Alain René Lesage
Gil Blas von Santillana
Alain René Lesage

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Zehntes Kapitel.

Wie's nach der Hochzeit ging. Scipio beging seine Geschichte.

Den Tag nach der Hochzeit kehrten die Herren de Leyva nach Valencia zurück, nachdem sie mir unzählige Beweise ihrer Freundschaft gegeben hatten; ich aber, mein Secretär, sammt unsern Weibern und Bedienten blieben auf dem Schlosse zurück. 206

Unsre Bemühungen, uns diesen beyden Damen beliebt zu machen, waren nicht vergebens; in Kurzem hing Antonie so glühend an mir als ich an ihr, und Scipio machte die Beatrix all' den Verdruß vergessen, den er ihr verursacht hatte. Beatrix, ein sehr williges, einschmeichelndes Wesen, schlich sich in die Gewogenheit ihrer neuen Gebietherinn schnell ein, und gewann ihr völliges Vertrauen. Kurz, die Seelen von uns vieren waren in dem reinsten Einklang gestimmt, und wir begannen ein neidenswerthes Loos zu genießen. Alle unsre Tage flossen unter den angenehmsten Zeitvertreiben hin. Antonie war sehr ernst, wir aber sehr fröhlich, Beatrix und ich; und wären wir's auch nicht gewesen, so war's hinlänglich, daß sich Scipio bey uns befand, um allen Trübsinn zu verscheuchen. Es war ein unvergleichlicher Gesellschafter, eins von den komischen Geschöpfen, die sich nur zeigen dürfen, um einen ganzen Zirkel aufzumuntern.

Eines Tages fiel es uns ein, nach dem Essen in der angenehmsten Gegend des Waldes unsere Sieste zumachen. Mein Secretär, der bey ungemein guter Laune war, schäkerte durch seine Einfälle uns alle Schlaflust weg. Und nun mach Schicht, Freund! sagt' ich zu ihm. Dir zuhören und einschlafen, wer kann das! Oder willst Du uns ja um den Schlaf 207 bringen, so erzähl' uns eine Geschichte, die unserer vollen Aufmerksamkeit würdig ist.

»Herzlich gern! Soll ich Ihnen die Geschichte des Königs Pelagio erzählen?«

»Deine eigne hört' ich lieber; allein das Vergnügen hast Du mir noch nicht zu machen für gut befunden, so lang' wir beysammen sind, und wirst's auch wohl nie.«

»Wie das? Sie haben ja noch nie das geringste Verlangen geäußert, meine Lebensgeschichte anzuhören, und bloß deßhalb hab' ich sie Ihnen noch nicht erzählt. Folglich nicht meine Schuld, wenn Ihnen meine Abenteuer noch unbekannt geblieben, und sind Sie nur im mindesten begierig, sie zu wissen, so steh' ich damit zu Befehl.«

Antonie, Beatrix und ich nahmen ihn beym Worte, setzten uns rund um ihn, und lauschten mit gierigem Ohre seiner Erzählung entgegen. Gute Wirkung mußte sie nothwendig auf uns thun; denn sie munterte uns entweder auf, oder wiegte uns in einen angenehmen Schlaf.

Wär' es auf mich angekommen, sagte Scipio, so wär' ich der Sohn eines Grands aus der ersten Classe, oder doch zum allerwenigsten eines St. Jago-Ritters; da man sich aber keinen Vater wählen kann, so müssen Sie wissen, der meinige, der Torribio Scipio hieß, 208 war ein ehrsamer Ausreiter der heiligen Hermandad.

Seinem Amte gemäß mußt' er beynahe beständig Heerstraße auf Heerstraße ab patrouilliren, und da stieß er so schlumpsweiseSchlumpsweise. Durch einen glücklichen Zufall; von Schlump, Zufall, ungefährer Glücksfall, den man nicht vermuthet. Ehemahls bey den Hochdeutschen gewöhnlich, jetzt bloß nur im Niedersächsischen. Es verdient wohl in die vertrauliche Sprechart der Erstern aufgenommen zu werden. – A. d. Uebers. zwischen Cuenca und Toledo auf eine junge Zigeunerinn, die er gar nicht uneben fand. Sie war allein, ritt Apostelsrappen, und hatte all' ihr Hopheichen auf ihrem Rücken, in einer Art von Schnappsack. Wohin, mein liebes Püppchen? frug er sie, indem er seinen Matrosenbaß gar dolcissime stimmte. Nach Toledo, Sennor Cavallero, gab sie zur Antwort, wo ich auf eine oder die andere Art mein Stückchen Brot ehrlich und redlich zu verdienen hoffe.

Brav gedacht! liebe Kleine, versetzt' er, vermuthlich hast Du mehr als Eine Sehn' an Deinem Bogen? Ja wohl, antwortete sie, Gott Lob und Dank; ein gescheutes Mäuschen muß mehr als Ein Loch wissen. Ich versteh' allerhand; unter andern auch Pomade 209 und allerhand Oehl' und Salben zu machen, sehr gut für Frauenzimmer zu gebrauchen; sage den Leuten wahr, laß das Sieb umlaufen, um verlorne Sachen herauszubringen, und zeige alles, was man sehen will, im Spiegel oder im Krystall.

Torribio schloß: ein solches Mädchen wäre die vortheilhafteste Partie für einen Mann wie er sey, der zwar recht gut verstand, quid juris, dessen ungeachtet aber schmale Bissen machen mußte, und so trug er sich ihr zum Manne an. Topp! sagte sie, ganz vergnügt, einen Mann in einem solchen Posten zu bekommen. Und so des Handels einig, nahm er sie auf seinen Gaul, und sprengte nach Toledo; hier liessen sie sich copuliren, und die würdige Frucht dieses edlen Paares sehen Sie hier vor Sich.

Sie liessen sich in einer der Vorstädte wohnhaft nieder, und Mama fing an mit Pomaden und Essenzen zu handeln; damit wollt's nicht so recht flecken, deßhalb wurde sie Wahrsagerinn. Und nun regnet' es Realen und Pistolen in ihre Bude. Gute ehrliche Gimpel und liebe Gänschen brachten die Coscolina, so hieß meine Mama, gar bald in Ruf. Kein Tag verging, wo nicht Leute kamen, für die sie ihre schwarze Kunst auskramen mußte. Bald erschien ein armer Schlucker von Neffen, der gern wissen wollte, wann sein Oheim, dessen einziger Erbe er war, sich in die andre Welt trollen würde; bald 210 eine junge Dirne, die zu wissen wünschte, ob der Cavalier, mit dem sie sich verplämpertVerplämpern sich: unbehutsam einem oder einer die Ehe versprechen, und auf deren Conto Vorschüsse geben oder nehmen. Ein guter, niedrigkomischer Ausdruck. – A. d. Uebers., auch Wort halten, und sie nehmen würde.

Was Widriges prophezeyte meine Mutter nie ihren Kunden, müssen Sie zu merken belieben; traf's von ungefähr, war's gut; wo nicht, fiel es ganz anders aus, und man rückte ihr das vor, so antwortete sie ganz kalt: Daran wäre bloß Meister Hämmerling Schuld, so 211 heiß sie ihm auch mit ihren Beschwörungen die Hölle machte, damit er ihr das Zukünftige offenbare, so drehte ihr doch manchmahl der arge alte Schalk eine Nase an.

Anmerkung des Uebersetzers:

Hämmerling. Ein Poltergeist, sagt Sancta Simplicitas, der immer zu klopfen oder sonst herumzutosen pflegt. Im weitern Sinne wird es für den genommen, der alle diese Spuke und Scheuche auszusenden pflegt, für Beelzebub, den Obersten der Teufel.

Gegen diese Erklärung erhebt sich der mehrerwähnte Recensent des Gil Blas in der allgemeinen deutschen Bibliothek folgendermaßen:

»In der Wortforschung, sobald ihn sein Idiotikon verläßt, und er selbst ein Wort mit einwenden will, gibt sich der Uebersetzer eine Blöße über die andere. Hiervon ein auffallendes Beyspiel. Im fünften Theile braucht er das jokose Wort: Meister Hämmerling, wozu eine Note unter den Text kommt, die beweiset, daß er die Bedeutung dieses Wortes nicht verstanden hat. Er braucht es ganz unrichtig. Dieses Wort hat in der Welt nie ein Gespenst« (um Verzeihung, Poltergeist hab' ich gesagt) »oder den Teufel bedeutet. Die Sancta Simplicitas hat vielmehr vollkommen Recht. Hämmerling bedeutet einen, der gern klopft und hämmert, daher braucht Rachel in seiner Satyre: Der Poet, dieses Wort für einen Kleinschmid, der stans pede in uno oder, wie er sich sehr artig sagt, der in einem Hop (Huy oder Nu, das ist aus dem Stegreif) ja zwischen Feuer und Knallen hat einen Vers gemacht, und fügt hinzu:

O Meister Hämmerling, leg ab die Leimenstangen,
Geschwindigkeit taugt nicht, als Flöhe nur zu fangen.

Frisch schreibt dieß Wort Hämmerlein und legt ihm unter mehrern Bedeutungen auch die eines Pritschmeisters oder Pickelhärings bey. In Sachsen und Thüringen hat sich dieses Wort als Provinzialausdruck noch erhalten und bedeutet da scherzend den Scharfrichter, weil dieser bey dem sehr gewöhnlichen ersten Grade der Tortur mit dem Hammer auf die Daumstöcke zu schlagen, und so aus den Inquisiten das Bekenntniß herauszuhämmern pflegt. Für den Teufel und ein Gespenst hat es aber Niemand gebraucht als der Verfasser.«

Den Lesern der Bibliotheck, die entweder keine Wörterbücher zur Hand haben, oder die zu bequem sind, in denselben nachzuschlagen, streut der Recensent durch eine Reticenz Staub in die Augen. Im Frisch bey dem Worte Hämmerlein steht: »Meister Hämmerlein in Comödienspielen mit Puppen, der Pickelhering. It. ein Poltergeist, der immer zu klopfen pflegt, oder anderes Getöse macht.« Eine fernere Bedeutung hat er nicht, trotz der Versicherung des Recensenten. Stieler oder der Spate sagt S. 759 seines Teutschen Sprachschatzes: Meister Hämmerling sumitur pro diabolo. Der genau prüfende Lessing in seinen Beyträgen zu einem Teutschen Glossarium (s. desselben Leben Th. III. S. 155) schreibt: »Meister Hämmerling ist ein Beynahme des bösen Geistes;« und citirt als Gewährsmann Barthel. Scheräus geistliche, weltliche und häusliche Sprachenschule. In Franken, das denn doch wohl in der Welt liegt, hat also wenigstens zu Stieler's und Scheräus's Zeiten Hämmerling der Teufel geheißen. Unter Hammer verstehen, nach dem Bremischen Wörterbuche, die Niedersachsen noch jetzt den Teufel. Höchst wahrscheinlich ist dieß von Hammer, das in demselben Dialecte einen höchst durchtriebenen Menschen bedeutet, herzuleiten und spielt zugleich auf die Bedeutung eines Pickelherings an. Sonach würde man Meister Hämmerling als den erzschlauen, höllischen Gaukler erklären können. Meine Autoritäten, die, um dem Herrn Recensenten theils seine seichte Sprachkunde, theils sein unredliches Verfahren aufzudecken, ich hier nothwendig aufzählen mußte, schließ' ich mit Adelung, den der Söldling der allgemeinen deutschen Bibliothek um seine falsche Behauptung durchzusetzen ebenfalls mit Stillschweigen übergeht. Ersterer läßt sich über Hämmerling unter andern so aus: »An manchen Orten führt der vorgegebene Berggeist oder Kobold, ingleichen jeder Poltergeist, den Nahmen: Meister Hämmerling, weil er sich durch Hämmern oder Klopfen zu verrathen pflegt.« Gegen Gewährsmänner, wie die eben angeführten, wird hoffentlich der angeblich-tiefe Sprachforscher von Recensenten keine Einwendungen zu machen haben.

Daß Hämmerling auch einen Scharfrichter bedeutet, werd' ich, zumahl, da Adelung und Hr. Heinaz dieß bezeugen, nicht in Abrede seyn; auch ist die Erklärung, die der Recensent davon gibt, recht gut, und sogar richtiger, wie die vom Herrn Professor Heinaz in seinem Antibarbarus; übrigens glaub' ich, daß diese Bedeutung, da sie weder im Stieler noch Frisch steht, sehr neuern Ursprungs ist. Was ich aber nie einräumen kann, ist, daß dieß Wort einen hämmernden Professonisten bezeichnet habe. Hier gilt sich der Herr Recensent offenbar die starke Blöße, die er bey mir entdeckt haben will. Man beliebe die Rachelschen Verse einmahl im Zusammenhange anzusehen:

Ein Schriftling, der kein Buch, als Teutsch, hat durchgesehen,
Will endlich ein Poet und für gelehrt bestehen.
Es thut ihm eben sanft, wenn solche Titel fallen.
Warum nicht? Der im Hoy, ja zwischen Feu'r und Knallen,
Hat einen Vers gemacht? In zweyer Tage Zeit
Hat er ein ganzes Buch fünf Finger dick bereit.
O Meister Hämmerling, leg ab die Leimenstangen,
Geschwindigkeit taugt nicht, als Flöhe nur zu fangen.

Die Rede ist in dieser Stelle ganz ersichtlich von einem Scribler, (Schriftling) der einmahl in einem so äusserst kurzen Zwischenraum, als sich zwischen dem Feuer und Knall eines Schießgewehrs befindet, ein Impromptü herausgestoßen hatte, das er für sehr gelungen hielt; und der seit der Zeit das Publicum mit Versen überschwemmte. Diesen Wicht nun nennt Rachel Meister Hämmerling, welches so viel als Pritschmeister sagen will; ein Ausdruck, dessen sich die ältern Dichter häufig bedienten, um einen jämmerlichen Geck von Gelegenheitspoeten zu bezeichnen. Die Leimenstange, die höchst wahrscheinlich für Latte steht, und theils an die bekannte sprüchwörtliche Redensart, theils an das Pritschholz erinnern soll, bestättigt dieß. An einen Kleinschmid (der Niedersächsische Ausdruck für Schlösser) hat mithin der alte wackere Satyriker so wenig gedacht, als an einen Hufschmid. Wiewohl ich nicht dafür stehe, daß ihm letzterer, wenn ein Kunstrichter solches Schlages, wie mein Beurtheiler ist, ihm aufgestoßen wäre, nicht in der Bedeutung beygefallen seyn könnte, die laut Lessings Versicherung (s. dessen Leben Th. III. S. 213.) dieses Wort figürlich hat.

Wenn Mama glaubte, die Ehre ihres Metjes erfordre es, daß Meister Satanas in eigner hoher Person sichtbarlich erschiene, 213 sein Wesen triebe, so nahm Sennor Torribio Scipio diese Rolle auf sich. Er spielte sie meisterhaft; seine rauhe Kehle und sein 214 häßlich Gesicht kamen ihm dabey sehr gut zu Statten. Wer nur ein bißchen leichtgläubig war, wurde durch meines Herrn Papa's Figur gar jämmerlich in's Bockshorn gejagt. 215

Eines Tages führte aber das Unglück einen Hauptmann Haudegen zu uns, der den Schwarzen zu sehen verlangte. Kaum aber sah er ihn, so jagt' er ihm das kalte Eisen durch'n 216 Leib. Das heilige Amt erfuhr, daß Ausreiter Beelzebub capponirt sey, und schickte sogleich seine Helfershelfer zu Coscolina'n, deren sie sich sowohl, als all' ihrer Siebensachen bemächtigten; mich, der ich damahls erst sieben Jahr alt war, that man in das Hospedale de los NinosWaisenhaus..

In diesem Hause waren gar barmherzige Samariter von Geistlichen, die wohlbezahlt für die Erziehung armer Waisen sich die Mühe nahmen sie lesen und schreiben zu lehren. Weil sie glaubten, daß etwas in mir stecke, so zogen sie mich aus dem Troß hervor, und wählten mich, ihre Aufträge zu besorgen. Sie schickten mich mit Briefen in die Stadt; ich mußte alles für sie belaufen, und bey der Messe ministriren. Zur Erkenntlichkeit wollten sie mir Latein beybringen; sie fingen aber das Ding so links und plump an, und hielten mich dabey so barsch, ungeachtet der kleinen Dienste, die ich ihnen leistete, daß ich's nicht länger auszuhalten vermochte. Daher lief ich eines Morgens, wie ich eine Commission ausrichten sollte, davon, und zog durch die Seviller Vorstadt grad' aus Toledo.

Ob ich gleich damahls noch nicht volle neun Jahr alt war, so fühlt' ich dennoch, was das für eine Wonne ist, sein eigner Herr zu seyn. 217 Ich hatte nicht Geld, nicht Brot; mir war's ganz einerley; durft' ich nun doch nicht mehr Vocalen mir in den Brägen bläuen, und bey Extemporalen schwitzen.

Nachdem ich zwey Stunden in einem Striche fortgelaufen war, versagten mir meine kleinen Beine den Dienst. So einen starken Marsch hatt' ich noch mein Lebstage nicht gethan; mithin mußt' ich Halt machen, um, etwas auszurasten. Ich setzte mich an einen Baum auf der Landstraße hin; zog zum Zeitvertreib meinen Donat heraus, durchlief ihn schäkernd; da mir nun dabey all' die Händeschmitze und Ruthenstriche einfielen, die er mir gekostet hatte, riß ich die Blätter heraus, und in Stücken, und sagte ganz aufgebracht: Du Blitzschmöcker sollst wir keine rothe Augen mehr machen!

Indeß ich so mein Müthchen kühlte, und die Erde rings um mich 'rum mit Declinationen und Conjugationen besäete, kam ein graubärtiger, wohlbebrillter und gar ehrwürdiger Einsiedler des Weges einhergestapeltEinherstapeln, in der vertraulichen Sprechart: »mit langen hoch aufgehobenen Beinen langsam daher schreiten.« – D. Uebers.. Er trat näher auf mich zu, und faßte mich scharf in sein beglastes Auge; ich ihn wieder in meine natürlichen Gucker an. 218

Mich dünkt, mein lieber Kleiner, sagte er zu mir, wir sehen einander mit ziemlichem Wohlgefallen an; das beste wär' also wohl, wir gesellten uns zu einander. Meine Einsiedeley ist nicht weit von hier; zweyhundert Schritte nur. Das laß ich wohl bleiben! Mag kein Einsiedler werden, schnautzt' ich ihn an. Ueber diese Antwort lachte der Alte gar herzlich, küßte mich und sagte zu mir: Vor meinem Rocke darfst Du Dich nicht fürchten, mein Sohn; hübsch ist er zwar nicht, aber einträglich; er macht mich zum Herrn eines angenehmen Aufenthalts, und der umliegenden Dörfer, deren Einwohner mich lieben, oder vielmehr abgöttisch verehren. Komm mit mir, und fürchte Dich nicht. Ich will Dir ein Jäckchen machen wie mein's hier. Gefällt Dir's in meiner Wohnung, so sollst Du es eben so gut und gemächlich haben, wie ich; steht Dir's aber nicht an, so will ich Dich nicht nur in Frieden von mir ziehen lassen, sondern Du sollst sogar, das versprech ich Dir, eine gute Zehrung mit auf den Weg bekommen.

Ich ließ mich beschwatzen, und zottelte neben dem alten Eremiten her, der unterwegs vielerley Fragen an mich that, die ich ihm mit einer Treuherzigkeit beantwortete, welche in der Folge von mir gewichen ist. Wie wir in der Einsiedeley angekommen waren, setzte er mir allerhand Obst vor, dem ich tapfer zusprach, denn ich hatte den ganzen Tag noch nichts gegessen, 219 als zum Frühstück einen Bissen harten Brotes im Waisenhause. Da der Einsiedler sah, wie wacker ich einhieb, sagte er zu mir: Nur immer frisch darauf los! Kind! Putze das Obst mit Stumpf und Stiel weg. Ich habe mehr, und Dich nicht mitgenommen, um Dich verhungern zu lassen.

Ein sehr wahres Wort, denn eine Stunde nach unsrer Ankunft machte er Feuer an; und steckte eine Schöpfkeule an den Spieß; und derweil' ich den Braten wendete, setzte er ein Tischchen hin, spreitete ein ziemlich schmutziges Tellertuch darüber, und legte Gabel, Messer und übriges Zubehör für uns hin.

Als der Braten gar war, zog er ihn vom Spieß ab, und schnitt' davon etliche tüchtige Stücke zu unserm Abendbrot herunter, das man in der That keine Mausemahlzeit nennen konnte, denn wir tranken gar herrlichen Wein, womit er gleichfalls reichlich versorgt war.

Nu, mein Herzchen, sagte er zu mir, als wir vom Tisch aufgestanden waren, wie hat Dir's geschmeckt? So gut wie in Deinem Waisenhause? Siehst Du, so sollst Du's immer haben, wenn Du bey mir bleibst. Uebrigens, fuhr er fort, magst Du in dieser Einsiedeley vornehmen, was Du willst. Das Einzige, was ich von Dir verlange, ist Begleitung, wenn ich in die benachbarten Dörfer auf's Allmosensammeln ausgehe. Du sollst alsdann ein kleines Eselchen 220 mir nachführen, worauf ich zwey Körbe gepackt habe, welche die mitleidigen Bauern gemeiniglich mit Eyern, Brot, Fleisch und Fischen anfüllen. Weiter verlang' ich von Dir nichts; und das, dächt' ich, wär' eben nicht zuviel. O! ich will herzlich gern alles thun, was Ihr haben wollt, nur mit dem Lateinischen laßt mich ungehudelt. Bruder Chrysostomo, so hieß dieser Einsiedler, konnte sich über diesen Einfall nicht des Lachens erwehren, und versicherte, mich nicht zu zwingen, wozu ich nicht Lust hätte.

Den folgenden Tag gingen wir zusammen auf's Almoseneinsammeln aus; ich mit dem Esel am Halfter. Wir hatten eine ungemein reiche Ernte; jeder Bauer machte sich ein Vergnügen daraus, etwas in unsre Körbe zu stecken; der eine ein ganzes Brot, der andre ein großes Stück Speck; dieser eine gefüllte Gans, jener ein Rebhuhn. Summa Summarum, wir brachten soviel Victualien nach Hause, daß wir länger als acht Tage davon leben konnten. Ein deutlicher Beweis von der Lieb' und Achtung, die die Bauern für den alten Eremiten hegten.

Der Wahrheit zur Steuer gesagt, war der Alte ein Mann, der ihnen aus manchen Nöthen Leibes und der Seele half; wer Rath verlangte, dem gab er welchen; wo der Hausfriede gestört war, stellt' er ihn wieder her, und die Dirnen, die ihm ihres ledigen Standes überdrüssig schienen, bracht' er an Mann. Wußte 221 er ein Paar reiche Bauern in Zwist, so ging er zu ihnen, und redete ihnen so in's Gewissen, daß sie sich aussöhnten; überdieß hatte er Hülfsmittel für tausenderley Krankheiten, und den kinderlustigen Weibern lehrte er Gebethe.

Aus dem, was ich Ihnen gesagt habe, sehen Sie wohl, daß ich in meiner Einsiedeley recht gut beköstigt wurde. War mein Lager anlangte, so war's nicht schlechter. Eine Schütte frisches Stroh, ein Kopfkissen von grobem Tuch, und eine Oberdecke von eben dem Zeuge, machten selbiges aus; und so schlief ich die Nacht, daß ein Auge das andre nicht sah.

Bruder Chrysostomo hatte mir ein Eremitenhabit versprochen, und er hielt Wort; er schneiderte aus einem seiner alten Röcke eins zusammen, und nannte mich sodann den kleinen Bruder Scipio. Kaum ließ ich mich in diesem Ordenskleide in den Dörfern sehen, so fand man den kleinen Bruder so niedlich, daß man mein Eselchen noch einmahl so stark belud als sonst; daß jeder der Meistgebende seyn wollte, soviel Behagen fand man in dem Aufzuge an mir.

Einem Burschen von meinem Alter mußte ein solch Lotter- und Schlaraffen-Leben nothwendig gefallen. Auch fand ich daran so viel Behagen, daß ich's immerfort würde so getrieben haben, hätten nicht die Parzen ganz andre Tage in das Gespinst meines Lebens hineingesponnen; allein das unhintertreibliche Schicksal riß mich 222 aus den Armen der Weichlichkeit und des Wohllebens, und brachte mich von Bruder Chrysostomo'n; auf was Art, sollen Sie sogleich hören.

Ich sah den Alten mit seinem Kopfküssen gar oft beschäftigt; das war ein ewiges Auftrennen und Zunehen; eines Tages merkt' ich, daß er Geld hineinsteckte. Aus diese Bemerkung folgte eine Anwandlung von Neugier, die ich zu befriedigen mir fest vornahm, sobald er wieder nach Toledo wandern würde, wohin er wöchentlich einmahl ganz allein zu gehen pflegte. Ich erwartete den Tag mit der größten Ungeduld, obwohl ich vor der Hand noch keine andere Absicht hatte, als meiner Neugier ein Gnüge zu leisten. Endlich trollte sich der gute Alte, und sogleich trennt' ich sein Kopfküssen auf, woselbst ich unter der Wolle, womit es ausgestopft war, ungefähr funfzig Thaler in allerhand Münzsorten fand.

Vermuthlich schrieb sich dieser Schatz von der Erkenntlichkeit der Bauern her, die der Einsiedler mit seinen Hausmitteln curirt, und der Bäurinnen, denen er durch seine Kraftgebethe Kinder verschafft hatte. Wie dem auch sey, ich sahe kaum, daß dieß Geld war, das ich mir ungestraft zueignen konnte, als sich mein Zigeunernaturell offenbarte. Mir kam die Lust an zu stehlen; welches nichts anderm, als der Stärke des Bluts zuzuschreiben war, das in 223 meinen Adern rann. Ich widerstand der Versuchung nicht, steckte das Geld in einen grobtuchnen Beutel, der unser Kamm- und Nachtmützen-Futteral war, warf meinen Eremitenhabit von mir, zog meine Waisenknabenjacke an, und so macht' ich mich aus dem Staube, des Wahns, in meinem Sack alle Reichthümer Indien's davonzutragen.

Sie haben mein Probestück nun gehört, fuhr Scipio fort, und ich zweifle nicht, daß Sie nicht noch mehr Stückchen ähnlichen Schlages erwarten. Diese Erwartung wird Sie nicht täuschen; ich habe Ihnen noch manche dergleichen Heldenthat zu erzählen, bevor ich zu meinen Biedermannsthaten komme. Doch komm' ich zu selbigen, und Sie werden aus meiner Erzählung sehen, daß das Sprichwort nicht so Unrecht hat: Klatrige Füllen geben die besten Pferde.

So sehr Kind ich auch noch war, macht' ich doch nicht den albernen Streich und marschirte wieder nach Toledo. Da wär' ich dem Wolfe, dem Bruder Chrysostomo, vielleicht grad' in den Rachen gerannt, dem ich seinen Mammon würde haben ausspeyen müssen, und der mir ein gar artiges Willkommen würde gegeben haben.

Ich schlug also einen andern Weg ein, der mich nach dem Dorfe Galves brachte, und stand vor einer Schenke still, deren Wirthinn 224 eine Witwe von vierzig Jahren war, und alle Eigenschaften hatte, die auf einen grünen Zweig zu kommen erforderlich sind. Kaum hatte diese Frau einen Blick auf mich geworfen, als sie aus meinem Anzuge schloß, ich müsse ein aus dem Waisenhause entlaufner Bursche seyn, und mich fragte, von wannen ich käme, und wohin ich wollte.

Ich hätte Vater und Mutter verloren, gab ich zur Antwort, und möchte gern bey Leuten dienen. Kannst Du lesen Kind? sagte sie. Ja wohl, versetzt' ich, und auch schreiben, und das recht schön. Ich kratzte in der That was auf's Papier hin, das einer Menschenhand so ziemlich glich, und das war zum Behuf eines Dorfwirthshauses lange gut. So kannst Du bey mir bleiben, erwiederte die Wirthinn. Du sollst nicht das fünfte Rad am Wagen seyn, sollst mir all' meine Ausgab' und Einnahme aufschreiben. Lohn, setzte sie hinzu, kriegst Du aber nicht, denn es sprechen viel brave Leute bey mir ein, die mein Gesinde nicht vergessen. Da wirst Du 'nen recht guten Schnitt machen.

Ich nahm das Anerbiethen an, mit Vorbehalt des Rechts, können Sie leicht denken, meinen Stab weiter zu setzen, sobald mir's nicht länger zu Galves anstände. Kaum war ich wohlbestallter Dorfschenkenbuchhalter, so ward mir auf einmahl entsetzlich angst und bange, und je mehr ich darüber spintisirte, desto mehr 225 Ursach glaubt' ich dazu zu haben. Daß ich Gelde hatte, sollte niemand wissen, und ich war in lauter Höllenangst, daß ich nicht wußte, wohin mit meinen Batzen, daß keine ungewaschne Hände drüber kommen. Ich war mit der Gelegenheit des Hauses zu wenig bekannt, wo der sicherste Versteckort wäre. Was der Reichthum doch plagen kann! Ich war in beständiger Angst; endlich entschloß ich mich, meinen Geldbeutel auf dem Kornboden in einen Winkel zu verbergen, wo Stroh lag; und da ich ihn hier sichrer, als an einem andern Orte glaubte, beruhigt' ich mich so viel als möglich.

Ausser mir hatte die Wirthinn noch zwey Leute in Diensten; einen dicken Stallbuben und eine junge Gallizierinn. Jeder von uns zog von den Passagieren, die hier einkehrten, so viel er nur konnte. Wenn ich diesen Herren die Rechnung brachte, erhascht' ich immer etliche Stücke Münzen; auch kriegte der Stallknecht für die Futterung und Pflege ihrer Thiere etwas; was aber die Gallizierinn anlangte, welche der Abgott aller durchkommenden Maulthiertreiber war, so verdiente die mehr Reale, als wir Maravedis. Sobald ich nun einen Batzen erschnapt hatte, wipst' ich auf den Boden, und vergrößerte damit meinen Schatz. Je mehr ich selbigen wachsen sah, je mehr fühlt' ich, hing sich mein kleines Herz an selbigen. Ich küßte meine Barschaft unterweilen, und überschaute 226 und durchwühlte sie mit einem Entzücken, das sich der Geizhals nur denken kann.

Die Liebe zu meinem Mammon nöthigte mich wohl dreyßigmahl des Tages heraufzulaufen, und ihn zu besehen. Ich begegnete oft der Wirthinn auf der Treppe. Erzmißtrauisch von Natur, wandelte ihr eines Tages die Neugier an, zu wissen, was mich denn all' Augenblicke nach dem Boden hinaufzöge. Sie ging herauf, und stöberte allenthalben herum, der Meinung: ich müsse da vielleicht einen Winkel haben, wo ich Sachen versteckte, die ich ihr weggenommen hätte. Sie vergaß nicht das Stroh umzurühren, unter welchem mein Sack lag, und fand ihn. Sie machte ihn auf, und als sie darin Pistolen und Realen erblickte, glaubte sie, oder stellte sich wenigstens zu glauben, ich habe ihr dieß Geld gemaust. Sie eignete sich's in gutem Gottes Nahmen zu, hunzte mich hernach kurz und lang aus, nannte mich einen Erzholunken, eine kleine Spitzbubenkröte: und befahl ihrem treuen HandpferdeHandpferd nennen metaphorisch die Niedersachsen einen Menschen, den man stets zu seinen Diensten bereit hat. Dieser Ausdruck bezeichnet also vollkommen, was die Franzosen ame damné zu nennen pflegen. Weßhalb sollten wir denselben nun nicht für die komische Schreibart uns zueignen? – A. d. Uebers., dem Stallknechte, mir 227 so'n Funfzig aus Pfeffer und Salz aufzuzählen. Nachdem sie mich so tüchtig hatte durchgärben lassen, jagte sie mich aus dem Hause, und sagte: Spitzbuben litte sie in ihren vier Pfälen nicht. Ich mochte betheuern so hoch und so oft ich wollte, ich habe ihr nichts gestohlen, so half's nichts; man glaubte ihr mehr als mir, und so kam des Bruder Chrysostomo Schatz aus den Händen eines Diebes in die Hände einer Diebinn.

Ich beweinte den Verlust meines Geldes so sehr, als ein Vater den Verlust seines einzigen Sohnes, und erhielt' ich gleich durch meine Thränen nicht das wieder, was ich verloren hatte, so ward mir wenigstens das Mitleid einiger Personen zu Theile, die sie fliessen sahen, und unter andern auch des Pfarrers zu Galves, der von Ungefähr vorbey kam. Meine Betrübniß, und traurige Lage schien ihn zu jammern, und er nahm mich mit in seine Pfarre.

Um mein Vertrauen zu gewinnen, oder vielmehr um mich recht auszuhohlen, fing er an mich zu beklagen. Das arme Kind! rief er mit ungemein mitleidiger Miene. Jammer und Schade, daß es Niemand hat, der für selbiges sorgt. Kein Wunder, wenn es in einem so zarten Alter sich selbst überlassen, zu einer schlechten That geschritten ist! Müssen doch selbst Erwachsene gar sehr dagegen auf ihrer Hut stehen. Hierauf wandt' er sich zu mir: Wo bist Du denn her, mein Sohn? Wer sind Deine Aeltern? Du 228 scheinst ein Kind von Familie zu seyn. Sprich ganz offenherzig mit mir, und zähle darauf, daß ich Dich nicht verlassen werde.

Durch diesen politisch-liebreichen Schnak schnakte mir der Pfarrer nach und nach meine ganze Historie heraus. Ich erzählte ihm alles ganz treuherzig. Hierauf sagte er zu mir: Liebes Kind, ob es sich gleich für Einsiedler nicht ziemt, Schätze zu sammeln, so wird dadurch Dein Fehler doch nicht geringer. Indem Du den Bruder Chrysostomo bestahlst, handeltest Du allemahl gegen das siebente Geboth, das uns das Stehlen verbeut; doch kannst Du Dich hierüber zufrieden geben, denn ich will die Wirthinn so weit bringen, daß sie das Geld wieder herausgibt, und es soll dem Bruder in seiner Einsiedeley eingehändigt werden. Nun kannst Du also dieserhalb ein ruhiges Gewissen haben. Diese Rückgabe, muß ich gestehen, war mein geringster Kummer. Allein der Pfarrer, der hierunter seine Absichten hatte, ließ es dabey nicht bewenden.

Kind, fuhr er fort, ich will für Dich sorgen, und Dir einen guten Dienst verschaffen. Morgen des Tages will ich Dich durch einen Maulthiertreiber nach Toledo, zu meinem Vetter schicken, einem Canonicus am dasigen Dome. Er wird mir gewiß meine freundvetterliche Bitte nicht abschlagen, und Dich unter 229 seine Leute aufnehmen. Die stehen sich bey ihm all' wie die BeneficiatenBeneficiat, Geistlicher, der bereits eine Präbende hat., die von ihren fetten Pfründen recht in dulci jubilo leben. Du wirst da den Himmel schon auf Erden haben, das versichr' ich Dich.

Diese Versicherung tröstete mich dermaßen, daß ich Geldbeutel und Prügel darüber gänzlich vergaß; an nichts weiter dachte, als an das stattliche Beneficiatenleben, das ich nun führen würde. Den folgenden Tag, eben wie man mir zu frühstücken gab, kam, auf des Pfarrers Betrieb, ein Maulthiertreiber mit zwey gesattelten und gezäumten Mauleseln. Man half mir auf den einen hinauf, der Maulthiertreiber sprang auf den andern, und so ging's nach Toledo zu.

Mein Reisegefährte war ein aufgeweckter Bursch, der die Leute gern zum Besten hatte. Lieber junger Herr, sagte er, am Herrn Pfarrer zu Galves haben Sie 'nen rechten guten Freund, das muß einmahl wahr seyn. Das, was er für Sie gethan hat, ist ein deutlicher Beweis, wie herzlich gut er's mit Ihnen meint. Sonst brächt er Sie fürwahr nicht bey seinem Vetter, dem Canonicus an, den ich die Ehre habe zu kennen. Das ist Ihnen noch 'n Herr! Wahr und wahrhaftig! die Krone des ganzen 230 Kapitels! Kein so abgekasteytes O Jemine'santlitz! Ein apfelrund Gesicht! Backen wie gemahlt! Glaue Augen! Ein rechter Bruder Lustig! kein Feind nicht vom Mitmachen. In dessen Hause werden Sie's so gut haben, wie die Maus im Käsekorbe.

Als der verdammte Hund, der Maulthiertreiber, merkte, daß ich ihm mit grossem Vergnügen zuhörte, strich er das glückliche Leben noch immer heraus, das ich beym Canonicus haben würde; schwatzte mir noch immer davon vor, bis daß wir im Dorfe Obisa ankamen, wo wir anhielten, um unsre Maulthiere ausruhen zu lassen. Hier erfuhr ich zu meinem größten Glück, daß man mich anführen wollte. Ich machte diese Entdeckung auf folgende Art. Der Maulthiertreiber ließ beym öftern Heraus- und Herein-Gehen ein Papier aus der Tasche fallen, das ich unvermerkt aufzuheben die Geschicklichkeit hatte; derweil er im Stalle war, las ich es. Es war ein Brief an die Präceptoren des Waisenhauses, und folgenden Inhalts:

»Ich glaube, meine Herren, die christliche Liebe erfordert es, Ihnen einen losen Buben wiederum zu treuen Händen zu überliefern, der aus dem Orphanotropheo entwischt ist. Er scheint mir Kopf zu haben, und es zu verdienen, daß Sie die Güte für ihn haben, ihn eng einzusperren. Ich zweifle nicht, daß 231 Sie durch häufige, scharfe Züchtigungen ihn zu einem wackern Burschen machen werden. Ich empfehle Ew. H. u. W. E. der Obhut des Höchsten

Dero                
Gebeth- und Dienstschuldigster,
Der Pfarrherr zu Galves.    

Kaum hatt' ich durch diesen Brief des Pfarrers gütige Absichten entdeckt, so war auch schon mein Entschluß gefaßt: aus dem Wirthshause rennen, und das Ufer des Tajo erreichen, das weiter als eine halbe Meile davon lag, war das Werk eines Augenblicks. Die Furcht, den Waisenhauspräceptoren wieder in die Hände zu fallen, lieh mir Flügel; ich wollte platterdings nicht wieder zu ihnen, so sehr zuwider war mir ihre Art Latein zu lehren.

Ich ging so wohlgemuth in Toledo hinein, als wüßt' ich bereits wo Essen und Trinken hernehmen. Zwar ist Toledo ein recht gesegneter Ort, in dem ein gescheidter Kopf, der auf andrer Leute Unkosten zu leben sich genöthigt sieht, nicht verhungern wird. Ich war aber noch zu jung, um mir darauf Rechnung machen zu dürfen. Demungeachtet ging mir ein Glücksstern auf.

Kaum war ich auf dem Marktplatz, als ein wohlgekleideter Cavalier, bey dem ich vorbeyging, mich beym Arm anhielt, und zu mir 232 sagte: Willst Du mir dienen, Kleiner? Ich möchte wohl so einen Lakeyen haben wie Du. Und ich so einen Herrn wie Sie, gab ich zur Antwort. Wenn das ist, versetzt' er, so bist Du von jetzt an in meinen Diensten, komm und folge mir. Ich that dieß ohne Widerrede.

Dieser Cavalier, der etwa dreyßig Jahr alt seyn mochte, hieß Don Abel, und wohnte in einem vornehmen Gasthofe, woselbst er gar artige Zimmer einhatte. Er war seines Metjes ein Spieler, und meine Arbeit bey ihm folgende: ich schnitt ihm des Morgens Tobak, um fünf bis sechs CigarrosCigarros. Wenn die Spanier Tobak rauchen, wickeln sie ein Stückchen Toback in ein Papier, zünden es an, und ziehen den Rauch durch das Papier an sich, ohne wie wir Pfeifen zu gebrauchen. Ein solches zusammengerolltes Papier nennen sie cigarro. – D. Uebers. zu machen, reinigte ihm die Kleider, und hohlte ihm einen Barbier, der ihn rasiren, und seinen Knebelbart wieder in Schick und Ordnung bringen mußte.

Hierauf ging er aus, und durchstreifte alle Spielhäuser, von denen er nicht eher als um Eilf oder Zwölfe zu Hause kam. Eh' er aber des Morgens ausging, zog er drey Realen für mich aus seiner Tasche, um von selbigen den Tag über zu zehren. Bis zehn Uhr Abends stand's völlig bey mir, zu thun, was ich wollte; 233 fand er mich nur wieder zu Hause, wenn er kam, so war er mit mir höchlich zufrieden. Er ließ mir eine Livrey machen, worin ich just so aussah, wie ein kleiner Commissionär von Conversationsdamen. Ich war mit meinem Dienste recht sehr wohl zufrieden, und hätt' ich zuverläßig keinen finden können, der sich besser für mich geschickt hätte.

Ich führte beynahe einen Monath ein so glückliches Leben, als mich mein Herr fragte: ob ich mit ihm zufrieden sey? O über die Maßen! gab ich zur Antwort. Nun dann! versetzte er, so wollen wir morgen nach Sevilla, wohin mich meine Angelegenheiten rufen. Es wird Dich nicht reuen, diese Hauptstadt von Andalusien zu sehen. Wer Sevilla nicht gesehen hat, der hat gar nichts gesehen, sagt das Sprüchwort. Ich wäre bereit, ihm überall hin zu folgen, versicherte ich. Noch an eben dem Tage kam der Postbothe und hohlte meines Herrn Koffer ab, der wichtig genug war, und den folgenden Morgen ging's nach Andalusien.

Sennor Don Abel war im Spiel so glücklich, daß er nur dann verlor, wenn er wollte, und dieß nöthigte ihn seinen Aufenthalt oft zu verändern, um sich der Rache der Geprellten zu entziehen. Die? war denn auch der Anlaß unsrer Reise. Als wir zu Sevilla angekommen waren, logirten wir uns in einen Gasthof 234 beym Cordoverthore, und lebten auf eben dem Fuße, wie zu Toledo. Allein mein Herr verspürte bald einen mächtigen Unterschied zwischen beyden Städten. Er stieß in Sevilla auf Spieler, die so viel Glück hatten, als er; so daß er manchmahl gar mürrisch nach Hause kam.

Eines Morgens, da er noch übler Laune war, daß er den Tag zuvor hundert Pistolen verloren, fragte er mich, weshalb ich nicht seine schwarze Wäsche zur Wäscherinn gebracht hätte. Weil ich's vergessen habe, gab ich ihm zur Antwort. Priez, praz, priez! gab er mir im vollen Grimm ein Halbdutzend so derbe Ohrfeigen, daß ich mehr Lichter zu sehen kriegte, als in Salomo's Tempel waren.

Ein andermahl, Schlingel! sagt' er, beobachte deine Schuldigkeit besser. Muß ich denn immer bey Dir seyn, und Dich erinnern, was Du zu thun hast. Taugst Du zu weiter nichts, als zum Fressen? Kannst Du denn nicht meine Befehlen und meinen Bedürfnissen zuvorkommen? Du bist ja kein Vieh nicht.

Mit diesen Worten ging er fort. Mich hatte es nicht wenig verschnupft, um eines so kleinen Pudels willen so herumgeohrfeigt zu seyn, und ich war fest entschlossen, es ihm einzutränken, sobald ich dazu Gelegenheit fände.

Ich weiß nicht, was ihm kurz nachher in einem Spielhause mußte zugestoßen seyn; er kam 235 aber eines Abends sehr erhitzt nach Hause. Scipio, sagte er, ich bin Willens nach Italien zu gehen, und übermorgen setz' ich mich auf ein Schiff, das nach Genua zurücksegelt. Ich habe meine Ursachen, diese Reise zu thun; ich glaube wohl, daß Du mich begleiten, und die schöne Gelegenheit nutzen wirst, das reitzendste Land zu sehen, das unter Gottes blauem Himmel liegt.

Das wär' ein gesunden Fressen für mich, versichert' ich ihm; ich äusserte sogar Drang, Italien zu sehen, nahm mir aber fest vor, in dem Augenblicke zu verschwinden, da's fortgehen sollte. Dadurch glaubt' ich mich an meinem Herrn rechtschaffen zu rächen, und fand dieß ungemein gut ausgesonnen.

Ich war damit so zufrieden, daß ich nicht umhin konnte, diesen Anschlag einem Schläger von Profession mitzutheilen, der mir auf der Straße in den Wurf kam. Seit unsers Aufenthalts zu Sevilla, hatte ich mit verschiednen Lotterbuben und Lumpen Bekanntschaft gemacht, unter andern auch mit dem. Ich erzählte ihm wie und weßhalb ich geohrfeigt worden; sagte ihm hierauf, ich sey Willens vom Don Abel wegzulaufen, just wenn er den Fuß in's Schiff gesetzt habe, und fragte ihn, was er von meinem Entschluß dächte. 236

Der SchlageboldSchlagebold, ein kühner Schläger, von dem veralteten Bold, kühn, das am allgemeinsten noch in Trunkenbold gehört wird. – A. d. Uebers. runzelte während dieser Rede die Augenbraunen, strich seinen Knebelbart in die Höhe, fensterte meinen Herrn weidlich aus, und sagte darauf zu mir: Du bist auf immer um Deine Ehre, mein lieber kleiner Mann, wenn Du's bey der vorgenommenen Lumpenrevange bewenden läßt. Den Don Abel bloß ganz allein fortreisen lassen, das wäre ihn nicht hinlänglich bestraft; die Strafe muß der erlittenen Beleidigung angemessen seyn. Wir müssen seine Sachen und sein Geld zu uns nehmen, und das ohn' alles weiteres Bedenken; nach seiner Fortreise wollen wir uns als Brüder darin theilen. So geneigt zum Stehlen ich auch von Natur war, so erschrak ich dennoch über den Vorschlag. Der Diebstahl schien mir von zu vielem Belange.

Indeß wußte dieser Erzgauner mich dazu zu beschwatzen. Wie der Streich gelang, sollen Sie sogleich hören. Der Raufegern, ein starker, vierschrötiger Mann, kam den folgenden Tag gegen Abend in unser Logis. Ich zeigte ihm den Koffer, worin mein Herr seine Sachen bereits eingeschlossen hatte, und fragte ihn, ob er wohl allein eine so schwere Last 237 fortschaffen könnte. Eine schwere Last? sagte er. Du mußt wissen, wenn's darauf ankommt, jemanden ausziehen zu helfen, wollt' ich wohl die Arche Noä wegtragen. Mit diesen Worten lud der Eisenfresser den Koffer ohn' alle Mühe auf seine Schultern, und wanderte ganz leichtfüßig die Treppe hinunter; ich eben so schnell hinter ihm her, und wir wollten eben zur Thür hinaus, als wir unter selbiger dem Don Abel aufstießen, den sein Glücksstern wieder heimführte.

Wo willst Du mit dem Koffer hin? sagte er zu mir: Ich war so verblüfft, daß ich kein Sterbenswörtchen hervorbringen konnte, und Meister Wagehals, der den Streich mißlungen sahe, warf den Koffer ab, und machte sich aus dem Staube, um nicht zur Rede gestellt zu werden. Wo Du mit dem Koffer hinwillst, frag' ich Dich, sagte mein Herr Sennor, nach dem Schiffe hin, womit Sie morgen abgehen wollen, versetzt' ich mehr todt als lebendig. Weißt Du denn aber, erwiederte er, mit welchem Schiff ich fortwill?

»Nein, gnädiger Herr; allein wer eine Zunge hat, frägt sich wohl nach Rom hin. Ich hätte mich in dem Hafen darnach erkundigt, und gewiß jemanden gefunden, der mir's gesagt.«

Auf diese ihm verdächtige Antwort warf er einen so wüthigen Blick auf mich, daß mir vor Priez! praz! bange wurde. Wer hat Dir denn 238 befohlen, den Koffer wegzuschaffen? rief er. »Sie Selbst, gnädiger Herr!« Ich Dir den Koffer? antwortete er mit Befremdung. Ja wohl, Sennor, erwiederte ich. Besinnen Sie Sich nicht mehr, daß Sie, wie Sie mir vor einem Paar Tage den Text lasen, und mich 'rummaulschellirten, zu mir sagten: ich sollte Ihren Befehlen zuvorkommen, und ungeheißen thun, was meines Amts sey. Um mich nun darnach zu richten, wollt' ich den Koffer auf's Schiff schaffen lassen.

Hier merkte der Spieler, daß das Sprüchwort bey mir zutraf: Junge Füchse, neue Schwänke. Deßhalb sagte er ganz kalt zu mir, indem er mir den Abschied gab: Geht, Sennor Scipio, und der Himmel sey Euer Geleitsmann! Ihr seyd mir zu klug für Euer Alter, und ich spiele nicht gern mit Leuten, die bald eine Karte zu viel, bald eine zu wenig haben. Packe Dich ja gleich aus meinen Augen, fuhr er mit verändertem Tone fort, sonst möcht' ich Dich ohne Musik tanzen machen.

Ich sparte ihm die Mühe, mir dieß zweymahl zu sagen und huschte sogleich zur Thür hinaus, höllenbange, ich möchte die Livrey ausziehen müssen, zu allem Glück aber dacht' er daran nicht. Hierauf spintisirt' ich die Gassen auf und nieder, wo ich mit den zwey Realen, die mein ganzes Hinundher waren, wohl Nachtlager finden könnte. Endlich kam ich vor die Pforten 239 des Erzbischöflichen Pallastes; und da eben an dem Abendbrot von Ihro Hochwürden Gnade gearbeitet wurde, so wehte ein lieblicher Geruch aus der Küche her, den man eine halbe Meile in der Runde spüren konnte.

Der Daus! sagt' ich bey mir selbst, wie herzlich gern würd' ich mich mit Einem von den Gerichten behelfen, die mir zur Nase steigen; ich wäre sogar zufrieden, wenn ich nur bloß alle Fünfe drein tunken dürfte. Doch wie? Sollt' ich nicht irgend einen Schneller ersinnen können, wodurch ich eines von denen Leckerbißchen habhaft würde, deren bloßen Dampf ich in mich schlucke? Warum das nicht? So unmöglich scheint mir das eben nicht. Ich setzte nunmehr meine Einbildungskraft in Gluth, und brütete endlich und endlich ein Plänchen aus, das ich auf der Stelle auszuführen beschloß, und der Versuch glückte mir. Ich rannte in den Hof des Pallasts, und von da mit vollen Sprüngen auf die Küche zu, und schrie aus Leibeskräften, als wär' einer mit bloßem Mordgewehre hinter mir drein: Hülfe! Hülfe!

Auf mein verdoppeltes Geschrey stürzte Meister Diego, des Erzbischofs Koch, mit drey, vier Küchenjungen herzu, um zu wissen, was es gäbe, und da er keine Seele ausser mir gewahrte, fragte er: Weshalb ich denn so blökte, als stäk' ich am Spieß? Ah Sennor, sagt' ich, und geberdete mich als ein heftigerschrockner 240 Mensch, um des heiligen Polykarp's willen, retten Sie mich; da jagt ein Kerl mit einem großen Sarras hinter mir an, und will mich todt stechen. Ihr seyd ja mutterseelenallein, rief Diego, nicht mahl 'ne Katze läuft hinter Euch drein. Mein liebes Kind, seyd getrost! Vermuthlich hat sich der Mensch wollen einen Spaß mit Euch machen, daß er Euch so in's Bockshorn gejagt. Sein Glück, daß er Euch nicht bis hieher nachgesetzt hat, denn zum allerwenigsten hätten wir ihm die Ohren abgeschnitten.

Können mir's gewiß glauben, Sennor, sagt' ich zum Koch, er hat mich nicht bloß aus Narretey verfolgt. 'S war ein großer Galgenstrick, der mich rein ausschälen wollte, und der gewiß draußen auf mich lauert. So mag er's denn, daß er schwarz wird, versetzte der Koch. Ihr sollt bey uns bleiben, bis Morgen früh, und bey unsern Küchenjungen speisen und schlafen. Sie werden Euch schon gütlich thun, und keine Noth leiden lassen.

Ueber diese letzten Worte gerieth ich ganz ausser mir vor Vergnügen und ich kriegte die herrlichste Augenweide, als mich Sennor Diego in die Küche führte, woselbst ich Anstalten zur Abendmahlzeit von Ihro Hochwürden-Gnaden machen sahe. Ich zählte an funfzehn Personen, die damit beschäftigt waren; allein die Gerichte zu zählen, die mir in die Augen fielen, war ich 241 nicht im Stande, so reichlich hatte die Vorsehung den Erzbischof versorgt.

Jetzt, da ich so mit voller Nase all' die Ausdünstungen dieser Speisen in mich ziehen konnte, die ich bisher nur von weitem aufgeschniffeltAufgeschniffelt. Aufschniffeln, »einen Geruch mit verstärkter Heftigkeit in die Nase ziehen.« Für die vertrauliche Sprechart unentbehrlich. Durch die Kaffeeschniffler und nachher durch die Glaubensschniffler in meinem Vaterlande (zwey gleich tief verachtete Menschenclassen) ist dieser Niedersächsische Ausdruck in Umlauf genug gekommen. – A. d. Uebers. hatte, kriegt' ich einen feinen Ansatz zum Lecker. Ich genoß die Ehre, mit den Küchenjungen zu essen und zu schlafen, die mich recht köstlich bewirtheten, und so liebgewannen, daß, wie ich den folgenden Tag zum Meister Diego ging, und mich für die mir so großmüthig verliehene Freystätte bedankte, dieser zu mir sagte:

Meine Leute haben mir insgesammt zu verstehen gegeben, es würd' ihnen lieb seyn, wenn sie Euch zum Kameraden bekommen könnten, so wohl hat ihnen Euer Humor gefallen. Habt Ihr wohl Lust, es zu werden? Besser würd' ich mir's nie wünschen, gab ich ihm zur Antwort. Wenn das ist, mein Freund, sagt' er, so seht Euch seit dem jetzigen Augenblick als 242 einen Erzbischöflichen Bedienten an. Mit diesen Worten stellt' er mich dem Majordomo vor, der mich wegen meiner dreyjährigen Miene würdig hielt, unter die Fummelimtopf aufgenommen zu werden.

Kaum war ich im Besitze dieses ehrenvollen Postens, als Meister Diego, der nach dem löblichen Brauch aller Köche in vornehmen Häusern, sein Feinsliebchen unter der Hand mit Victualien versorgte, mich dazu wählte, einer Dame in der Nachbarschaft bald Kälbernierenbraten, bald Federvieh oder Wildpret zu zutragen. Diese gute Dame war eine Witwe von höchstens dreyßig Jahren, ein recht niedliches und flinkes Weibchen, die ihrem Koche nicht sehr Farbe zu halten schien. Indeß begnügte er sich nicht damit, ihr Fleisch, Brot, Zucker und Oehl zuzuschanzen, er versah sie auch mit Weinen, und das alles auf Kosten des Herrn Erzbischofs.

In diesem Pallaste ward ich nun vollends erst recht abgeriffelt, und spielte einen ganz drolligen Streich in selbigem, von dem man noch heut zu Tage in Sevilla spricht. Die Pagen, und einige andre Domestiken des Erzbischofs, kamen auf den Einfall, den Geburtstag ihres gnädigen Herrn durch ein Schauspiel zu feyern, wozu sie denn Benavides wählten, und da sie einen Burschen meines Alters zur Rolle des jungen Königs von Leon 243 bedurften, warfen sie ihre Augen auf mich. Der Majordomo, der sich mit seiner Declamation eine große Güte that, nahm es über sich, mir die Rolle zu lehren, und nachdem er sie etlichemahl mit mir durchgegangen war, versicherte er, ich würd' es gewiß nicht am schlechtesten machen.

Da der Herr vom Hause die Kosten des Festes trug, können Sie Sich wohl vorstellen, daß an Prunk nichts gespart wurde. Im größten Saale des Pallasts wurd' ein Theater erbaut, und mit schönen Decorationen versehen. In die Flügel hatte man ein Rasenbett hingestellt, auf dem ich eingeschlummert scheinen sollte, wenn die Mauren auf mich zustürzen würden, um mich zum Gefangnen zu machen. Als alle spielende Personen mit ihren Rollen fertig waren, beraumte der Erzbischof den Tag zur Vorstellung, und machte sich ein Vergnügen daraus, die angesehensten Herren und Damen zu selbiger einzuladen.

Jeder Schauspieler war an diesem Tage mit nichts, als mit seinem Anputze beschäftigt. Mir brachte ein Schneider den meinigen, dem der Majordomo auf dem Fuß folgte. Da er sich die Mühe gegeben hatte, mir die Rolle zu lehren, so rechnete er sich's zur Schuldigkeit mich anziehen zu sehen, und mir dabey zu helfen. Der Schneider legte mir ein reiches blausamtenes Kleid an, das goldne Tressen und Knöpfe hatte, 244 und dessen Hängeärmel gleichfalls stark beblecht waren. Der Majordomo selbst setzte mir eine pappene Krone auf, die mit einer unendlichen Menge echter Perlen besäet war, worunter man unächte Diamanten gemischt hatte. Ueberdieß schnallten sie mir einen rosenfarbnen, silbergeblümten Gürtel um. Bey jedem Kleidungsstücke, das sie mir anlegten, war's, als setzten sie mir Flügel an, um fortzufliegen.

Die Komödie nahm mit sinkendem Tage ihren Anfang. Der junge König von Leon hebt mit einem langen Monologe das Stück an. Da ich diese Rolle machte, so öffnet' ich die Scene mit einer Tirade von Versen, die darauf hinauslief: ich könnte dem Zauber des Schlafs unmöglich länger widerstehen, damit eilt' ich in die Kulissen, und warf mich auf das mir bereitete Rasenbette. Statt aber auf selbigem einzuschlafen, dacht' ich auf Mittel, auf die Straße hinauszukommen, und mich mit meiner Königlichen Tracht aus dem Staube zu machen. Eine kleine Winkeltreppe, durch welche man unter dem Theater weg, und in den Saal kam, schien mir zur Ausführung meines Vorhabens bequem. Ich schlüpfte auf, und da ich gewahrte, daß Niemand auf mich Acht gab, fuhr ich die Treppe hinunter, auf den Saal hinaus, und arbeitete mich mit den Worten: Platz da! Platz! Ich muß mich umkleiden! zur Saalthür hin. Mir ward dieß nicht sauer, denn 245 jedermann machte mir Platz, und so war ich in weniger denn in einer Minute, unterm günstigen Deckmantel der Nacht, unangehalten aus dem Pallaste, und in Freund Haudegens Hause.

Er war äusserst erstaunt, mich in einem solchen Aufzuge zu sehen. Ich setzte ihm alles in's Klare, und er lachte herzlich darüber; darauf umarmte er mich mit so größrer Freude, da er sich an der süßen Hoffnung weidete, von der gemachten reichen Beute seinen Part abzubekommen, gratulirte mir, daß ich einen so glücklichen Coup gemacht habe, und sagte, wenn ich mich immer so gut hielte, würd' ich mir einmahl einen großen Nahmen in der Welt durch meinen Witz machen.

Nachdem wir uns vor Lachen ausgeschüttet hatten, fragt' ich den Raufbold, was wir mit der reichen Kleidung machen wollten? Darüber laß Dir kein graues Haar wachsen, gab er mir zur Antwort. Ich kenne einen ehrlichen Trödler, der ohn' im geringsten neugierig zu seyn, vor der Faust wegkauft, was ihm angebothen wird, wenn er nur seinen Schnitt dabey machen kann. Morgen früh will ich zu ihm gehen, und ihn herbringen.

Sobald nur der Morgen heraufgraute, ging mein Freund, seinem Versprechen gemäß, fort, und ließ mich im Bette liegen; zwey Stunden darauf kam er mit einem Trödler 246 zurück, der ein gelbleinwandenes Pack unterm Arm hatte.

Freundchen, sagte er zu mir, da bring' ich Dir den Sennor Ybagnez von Segovia, einen so rechtschaffnen und redlichen Trödler, als je einen gegeben, und der ungeachtet des bösen Beyspiels, das ihm seine Mitbrüder täglich vor Augen legen, sich der gewissenhaftesten Redlichkeit befleißigt. Er wird Dir auf ein Haar sagen, was der Anzug werth ist, den Du verkaufen willst, und auf seine Taxe kannst Du Dich verlassen.

Ja freylich können Sie das, sagte der Trödler. Ich müßte ja ein Erzholunke seyn, wenn ich die Sachen unter ihrem Werthe schätzen wollte. Das hat man mir, Gott Lob, mein Lebstage noch nicht vorgeworfen, und wird's dem Ybagnez von Segovia nie vorwerfen. Lassen Sie uns doch mahl sehen, fuhr er fort, was Sie Guts verhandeln wollen; ich werd' Ihnen auf mein Gewissen sagen, was die Sachen werth sind.

Da, da, sagte der Eisenfresser zu ihm. Gelt, das stutzt doch? Wie schön dieser Genueser Sammet ist, und wie reich diese Tressen! Allerliebst! allerliebst! versetzte der Trödler, nachdem er alles recht genau betrachtet hatte, 's ist recht sehr schön. Und was meinen Sie zu den echten Perlen da an der Krone? erwiederte 247 mein Freund. Wären sie runder, versetzte Ybagnez, so wären sie von unschätzbarem Werthe; indeß find' ich sie, so wie sie da sind, immer ganz artig. Ich bin damit so zufrieden, wie mit dem ganzen Anzuge. Ein Gauner von Trödler würde an meiner Stelle die Sachen hier 'runtermachen. um sie nur für ein Spottgeld zu erhaschen, würde ohne Scham und Scheu zwanzig Pistolen dafür biethen, ich aber, als ein gewissenhafter Mann, will vierzig dafür geben.

Hätte auch Ybagnez hundert gesagt, so hätt' er noch immer herzlich schlecht taxirt, denn die Perlen allein waren zweyhundert werth. Der Schläger, der mit ihm unter einer Decke lag, raunte mir halblaut zu: Du hast recht von Glück zu sagen, daß Du so einem rechtschaffnen Mann in die Hände gefallen bist. Sennor Ybagnez schätzt die Sachen so, als wenn ihm der Tod schon auf'n Lippen säße. Ja, das ist wahr, sagte der Trödler; auch laß' ich mir so wenig einen Heller abdingen, als ich einen zulege. Nun, fuhr er fort, sind wir Handels einig? Soll ich immer auszahlen? Wartet noch, antwortete der Raufbold, mein Freundchen hier muß zuvor das Kleid anproben, das Ihr für Ihn mitnehmen müssen. Es paßt ihm wie angegossen, oder ich müßte mich sehr irren.

Sofort öffnete der Trödler seinen Pack, und zeigte mir ein dunkelbraunes feintuchenes 248 Wams und Beinkleider mit silbernen Knöpfen, alles halbverschlissen. Ich stand auf, und probte diese Kleidungsstücke an, die mir zwar viel zu weit und viel zu lang waren, diesen Herrn aber wie ausdrücklich für mich gemacht schienen.

Ybagnez schätzte sie auf zehn Pistolen, und da bey ihm nichts abzudingen war, mußt' ich schon in den sauren Apfel beissen. Solchergestalt zog er dreyßig Pistolen aus dem Beutel, und zählte sie auf; sodann packte er meine Königstracht und meine Reichskrone zusammen, und führte sich ab, höchst zufrieden, ohne Zweifel, sein Tagewerk so wohl begonnen zu haben.

Als er fort war, sagte der Schläger zu mir: Ich bin mit diesem Trödler recht wohl zufrieden. Er hatte es auch in der That Ursache, denn ich bin überzeugt, der Trödler hat ihm für seine Mühe wenigstens hundert Pistolen geben müssen. Hiermit aber war er nicht zufrieden, sondern strich ohne Umstände die Hälfte des auf dem Tische liegenden Geldes ein, und ließ mir die andre mit den Worten:

Liebes Scipiochen, mein Rath ist, daß Ihr Euch über Hals über Kopf aus der Stadt fortmacht. Ihr könnt Euch leicht vorstellen, daß Ihr auf Befehl des Erzbischofs werdet aufgesucht werden. Es sollte mir recht leid thun, wenn Ihr wegen einer That, wodurch Ihr euch so ausgezeichnet habt, und die in Eurer 249 Lebensgeschichte rechte Figur machen wird, wie ein WitstockWitstock, in der Sprache der Spitzbuben, »ein Neuling in ihrem Metje«. – D. Uebers. in's Gefängniß gesetzt würdet.

Ich wäre auch fest Willens, gab ich ihm zur Antwort, mich aus Sevilla zu entfernen; und das that ich auch, nachdem ich einen Hut und etliche Hemden eingekauft hatte. Ich eilte auf die Landstraße hinaus, die durch ein lustiges Gefilde, zwischen Weinstöcken und Olivenbäumen, nach der alten Stadt Carmona führte, und drey Tage nachher langt' ich zu Cordua an.

Ich logirte mich in ein Wirthshaus, dicht an dem großen Platze, wo die Kaufleute wohnen. Ich gab mich für ein Toledisches Familienkind aus, das eine Lustreise machte; ich war sauber genug gekleidet, um dieß die Leute bereden zu können, und einige Pistolen, die ich gleichsam wie von Ungefähr dem Wirthe sehen ließ, gaben dem Dinge den völligen Nachdruck. Vielleicht brachte ihn auch mein zartes Alter auf die Gedanken: ich sey ein kleiner Wüstling, der im Lande 'rumschwärmte, nachdem er seine Aeltern bemaust hatte. Wie dem auch seyn mag, genug er verlangte nicht mehr zu wissen, als was ich ihm sagte, vermuthlich aus Besorgniß, seine Neugier möchte mich aus seinem Hause treiben. 250

Für sechs Realen konnte man täglich recht gut in diesem Wirthshause leben, das gemeiniglich stark besucht wurde. Den Abend zählt' ich an zwölf Personen bey Tische. Das Drolligste dabey war, daß jeder von ihnen seine Portion hinteraß, ohne das Mindeste dabey zu reden, bis auf einen, der unaufhörlich in die Kreuz und in die Quere losschwadronirte, und dadurch für das Stillschweigen der Uebrigen schadlos hielt. Er machte den witzigen Kopf, brachte Schwänke auf's Tapet, und strebte durch launige Einfälle die Gesellschaft zu belustigen, die unterweilen eine helle Lache aufschlug, mehr aus Spott über seinen Witz, als aus Beyfall.

Ich meiner Seits achtete auf all' das Geschwätz dieses Sennor Gernwitz nicht im mindesten, und würde sogar vom Tische aufgestanden seyn, ohne zu wissen, was er geschnakt habe, hätte er nicht ein Mittel gefunden, mich durch seine Reden zu interessiren. Meine Herren, sagte er gegen das Ende der Mahlzeit, alles das Bisherige ist nichts, gegen das, was ich Ihnen jetzt erzählen will. Den Nachtisch muß man nicht vor der Suppe aufzehren. Nun will ich Ihnen ein recht leckeres Bißchen auftischen, eine der belustigendsten Geschichten, die sich erst vor wenig Tagen in dem Erzbischöflichen Pallaste zu Sevilla zugetragen hatte. Ich habe sie von einem meiner Bekannten, 251 einem Baccalaureus, der davon Augenzeuge gewesen, wie er sagt.

Bey diesen Worten trat mir das Blut näher an's Herz. Es wird gewiß von Dir die Rede seyn, dacht' ich, und ich hatte mich nicht geirrt. Der WitzboldWitzbold, der sehr keck witzig seyn sollende Einfälle und Geschichtchen umherschläudert und eben so keck über alles, was weit aus seinem Gesichtskreise liegt, abspricht. Lessing nennt diesen Ausdruck schön, und das berechtigt mich denselben zu gebrauchen. Der Witzling thut alles, was der Witzbold thut, nur hat er nicht dieselbe Dosis von Unverschämtheit. – A- d- Uebers. erzählte alles ganz treulich, und sogar das, was ich nicht wußte; das will sagen, was sich nach meinem Fortwipsen im Saale zugetragen hat. Und das sollen Sie sogleich erfahren.

Kaum hatt' ich das Hasenpanier genommen, als die Mauren, die dem Stücke zufolge kommen und mich entführen mußten, auf dem Theater erschienen, des Vorhabens, mich auf dem Rasenbett zu überfallen, auf welchem sie mich eingeschlafen glaubten. Als sie nun auf den König von Leon losstürzen wollten, machten sie große Augen, weder König noch Bauer da zu finden. Sofort war die Komödie unterbrochen, die spielenden Personen geriethen in die 252 größte Höllenangst; einige riefen mich, andre schickten nach mir; der hier schrie, jener fluchte mich zu allen Teufeln. Als der Erzbischof den Tumult und den Hurliburli hinter der Scene merkte, erkundigte er sich nach der Ursache. Sogleich lief ein Page herbey, der im Stücke den Gracioso machte, und sagte zu ihm: Ihro Hochwürden-Gnaden dürfen nicht mehr befürchten, daß die Mauren den König von Leon gefangen nehmen werden, denn er hat sich sammt seinem königlichen Staate aus dem Staube gemacht.

Dem Himmel sey's gedankt, sagte der Erzbischof. Er hat wohl daran gethan, daß er den Feinden unsrer Religion, und den Banden entflohen ist, die sie für ihn bereitet hatten. Vermuthlich wird er nach Leon, der Hauptstadt seines Reichs, zurückgekehrt seyn. Möcht' er doch daselbst wohlbehalten anlangen. Uebrigens verbieth' ich, ihm nachzusetzen; es sollte mir leid thun, wenn Sr. Majestät von Seiten meiner die mindeste Kränkung widerführe.

Nachdem der Prälat dieß gesagt hatte, befahl er, meine Rolle herzulesen, und das Stück fortzuspielen. 253

 


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