber noch mehr gefällt, ist, daß wir dort treffliches Wildpret haben, und Benicarlowein und excellenten Muskateller. Kommen Sie, mein Herr, lassen Sie 114 uns über Hals über Kopf die Welt verlassen, und nach unsrer Einsiedeley ziehen.

Ich. Ich sehne mich so sehr dahin, wie Du, doch vorher muß ich nach Asturien. Meine Aeltern befinden sich daselbst nicht in den besten Umständen. Ich will sie abhohlen, und nach Lirias mitnehmen, woselbst sie den Abend ihres Lebens in Ruhe hinbringen sollen. Vielleicht hat mir der Himmel nur darum diese Freystätte beschieden, um sie in selbige aufzunehmen, und er würde mich züchtigen, wenn ich's unterliesse.

Scipio lobte mein Vorhaben sehr. Ja er ermahnte mich sogar, es auszuführen. Lassen Sie uns nicht lange fackeln, sagte er zu mir. Eine Kalesche hab' ich schon, nun wollen wir hurtig Maulthiere kaufen, und dann gleich nach Oviedo kutschieren.

Ja, mein Freund, wir wollen so schnell als möglich abreisen. Ich halt' es für eine unüberhebliche Pflicht, die Annehmlichkeiten meines Aufenthalts mit denen zu theilen, welchen ich mein Daseyn zu danken habe. Bald werden wir in unserm Dörfchen sein; und gleich nach meiner Ankunft will ich über meine Hausthür mit goldnen Lettern diese zwey Lateinischen Verse schreiben lassen:

Inveni portum. Spes & Fortuna valete,
Sat me lusistis; ludite nunc alios.



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