Alain René Lesage
Gil Blas von Santillana
Alain René Lesage

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Drittes Kapitel.

Gil Blas langt endlich zu Lirias an. Beschreibung seines Schlosses von aussen und innen. Wie er aufgenommen wurde.

Wir wandten uns nach Leon, von da nach Valencia, und erreichten am zehnten Tage – denn wir machten nunmehr kleine Tagreisen – die Stadt Segorbia, von wo wir folgendes Morgens nach unserm nur noch drey Meilen abgelegenen Landgute fuhren. Je näher wir selbigem kamen, je aufmerksamer begann mein Secretär zu meinem größten Vergnügen die ihm Rechts und Links in die Augen fallenden Schlösser zu betrachten. Wenn er eins gewahrte, das sehr schön gebauet war, zeigte er mir's, und rief aus: Ich wünschte wohl, daß das der Ort unsrer Bestimmung sey! 146

Ich. Ich weiß nicht, mein Freund, was Du Dir für eine Vorstellung von unsrer künftigen Wohnung machst; bildest Du Dir aber ein prächtiges Haus, einen herrlichen Rittersitz darunter ein, so irrst Du Dich gewaltig. Willst Du Dich nicht von Deiner Einbildungskraft anführen lassen, so stell Dir das kleine Häuschen vor, das Horaz im Lande der Sabiner bey Tibur besaß, und das ihm Mäcen gab. Das Geschenk, das mir Don Alphonso gemacht hat, ist selbigem gleich.

Scipio. Um so schlimmer! ich kann mir also immer Rechnung machen, eine bloße Strohhütte zu sehen.

Ich. Nicht so völlig! Erinnere Dich aber, daß ich es nie sehr herausgestrichen habe; und eben jetzt sollst Du urtheilen, was für ein treuer Mahler ich bin. Wirf Deine Augen nach dem Guadalquivir, und betrachte neben dem Weiler von neun bis zehn Feuerstätten jenes an den Ufern des Flusses liegendes Haus mit den vier kleinen Seitenflügeln, das ist mein Schloß.

Scipio (im Ton des Erstaunens). Was Teufel! das ist ja ein wahres Kleinod, dieß Haus! Seine Seitenflügel geben ihm ein recht edles Ansehen, und überdieß kann man in der That sagen, daß es wohl liegt, wohl gebaut ist, und ringsum anmuthigere Gegenden hat, als selbst Sevilla, die deßhalb das irdische Paradies genannt wird. Hätten wir das 147 Aussuchen gehabt, so hätten wir keinen Aufenthalt wählen können, der mehr nach meinem Behagen gewesen wäre. Wahrhaftig! ein rechter Zaubersitz! Die Wellen des Flusses schlagen an seine Gestade; ein dichtbelaubtes Gebüsch leiht uns seinen Schatten, wenn wir mitten am Tage spazieren wollen. Welche anmuthige Einöde! Mir dünkt's dort so gut seyn, Herr, daß wir wohl auf lange nicht von da wegkommen werden.

Ich. Mich freut's herzlich, daß Du auf den bloßen Anblick so mit unsrer Freystätte zufrieden bist, deren Annehmlichkeiten Du noch nicht alle kennst.

Unter diesen Gesprächen waren wir auf das Haus zugekommen, dessen Thore sich öffneten, sobald Scipio gesagt hatte: Sennor Gil Blas de Santillana wäre da, um von seinem Schlosse Besitz zu nehmen. Kaum hatt' er diesen Nahmen genannt, der denjenigen, die ihn nennen hörten, sehr respectabel war, so ließ man meinen Wagen in einen großen Hof fahren. Ich stieg aus selbigem aus, lehnte mich auf Scipio'n, und brüstete mich ganz langsam in einen Saal hinein; wo ich mich kaum befand, als sieben bis acht Bedienten erschienen.

Sie sagten: Sie kämen, um mir, als ihrem neuen Herrn, ihre Unterthänigkeit zu bezeigen; Don Cäsar und Don Alphonso de Leyva hätten sie für mich gemiethet; den einen als 148 Oberkoch, den andern als Unterkoch, den als Küchenjungen, diesen als Thürsteher, und jene als Lakeyen, mit dem Verbothe, den geringsten Lohn von mir zu nehmen, indem diese beyden Herren alle Kosten meiner Haushaltung zu tragen gesonnen wären.

Der Vornehmste von diesen Bedienten war der Koch, Meister Joachim genannt. Dieser führte denn auch das Wort. Er machte den Zuthulichen, sagte: Er habe einen tüchtigen Vorrath von allerhand trefflichen Weinen angeschafft; und was gut Essen anlangte, so hofft' er, daß ein Mann wie er, der sechs Jahre bey des Erzbischofes von Valencia Hochwürden in Diensten gewesen sey, mir Gerichte würde zuzubereiten wissen, die mir »gar lieblich und glatt sollten zu Gaumen gehen, und nach mehr schmecken.« Belieben Ihro Gnaden indessen nur ein wenig herumzuspazieren, bis das Mittagsessen fertig wird, ein Pröbchen von dem, was ich versteh; nehmen Ihro Gnaden Ihr Schloß in Augenschein; sehen Sie zu, ob Sie alles so in gehörigem Stande finden.

Man kann leicht denken, daß ich diese Beaugenscheinigung nicht unterließ, und Scipio, der darauf noch erpichter war, als ich, schleppte mich von einem Zimmer in's andre. Wir liefen das ganze Haus durch, von oben bis unten aus; unsre eigennützige Neugier ließ – so dachten wir wenigstens – keinen Ort unbesichtigt; 149 und ich hatte allenthalben Gelegenheit, die Gewogenheit zu bewundern, die Don Cäsar und sein Sohn für mich hatten.

Unter andern fielen mir zwey Zimmer sehr auf, die so gut ausmöblirt waren, als sie's, ohn' ins Prächtige zu fallen, nur seyn konnten. In dem einen befand sich eine Niederländische Tapete mit Bett' und Stühlen von Sammt, noch alles im tauglichsten Stande, obwohl zu denen Zeiten gemacht, da die Mauren das Königreich Valencia inne hatten. Die Möbeln des andern Zimmers waren in dem nähmlichen Geschmacke; sie bestanden aus einer Tapete von altem gelben Genueserdamast, sammt einem Bette und Stühlen von dem nähmlichen Stoffe, die mit blauseidnen Fransen besetzt waren. Alle diese Möbeln, die ein Taxator nicht sehr hochgewürdigt haben würde, machten hier immer eine beträchtliche Figur.

Nachdem wir alles genau untersucht hatten, kehrten wir, mein Secretär und ich, nach dem Saale zurück, woselbst wir den Tisch für zwey Personen gedeckt fanden. Wir setzten uns und in dem Augenblicke trug man uns eine so köstliche Ollapodrida auf, daß wir den Erzbischof von Valencia bedauerten, einen solchen Speisekünstler nicht mehr in Diensten zu haben. Zwar ist nicht zu läugnen, wir hatten sehr guten Appetit, und eben deßhalb fanden wir sie so wohlschmeckend. Bey jedem Bissen, den wir aßen, 150 reichten meine nagelneuen Bedienten uns große Gläser, die sie bis oben an den Rand mit auserlesenem Manchaerwein angefüllt hatten.

Scipio'n erfreute dieß höchlich, da er aber vor diesen Leuten sein innerliches Wohlgefallen nicht an den Tag zu legen wagte, äusserte er's gegen mich nur durch redende Blicke, und ich gab ihm durch Mienen zu erkennen, daß ich so zufrieden sey wie er. Eine Schüssel Gebratenes, die aus einem jungen Hasen bestand, der einen gar trefflichen Fümet gab, und dem ein Paar fette Wachteln zur Seite lagen, machte, daß wir den Mengelmuß verließen, und sättigte uns völlig. Nachdem wir als zwey Hungrige gegessen, und in eben dem Verhältnisse getrunken hatten, standen wir auf, um in den Garten zu gehen, und daselbst an einem kühlen und anmuthigen Ort' eine recht wollüstige Sieste zu machen.

So höchst vergnügt auch mein Secretär über das bisher Gesehene geschienen hatte, so dünkt' er mir noch weit froher, als er den Garten sah. Er fand, daß er dem Garten des Escorials gleich kam, und konnte gar nicht satt werden, ihn mit den Augen zu durchstreifen. Don Cäsar, der unterweilen nach Lirias gekommen war, hatte – was gar nicht zu läugnen – am Anbau und an der Verschönerung dieses Gartens sein Vergnügen gefunden. 151

Die Alleen, die insgesammt wohl mit Sand ausgefüllt, und mit Pomeranzbäumen eingefaßt waren, ein großes Wasserbecken von weißem Marmor, in dessen Mitte ein Löwe von Erz Wasser aussprudelte, die Schönheit der Blumen, die Mannigfaltigkeit des Obstes, alles das entzückte Scipio'n; vorzüglich aber bezauberte ihn ein langer schattenreicher Baumgang, der sich ganz sanft bis zur Wohnung des Pachters hinabwand. Indem er einem für die Sonnenhitze so schicklichen Schirmort eine Lobrede hielt, lagerten wir uns in selbigem unter einer Ulme, und es ward dem Schlafe nicht schwer, ein Paar Brüder Lustig zu überraschen, die sich so eben recht gütlich gethan hatten.

Zwey Stunden nachher schreckte uns der Knall dicht neben uns fallender Büchsenschüsse auf. Hastig rafften wir uns empor, und eilten nach des Pachters Wohnung, um die Ursache dieses Getöses zu erfahren. Wir trafen daselbst acht oder zehn Landleute an, alles Bewohner des Fleckens, die sich dort versammelt hatten, und ihre Flinten abbrannten, um meine eben erfahrene Ankunft zu feyern. Die meisten kannten mich, weil sie mich während meiner Intendantschaft mehr denn einmahl auf dem Schlosse gesehen hatten.

Kaum gewahrten sie mich, so riefen sie insgesammt mit lauter Kehle: Vivat unser neuer gnädiger Herr! Tausendmahl willkommen zu Lirias! Hierauf luden sie wieder ihre Büchsen, 152 und beehrten mich mit einer Generalsalve. Ich empfing sie so huldreich als nur möglich, doch immer mit ernster Miene, denn ich fand es nicht für dienlich, mich auf vertrauten Fuß mit ihnen zu setzen; versicherte sie meines Schutzes, und warf ihnen ein zwanzig Stück Pistolen an den Kopf; was sie gar nicht übel zu nehmen schienen. Sodann ließ ich ihnen frey, noch mehr Pulver in den Wind zu zerplatzen, und begab mich mit meinem Secretär in das Gehölz, woselbst wir uns bis in die Nacht aufhielten, ohn' es überdrüßig zu werden, nichts als Bäume zu sehen: so viele Reitze hat der Besitz eines neuerlangten Gutes anfänglich für uns.

Während der Zeit waren die beyden Köche und der Küchenjunge nicht müßig gewesen, und hatten an der Zubereitung eines Mahls gearbeitet, das das vorige noch übertraf. Wir waren in's äusserste Erstaunen gesetzt, als wir beym Hineintreten in den Saal, worin wir zu Mittage gespeist hatten, eine Schüssel mit vier gebratenen Rebhühnern, einen Kaninchenpfeffer, und ein Kapaunenragu auftragen sahen. Sodann wurden als Zwischengerichte Schweinsohren, marinirte junge Hühner, und eine Schokoladen-Creme aufgesetzt. Dazu zechten wir weidlich Luzerner, und allerhand andre Sorten köstlicher Weine.

Als wir glaubten, daß wir durch mehreres Trinken unsre Gesundheit in Gefahr setzen 153 würden, waren wir darauf bedacht, uns niederzulegen. Sogleich leuchteten mich meine Bedienten in das schönste Zimmer hin, woselbst sie insgesammt beschäftigt waren, mich auszukleiden. Nachdem sie mir Schlafrock und Nachtmütze gegeben hatten, schickt' ich sie fort, indem ich mit einem gebieterischen Wesen zu ihnen sagte: Nun könnt Ihr gehen, ich brauch' Euch weiter nicht.

Ich behielt bloß Scipio'n bey mir, mit dem ich noch ein wenig schwatzen wollte. Unser Erstes war, daß wir unsre Zufriedenheit über unsre glückliche Lage einander mittheilten. Wie groß die Ausbrüche der Freude meines Secretärs waren, läßt sich nicht beschreiben.

Nun, mein Freund, sagt' ich zu ihm, wie gefällt Dir diese Aufnahme, die wir den Herren de Leyva zu verdanken haben? »Ganz über die Maßen! wenn das Ding nur lange so fortfährt.« Wo Gott vorsey! Ich darf unmöglich zugeben, daß meine Wohlthäter meinethalben soviel Aufwand machen, das hiesse, ihren Edelmuth mißbrauchen. Zudem so würd' ich nicht mit Leuten zurecht kommen, die nicht in meinem Lohn' und Brote stehen; ich würde immer denken, nicht in meinem Hause zu seyn; überdieß bin ich nicht hiehergekommen, um so viel Geschwirre um mich zu haben. Narrheit! Brauchen wir denn eine so große Menge Domestiken? Mit nichten! An einem Koch, einem 154 Küchenjungen und einem Lakeyen haben wir ausser Bertrand hinlänglich genug.

Obgleich mein Secretär es nicht ungern gesehen, wenn das Leben so auf Kosten des Governadors von Valencia immer fortgedauert hätte, so kämpfte er dennoch gegen meine Delicatesse in dem Stücke nicht an, fügte sich in meine Meinung, und billigte die vorhabende Verabschiedung. Hierauf verließ er mein Zimmer, und begab sich in das seinige.

 


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